Montag, 30. März 2009

Das Phantom der Ohrenstäbchen

Nein, ich will jetzt nicht in den Chor derjenigen einstimmen, die bei auch wirklich jedem Ermittlungsfehler über die Unzulänglichkeit von Kriminalbeamten lästern - Stichwort polizisten- und rentnermordendes, drogensüchtiges und keksfressendes "Phantom von Heilbronn". Aber wenn bei einer Vielzahl von nicht miteinander zusammenhängenden Straftaten vom Ladendiebstahl bis zum Tötungsdelikt an mehr als 40 Tatorten im gesamten Bundesgebiet über einen Zeitraum von x Jahren immer wieder dieselbe DNA-Spur auftaucht - hätte man da nicht doch vielleicht ein bisschen früher darauf kommen können, dass diese DNA weniger mit den Tatorten als vielmehr etwas mit dem Labormaterial zu tun haben könnte?

Möchte mal wissen, wer schließlich die Idee hatte, dass die Spuren ja auch aus der Fabrik stammen könnten, die die Wattestäbchen herstellte. Vermutlich die Putzfrau, die klarer denkt als alle Ermittlungsbeamten, die zu viele schlechte Hollywoodthriller gesehen haben und die sich solche unqualifizierten Einmischungen in ihren Fachbereich normalerweise verbitten. Für die Möchtegern-Colombos ist die Geschichte nun hochnotpeinlich. Vermutlich hoffen sie inständig, die Arbeiterin, von der die DNA stammt, in den nächsten Tagen zu enttarnen - tagsüber eine ganz normale Wattestäbchenfachverpackerin und des nachts die mordlüsterne Schwerverbrecherin mit der Heroinspritze in der einen und einer Keksschachtel in der anderen Hand. Da das aber kaum zu erwarten ist, kriegen sie's jetzt erstmal knüppeldick von den Medien. Wenn sich die Wogen von Häme und Spott demnächst aber wieder gelegt haben sollten, hoffe ich, dass mal grundsätzlich über den Umgang mit der DNA-Analyse nachgedacht wird.

Keine Frage, dass die DNA-Analyse ein unglaublich wichtiges Instrument bei der Aufklärung von Verbrechen darstellt. Aber wenn sich diese Spuren jahrzehntelang halten, stellt sich natürlich irgendwann die Frage nach dem Unschuldsprinzip. Denn Hautschuppen von Unbeteiligten landen nicht nur beim Verpacken von Wattestäbchen in den Polizeilabors, sie können auch so an irgendwelchen Tatorten gefunden werden - und was dann? Muss man demnächst ein Alibi vorweisen können, wenn der Taxifahrer überfallen wurde, mit dem man vor drei Wochen mitgefahren ist? Sollte man angeknabberte Kekse überhaupt noch im Café liegenlassen? Diese Problematik ist natürlich längst bekannt, aber ich frage mich, ob man sich wirklich schon richtig damit auseinandergesetzt hat. Denn es gilt, solche Pannen wie beim "Phantom" zukünftig zu vermeiden.

Im Übrigen frage ich mich, wann der erste Innenminister aus dem Falle des "Phantoms" die Forderung nach flächendeckender Erhebung von DNA-Profilen erhebt. Na, vielleicht wird's noch bis nach der Bundestagswahl dauern.

Freitag, 27. März 2009

Die Sieg-Heilkunde der Esoterikspinner

Ihre Muskeln sollten hart sein wie Kruppstahl, sind tatsächlich aber labberig wie Götterspeise? Sie waren mal flink wie ein Windhund, aber heute ist ihr Fell struppig und hat seinen Glanz verloren? Dann wird es Zeit, sich um Ihre Gesundheit zu kümmern - und zwar mit der "Germanischen Neuen Medizin".

Um das Ganze mal kurz zu umreissen: Die GNM basiert auf fünf "biologischen Naturgesetzen", die nach Aussage ihres Erfinders Ryke Geerd Hamer sowohl für Amöben als auch für den gesamten Kosmos Gültigkeit besitzen. Jede Krankheit resultiere aus einem Schockerlebnis und sei tatsächlich gar keine Krankheit, sondern schon der Beginn des Heilungsprozesses. Krebs sei demzufolge "nichts Bösartiges", sondern ein "sinnvolles biologisches Sonderprogramm". Tumore verschwänden quasi von selbst, wenn der Patient nur die Zusammenhänge der germanischen neuen Medizin kapiere. Wer dann trotzdem an Krebs sterbe, habe dabei halt versagt. So wie das sechsjährige Mädchen, dessen Fall vor einigen Jahren Aufsehen erregte, weil seine Eltern, die an Hamers Theorien glaubten, mit ihm quer durch Europa geflohen sind und das Kind damit fast umbrachten.

So weit, so krank. Es gibt ja die merkwürdigsten Scharlatane, die mit der Verzweiflung von Schwerkranken Kasse machen. Das ist schon niederträchtig genug - aber was macht die "Germanische Neue Medizin" denn nun so germanisch? Sie haben es vielleicht schon geahnt: Die Juden sind mal wieder an allem schuld.

Hamer behauptet, die klassische Schulmedizin sei ein Werkzeug der Juden, mit dem sie angeblich täglich über 1000 Menschen in diesem Land umbringen. "15 Millionen Mitbürger aus Eurem Volke" seien so schon getötet worden, klagt er Unwissende an. Die Juden würden bei sich selbst die GNM anwenden und "zu 98 Prozent überleben" - "alle Nichtjuden" hingegen sollen gezwungen werden, die "idiotische jüdische Gutartig-Bösartig-Religionsmedizin zu erdulden". Dass seine Approbation längst entzogen worden ist, sei das Werk eines "obersten Medizinalrats der Juden" - anderswo landet man für so etwas in der Klapsmühle.

An Krebs zu sterben ist also gewissermaßen nicht deutsch. Was für ein übel riechender brauner Haufen Mist - da verwundert es nicht (bei diesem Namen schon gar nicht), dass es auch Verquickungen mit der Naziszene gibt. So soll die Website der NPD Sachsen-Anhalt Texte zur GNM enthalten haben; ein Passauer NPD-Lokalpolitiker hält nebenbei GNM-Seminare. Nun ja - Nazis, die an die Heilkraft der germanischen neuen Medizin glauben: das klingt doch gar nicht so verkehrt. Da können sie sich zur Abwechslung mal selbst schaden. Und wer trotz NS-Weltbild seinem Gehirntumor erliegt, der war dann wohl einfach nicht hart genug. Oder zu unarisch.

Er jedenfalls, so Hamer selbst, sei stolz darauf, dem "Volk der Dichter und Denker anzugehören". Wie enttäuschend muss es da sein, wenn's bei einem selbst mit dem Denken nicht so weit her ist.


Nachtrag: Wie wahnsinnig der Mann offenbar wirklich ist, lässt sich sehr schön hier nachlesen.

Dienstag, 24. März 2009

Mögen die Spielchen beginnen

Gong frei - oder besser: Feuer frei - zur ersten Runde im Linken-Bashing, Edition 2009: Ziemlich genau ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl wird die erste mediale Breitseite auf den politischen Gegner, auf den sich alle einigen können*, abgegeben. Den Feuerbefehl gibt der Spiegel, als Richtkanonier fungiert ein Historiker mit merkwürdigen Ansichten - und als Munition dienen Stereotypen und halbgare Scheinargumente, die vom letzten Stammtisch übrig geblieben sind, aber durch ihre vielen Wiederholungen auch nicht besser werden.

Wer ist dieser Hubertus Knabe? Zunächst einmal Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, einer Einrichtung, die sich mit der Aufarbeitung der DDR-Verbrechen befasst. Da mag man ihm zwar ein bisschen Betriebsblindheit zugestehen. Aber zugleich ist er auch jemand, der als eigentlichen "Tag der Befreiung" den 9. November 1989 sieht - und nicht den 8. Mai 1945. Damit stuft er die NS-Herrschaft zu einer bloßen Episode herab, die in ihrer historischen Bedeutung offenbar hinter dem SED-Regime zurückstehe. Außerdem sieht Knabe die Studentenbewegung der späten 60er Jahre als eine Art fünfter Kolonne der Stasi, wollte schon mal einen Preis stiften, der den Namen eines NS-Funktionärs, der mit der "Arisierung" jüdischer Vermögen zu tun hatte, tragen sollte und verurteilt Linke-Abgeordnete im Alleingang und ohne Beweise als Stasi-Leute.

Mit dieser Form von Propaganda ist Knabe gern gesehener Gast in Zeitungen wie der FAZ oder der "Welt". Letztere hat mit Überschriften wie "Die Linke als Erzfeind der Demokratie" oder "Der Feind steht links" schon geradezu Völkischer-Beobachter-Qualitäten erreicht. Gefeiert wird Knabe übrigens auch von Zeitungen wie dem "Ostpreußen-Blatt". Und auch der Spiegel greift gerne auf den von leichtem Verfolgungswahn gebeutelten Historiker zurück, wenn es darum geht, die Linke-Abwehrkanonen in Stellung zu bringen.

