Freitag, 6. Januar 2012

Also, ich würde des Amts ja am liebsten...

Der Wulff und die Schafspelze.
Es gibt mittlerweile einen wesentlichen Hauptgrund, weshalb Christian Wulff zurücktreten sollte: Ich für meinen Teil kann das endlose Geschwafel darüber nicht mehr hören. Der Mann ist nicht tragbar, ein Kasper auf dem Niveau eines Dorfbullen, der die Messlatte fürs Fremdschämen noch einmal niedriger legt und dessen Verhaltensmuster nur noch zwischen Mitleidsheischerei und Kulgscheißertum pendelt – dazu ist alles gesagt worden, was dazu zu sagen ist, und ich möchte nicht noch einen Bettina-Schausten-Witz, nicht noch eine küchenpsychologische Interpretation seiner bevorzugten Wohnform und, dies vor allem anderen, nicht noch eine Abhandlung über die „Würde des Amtes“ hören.

Woher kommt diese selten dämliche Floskel eigentlich? Resultiert sie nicht bloß aus einem Wortspiel mit dem viel geläufigeren Begriff „Bürde des Amtes“, das sich dann irgendwann – spätestens bei Köhler – verselbstständigt hat? Das Amt des Bundespräsidenten ist genau das, wonach es klingt: ein Amt, ein Posten, nicht mehr und nicht weniger; ein Abschnitt auf einem Stück Papier namens Grundgesetz, ein Eintrag im Terminkalender der Flugbereitschaft, eine Summe auf dem Gehaltsscheck, ein paar Minuten Sendezeit vor Weihnachten. Und warum soll einer leblosen Sache irgendeine Form von Würde zugesprochen werden, wo doch x-tausenden Menschen in diesem Land ihre Würde tagtäglich abgesprochen wird?

Es ist ein bisschen wie mit der Börse, die „nervös“ ist oder „verhalten reagiert“. Hier werden bloße Institutionen vermenschlicht, mutmaßlich genau zu diesem Zweck: Um ihnen die ansonsten allein Lebewesen zustehende „Würde“ verleihen und sie damit weniger angreifbar zu machen. Es wurde ja, zumindest bis vor einigen Tagen, schon beinahe als unanständig angesehen, überhaupt irgendeine Kritik am Bundespräsidenten zu üben. Das Ganze hat wenig mit Würde zu tun, dafür um so mehr mit Weihrauch. Und wie bei entsprechenden sakralen Äquivalenten stellen interessierte Kreise es als eine Art Ketzertum dar, an diesen Strukturen zu rütteln. Wir haben allerdings keinen Heiligen Stuhl, auf dem das Staatsoberhaupt sitzt, und er ist auch nicht von einem übernatürlichen gasförmigen Wesen bestellt worden. Er ist bloß ein Mann, und wenn es um Würde geht, dann bestenfalls um seine persönliche. Von der spricht allerdings niemand. Wozu auch, er scheint ja selbst keinen großen Wert darauf zu legen, sie zu wahren.

Ein viel treffenderer, wenngleich ebenso überstrapazierter und eigentlich widersprüchlicher Begriff ist der der „Beschädigung des Amtes“. Konsequenterweise müssten all die Besorgnisträger eher von dessen „Verletzung“ sprechen, denn wenn es sich beim Amt um etwas Lebendes, Fühlendes, Würde Habendes handelt, dann wäre das Wort „Beschädigung“ unangemessen versachlichend, aber sei's drum, wir nehmen es mal so, wie es ist. Aber wie zum Henker soll man ein Amt überhaupt „beschädigen“ können? Kann es demzufolge auch irgendwie kaputt gehen? Funktioniert es dann nicht mehr richtig? Bleibt der Präsident eines Tages einfach im Bett liegen, weil das Amt so stark beschädigt ist, dass er keine Diplomaten empfangen, Dienstreisen unternehmen oder Spaliere abschreiten kann?

Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, sich folgendes zu vergegenwärtigen: Das Amt des Bundespräsidenten ist das einzige Amt in diesem Land, dass beschädigt werden kann – besser gesagt: auf das dieser Begriff überhaupt Anwendung findet. Im Vereinsleben wird man ihm nie begegnen – wenn der erste Vorsitzende des Hühnerzüchtervereins ein Depp ist, wird bei der nächsten Jahreshauptversammlung ein neuer gewählt. Punkt. Da spricht niemand davon, dass dieses „Amt beschädigt“ worden sei, weder durch das Verhalten des Amtsinhabers noch durch geäußerte Kritik daran. Ähnlich sieht es bei allen anderen Posten, auch politischen aus. Nicht einmal bei Ortsvorstehern, Bürgermeistern oder Ministerpräsidenten bin ich jemals auf diese Formulierung gestoßen. Diese Ämter werden als notwendig angesehen, damit irgendwas läuft, und wenn ihre Inhaber sie nicht angemessen ausfüllen, dann werden sie ersetzt und nicht der Zustand des Amtes in Frage gestellt – so einfach ist das.

Warum also ist es beim Bundespräsident anders? Weil – ich wage eine steile These – sich die Kommentatoren vielleicht im Grunde alle darüber im Klaren sind, dass dieses Amt eben nicht in diese Reihe der notwendigen, nie in Frage zu stellenden Ämter gehört, auch wenn das nie offen ausgesprochen wird, womit wir wieder beim Thema „Ketzertum“ wären?

Tatsächlich handelt es sich ohne Zweifel um den überflüssigsten Posten, den dieser Staatsapparat zu bieten hat. Ein Grüßaugust, der präsidial gucken können muss, wenn irgendein ausländischer Potentat zu Besuch kommt, und von dem man alle paar Monate salbungsvolle Worte erwartet, die aber bloß keine konkrete Aussagekraft haben sollten. Das Unterschreiben von Gesetzen ist ebenso eine bloße Formsache ohne jede Machtbefugnis wie die Entlassung von Regierungsmitgliedern – die entsprechenden Entscheidungen werden woanders getroffen. Der Staat würde haargenau so weiter funktionieren wie bisher, wenn man den Bundespräsidenten abschaffen würde.

