Montag, 29. Juni 2009

Ääh - X minus zwanzig, geteilt durch hundert, fünf im Sinn...

Zur Abwechslung mal ein kurzes Training für die kleinen grauen Zellen. Wenn einem der Mathelehrer in der neunten Klasse folgende Aufgabe stellt: "Eine Person hat ein Vermögen von einer Million Euro und muss jährlich fünf Prozent Steuern zahlen. Um wieviel verringert sich sein Vermögen innerhalb von 20 Jahren, wenn man alle Zinserträge und sonstige Einnahmen außer acht lässt?"; und man dann antwortet "Es ist alles futsch" - welche Folgen kann das nach sich ziehen?
(a) eine Fünf in Mathe
(b) mit einer Eselsmütze in die Ecke gestellt zu werden oder
(c) eine traurige Zukunft als stellvertretender CSU-Vorsitzender vor sich zu haben

Auch wenn (a) und (b) ebenfalls zutreffen können, so ist (c) auf jeden Fall richtig. Denn CSU-Vize Peter Ramsauer hat bei Anne Will, die ihren Augenbrauenbonus längst aufgebraucht hat, auf den Vorschlag Gregor Gysis zu einer Vermögenssteuer von fünf Prozent, angewandt auf ein fiktives Vermögen von einer Million Euro, geantwortet: "Dann haben Sie die Million nach 20 Jahren aufgebraucht und das Vermögen vernichtet." Nicht nur mathematisch ziemlich doof - er hat offenbar auch nicht geschnallt, dass natürlich nur Beträge, die über eine Million hinausgingen, für die Steuer herangezogen würden, was Gysi verzweifelt versuchte zu erklären und was ihm vielleicht auch gelungen wäre, wenn nicht Volldeppen wie Ramsauer und Hans Eichel, während dessen Amtszeit als Finanzminister der Spitzensteuersatz immerhin um elf Prozentpunkte (!) gesenkt wurde, wie im Kindergarten dauernd dazwischengebölkt hätten.

Und selbst wenn die Steuer direkt auf das Gesamtvermögen angewendet und unrealistischerweise sämtliche Zinserträge ausgeklammert werden würden, wären nach 20 Jahren immer noch 358.485,92 Euro übrig. "Vernichtet" ist was anderes - und das will ja niemand, auch die Linke nicht.

Bleibt die Frage: Ist Ramsauer in mathematischen Dingen etwas, ähem, unbedarft, gewissermaßen auf dem Stand eines schlechten Sek.I-Schülers - oder geht seine Geringschätzung des Normalwählers, der sich dieses Elend im TV anschaut, mittlerweile so weit, dass er denkt: "Scheiß drauf - das kapieren die Deppen da draußen eh nicht, für die klingt das doch bestimmt logisch"? Da Ramsauer ein promovierter Ökonom ist und im Laufe seines Lebens sicherlich schon mal mit Prozentrechnung zu tun hatte, habe ich so meine Vermutungen.

Aber ich hoffe, dass die Leute, die den Mann gestern erlebt haben, ihn einfach nur als doof einordnen. Denn niederträchtige Arschlöcher werden immer noch eher gewählt als offensichtliche Dummköpfe.

Samstag, 27. Juni 2009

Neue Umfrage: Was passierte mit Michael Jackson?

Natürlich ist Michael Jackson NICHT tot. Oder vielleicht doch, aber nicht eines natürlichen Todes gestorben... oder wie jetzt? Schwer durchzublicken. Er lebt wahlweise am Südpol mit all den anderen*, ist zurück auf seinen Planeten gekehrt oder von finsteren Mächten ermordet worden - je nachdem, welcher Informationsquelle man glauben mag bzw. wie weit fortgeschritten der eigene Hirntumor ist. Aber diese Leute können ja nicht alle Recht haben. also müssen mal wieder die Leser dieses Blogs zur Wahrheitsfindung ran, und zwar im neuen Voting oben rechts auf der Seite. Also: Was ist mit Jackson passiert? Bitte klicken Sie jetzt.

Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht uninteressant, wie viele von den Leuten, die behaupten, Michael Jackson zu lieben und immer geliebt zu haben, unfähig sind, seinen Namen richtig zu schreiben. Aber dies nur am Rande. Kommen wir lieber zur Auswertung der letzten Umfrage. Da ging es um den Umgang der chinesischen Regierung mit dem Gedenken zum 20. Jahrestag des Tienanmen-Massakers (Zensur! Verbot! Verhaftung!).

Jeder dritte Teilnehmer sah dies als Beleg dafür an, wie sehr die Olympischen Spiele die Menschenrechtssituation in China verbessert haben. Außerdem sagte jeder vierte, dass die chinesische Regierung eigentlich großzügig sei (Dissidentenlandverschickung) und man dem Straßenpflaster nicht nochmal zumuten könnte, Panzer darüberzujagen.

Und schließlich zeigt das Ganze vor allem eines: Dass man schon wieder 20 Jahre älter geworden ist. Seufz.



*Hitler, Elvis, Salman Rushdie.

Freitag, 26. Juni 2009

Der König ist tot - es lebe der Rummel

Michael Jackson ist also tot. Bevor nun das Internet ob der zahllosen Suchanfragen für mehrere Tage zusammenbricht, möchte ich noch ganz kurz feststellen: Ich wusste schon lange, dass er eigentlich tot ist. Allerdings hat ihm wohl jetzt erst jemand einen Pflock durchs Herz getrieben.

Nein, ich weiß schon: Über Tote lästert man nicht und so. Hat auch Spon gemerkt, dessen Überschrift "Monster und Genie" nach vermutlich vielen bösen Leserbriefen in "Das monströse Genie" geändert wurde. Darüber hinaus überschlagen sich die Berichterstatter auch schon mit Superlativen: "Weltstar" scheint mittlerweile ein zu eng gefasster Begriff zu sein, der Focus ernennt ihn kurzerhand zum Gott. Celine Dion vergleicht seinen Tod mit dem von John F. Kennedy. Nicht mehr lang, und er wird heilig gesprochen.

Bei Jackson kann man sich aber schon fragen, ob er nicht eher von seinem Elend erlöst worden ist: Ein hochgradig kranker Mann, den zahlreiche chirurgische Eingriffe und Medikamente letztlich fertig gemacht haben. Ein bemitleidenswerterMensch, den seine verkorkste Kindheit derartig in den Wahnsinn getrieben hat, dass er sein Leben in einer Art Kindertraumwelt verbringen wollte. Und ein offenbar ziemlich komplexbeladener Schwarzer, der mit seinem Geld nichts besseres anzufangen wusste als sich langsam zu einem Weißen verwandeln zu lassen - und als ein monströser Freak endete.

Insofern: Natürlich kann man trauern, wenn einem die Nachricht denn so nahe geht. Aber mir wird jetzt schon ganz anders, wenn ich an die Bilder denke, die da in den nächsten Tagen und Wochen unablässig auf uns einprasseln werden: Verzweifelte Fans, die sich wegen des Todes ihres Idols (wie gesagt: ein wahnsinniger Freak) wochenlang die Augen aus dem Kopf heulen, weil sie unfähig sind, über ihr eigenes unglückliches Dasein zu trauen. Bestürzte Popstars, die bereitwillig jedem Mikrofon erzählen werden, wie wichtig Jackson für ihr eigenes Schaffen gewesen ist, und die mit Gedenksongs an den "King of Pop" die Verkaufszahlen ihres nächsten Albums in die Höhe treiben werden. Und Moderatoren, die dem Ganzen noch mehr Dramatik einhauchen wollen, indem sie immer wieder mit zermürbter Miene und bedeutungsschwangerem Unterton auf die für diesen Sommer geplante Comeback-Tournee hinweisen - an die, seien wir mal ganz ehrlich, doch eh' niemand geglaubt hat.