Und was sind nun die Worthülsen, aus denen er seine Agitation zusammenbastelt?
  • "Mehr als die Hälfte der Parteimitglieder gehörte bereits der SED an." Das ist nun leider so in einem totalitären Staat. Mehr als 2,2 Millionen Menschen gehörten 1989 der SED an - das sind aber doch nicht alles Folterknechte und Mauerschützen gewesen. Sollen die nun alle aus dem politischen Leben ausgeklammert werden?
  • "Sie [die Linke] agitiert gegen Amerika und gegen die westliche Staatengemeinschaft, auch gegen Israel. Hier werden starke antidemokratische Affekte sichtbar, die wir aus unserer Geschichte zur Genüge kennen." Mal abgesehen vom wirren Nazivergleich, für den Knabe mindestens zehn Euro ins Phrasenschwein werfen müsste - was ist wohl antidemokratischer: Kritik an der Politik anderer Staaten zu üben oder Leute, die das tun, als "antidemokratisch" zu diffamieren?
  • "Überall dort, wo die Linke an die Macht kam, hat sie ihr Parteiprogramm in den Wind geschrieben und keineswegs versucht, den Sozialismus einzuführen. Dazu fehlte ihr auch die Macht. Die bisherigen Regierungsbeteiligungen dienten einem anderen Zweck: nämlich die Partei politisch hoffähig zu machen. Es liegt in der Natur der Sache, dass man dies nicht durch Revoluzzertum gefährden will." - Aha. DAS ist also der große linke Plan 9 aus dem Weltall. Raffiniert! Knabe hat SIE und ihre finsteren Weltherrschaftspläne durchschaut! Ja, wenn man die Tabletten absetzt, bekommt man den richtigen politischen Durchblick. Aber im Ernst: Wer so argumentiert - jede Begebenheit, jede Aktion und jede Information in ein vorgefertigtes und auf einem Bedrohungsszenario basierendes Weltbild aufbaut - der ist kein Wissenschaftler mehr, sondern Verschwörungstheoretiker.
Und aus diesem Grunde habe ich jetzt auch keine Lust mehr, mich weiter mit Herrn Knabe zu befassen. Wer eine aktive Rolle bei der Stasi gespielt hat, ist ebenso ungeeignet für ein politisches Mandat wie jemand, der eine leitende Funktion im Unterdrückungsapparat der DDR innehatte - so weit stimme ich ohne wenn und aber mit Knabe überein. Aber einer ganzen Partei mit immerhin 76.000 Mitgliedern, davon vielen aus Westdeutschland, die demokratische Legitimation abzusprechen - O-Ton: "Diese Partei sollte schon aus moralischen Gründen verschwinden" - das ist der Gipfel der Antidemokratie. So wie Knabe argumentieren Faschisten.

Ein Vorhutgefecht gab es in diesem Zusammenhang übrigens auch schon: Erwin Sellering, seines Zeichens SPD-Ministerpräsident in MeckPomm, hat es gewagt anzumerken, ob es nicht erlaubt sein dürfe zu fragen, ob es nicht auch ein kleines bisschen Gutes in der DDR gegeben haben könnte. Ich vermag das nicht zu beurteilen; ich habe nicht dort gelebt. Aber eines kann ich sehr wohl beurteilen: Die öffentlichen Prügel, die Sellering - der an der Tatsache, dass es sich um ein Unrechtsregime handelte, überhaupt keinen Zweifel ließ - von konservativer Seite nun bezieht, dünken mich eine weitaus größere Bedrohung demokratischer Normen zu sein als alles, was die Linke in ihr Programm schreiben könnte.

Denn hier werden schon laut geäußerte Gedanken unter mediales Kriegsrecht gestellt. Statt gebetsmühlenartig auf die Linke zu zeigen und "SED!" zu schreien, könnte es zwischendurch auch nicht schaden, mal die aktuelle politische Kultur in diesem Lande unter die Lupe zu nehmen. Denn die nimmt allmählich wirklich beängstigende Formen an.



*NPD und Konsorten sind bekanntlich keine politischen Gegner, sondern schlicht Arschlöcher.

Sonntag, 22. März 2009

"Wonach duftet es denn hier?" - "Geld."

Wie grausam die Welt doch sein kann. Als ich das Spiegel-Gespräch mit Madame Schaeffler samt Junior gelesen habe - "Es ist schwer zu ertragen, so stigmatisiert zu werden" - da kamen mir doch glatt die Tränen hoch... upps, jetzt ist es mir schon wieder passiert. Ich verwechsle "Tränen" immer mit "Frühstück", weiß auch nicht, warum. Ich jedenfalls gehöre nicht zu den gemeinen Menschen, die Frau Schaeffler auf so etwas unpersönliches wie einen Kleiderschrank reduzieren! Ich reduziere sie lediglich auf einen Körperteil, und zwar einen, der etwas mit Abführung zu tun hat. Aber darum geht es mir in diesem Post gar nicht, sondern um eine Formulierung, die völlig unreflektiert tausendfach von den Medien verwendet wird, so auch in dem genannten Artikel: Was, zum Henker, ist eigentlich "frisches Kapital"?

Na ja, es handelt sich dabei natürlich schlicht um Geld; und da der Begriff zumeist in Zusammenhang mit börsennotierten Unternehmen gebraucht wird, geht es in der Regel um eine ganze Menge Geld. Man könnte also ebenso gut sagen: "Die Bank (Autohersteller, Zulieferer...) xyz braucht dringend Geld, um nicht zusammenzubrechen". Das versteht jeder.

Aber "Wir brauchen dringend Geld" klingt irgendwie so bittstellerhaft. So ... unseriös. Wie ein Hartz-IV-Empfänger. Ungleich besser hingegen "Wir brauchen frisches Kapital", das klingt positiv, das verbindet jeder mit einem angenehmen Gefühl: "Der Gummibaum braucht mal wieder frisches Wasser!" - "Was Sie brauchen, um gesund zu werden, ist viel frisches Obst!" - "Hier stinkt's, lass mal einer frische Luft rein!" - "Frisches Kapital" kann ja sogar irgendwo "hineingepumpt" werden - so wie klares Gebirgsquellwasser. Oder Blut.

"Frisches Kapital", das sind dann wohl so richtig schön neue und glatte Banknoten, die nach Blumenwiesen duften und die nicht nur sauber, sondern rein sind. Jeder, der schon mal einen zerknüllten, eingerissen und schweißdurchtränkten Zehner herausbekommen hat, weiß, was ich meine. Da hat man doch auch lieber einen nigelnagelneuen Schein - druckfrisch eben (aber nicht blütenrein). Meinen die Unternehmen und Banken also das? Wollen sie bloß kein altes, modriges Kapital haben? Wohl kaum: Bargeld spielt in solchen Kreisen eigentlich nur noch eine Rolle, wenn man es in Koffern nach Liechtenstein schafft.

Nein, hier haben mal wieder die hochbezahlten Euphemismus-Erfinder zugeschlagen, die auch schon Begriffe wie "Humankapital", "Freisetzung" oder "Flexibilisierung" verbrochen haben. Wer "frisches Kapital" braucht, braucht dringend Geld; und derzeit wird es offenbar Usus, dieses Geld vom Staat zu verlangen - und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Der Staat, das sind wir. Aber egal, ob man den Staat oder Investoren anschnorrt - man soll es dann auch so formulieren, wie es ist: "Wir sind fast pleite und brauchen dringend Kohle!" Der potenzielle Investor wendet sich in diesem Falle natürlich angegruselt ab - und der Staat, also unsereins? Merkt vielleicht endlich, wie die große Umverteilung des 21. Jahrhunderts abläuft. Und dass sie nichts mit Frische zu tun hat.

Im Zuge der fortschreitenden Verwirtschaftlichung der Sprache wäre zu überlegen, "frisches Kapital" als Unwort des Jahres vorzuschlagen. Außerdem sollte man den Spieß umdrehen: Wenn man sich schon zeitweise von der Regierung als "Ich-AG" beleidigen lassen musste - als ob irgendein Arbeitssuchender sich so schäbig verhalten würde wie eine durchschnittliche Aktiengesellschaft - sollte man sich auch so ausdrücken. Beim nächsten Gang zur Arge heißt es dann also: "Guten Tag, ich bin ein notleidendes Einmannunternehmen und brauche dringend frisches Kapital, um die drohende Insolvenz abzuwenden. Vielen Dank." Fotoapparat nicht vergessen, um den Gesichtsausdruck des Sachbearbeiters festzuhalten.


P.S.: Wenn ich schon vergessen habe, mir selbst zum einjährigen Blog-Geburtstag zu gratulieren, dann klopfe ich mir wenigstens zum 200. Post auf die Schulter. Prost!

Donnerstag, 19. März 2009

Der seltsame Fall des Bedrohungs-Buttons

Dass nach einer spektakulären Bluttat wie der in Winnenden bei Politikern hektischer Aktionismus ausbricht, hat gewissermaßen schon den Rang eines Naturgesetzes. Und in einem Wahljahr wird das mit eherner Gesetzmäßigkeit bis ins Groteske übersteigert - wer schon mal eine Taschenuhr solange aufgezogen hat, bis es im Innern leise *ptoing* machte, weiß, wovon ich spreche. Die neueste Idee aus der Schreckenskammer der Hirnlosigkeit stammt indes nicht von Volksvertretern, die sich ihren Hintern in der letzten Parlamentsreihe platt sitzen, sondern von Kriminalbeamten: Die Forderung nach einem "Notfall-Knopf" für Chatrooms.