Wozu haben wir ihn dann? Es steht zu befürchten, dass es daher rührt, dass die Väter (und die wenigen Mütter) des Grundgesetzes sich einen Staat ohne eine einzelne Person an der Spitze überhaupt nicht vorstellen konnten. Das konnten schon die Republikaner der Jahre 1919/20 nicht, weshalb sie in Form des Reichspräsidenten einen Ersatzmonarchen schufen. Das ging bekanntlich gründlich schief, und wenigstens aus diesem Fehler hatten die politischen Eliten des Jahres 1949 gelernt: Die Neuauflage des Herrscherpostens kam ohne jegliche nennenswerte Macht aus. Es bleibt die Frage, wozu er dann überhaupt da ist. Wer braucht ihn eigentlich?

Das Volk, weil „Vater Staat“ nur zu begreifen ist, wenn es eine solche Vaterfigur gibt? Weil es eine diffuse Sehnsucht nach monarchischen Strukturen hat, nach einer Überfigur, die jenseits profaner Alltagsprobleme wie Arbeitslosigkeit und Koalitionsverhandlungen steht? Dass dem nominellen Oberhaupt eines demokratischen Gemeinwesens ein Schloss als Residenz zur Verfügung gestellt wurde, deutet darauf hin. Oder braucht die jeweilige Regierung ihn, damit sie immer jemanden hat, der mit gezielt eingesetzten Moralpredigten das Volk ruhig halten kann, während sie ihre Vorstellungen „alternativloser“ Politik durchsetzt?

Ein taz-Autor sinnierte vor ein paar Tagen über die Abschaffung des Amtes und die dadurch folgende Erhebung des Bundestagspräsidenten, der derzeitigen Nummer Zwei, zum Staatsoberhaupt – womit das Parlament formell an die Spitze des Staates rücken würde. Lustige Idee, nur wenig durchdacht, da der Bundestagspräsident direkt von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament abhängt und somit automatisch zum Lager der Bundesregierung gehört. Ein Parteisoldat als Staatsoberhaupt? Auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Warum nicht ganz radikal vorgehen und sagen: Es gibt schlicht und einfach kein Staatsoberhaupt in diesem Land? Sondern nur einen Souverän?

Nur so ein Gedanke, der natürlich eh nicht umgesetzt wird; ein Deutschland ohne Staatsoberhaupt ist so wenig vorstellbar wie die katholische Kirche ohne Papst. Viel einfacher und von zentralerer Bedeutung wäre es, dem Amt die ihm zugedichtete „Würde“ einfach abzuerkennen. Man wischt den Staub runter, schrubbt die Patina ab und macht das Fenster auf, um die Weihrauchschwaden rausziehen zu lassen – und schon hat man ein Amt wie jedes andere, dessen Inhaber man zum Teufel jagen kann, wenn er sich als ungeeignet erweist.

Oder, um es ganz kurz zu machen: Wäre Wulff ein Minister, hätte er schon längst seine Entlassungspapiere bekommen. Vom Bundespräsidenten. In einer würdevollen Zeremonie.

5 Kommentare:

ulf_der_freak hat gesagt…

Ich glaube, hier ist mal wieder die Forderung angesagt, mich zum Kaiser zu krönen. Das würde manches erleichtern.

ColonelHeinz hat gesagt…

Ob nun der Bundestagspräsident von Merkel gewählt wird oder DER Präsident, das macht doch keinen Unterschied mehr.

Und die Regierung braucht den Bundespräsidenten nicht, um ihre "alternativlose" Politik durchsetzen zu können. Das geht doch mit Hinweis auf die EU viel besser.

Dr. No hat gesagt…

"Das geht doch mit Hinweis auf die EU viel besser."

Stimmt natürlich. Aber dennoch schadet so ein nominell übergeordneter Kasperkopp auch nicht, wenn es um unpopuläre Gesetzesvorhaben geht.

juwi hat gesagt…

Hinter der Floskel "Würde des Amts", das angeblich durch das ewig nörgelnde, ketzerische Stimmvieh und die Kritiker aus den Reihen der Opposition laufend beschädigt wird, lassen sich sowohl die Fehler des Bundespräsidenten, wie auch die Schwäche der Regierungsparteien gut verstecken.

Nachdem Herrn Köhler seine Kriegsparolen zum Verhängnis wurden, ist Herr Wulff bekanntlich bereits Muttis zweiter Wunschkandidat, der es ja schon bei seiner Wahl zum Bundespräsidenten nicht leicht gehabt hatte und der seinen diversen Fettnäpfchen immer noch weitere hinzufügt, so dass er jetzt darin zu ertrinken droht. Da wundert es mich nicht, dass die wespenfabene Bundesregierung "ihrem Bundespräsidenten" weiter den Rücken krault, anstatt ihm in denselben zu fallen.

Finaziell gesehen ist das aber eigentlich auch ganz gut so. Wenn nämlich die auf fünf Jahre gewählten Bundespräsidenten jetzt alle zwei Jahre und mit Anspruch auf ihre vollen Bezüge zurücktreten, dann wird das auf Dauer ganz schön teuer für uns Steuerzahler.

Bell-Impi-Vue hat gesagt…

Also mich persönlich freut es, endlich mal wieder einen Unionspolitiker mit dem Durchhaltewillen vom Format Kohl zu sehen. Worüber sollte man sonst auch in der Zeitung schreiben? Von Massenmorden im Südsudan?