Wie gesagt: Auf all das kann ich verzichten. Und wenn ich doch mal den vorübergehenden Drang verspüren sollte, des musikalischen Werks des Verstorbenen zu gedenken, dann hiermit:

Dienstag, 23. Juni 2009

Mehr als eine Redewendung: "Leckeres Essen zaubern"

Noch eine Woche bis Monatsende. Für alle, die ihren Hartz-IV-Regelsatz schon aufgebraucht haben und die restlichen Tage von Wassersuppe mit steinharten Brotkanten zu überstehen versuchen, habe ich eine frohe Botschaft: Das muss nicht sein! Auch von gerade mal vier Euro pro Tag - wenn man nicht raucht und Antialkoholiker ist - kann man ein leckeres und nahrhaftes Essen zubereiten. Woher ich das weiß? Vom Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft. Diese Fürsorglichkeit kommt nicht von ungefähr: Die Wirtschaft hat ja schließlich auch ein Interesse daran, dass ihre Rabotniks - die von ihr so schlecht bezahlt werden, dass sie zusätzliche Hartz-IV-Leistungen beantragen müssen - nicht reihenweise an Skorbut sterben. Dann müsste man ständig neue Leute einarbeiten und so, das kostet zuviel.

Das BNW wirbt daher mit einem Flyer für ein von ihm herausgegebenen Kochbuch. Zitat: "Wie aber mit einem Tagesbudget von zwei bis vier Euro auskommen? Das hat nichts mit Zauberei zu tun, sondern mit erprobtem Wissen." Als Appetizer im wahrsten Sinne des Wortes findet sich dort das Rezept für eine Pilzpfanne. Leider, ach, war auf dem Flyer dann kein Platz mehr für eine Erklärung, wie man von den paar Euro ein halbes Kilo Champignons und ein halbes Kilo Hähnchenbrustfilet bezahlen soll. Vielleicht wären Zauberkräfte doch hilfreich. Für Hartz-IV-Empfänger gilt offenbar: Wer den finanziellen Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Und wer sich mangels Geld von Aldi-Tütensuppen ernährt, kann wohl einfach nicht haushalten. So!

Das beworbene Kochbuch heißt "Balance-Kochbuch", und der Flyer schwafelt in diesem Zusammenhang vom "Schaffen von Gleichgewichten". Dass "Balance" im Englischen, also der Lieblingssprache der Businessleute, auch für "Saldo" bzw. "Kontostand" steht, ist wohl eine gar lust'ge Ironie am Rande.

Vielleicht sollte ich alle Leser dieses Blogs zu einem kleinen Wettbewerb aufrufen. Wer es schafft, das abgebildete Rezept für vier Euro zuzubereiten - wir gehen angesichts der Zutatenmenge von zwei bis drei Essern aus, die aber das zusätzliche Geld aus ihren Regelleistungen bereits für Frühstückszeug und Getränke ausgegeben haben - bekommt als Siegprämie einen gut dotierten Beraterposten beim BNW.

Und wo findet man so ein niederträchtiges Machwerk? Im Bürgerbüro der Oldenburger Stadtverwaltung. Man kann sich dort wunderbar neoliberal indoktrinieren lassen, während man darauf wartet, seinen Antrag auf GEZ-Befreiung abzugeben oder sein Auto abzumelden, weil man es sich nicht mehr leisten kann.

Freitag, 19. Juni 2009

"Kampf gegen Kinderpornos" klingt ja irgendwie auch besser als Zensur

Über das sogenannte Anti-Kinderporno-Gesetz von Zensursula von der Leyen muss man ja nun eigentlich nicht mehr viel sagen: Der erste Schritt in Richtung staatlicher Kontrolle des Internets ist getan, die Infrastruktur für die Sperrung jeglicher Seiten mit strafrechtlich relevantem Inhalt gelegt - und das ist unter dem Stichwort "Terror" ein sehr weites Feld. Andererseits: Zum immer weiter ausgreifenden staatlichen Überwachungswahn und der immer schamloseren Einkassierung bürgerlicher Freiheiten gibt es doch eine ganze Menge zu sagen. Und das werde ich an dieser Stelle tun. Ich bin der Meinung, dass...



So. Das musste mal gesagt werden!