Das Ganze soll so aussehen: In Chats, Foren, sozialen Netzwerken undundund soll jeweils ein "110"-Button eingebaut werden, den Nutzer drücken sollen, sobald sie den Verdacht haben, dass da jemand einen Amoklauf plant. In einer Einsatzzentrale sitzen dann Psychologen, Pädagogen, Internet-Spezialisten und Kriminalisten, die den ganzen Tag vorm Bildschirm sitzen und sich am Sack kratzen - aber sofort handeln, sobald eine solche Alarmmeldung bei ihnen aufpoppt. Dann sollen "weitere Aktivitäten eingeleitet" werden, schreibt der Bund Deutscher Kriminalbeamter in recht vager Formulierung.

Denn was sollen sie im Falle des Falles machen? Aufspringen, sich sofort im entsprechenden Chat registrieren und den Amokläufer in spe mit Fragen über seine Kindheit von seinem Plan abbringen? Einen richterlichen Befehl über die Rückverfolgung der IP beantragen und den verdächtigen Nutzer drei Wochen später verhaften? Oder vorsorglich das Kriegsrecht an allen Schulen ausrufen, um die Tat im Vorfeld zu verhindern?

Ich bin geradezu sprachlos ob der vollkommenen Planlosigkeit dieses Vorschlags, der immerhin nicht von irgendeinem versponnenen Forentroll stammt, sondern von führenden Kriminalisten. Wissen die denn gar nicht, von wie aberwitzig vielen einzelnen Internetseiten sie hier sprechen? Sollen deren Betreiber gesetzlich gezwungen werden, diesen Button einzubauen, der natürlich in seinen Abmessungen und seiner Farbgebung strengstens vorgeschriebene Maßgaben zu erfüllen hat? Und vor allem: Haben die Damen und Herren in Grün-Weiß auch nur den Hauch einer Vorstellung davon, wie oft ein solcher Button missbraucht werden wird? Bereits vor ein paar Tagen hieß es angesichts der peinlichen Chat-Fälschung, dass Polizeibeamte offenbar nur wenig Ahnung vom Internet und überhaupt Computern haben. Das scheint nicht allzuweit hergeholt worden zu sein.

Aber wenn sich das Prinzip irgendwie realisieren lässt, möchte ich anheim stellen, die Idee auf andere Bereiche auszuweiten. In so manchem Internetforum wünsche ich mir einen "Halt's Maul"-Button. Bei der Wikipedia könnte man einen "Klugscheißer"-Button einfügen. Und auf den Seiten von Politikern und Abgeordneten würde mir ein "Lügner!"-Button gefallen, den man drücken kann, wenn etwa ein Wahlversprechen gebrochen wird. Eine Expertengruppe, die in irgendeiner Einsatzzentrale hockt, würde dann umgehend für die Entfernung des Delinquenten aus seinem Amt sorgen.

Mittwoch, 18. März 2009

Business as usual

So, nun aber. Der Papst hat mittlerweile zugegeben, sich vielleicht in Sachen Williamson ein kleines bisschen suboptimal verhalten zu haben. Mehr ist da wohl nicht zu erwarten. Über die halbgaren Formulierungen und den weinerlichen Unterton seines Schreibens, das prompt als "historisch" eingeordnet wurde, wollen wir an dieser Stelle mal hinwegsehen; ebenso über Kardinal Joachim "entartete Kunst" Meisner, der polternd forderte, dass sich nun die ganze Welt, insbesondere alle Deutschen, bei Ratze zu entschuldigen hätten. Nein, das Thema ist jetzt wohl durch, die Krise überstanden, zurück zum Tagesgeschäft. Zeit, sich vom historischen Völkermord ab- und dem aktuellen zuzuwenden: Die Rede ist von Aids.

Genauer gesagt: Der Haltung des Vatikans zu Kondomen. Die ist bekannt und wurde jetzt nochmals bekräftigt. Auf der Pressekonferenz während des Flugs zu seinem Besuch in Kamerun sagte Benedikt XVI. wörtlich: „Die Immunschwächekrankheit Aids ist nicht mit Kondomen zu überwinden, im Gegenteil, das verschlimmert nur das Problem.“ Als Prävention schlägt er stattdessen eine "spirituelle und menschliche Erneuerung" vor.
Zur Erinnerung: In Afrika leben zwei Drittel aller Aids-Infizierten und sind schon 17 Millionen Menschen an der Immunschwächekrankheit gestorben. Kondome verschlimmern also das Aids-Problem - da platzt einem doch wirklich der Kopf. Reicht es mittlerweile schon, einfach nur Sachen zu behaupten? Wird von Seiten der zahlreichen anwesenden Journalisten nicht einmal ansatzweise eine Erklärung verlangt, wie das denn gehen soll?

Bei der katholischen Nachrichtenagentur KNA liest sich das übrigens so:
"Der Airbus rüttelt, aber der Papst steht fest. Seine Reise nach Afrika führt ihn unter 160 Millionen Freunde. [...] Benedikt XVI. sprach über Aids. Recht mutig beschrieb der Papst die katholische Kirche als Sturmspitze im Kampf gegen die Geißel des Kontinents. [...] In Wirklichkeit sei 'gerade die katholische Kirche im Kampf gegen Aids effektiver, präsenter und stärker', so Benedikt XVI. Effizienz heißt für den Papst: Hinarbeiten auf eine 'Humanisierung der Sexualität', eine verantwortungsvoll gelebte Partnerschaft, die den anderen schützt - und notfalls auf Sex verzichtet."
Das werden die Afrikaner, die bekanntlich "gerne schnackseln", wohl nicht gerne hören. Aber das lernen sie schon noch, schreibt KNA weiter: "Benedikt XVI. will ihnen sein Antlitz zeigen, das Gesicht des menschgewordenen Gottes in Christus." Er ist wohl guter Hoffnung, dass die Seelen der Afrikaner noch gerettet werden können, denn: "Das Jahrtausend ist noch jung, dieser Kontinent ist es auch." Ich würde ja zu gerne wissen, was genau damit meint. Dass er nicht weiß bzw. nicht glaubt, dass Afrika die Wiege der Menschheit ist, ist kaum überraschend. Aber "jung"? Beginnt Afrikas Geschichte für Benedikt vielleicht erst in dem Moment, in dem die Europäer den Eingeborenen zeigten, was eine Harke ist? Oder mit Rommel?

Wie dem auch sei - die bisherigen Aids-Opfer werden sicher nicht wieder lebendig und die künftigen werden jedenfalls ins Paradies einkehren, wenn sie sich fleißig bekehren lassen und falls überhaupt Nichtweiße da reindürfen. Missionierung, Verzicht auf Sex und spirituelle Erneuerung, um eine Geißel zu bekämpfen: Der Vatikan, der in den letzten Wochen bewiesen hat, dass er so seine Probleme mit dem 20. Jahrhundert hat, kehrt vorerst zurück ins zwölfte.

Dienstag, 17. März 2009

Oberbürgermeister schöööön

Was in der allgemeinen Berichterstattung über den Amoklauf ein wenig unterging, ist die Tatsache, dass der Terror nun endgültig in Deutschland angekommen ist. Und zwar dort, wo niemand damit gerechnet hat: Im beschaulichen Oldenburg. Das Opfer: Der Oberbürgermeister. Die Tatwaffe: cremig.

Einige maskierte - die Polizei würde sagen: vermummte - Aktivisten der weltumspannenden Terrororganisation antikapitalistischen Gruppe "Die Überflüssigen" stürmten in einen Saal, in welchem der Oldenburger OB Gerd Schwandner gerade die Neubürger der Stadt begrüßte. Nun, eigentlich stürmten sie den Saal nicht, sondern schlurften ganz gemächlich herein; aber die boulevardeske Stimmung der letzten Tage hinterlässt auch bei mir Spuren. Sie schlurften also in den Saal, schüttelten dem offensichtlich verwirrten Schwandner die Hand, klatschten ihm anschließend eine Torte ins Gesicht und machten damit einen riesigen Schritt voran auf dem Weg zur Weltrevolution.

Die Neubürger staunten nicht schlecht ob der ihnen dargebotenen Show und fragten sich vermutlich, ob die politische Auseinandersetzung in dieser Ecke der Welt wohl öfter mit kalorienreichem Backwerk geführt wird. Die Altbürger waren kaum überrascht, waren nicht wenige von ihnen schon seit längerem der Ansicht, dass der OB mitunter ein ziemlicher Clown sei. Schwandner selbst kann's egal sein: Er, dem noch vor wenigen Tagen ein Abwahlverfahren drohte, sitzt nun sympathiebedingt wohl fester im Sattel als je zuvor. Und dass nicht jeder über Clownerien lachen kann - das sollte sich in den folgenden Tagen überdeutlich zeigen.

Zunächst war da die Presse, die vom "Tortenanschlag" sprach und auch das Wörtchen "feige" das eine oder andere Mal bemühte. Zur Solidarität mit dem OB wurde aufgerufen. Schließlich waren wir an diesem dunklen Tag alle Oberbürgermeister. Und nichts würde mehr so sein, wie es vorher war. Es folgten die Gutbürger der Stadt, von denen bis dato vermutlich jeder zweite dem OB liebend gerne etwas an den Kopf geknallt hätte, nachdem dieser bei seiner Wahl die Leute hemmungslos verarscht hat. Nun aber hagelt es Lob und Sympathiekundgebungen von allen Seiten. Wo kommen wir denn da hin, wenn ungewaschene Hausbesetzer, die sich vermutlich vor der Tat voll Haschisch gespritzt haben, nicht mehr nur zu Pflastersteinen, sondern nun auch noch zu Konditoreiprodukten greifen? "Heute war es eine Torte", sorgten sich viele Bürger: "Und mit was werfen sie morgen?" Ich vermute das Schlimmste: Eisbomben.

Aber das war noch nicht der Tiefpunkt der Geschichte. Die Presse zitierte einen hiesigen Restaurantbetreiber, in dessen Nobel-Etablissement die "Überflüssigen" auch schon zugeschlagen hatten, indem sie einen Nuklearsprengsatz zündeten - Verzeihung, ich meinte: indem sie den Gästen die Schweinemedallions in Pfefferminzsoße vom Teller klauten. Die Täter, so der Gastronom, hätten Schuhe im Wert von 150 Euro getragen. Das ist natürlich skandalös! Luxusautonome! Salonrevolutionäre! Unglaubwürdiges Gesocks! Macht doch eigentlich keinen Unterschied, ob man nun so viel Geld für Kleidung oder für ein Abendessen ausgibt. Als nächstes stellt sich noch heraus, dass auch die Kapuzenpullis Geld gekostet haben.

So geht das natürlich nicht, und so wird das auch nix mit der Revolution. Ich fordere hiermit, arme Leute und andere Querulanten gesetzlich dazu zu verpflichten, ausschließlich Deichmann-Schuhe für 19,95 Euro zu tragen. An ihren Schuhen sollt ihr sie erkennen!


Freitag, 13. März 2009

Eine Kultur der Hilflosigkeit

Es ist also wieder passiert: Ein Teenager läuft an seiner ehemaligen Schule Amok und bringt wahllos Leute um. 15 Menschen erschoss ein 17-Jähriger im baden-württembergischen Winnenden, bevor er sich offenbar selbst tötete. Nach Erfurt und Emsdetten ist es der dritte derartige Vorfall in Deutschland - und dieselben Debatten, die schon 2002 und 2006 geführt wurden, stehen auch jetzt wieder auf der Tagesordnung. Waffengesetze verschärfen oder nicht? "Killerspiele" verbieten oder nicht? Brauchen Schulen eigene Psychologen? Und so weiter. Aber auch dieses Mal werden es voraussichtlich Debatten sein, die aus Hilflosigkeit und aus politischem Aktionismus herrühren - und am Kern des Problems vorbeigehen.

Hilflos klingt es zum Beispiel, erneut eine "Kultur des Hinsehens" zu fordern. Das ist zwar gererell eine löbliche Vorstellung (auch wenn's fünf Euro für's Phrasenschwein macht), aber allen Berichten zufolge hat offenbar niemand Tim K. eine solche Tat zugetraut, als Verlierer galt er auch nicht - da kann man dann noch so lange hinsehen. Jetzt allerdings, da es sich nicht mehr um den ersten derartigen Fall in Deutschland handelt, könnten solche Aufrufe eventuell dazu führen, dass etwas zu sehr hingesehen wird und Schüler, die gewisse Auffälligkeiten zeigen, künftig mit ungerechtfertigtem Argwohn betrachtet werden. Am schlimmsten dürfte es die ruhigen und introvertierten Schüler treffen (von denen es zumindest in meiner Zeit mindestens einen pro Klasse gab) - die gelten dann, weil auch die bisherigen Täter so beschrieben wurden, womöglich als Todesschützen in spe. Oder die, die eine Vorliebe für schwarze Kleidung haben. Oder die Computerspieler, zu denen ich später noch komme. Wenn diesen Schülern nun aus lauter Angst mit Argwohn und Misstrauen begegnet wird, dann braucht man wirklich Schulpsychologen. Nicht für potenzielle Amokläufer, sondern für solche Mobbingopfer.

Mit der Smith&Wesson zum Schützenfest

Dann wären da die Waffengesetze. Erste Forderungen nach weiterer Verschärfung werden laut; ebenso Stimmen, die eine solche ablehnen. Die Polizeigewerkschaft hält die bestehenden Gesetze durchaus für ausreichend. Am aktuellen Fall kann man allerdings sehen, was die Gesetze derzeit so alles erlauben: Wer Mitglied in einem Schützenverein ist - und das sind in Deutschland nicht wenige, in manchen ländlichen Gebieten gehört fast jeder einem an - darf also offensichtlich 16 Feuerwaffen (!) zuhause haben; und zwar nicht nur Luftgewehre und Kleinkaliberwaffen, sondern auch halbautomatische 9mm-Pistolen und Pumpguns, wie Robert Steinhäuser 2002 gezeigt hat. Merkwürdig - ich kann mich nicht entsinnen, dass bei den Olympischen Schießwettbewerben mit Smith&Wessons, Glocks und abgesägten Schrotflinten auf die Zielscheiben geschossen wurde. Auch bei Schützenfesten sieht man diese Kanonen eher selten. Gleichwohl kann man als Sportschütze die Dinger offenbar problemlos in beliebiger Menge bekommen. Warum eigentlich? Kein Mensch braucht Waffen, schon gar nicht 16 Stück, auch wenn er vielleicht noch so leidenschaftlicher Sportschütze ist; und vor allem nicht zuhause. Zwar verlangt der Gesetzgeber, dass Waffen im Haus weggeschlossen werden. Aber ein Schlüssel lässt sich schließlich immer stibitzen.

Das war in Winnenden indes gar nicht nötig. Der Vater des Amokläufers hatte die Mordwaffe im Nachttischschränkchen - eine Beretta als typischer Einbrecherschreck. Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen sich genau zu diesem Zweck eine Schusswaffe zugelegt haben; ich befürchte aber, es sind sehr viele. Die Situation, die sich diese Leute ausmalen - man hört verdächtige Geräusche, schnappt sich die Kanone, hastet nach unten, stellt den Einbrecher und hält ihn mit vorgehaltener Pistole in Schach, während man auf die Polizei wartet - gibt es allerdings fast ausschließlich in Fernsehfilmen. Und daher haben diese Leute auch die Idee, unbedingt eine Waffe in ihrem Nachttischschränkchen aufbewahren zu müssen. Im realen Leben bekommt aber kaum jemand je einen Einbrecher zu Gesicht. Im realen Leben ist es viel, viel, viel wahrscheinlicher, dass die Waffe für andere Zwecke verwendet wird - sei es bei einem Unfall, einem Familiendrama oder eben bei einem Amoklauf.

Es ist bekannt, dass mehr Schusswaffen zu mehr Schusswaffenopfern führen. In Deutschland haben wir allein zehn Millionen legale (!) und geschätzte 20 Millionen illegale Feuerwaffen. Eine weitere Verschärfung der Gesetze - etwa durch ein Verbot der Aufbewahrung zuhause, weitere Reglementierung der Ausgabe von Waffen oder was auch immer - wird aber immer am Widerstand der Union scheitern, die seit jeher unter der Fuchtel der Waffen- und Jägerlobby steht. Selbst Wolfgang Schäuble, selbst Opfer eines Angriffs mit einer Schusswaffe und sonst überall Gefahr witternd, wollte unlängst das Mindestalter für den Erwerb einer Waffe von 21 Jahren wieder auf 18 senken. Wir brauchen gar keine mächtige NRA - wie machen freiwillig den Kotau vor DJV und DSB.

(Merkwürdigerweise werden bei den zahlreichen anderen Gelegenheiten, bei denen Menschen erschossen werden, die Waffengesetze kaum jemals in Frage gestellt. Sind diese Gewalttaten weniger schlimm, weil Täter und Opfer zumeist Erwachsene sind? Man erhält fast den Eindruck.)

Killerspielkiller und Killerspielheulsusen

Die Debatte um die Waffengesetze wird daher aller Voraussicht nach von denselben Leuten abgewürgt, die einen anderen Punkt in den Vordergrund rücken: Die von Politikern gerne so bezeichneten Killerspiele, die an allem Schuld sind. Auch der Amokläufer von Winnenden hat offenbar ausgiebig Counterstrike und co. gespielt. Und mir wird jetzt schon schlecht, wenn ich an das Geheule und Gegeifere der beleidigten Gamer in den einschlägigen Foren denke, das dort schon seit Erfurt gang und gäbe ist und jetzt mit Sicherheit wieder angefeuert wird (quod erat demonstrandum). Der Tenor ist immer derselbe: "Computerspieler sind keine Killer" ... *räbäääh* ... "So viele Leute spielen CS und laufen nicht Amok" ... *flenn* ... "Es geht nicht ums töten, sondern um die sportliche Herausforderung" ... *rotz* ... "Im Fernsehen sieht man viel mehr Gewalt" ... *schluchz* ... "Die Politiker haben doch alle keine Ahnung" ... *schnief* ... "Ach menno!". Die Redakteure der Szenezeitschriften stoßen ins selbe Horn, hängt doch die Auflage - und damit ihr Arbeitsplatz - nicht unmaßgeblich vom Erfolg dieses erfolgreichsten aller Computerspielgenres ab. Sie alle interessieren sich einen Scheißdreck über mögliche psychische Folgeschäden, sie klammern sich an ihre Spielzeuge wie Sechsjährige und argumentieren auf einem ähnlich hohen Niveau.