Dienstag, 16. Juni 2009

Ave Publikum, morituri te salutant

Jippie, hurra, wurde auch Zeit: "Ultimate Fighting" ist endlich in Deutschland angekommen. Eine weitere Errungenschaft, die die Welt nicht braucht - aber offenbar gehört es momentan zum grundlegenden intellektuellen Rüstzeug einiger selbsternannter Moralapostel, diese ominösen Gewaltorgien - tschuldigung: Kampfkunstveranstaltungen - irgendwie doch gut zu finden und darüber zu jubeln, dass solche Veranstaltungen erstmal nicht untersagt werden. Denn schließlich ist es nur ein Sport und es gibt ja schon genug Verbote, oder? Um mal wieder eine unpopuläre Meinung zu vertreten: Nein, ein paar mehr könnten manchmal nicht schaden. Und die Menschheit würde auch ohne eine derartig widerwärtige Zurschaustellung von roher Brutalität überleben.

Die schon viel zu oft gehörte Argumentation läuft in etwa so: Warum sollte man es denn verbieten, wenn zwei erwachsene Menschen sich treffen, um die Scheiße aus dem jeweils anderen herauszuprügeln? Die wissen doch schließlich, was sie da tun. Und warum sollte man Menschen, die gerne dabei zusehen wollen, wenn Blut spritzt und Zähne fliegen, daran hindern? Wer nicht will, muss ja nicht dabeisein. Das übliche sonstige Rechtfertigungsgefasel der Befürworter lasse ich mal außen vor: Es gebe beim UF keine schweren Verletzungen; die Sportler seien keine hirnlosen Raufbolde, sondern allesamt Gefäßchirurgen oder Mathematikprofessoren oder so usw. rhabarber blablabla. Ermüdend.

Mit diesen Pseudoargumenten verteidigt seit jeher jeder Anhänger eines barbarischen Rituals seine Vorlieben; damit kann man jede noch so monströs perverse Brutalität schön reden. Man sollte sich hingegen mal fragen, warum es 13.000 Leute offensichtlich geil finden, dabei zuzuschauen, wenn zwei Typen derartig aufeinander eindreschen, dass nachher der Ring voller Blut ist? Warum johlen diese Leute, wenn jemand einen Tritt an den Kopf kriegt, und zahlen dafür horrende Eintrittspreise? Warum jubeln sie, wenn ein Kämpfer seinen Gegner bis zur Bewusstlosigkeit würgt? Was für animalische Triebe werden damit befriedigt? Fänden die Zuschauer es dann konsequenterweise noch geiler, wenn jemand mal wirklich totgeprügelt wird?

Spon zitiert einen Fan mit folgenden Worten: "Das ist Adrenalin pur, nicht so durchgestylt wie zum Beispiel Boxen im Fernsehen. Da geht es ja nur noch um die Show. 'Ultimate Fighting' ist einfach authentischer." Was soll denn der Begriff "authentisch", sprich "originalgetreu" in diesem Zusammenhang bedeuten? Was ist denn hier das Original? Der Kampf um die Höhle, das Weibchen, das letzte Mammutsteak? Die Gladiatorenkämpfe im Circus Maximus? Während Boxen demzufolge also nur noch ein schwuchteliges So-tun-als-ob ist, ist Ultimate Fighting ein authentisches Sich-gegenseitig-schwer-verletzen-oder-gleich-umbringen-wollen?

Mir macht das Angst: Durch solche Events stumpft die ohnehin schon immer stärker an alltägliche Gewalt gewöhnte Gesellschaft noch weiter ab. Das erwähnte und allseits beliebte gegenseitige Indiefressehauen alias "Boxen" ist ja schon längst zu einer Art modernem Kulturschaffen verklärt worden, und von der unüberschaubaren Ästhetisierung von Gewalt in Kino, Musik und Videospiel will ich hier gar nicht erst anfangen. Gewalt stellt, so fürchte ich, längst kein Tabu mehr dar, sondern einen normalen Teil der menschlichen Natur. Das ist sie vielleicht auch - aber ihre Anwendung oder eben Nichtanwendung macht den kleinen Unterschied, der allgemein als "Zivilisation" bezeichnet wird.

Ich frage mich manchmal, ob die Menschen wirklich so große Fortschritte gemacht haben, seit sie im alten Rom mit ihrem Daumen das Todesurteil für den unterlegenen Kämpfer gefällt haben. Das wäre dann wohl heute der nächste logische Schritt in der Branche: "Ultimate Fighting 'til Death". Vielleicht könnte man langweilige Kämpfe aufpeppen, indem man einen Löwen in den Ring lässt.

Warum sollte das illegal sein? Die Kämpfer machen das doch freiwillig, sind im normalen Leben geachtete Ärzte und Juristen und man muss ja nicht zugucken blah blah blah.

Freitag, 12. Juni 2009

Nomen est manchmal doch nicht omen

Liebe Medien; nur mal ganz kurz dazwischengefunkt: Wenn ein 88-Jähriger im Holocaustmuseum einen Wachmann erschießt, weiß ich nicht, ob man da unbedingt von einem Neonazi sprechen muss.

Das war's auch schon. Bitte lassen Sie sich nicht weiter stören beim unreflektierten copy-and-pasten von wenig durchdachten Agenturmeldungen.

Update: Spon hat den Mann mittlerweile vom Neonazi zum "ewigen Nazi" befördert.

Dienstag, 9. Juni 2009

Helden werden niemals alt

Bevor ich's vergesse: Herzlichen Glückwunsch zum 75., Donald! Held meiner Kindheit, Vorbild meines verkorksten Werdeganges, lebenslanger Kamerad in den Reihen ausgebeuteter Verlierertypen. Gäbe es eine Margarinefabrik in meiner Stadt - ich wäre dort auch noch mit 75 Laufbursche. Dir nicht unterzukriegendem Pechvogel zu Ehren werde ich heute den ganzen Tag die "Ballade vom rührseligen Cowboy" vor mich hinsummen. Ach, und noch was: Micky Maus ist eine kleine, klugscheißende Nervensäge.




Für alle, die diese Perle amerikanischen Zeichentrick-Schaffens noch nicht kennen:



Und schließlich für alle, die Donalds rassistische Ader noch nicht kennengelernt haben (aber da war er noch jung und brauchte das Geld, da Onkel Dagobert erst nach dem Krieg erfunden wurde):


Korrektur: Nichtwähler sind kriminell (und SPD-nah)

Angesichts des Verlaufs des vergangenen Wahlsonntags muss ich meine Philippika bezüglich der Nichtwähler korrigieren. Sie sorgen nicht nur dafür, dass die prozentualen Anteile von Spinnerparteien in die Höhe schießen, sondern auch dafür, dass andere Spinnerparteien schlecht abschneiden. Etwa die SPD. Denn für die Genossen ist klar: Ihr grauenhaftes Wahlergebnis resultiere zuvörderst aus der Tatsache, dass ihre Anhängerschaft am Sonntag den lieben langen Tag im Bett geblieben sei. Damit müsse nun Schluss sein, deliriert der zu Recht eher unbekannte SPD-Hinterbänkler Jörn Thießen vor sich hin und fordert ein Bußgeld für Nichtwähler. Die Nichtwahrnehmung eines Grundrechts unter Strafe zu stellen - das ist so aberwitzig durchgeknallt, das hätte ich mir auch mit einer Flasche Rotwein im Kopf nicht besser ausdenken können.

50 Euro sollen nach Thießens Vorschlag die Langschläfer künftig latzen, als Strafe dafür, dass sie ihre staatsbürgerliche Pflicht - was für manche offenbar mehr als nur eine Floskel ist - nicht tun. Klingt typisch deutsch, ist es aber nicht: Andere Staaten haben ähnliche Regelungen bereits eingeführt, in Ägypten oder Australien kann man dafür sogar ins Gefängnis kommen. Das nenne ich mal Bürgernähe! "So, Mr. Smith, Sie setzen sich jetzt in diese Einzelzelle und denken über Ihre demokratischen Fehler nach. Und wenn Sie sich bereit erklären, wieder zu wählen, lassen wir Sie raus." Andererseits ein ausbaufähiges Konzept: Könnte man analog dazu nicht auch Politiker, die ihrer Pflicht - nämlich dem Wählermandat - nicht nachkommen, in den tiefsten Kerker werfen? Oder zumindest ein Bußgeld für jedes gebrochene Wahlkampfversprechen einfordern?