Nein, Computerspieler sind nicht automatisch potenzielle Killer. Ja, die allermeisten sind ganz normale Halbwüchsige. Und dennoch: Die Amokläufer von Erfurt, Emsdetten und Winningen haben allesamt intensiv Egoshooter gespielt. Und sowohl Robert Steinhäuser als auch Tim K. haben sich für ihren Amoklauf offenbar martialisch herausgeputzt - wie eine Computerspielfigur. In Egoshootern werden Gewaltphantasien ausgelebt - das alles lässt sich nun einmal nicht wegleugnen. Die Frage, ob derartige Gewaltspiele psychisch gestörten Menschen eventuell den letzten Anstoss geben, die Grenze zwischen Fiktion und Realität ein für alle Mal aufzubrechen, muss gestellt werden; wer sich dieser Frage verweigert, stellt sein Privatinteresse über den Schutz anderer Menschen vor solchen Blutbädern. Und es ist so einfach, diese Grenze zu überschreiten. Man muss sich nur eine reale Waffe besorgen.

"Ballern bis der Kopf wegplatzt!"

Und in dieser Hinsicht sehe ich Egoshooter, die in ihrer Darstellung der Spielwelt seit Jahren immer realistischer werden, tatsächlich als Problem an - zusammen mit dem Fernsehen und gewaltverherrlichender Musik. Das mag jetzt ziemlich konservativ klingen. Aber ich fürchte, nicht viele Teenager sind heutzutage fähig, eine gesunde Distanz zu Gewalt aufzubauen, nachdem sie schon zehntausende Male im TV gesehen und im Mp3-Player gehört haben, wie man ein Problem am besten mit der Waffe in der Hand löst und dies virtuell auch selbst schon hundertfach getan haben. Man mag den Umstand, dass Täter wie die Amokläufer von Littleton und andere im Netz teilweise wie Helden verehrt werden, als pubertäre Wichtigtuerei von pickeligen Halbstarken abtun. Das nützt aber nichts.

Das Problem, das gerade auf unsere Gesellschaft zurollt, geht weit über spektakuläre Amokläufe hinaus und ist derartig gigantisch, dass es noch gar nicht richtig wahrgenommen wird - wie bei dem Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht. Denn für viele, zu viele junge Menschen ist Gewalt cool und sexy - und nicht mehr Unrecht. Hat schon mal irgendjemand der an der aktuellen Diskussion Beteiligten den Halbwüchsigen aufs Maul geschaut? Sollte man tun, es lohnt sich. Ich bin mir leider nicht nur ziemlich sicher, dass Winningen nicht das letzte Schulmassaker bleiben wird; ich fürchte auch, die Zahl der Gewaltttaten wird in den nächsten Jahren generell in ganz ungeahnte Höhen steigen.

Ob Schulpsychologen helfen können, weiß ich nicht. Einen Versuch könnte es wert sein - der Vorschlag wird aber ohnehin an der Frage der Kosten scheitern, weshalb nach der Bundestagswahl kein Mensch mehr davon sprechen wird. Es bleibt indes zu hoffen, dass bis zur Wahl möglichst viele Menschen über den Umgang und den Stellenwert von Waffen in diesem Land sprechen.

Denn wer möchte schon gern in einer Gesellschaft leben, in der auf drei Menschen eine Feuerwaffe kommt und der Innenminister trotz Schulmassakern 18-Jährigen den Erwerb einer Wumme erlauben will? Ich nicht.

Mittwoch, 11. März 2009

Wer die Wahlen hat, hat auch Qualen

Ein gar lust'ger Streit schwelt derzeit in Nordrhein-Westfalen. Dort soll nach dem Willen der schwarz-gelben Landesregierung das Superwahljahr 2009 für die eigene Bevölkerung noch viel superer werden, indem die Wähler innerhalb von vier Wochen gleich zweimal zur Urne getriebenrufen werden: Am 30. August sollen zunächst die Kommunalwahlen stattfinden, bevor dann am 27. September die Bundestagswahl auf dem Programm steht. Bereits am 7. Juni steht die Europawahl an. "Unfug", denkt sich jetzt vielleicht manch einer, der sich einen Rest gesunden Menschenverstandes bewahrt hat. Schließlich könnte man doch bestimmt zwei Wahlen zusammenlegen - das spart doch sicherlich Geld. Aber so einfach ist es natürlich mal wieder nicht.

42 Millionen Euro Mehrkosten kommen auf das Staatssäckel zu, wenn beide Wahlen getrennt voneinander abgehalten werden, rechnet der Bund der Steuerzahler vor. Stimmt gar nicht, hält das Innenministerium dagegen, es seien nur viereinhalb Millionen Euro. Die Opposition ruft Zeter und Mordio und beginnt mit der Sammlung von Unterschriften, der Steuerzahlerbund kündigt massive Proteste an. Das alles ficht die Regierung jedoch nicht an."Wir wollten, dass sie [die Kommunalwahlen] ihr eigenes Gewicht behalten und nicht von der Bundestagswahl erdrückt werden", warf sich der kommunalpolitische Experte der CDU, Rainer Lux, in die Brust. Dass ich nicht lache: Bei nahezu jeder Landtags- oder Kommunalwahl zwischen 1998 und 2005 wurde den Leuten von den Unions-Trommlern eingetrichtert, dass sie mit ihrer Stimme gefälligst auch über die Bundespolitik abzustimmen hätten; und dementsprechend werden Kommunalwahlergebnisse seit Menschengedenken interpretiert. Was Lux lieber nicht erwähnt: Von einer niedrigen Wahlbeteiligung - von der auszugehen ist, wenn die Menschen inklusive Europawahl innerhalb von nicht einmal vier Monaten drei Mal wählen gehen sollen - profitiert erfahrungsgemäß die FDP.

Dabei hat die konservativ-liberale Allianz in Düsseldorf doch schon auf die Kostenbremse gedrückt: Denn künftig soll es bei den Kommunalwahlen keine Stichwahl mehr geben. Der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt - und wenn er es nur auf dreißig Prozent bringt. Stelle ich mir spannend vor, wenn etwa eine Großstadt plötzlich von einem Oberbürgermeister regiert wird, den zwei Drittel der Wähler nicht wollten. Hiervon profitieren wiederum vor allem die beiden Volksparteien. Auch dieses Vorhaben prangern SPD und Grüne an - und die Antwort des Gegners ist wirklich putzig: "Blankes Unwissen" seitens der Opposition konstatiert FDP-Fraktionschef Papke. "Bei Bundestags- und Landtagswahlen werden Direktmandate seit Gründung der Bundesrepublik mit einfacher Mehrheit ohne Stichwahlenvergeben", wischt der Mann alle legitimatorischen Bedenken oberlehrerhaft vom Tisch. Ob er selber gar nicht merkt, dass er hier von etwas völlig anderem spricht? Oder ist es ihm völlig egal, weil er davon ausgeht, dass der Durchschnittswähler den Unterschied zwischen Kommunal- und Bundestagswahl eh nicht kapiert - siehe oben? Mit so was macht man also Karriere bei den Liberalen.

Papkes Amtskollegin bei der SPD merkte an, sie fände es aberwitzig, dass Deutschland im Kongo die Durchführung von Stichwahlen absichere, diese aber gleichzeitig in NRW abgeschafft werden sollen. Der Generalsekretär der CDU, Hendrik Wüst, wiederum forderte natürlich umgehend eine Entschuldigung für diesen "Kongo-Vergleich", der "alle Demokraten beleidige". Merkwürdig: Ich fühle mich gar nicht beleidigt. Ich sehe hier auch keinen Vergleich. Hat doch niemand gesagt, dass in NRW Zustände wie im Kongo herrschten. Was faselt der Mann da? Ist es manchem Politiker womöglich schon so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass man auf jede Äußerung des politischen Gegners sofort mit der Undemokratiekeule loszuschlägern sowie mit der Forderung nach Entschuldigung zu reagieren hat, ohne zuvor auch nur kurz das Gehirn mit der Sache zu behelligen?

Es ist erschreckend, auf welchem Niveau die Koalition argumentiert: Sie reden von völlig anderen Dingen, vergleichen Äpfel und Birnen und legen der Opposition Aussagen in den Mund, die so nicht gefallen sind. So streitet man sich vielleicht auf dem Schulhof, aber nicht im Landtag. Außerdem muss man Gerechtigkeit walten lassen: Die Landesregierung wollte ja ursprünglich zwei Wahlen zusammenlegen, nämlich die Kommunalwahl mit der Europawahl am 7. Juni. Das hat das Verfassungsgericht gekippt, da ein Wahltermin viereinhalb Monate vor dem Beginn der eigentlichen Wahlperiode (!) doch arg bedenklich schien. Die Opposition hatte die Klage angestrengt - also ist sie ja irgendwie gewissermaßen selber schuld, dass die Wähler jetzt dreimal antanzen müssen. Das kommt davon, wenn man allzu viel Wert auf ein nachvollziehbares Wahlsystem legt. Sollen sie doch nach drüben gehen. Also in den Kongo.