Über die gleichsam arrogante wie auch realitätsferne Vorstellung der Sozialdemokraten, dass man noch über ein nicht abgerufenes Millionenpotenzial an Stimmen - gewissermaßen als stille Polit-Reserve - verfüge, will ich mich gar nicht erst lange auslassen, das spricht in seiner Verzweiflung für sich. Aber was soll man von Volksvertretern wie Thießen halten, die solche Vorstellungen von demokratischer Kultur haben? Wer sein Grundrecht - aus welchem Grund auch immer - nicht in Anspruch nimmt, muss büßen? Mit derselben Denkweise kann man ja auch Atheismus unter Strafe stellen, weil diese Leute ihr Recht auf freie Religionsausübung nicht wahrnehmen.

Nein, Herr Thießen, so wird das nichts Ich habe dafür einen besseren Vorschlag, um das faule Wahlvieh zur Urne zu treiben: Die Stimmen der Nichtwähler werden künftig automatisch der SPD zugeschlagen.

DAS wäre doch mal eine Drohkulisse!

Sonntag, 7. Juni 2009

Nichtwähler stinken und haben kleine Pillermänner

Es ist ja schon wirklich rührend, wie sehr Politiker, Medien und Prominente den Leuten einzutrichtern versuchen, wie unglaublich wichtig es sei, wählen zu gehen. Sobald man die Glotze anwirft, die Zeitung aufschlägt oder auch nur den Kopf aus der Haustür steckt, sagt einem irgendjemand in bedeutungsschwangerem Unterton, dass man auf jeden Fall zur Europawahl gehen soll; wer das nicht tue, helfe den Rechten usw. Diese sicherlich gut gemeinten Aufforderungen sind ja schon irgendwie zum Kichern: Die Herrscher bitten verzweifelt die Beherrschten, das bisschen an politischer Mitwirkung, das sie ihnen zugestehen, doch bitte auch wahrzunehmen. Sonst funktioniert das Demokratiespielen nicht. Sonst bestünden Zweifel an der Legitimität der Herrschaft. Warum eigentlich?

Nicht zu einer Wahl zu gehen ist schließlich auch eine politische Aussage - nämlich die, dass einem scheißegal ist, welchen Einfluss andere auf das eigene Leben nehmen und das man sich nicht im entferntesten dagegen zur Wehr zu setzen gedenkt. Wenn also diese Leute nicht wählen gehen, klinken sie sich damit bewusst aus der politischen Willensbildung aus, müssen das dann auch hinnehmen und sollten konsequenterweise wenigstens anschließend auch das Jammern und Motzen über "die da oben" sein lassen. Andere Ausflüchte, etwa "war krank" oder "war unterwegs" zählen schon mal gar nicht: Man kann heute bekanntlich wählen, ohne das Haus zu verlassen, und das schon Wochen vorher.

An der Legitimität einer Regierung, eines Parlaments oder eines Rats ändert sich nichts, wenn seine Zusammensetzung nur auf den Stimmen von 40 Prozent der Wahlberechtigten beruht. Dies soll kein Plädoyer für das System der Parlamentarischen Demokratie sein, sondern eine schlichte Feststellung. Wer die zur Wahl stehenden Parteien und Kandidaten nicht wählen will, kann immer noch seine Stimme ungültig machen, indem er ein großes Kreuz quer über den Stimmzettel malt - das wäre wenigstens eine klare Linie. Wer wählt, muss sich hinterher vieles gefallen lassen, was ihm nicht passt. Wer nicht wählt, gibt sich gleich auf und lässt alles mit sich machen.