Sonntag, 8. März 2009

Achtung! Zum Rettungsschirm... rrrrechts um!

Dass Neonazis nicht nur doof, sondern mitunter auch noch ziemliche Jammerlappen sind, wissen wir seit langem. Nun aber treibt ihre Heulsusigkeit ganz neue und skurrile Blüten: Weil die NPD finanziell vor dem Kollaps steht, soll der Staat - ja, genau: der Staat, den sie bis aufs Messer bekämpfen und abschaffen wollen - helfen. Ohne staatliche Gelder, so winseln die braunen Straßenköter, sei die Partei "in ihrer politischen Existenz bedroht". Kurz gesagt: Die NPD will offenbar, ebenso wie die Banken, Schaeffler und die Pornobranche, Kohle vom Steuerzahler. Zum wiehern: Die Jungs, die eigentlich hart wie Kruppstahl sein wollen, schreien nach einem Rettungsschirm, sobald sie finanziell im Regen stehen.

Jeden Monat fehlen den Nazis 80.000 Euro, schreibt Spon. 300.000 Euro hält der Staat zurück, weil der Rechenschaftsbericht der NPD für das Jahr 2007 fehlerhaft war. Aus demselben Grund drohen knappe zwei Millionen Euro Strafe. Und das alles bloß deswegen, weil die NPD-Leute es nicht so mit Zahlen haben - schließlich haben die meisten Mitglieder vermutlich die Schule verlassen, bevor Addition und Subtraktion auf dem Lehrplan standen. So kann man seine Betrügereien in der Bilanz natürlich schlecht kaschieren.

Aber auch sonst habt ihr NPD-Leute eine schlechte Verhandlungsposition, um Staatshilfe zu kassieren, nicht wahr? Ihr habt keine schützenswerten Arbeitsplätze. Ihr produziert nichts, was irgendjemand braucht: Der Markt für Hetzpropaganda ist übersättigt, und eure ist ohnehin nicht konkurrenzfähig, denn sie strotzt i.d.R. vor orthographischen Fehlern und riecht Übelkeit erregend - gemessen an eurem Hauptnahrungsmittel würde ich sagen: Nach Bierschiss. Verstaatlich seid ihr ja irgendwie auch schon, wenn man die Zahl der V-Leute betrachtet, die bei euch tätig sind. Und ein Appell an die Tradition - wie bei Opel - hilft bei euch nichts; denn von der Tradition, an der ihr hängt, will kein normaler Mensch mehr etwas wissen.

Außerdem, wenn ich das mal so anmerken darf: Ihr kriegt bereits Staatshilfe. Gewissermaßen als geldwerte Leistung werdet ihr bei euren Aufmärschen jedes Mal von tausenden Polizeibeamten vor dem Volkssturmzorn beschützt - und das gratis. Das muss reichen. Weggetreten!

Freitag, 6. März 2009

Bitte beten Sie weiter - es gibt hier nichts mehr zu gestehen

Das dünkt mich doch mal ein vorbildhaftes Krisenmanagement zu sein: Die katholische Bischofskonferenz hat beschlossen, dass die durch den Holocaustleugner Richard Williamson hervorgerufene Krise innerhalb der katholischen Kirche nunmehr beendet sei. Während inzwischen also der italienische Piusbruder Giulio Tam, der Mussolini für einen Märtyrer hält und dessen Heiligsprechung fordert, beim Nazigruß fotografiert* wurde und der deutsche Oberpiusbruder Franz Schmidberger - der das Beschädigen eines Kruzifixes für schlimmer hält als die Terroranschläge vom 11. September 2001 - die Medien für vom Teufel geschwängert gelenkt hält, hält die firmeneigene Nachrichtenagentur schon eine Art historische Rückschau auf den großen Krach, konsequent in der Vergangenheitsform beschrieben. Richard wer? Piusbrüder? War da was?

Den Papst treffe keine Schuld, seine Unfehlbarkeit muss daher nicht weiter in Frage gestellt werden, so der ungefähre Tenor. Die Schäfchen insbesondere in Deutschland nerven zwar, aber mit denen wird man schon fertig; Schluss, aus, Ruhe. Nun - wenn die Oberhirten imstande sind, per Erlass mal eben die Vorhölle abzuschaffen, sollte das Abwürgen einer Antisemitismusdebatte doch ein Klacks sein. So einfach kommt man aus einem Dilemma - das könnte beispielhaft wirken: Als nächstes verkünden die Wirtschaftsweisen, dass die Finanzkrise schon seit letzten Dienstag vorbei ist.

Aber nein, da war ja tatsächlich was. Noch ist der Stachel nicht aus dem Fleisch (oder der Oblate) gezogen: Williamson, der alte Hassprediger, der Argentinien jetzt verlassen musste, da das Land bekanntlich rigide gegen Nazi-Umtriebe vorgeht. Zurück in London lief der Mann, dem der heilige Geist schon lange abhanden gekommen ist, ausgerechnet einem anderen berüchtigten Holocaust-Leugner, nämlich David Irving, zu dessen Geburtstagsfeier er auch schon mal eingeladen war, in die Arme, aber das war sicher nur ein Zufall. Denn Williamson hat sich entschuldigt. Und zwar in folgendem Wortlaut, beginnend mit:


"Der Heilige Vater und mein Oberer, Bischof Bernard Fellay, baten mich, die Bemerkungen, die ich vor vier Monaten im schwedischen Fernsehen gemacht habe, zu überdenken, weil sie so schwerwiegende Folgen hatten. Angesichts dieser Folgen kann ich wahrheitsgetreu sagen, dass ich die Aussagen bedaure und dass ich sie nicht gemacht hätte, wenn ich vorher gewusst hätte, welchen Schaden und Schmerz sie anrichten würden (...)."
Klingt irgendwie wie "Hätte ich vorher gewusst, dass meine Frau mitkriegt, wenn ich in den Puff gehe, wäre ich vorsichtiger gewesen."

Als Buße plant er, jetzt tatsächlich ein zweites Buch zum Thema Holocaust zu lesen. Das erste beruhte bekanntlich auf den berüchtigten "Leuchter-Report", ein ebenso geschichtsklitterndes wie verbrecherisches Machwerk, das nur von Alt- und Neonazis ernst genommen wird. Gut, im Zweifel für den Angeklagten: Vielleicht ließ sich Williamson ja von dem Wörtchen "Leuchter" blenden. Das klingt doch irgendwie nach "Erleuchtung", obwohl das ja wiederum eher ein buddhistisches Denkmodell ist.

Aber ich schweife ab: Das Erschreckende an der Sache ist, dass die Kirchenoberen mit ihrer "Basta!"-Krisenbewältigung voraussichtlich durchkommen. Denn das Thema Williamson beginnt ohnehin schon allmählich aus den Schlagzeilen zu verschwinden, es rückt in den Gazetten weiter nach hinten und muss mit immer weniger Druckzeilen auskommen. Das Thema ist bald "durch", und wenn nicht noch was Spektakuläres passiert, wird es sich langsam totlaufen. Vielleicht wird Williamson noch geopfert, aber die große gesellschaftliche Auseinandersetzung mit antisemitischen und reaktionären Strömungen innerhalb der Kirche wird ein weiteres Mal vertagt.

Zu den anderen Dogmen, denen die Pius- und andere Kirchenbrüder so anhängen - wie etwa Schwulsein als heilbare Krankheit oder Frauen als Diener des Mannes anzusehen, die weder Hosen tragen noch Unis von innen sehen dürfen - äußerten die Bischöfe sich indes nicht. Sie richten ihren Blick längst nach vorn. Größere Herausforderungen warten auf den einzig wahren Glauben: „Wir sind Zeugen eines Exodus der Christen aus dem Orient - jener Region, in der die Stätten des biblischen Glaubens liegen und in der Gläubige seit der Frühzeit des Christentums gesiedelt haben“, beklagt der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick auf der Konferenz.

Ich hoffe nur, ihm schwebt zur Lösung dieses weltbewegenden Problems nicht das vor, woran ich gerade denken muss.



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* Nachtrag, Mai 2010: Der betreffende Artikel auf den Seiten des "Standard" ist mittlerweile nicht mehr erreichbar. Ein Schelm, wer...

Mittwoch, 4. März 2009

Wollte nicht jeder schon mal kurzen Prozess mit Politikern machen?

Oft wird kritisiert, dass die Justiz hierzulande überlastet sei. Richter kämen beim Abarbeiten der Prozess-Berge kaum hinterher, Verfahren würden erst spät eröffnet und viel zu lange dauern und so weiter. Das Problem ist auch in Österreich bekannt - und dort tut man nun endlich etwas dagegen: Der Prozess gegen Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) wegen fahrlässiger Tötung dauerte von der Bekanntgabe des Verhandlungstermins bis zum Urteilsspruch gerade mal eine Stunde. Das ist nicht nur rekordverdächtig.