Die Warnung vor den Rechtsradikalen ist dabei ein alter Hut und sollte ihren Weg mittlerweile auch bis in die letzte Wohnküche gefunden haben. Neonazis profitieren auch, aber selbstverständlich nicht nur*, von niedrigen Wahlbeteiligungen - das sollte mittlerweile eigentlich jeder wissen. Wer also nicht wählen geht, muss wissen, was er tut; Nichtwähler wählen daher rechts. Punkt. So sollte man sie auch behandeln: Als asoziale Arschkrampen, denen es scheissegal oder vielleicht sogar ganz recht ist, wenn Neonazis an die Schalthebel der Macht kommen. Sie haben es verdient, bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür angepflaumt zu werden.

Anlässlich des 60. Geburtstag des Grundgesetzes feiert sich die deutsche Demokratie in diesem Jahr selbst. Tolle Demokratie, möchte man meinen, wenn die Mehrheit der Bürger - das ist absehbar - sich einen Dreck darum schert, wer in Brüssel und Straßburg die Weichen stellt und wenn Politiker und Medien dem Wähler erst erklären müssen, wozu das Ganze gut ist. Lächerlich. Erbärmlich. Zum Heulen und auch Kotzen.

Ich für meinen Teil gehe jetzt ins Wahllokal. Prost.


* In Sachsen etwa hätte die NPD 2004 auch dann die Fünf-Prozent-Hürde überschritten, wenn alle 1,4 Millionen Nichtwähler (40,4%) zur Wahl gegangen wären und für eine andere Partei gestimmt hätten.

Samstag, 6. Juni 2009

Zu Wolles 70er-Revival-Party den Alkohol bitte selbst besorgen

Es ist wieder soweit: Die Bundesbürger werden in den nächsten Wochen wieder eine ganz dicke Kröte schlucken müssen. Anzeichen dafür, dass da was im Busch ist, häufen sich - jedes Mal, wenn die olle Kamelle mit den Alkohol-Testkäufen von Jugendlichen wieder durch die Gazetten gejagt wird, kann man sicher sein, dass damit von irgendetwas viel Bedeutenderem abgelenkt werden soll. Wer indes Augen zum Sehen und Ohren zum Hören hat, dürfte kaum überrascht sein, wenn ihm oder ihr heute wieder die frisch aufgewärmte Terrorgefahr vom Titelblatt oder aus dem Monitor entgegenblökt. Das passt gut zu Schäubles Lieblingsplan: Der Einsatz der Bundeswehr im Innern - vielleicht werden wir ja schon zur Bundestagswahl Soldaten auf den Straßen haben. Zur Sicherung vor Terroristen natürlich.

Denn vor ein paar Tagen sprach Schäuble beim Innenministertreffen in Bremen sein Langzeit-Lieblingsprojekt - eben diesen Bundeswehreinsatz, Arbeitstitel "Germany's Next Dictatorship" - mal wieder an. Bevor aber diese Schäublesche Wichsvorlage Vision ihren Weg in die Hirne der Bürger antreten konnte, wurden diese schnell mit dem nicht totzukriegenden Thema der Alk-Testkäufe vollgestopft. Zum gefühlt hundertsten Mal. Fällt das eigentlich niemandem auf, dass das Thema alle paar Wochen kurz auf-alcopopt und sofort wieder verschwindet - ohne irgendein Ergebnis zu zeitigen, eine Konsequenz oder auch nur eine ernstgemeinte Debatte? Und wenn wir schon mal dabei sind: Fällt niemandem auf, dass das überhaupt kein neues Thema ist? Jugendliche haben sich zu allen Zeiten ihren Stoff besorgt und werden das auch immer schaffen, Kontrollen und Gesetzesverschärfungen hin oder her. Es wird immer den älteren Kumpel geben, den man vorschickt. So, das musste mal gesagt werden. Zurück ins Studio.

Es war einmal in Usbekistan

Also: Schäuble träumt wohl schon wieder von Panzern gegen Demonstranten. Vielleicht haben ihn die zahlreichen Tiananmen-Retrospektiven inspiriert. Eben wegen dieses Datums war das Thema in Bremen aber zeitlich ungeschickt platziert, also gibt man lieber erstmal neue Pressemitteilungen zu besoffenen Kids heraus. Und beschließt, den Leuten die Notwendigkeit einer totalen Militarisierung des öffentlichen Lebens häppchenweise und Schritt für Schritt in den Brägen zu streuen.