Fangen wir mal mit der kurzfristigen Terminierung nach dem Motto "In fünf Minuten geht's los" an. Es gibt nur einen Grund, die Prozesseröffnung erst zur Prozesseröffnung bekannt zu geben: Man will damit die Öffentlichkeit ausschließen, vor allem die lästigen Journalisten, die nun, ach, leider keine Zeit mehr hatten, zum Gericht zu eilen, um von dort zu berichten. Schließlich hätte es aller Voraussicht nach ziemlichen Rabatz gegeben, wenn normale Menschen mit angesehen hätten, wie ein hoher Politiker für die fahrlässige Tötung einer vierfachen Mutter innerhalb eines Zeitrahmens, der etwa einer Folge von "Richterin Barbara Salesch" entspricht, mit einer Geldstrafe und der Zahlung eines lächerlichen Schmerzensgeldes davonkommt. 5000 Euro war dem Gericht das Leben der 41-jährigen Beata Christandl wert.

Ein derartig schnelles Vorgehen, also den Beginn eines Strafprozesses innerhalb der nächsten fünf Minuten anzusetzen, sei möglich, heißt es, wenn sich beide Parteien - also Staatsanwalt und Verteidigung - darauf einigen. Möglich, betont ein österreichischer Jurist, aber nicht üblich. Von Seiten der Verteidigung scheint die Motivation klar: Althaus und die CDU wollen den Fall so schnell wie möglich vom Tisch haben - im August wird in Thüringen gewählt.

Aber was hat den Staatsanwalt geritten, einem auf ein solches Schnellgericht einzulassen - nicht nur im Hinblick auf den Termin, sondern auch auf die Prozessdauer? Immerhin geht es hier um ein Tötungsdelikt. Zwar um ein fahrlässiges, aber dennoch ein ganz offensichtlich von Althaus verursachtes. Die Höchststrafe dafür beträgt in Österreich immerhin ein Jahr Freiheitsstrafe - wäre das nicht Grund genug für den Ankläger, sich ein bisschen mehr reinzuhängen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass in dieser einen Stunde besonders viele Zeugen gehört oder Beweise vorgelegt wurden. Hätte nicht auch der Witwer ein Recht darauf gehabt, dass der Fall vernünftig verhandelt wird?

Ich werde das unschöne Gefühl nicht los, dass das Verfahren anders ausgesehen hätte, wenn der Angeklagte kein prominenter Politiker gewesen wäre. Werden in Österreich dann auch Autofahrer, die fahrlässig jemanden totgefahren haben - sagen wir, aufgrund überhöhter Geschwindigkeit oder weil sie beim Abbiegen nicht in den Spiegel geschaut haben - so schnell zu Geldstrafen abgeurteilt? Irgendwie kann ich mir das kaum vorstellen.

Wie dem auch sei: Auch wenn das Verfahren formalrechtlich wohl einwandfrei war, bleibt ein übler Nachgeschmack. Egal, ob Althaus selbst oder seine Partei Druck gemacht haben, um den Prozess so schnell und lautlos wie möglich über die Bühne zu bringen: Hier wurden Ansprüche der Hinterbliebenen des Opfers kaltblütig der simplen Wahlkampftaktik der CDU untergeordnet. Der Begriff "über Leichen gehen" kommt mir da in den Sinn. Muss natürlich jeder Thüringer selbst wissen, ob er von solchen Leuten regiert werden will.

Übrigens: In Österreich gilt Althaus nun als vorbestraft. Das weiß aber in ein paar Monaten keiner mehr, denn in seinem Leumundszeugnis wird die Strafe nicht erscheinen und er muss auch keine Auskunft darüber erteilen. Diese "Rechtswohltat" sieht das österreichische Recht vor - bei Bagatelldelikten.

Dienstag, 3. März 2009

Der jährliche Newsletter des militärisch-industriellen Komplexes

Na, das ist doch mal was für richtige Kerle: Die britische Armee stellt Pläne für futuristische Hi-Tech-Waffen vor und findet in den Medien dankbare Abnehmer. Tarnvorrichtungen, unbemannte Flugzeuge, ferngesteuerte Kampfvehikel, die Drohnen einsetzen - das klingt zu unblutig, um wahr zu sein. Und dementsprechend handelt es sich bei dieser Augenwischerei, die direkt auf den Science-Fiction-Fan im Manne zielt, lediglich um den Versuch, der mit schöner Regelmäßigkeit alle Jahre wieder unternommen wird: Mit der Hochtechnologisierung der Schlachtfelder Kriege im Bewusstsein der Bevölkerung wieder akzeptabler zu machen. Und, so ganz nebenbei, die Kassen der Rüstungsindustrie zu füllen.

Neu ist das nicht: Mit "intelligenten Waffen" wurde uns der Kuweit-Krieg schmackhaft gemacht, mit den SDI-Plänen der Atomkrieg und mit "Wunderwaffen" der Zweite Weltkrieg. Aber die Zeiten, in denen Panzer und Flugzeuge in Hundertschaftsstärke von den Bändern rollten, sind bis auf weiteres vorbei. In der Ära der sogenannten asymmetrischen Konflikte kommt es nicht mehr auf Masse an, sondern auf Klasse, sprich moderne Technologie - die, so wird der Bevölkerung suggeriert, mache Kriege künftig noch "sauberer" und schütze die eigenen Soldaten
davor, erschossen, in Stücke gerissen oder sonstwie frikassiert zu werden; was auch die jeweilige Regierung freut: Weniger Kondolenzbriefe bedeuten mehr Wählerstimmen. Und die Toten auf der anderen Seite zählt ohnehin niemand. Das alles ist hilfreich, wenn man der jeweiligen Regierung klarzumachen versucht, dass sie die neuen Systeme unbedingt anschaffen muss.

Man muss sich nur mal das entsprechende Werbefilmchen anschauen: Der vollautomatische Raketenpanzer schickt eine vollautomatische Drohne los, die den in einer Ortschaft versteckten Feindpanzer vollautomatisch aufspürt und die alsdann abgefeuerte Rakete punktgenau ins Ziel lenkt. Da kann also links ein Krankenhaus stehen, rechts eine Schule und auf der Straße eine Hochzeit gefeiert werden: Denen passiert offenbar genausowenig wie den eigenen Soldaten, zumindest sieht es danach aus. Übrigens finde ich es aufschlussreich, wie die Gebäude in dieser Computersimulation gestaltet sind. Da weiß man doch, wo künftig die Militärmusik spielt.


Kurzum: Da mit der Ausrüstung von Massenarmeen mittelfristig kein Geld mehr gemacht werden kann, muss die Rüstungsindustrie ihre Spielzeuge eben entsprechend verteuern. Die US-Konzerne machen das schon seit Jahrzehnten. Dummerweise sind die Kunden, also vornehmlich Regierungen, aber auch nicht ganz blöd - wenn man mehr Geld für etwas verlangt, muss man bekanntlich mehr bieten. Und schon werden bahnbrechende Innovationen aus dem Hut gezaubert. Wir erinnern uns an die märchenhaft teure Stealth-Technologie, die ein Schiff hervorgebracht hat, das so unfassbar viel Geld gekostet hat und dabei vollkommen unbrauchbar ist (außer als Vorlage für ein mittelmäßiges James-Bond-Drehbuch), dass den halbverrosteten Kahn niemand haben will - nicht einmal geschenkt; sowie diverse Kampfflugzeug-Typen, die das Flugverhalten übergewichtiger Enten in einem Sturm aufweisen und ebenfalls vollkommen überflüssig, dafür aber - Sie ahnen es - exorbitant teuer sind. Ein einziger B-2-Bomber kostet eine Milliarde Dollar. Die Liste ließe sich fortführen - und sie wird aller Voraussicht nach fortgeführt.

Auch die Bundeswehr spielt das Spiel längst mit: Neue Fregatten besitzen Stealth-Eigenschaften, mit denen sie auf den Radarschirmen der somalischen Piraten (die sich irgendwo vorne im Boot befinden müssen) nicht gut zu sehen sind; die Firma Heckler & Koch wirft alle paar Jahre eine neue Supertötflinte auf den Markt und zum Thema Eurofighter muss nicht mehr viel gesagt werden. Die Bundeswehr stellt sich für die Zukunft auf, würde ein PR-Manager es formulieren - und ein normaler Automechaniker würde hinzufügen: "Billig wird das nicht."

Montag, 2. März 2009

Vom Kindheitstraum zum Unterhaltungs-Alptraum

Als ich unlängst durch die Gänge eines Elektronik-Marktes schlenderte, fiel mir die Verpackung eines Computerspiels ins Auge; eines Simulators, um genau zu sein. Gemeint ist allerdings nicht der altehrwürdige "Flight Simulator" von Microsoft, das einzige ihrer Produkte, das offenbar tadellos funktioniert - nein, gemeint ist etwas viel Schrägeres: Ein Gabelstapler-Simulator! Und als ich näher hinschaute, stellte ich zu meinem größten Erstaunen - um nicht zu sagen: Entsetzen - fest: Er ist nicht allein. Eine ganze Legion an Programmen hat sich aufgemacht, das öde Arbeitsleben in Form eines Spieles zu präsentieren:
  • Gabelstapler-Simulator
    Erleben Sie den unglaublichen Thrill, Euro-Paletten von A nach B zu transportieren. In den höheren Schwierigkeitsstufen sind die auch noch wackelig bepackt worden! Arbeiten Sie in der dritten Dimension, wenn Sie die Pakete in Hochregale befördern müssen! Lassen Sie sich vom Vorarbeiter anbrüllen! Heimsen Sie Bonuspunkte ein, indem Sie Zeitarbeiter, die durch die Gänge irren, weil sie sich an ihrem neuen Arbeitsplatz noch nicht auskennen, gnadenlos überfahren! Antworten Sie Ihrer Frau, die Ihnen zuruft, Sie sollen doch endlich mal aufhören, dauernd vor der blöden Kiste zu sitzen: "Geht nicht, muss Überstunden machen!"
  • Landwirtschafts-Simulator
    Übernehmen Sie die Rolle eines Jungbauern, der nie gefragt wurde, ob er den elterlichen Hof überhaupt übernehmen will. Erfahren Sie am eigenen Leib die grenzenlose Eintönigkeit, wenn Sie mit einem Mähdrescher ein Feld abfahren. Immer hin und her. Hin und her. Hin und her. Hin und... verstehen Sie, warum Bauern gerne eine Pulle Korn in Reichweite haben? Aber das ist noch nicht alles! Misten Sie Ställe aus und freuen Sie sich, dass es nicht stinkt! Ach, tschuldigung, dieses Feature gibt es gar nicht. Dafür aber einen Karrieremodus: Steigen Sie zum Schützenkönig des Dorfes auf! Kaufen Sie immer größere Maschinen! Beantragen Sie EU-Subventionen! Erreichen Sie das Ziel des Spiels: Nur noch von Subventionen zu leben und gar nicht mehr immer hin und her fahren zu müssen!
  • Bagger-SimulatorNein, das ist kein Spiel, mit dem Sie Ihre Wirkung auf das andere (oder auch gleiche) Geschlecht optimieren können. Es geht hier tatsächlich um die Bedienung eines Baggers! Sogar bis hin zu einem Braunkohlebagger, für diejenigen mit zu klein geratenem Fortpflanzungsorgan. Zerstören Sie damit eigenhändig ganze Landschaften! Aber auch kleinere Modelle sind verfügbar: Spannung pur beim Ausheben eines Abwasserkanals! Arbeiten Sie unter Zeitdruck! Versuchen Sie, die drei Schaufeln zu koordinieren, die vor Ihren Augen tanzen, nachdem Sie mit den Kollegen in der Mittagspause eine Kiste Bier plattgemacht haben. Fahren Sie zum Feierabend mit Ihrem Bagger über die meistbefahrenen Straßen der Stadt und sammeln Sie Bonuspunkte durch möglichst originelle Flüche, die Ihnen Autofahrer zurufen! Lästern Sie abends in der Kneipe über den Baustellenleiter und darüber, dass Sie das alles besser könnten! Fragen Sie sich, warum Sie als Junge ausgerechnet von diesem Beruf geträumt haben.
  • Bus-SimulatorFühlen Sie sich einmal wie ein echter Busfahrer. Stellen Sie sich der Herausforderung, eine Bushaltestelle nach der anderen anzufahren. Vergessen Sie keine! Wenn Sie es schaffen, pünktlich einzutreffen, gibt es Bonuspunkte. Wenn nicht, ist es aber auch nicht schlimm. Und das ist nicht alles: Drängeln Sie sich schamlos durch den Verkehr - immer daran denken: Sie sind stärker! Lassen Sie alte Damen im Regen stehen! Sehen Sie im Rückspiegel, wie ein verspäteter Fahrgast angerannt kommt, und machen Sie im allerletzten Moment die Tür zu und fahren los (je knapper, desto mehr Punkte). Werfen Sie heulende Kinder, deren Monatskarte gerade heute abgelaufen ist, erbarmungslos hinaus (je mehr Kilometer bis nach Hause, desto mehr Punkte).
  • Müllabfuhr-SimulatorNein, das denke ich mir nicht aus, den gibt es wirklich. Steuern Sie verschiedene Arten von Müll-Lastwagen durch die Straßen und halten Sie alle paar Meter an. Sie steuern auch die Müllmänner! Nehmen Sie die Mülltonnen, hängen Sie sie in die Kippvorrichtung ein und leeren sie. Bringen Sie sie anschließend wieder zurück! Wiederholen sie diesen Vorgang 500 Mal. Dann essen Sie eine Stulle und machen weiter. Wenn Sie fertig sind mit spielen, duschen Sie eine Dreiviertelstunde lang.

Und das ist noch längst nicht alles, was die Simulatorbranche aus ihrem Schoß gedrückt hat. Es gibt unter anderem noch den Kran-Simulator, den Angel-Simulator (vielleicht mit Beiheft "Anglerlatein") und - mein absoluter Favorit! - den U-Bahn-Simulator. Nicht nur, dass man wie bei anderen Zugsimulatoren nicht zu lenken braucht und stoisch vorgegebene Geschwindigkeiten einhalten muss: Man sieht auch nichts! Fahren Sie stundenlang durch stockdunkle Tunnel! Halten Sie an, wenn Sie Licht sehen (aber gehen Sie nicht hinein)! Beobachten Sie auf dem Überwachungsbildschirm, wie sich Jugendliche im hintersten Waggon prügeln. Überfahren Sie ab und zu einen Selbstmörder - Sie können ja eh nichts dagegen tun!

So, und nun mal im Ernst: Wer kauft sich so was? Das Geschäftsmodell scheint ja zu florieren, also muss es Käufer geben. Ich kann mir ja bis zu einem gewissen Grad vorstellen, dass diese Dinger als Spaßgeschenke Verwendung finden. Aber so oft, dass sich die Herstellung lohnt...? Vielleicht schenken manche Väter so etwas ihren Kindern, in der Hoffnung, damit bestimmte Berufswünsche in ihre Köpfe zu pflanzen, bevor sie auf die Idee kommen, studieren zu wollen. Erschreckend. Da kann ich nur hoffen, dass diese Kinder auf die übliche Art auf diese Form elterlicher Wunschvorstellung reagieren - und das komplette Gegenteil machen.

Nur für den Bagger-Simulator habe ich eine schlüssige Erklärung: Leute, die als Junge davon geträumt haben, Baggerfahrer zu werden, wollen irgendwann wissen, wie das eigentlich so wäre, hätten sie diesen Beruf ergriffen.

Und nach dem Spielen des Bagger-Simulators wissen sie ihr reales Leben wieder richtig zu schätzen.

Sonntag, 1. März 2009

Neue Umfrage: Wer hat noch nicht, wer will noch mal?

Neuer Monat, neue Umfrage. Nachdem die "notleidenden Banken" längst per Gesetz mit bergeweise Geld versorgt sind und auch Madame Schaeffler für ihr unverfrorenes Ansinnen, Milliardenhilfe vom Staat zu fordern, statt ihr eigenes Vermögen zur Rettung ihres höchstselbst an die Wand gefahrenen Unternehmens einzusetzen, nicht - wie es in einer gerechteren Welt der Fall wäre - mit Fackeln und Mistforken aus dem Land gejagt worden ist, sondern weiter darauf hoffen kann, dass ihre Lobbyisten im Bundestag ihre Hausaufgaben machen, kann man es nun wohl allmählich als offizielles Staatsziel bezeichnen, die Steuereinnahmen eins zu eins an Banken und Konzerne weiterzureichen. Da stellt sich nicht nur die Frage, ob so lange Sätze wie der vorangegangene eigentlich sein müssen, sondern auch, wer als nächster dran ist mit Handaufhalten. Das will schließlich gut organisiert werden. Die Umfrage steht wie immer rechts oben auf der Seite.

Das letzte Voting ging der Frage nach, wer Papst Benedikt den Sechzehnten mit der Williamson-Affäre eins auswischen wollte - dass Ratze selbst die Sache mit dem Antisemitismus unter Umständen gar nicht als besonders schlimm angesehen haben könnte, kommt ja überhaupt nicht in die Tüte! Nein, da müssen finstere Mächte hinterstehen. 37 Prozent der Teilnehmer waren der Meinung, dass es Gott selbst war. Abgeschlagen waren Benedikt der Siebzehnte und die Außerirdischen der Föderation des Lichts mit je 17 Prozent. Und fast jeder Dritte sagte, er selbst sei es gewesen, was nur einen Schluss zulässt: An meiner letzten Abstimmung nahmen Gott, der nächste Papst und eine Handvoll Außerirdischer teil. Wow - ich bin wirklich schwer beeindruckt.

Ach, und dann war da noch die Sache mit den Konsumgutscheinen im Dezember. Was hätte man sich alles Schönes davon kaufen können? Die meisten (38%) hätten sich ein paar mobile Festplatten besorgt, um ihre Daten vor Schäuble zu schützen. Jeder dritte hätte es komplett versoffen. Und jeder sechste tendierte zwecks Amoklauf zur Kettensäge. Falls demnächst ein Betrunkener mit laufender Kettensäge das Innenministerium stürmen sollte: Ich habe damit nichts zu tun! Ich stelle bloß Fragen.

In diesem Sinne: Abstimmen, marschmarsch.