Da wird zunächst einmal die Mär von der "Islamischen Dschihad-Union" neu aufgekocht. Erinnert sich noch jemand an die "Islamische Dschihad-Union"? Das waren die drei Pfeifen, die im Sauerland hopsgenommen wurden. Bis dahin hatte noch nie jemand etwas von diesem Verein gehört, und auch nachträglich geschieht das nur im Zusammenhang mit den Ferienhausterroristen. Für die mangelnde Prominenz der mittelasiatischen Möchtegern-Märtyrer gibt es gute Gründe, zum Beispiel den, dass diese Union mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Erfindung des usbekischen Geheimdienstes ist, der unter dem Vorwurf des Terrorismus gerne mal unbequeme Leute verhaftet. Usbekistan, dies sei am Rande bemerkt, gilt offiziell als Demokratie, dürfte dann aber wohl die einzige auf der Welt sein, in der der Präsident regelmäßig Wahlergebnisse von um die 90 Prozent erzielt.

Das Ende aller Dinge

Und diese furchterregende Dschihad-Union, die selbst im Internet nur ein höchst geisterhaftes Dasein fristet, kooperiert nun mit dem weltumspannenden Terrorkonzern Al-Qaida! Oh weh, das klingt nach sicherheitspolitischem Armageddon, nach Dämmerung der menschlichen Zivilisation. Eine Allianz der unheiligsten Art; das Böse und das noch Bösere schließen sich zusammen, es ist die Ankunft der apokalyptischen Kamelreiter. Einer der Momente, in denen die Welt den Atem anhält. Da paktiert der Teufel mit dem Beelzebub, Hitler mit Stalin, Weinbrand mit Cola: Das kann nichts Gutes bedeuten.

Zeit also, eine weitere Freiheit unter dem Fallbeil der inneren Sicherheit zu opfern. Einsatz der Bundeswehr im Innern - das ist schon längst keine hypothetische Problemstellung mehr, mit der sich höchstens Politologiestudenten in der Zwischenprüfung befassen, sondern eine ganz reale Drohung. Bei den G8-Protesten in Heiligendamm haben wir einen kleinen Vorgeschmack (Arbeitstitel hier: "Amtshilfe") bekommen, sind in dieser Hinsicht also bereits abgestumpft; es ist schon jetzt nicht mehr der Aufreger, der es einmal war. Und falls es doch jemanden aufregt: Soll der sich doch lieber erstmal an den Kioskbesitzern und Tankstellenpächtern abreagieren, die unseren Kindern Alkohol verticken.

70er reloaded

Terror, ick hör' dir trapsen: Diese Vokabel verhilft offenbar jedem faschistoiden Innenminister in jedem Land der Welt zu einem politischen Freibrief. Im Gegensatz zu Usbekistan muss ein solches Vorhaben hierzulande allerdings mit einem Minimum an Öffentlichkeitsarbeit begleitet werden, um das Volk zu besänftigen. Also raus mit den Pressemeldungen: Islamische Dschihad-Union wieder da, diesmal gemeinsam mit Al-Qaida; irgendwo im Land rührt schon wieder ein konvertierter Kevin Haarfärbemittel mit Backpulver zusammen, um das Bayreuther Festspielhaus in die Luft zu jagen. Holzauge, sei wachsam, tönt es aus Schäubles Moabiter Festung, die Terroristen sind unter uns, denkt an die 70er Jahre! Trotz der vielen Polizisten mit MPs schlugen die Terroristen immer wieder zu. Sie lauern überall!

Und was damals versäumt wurde, weil die verweichlichten Sozen an der Macht waren, kann man dann ja mal heute erst recht nachholen: Soldaten müssen auf den Straßen patroullieren! Hätte man das früher schon so gemacht, wäre die "Landshut" bestimmt nicht entführt worden. Zwar ist die Bundeswehr bekanntlich dazu da, die Republik vor äußeren Feinden zu schützen, aber dieser Feind ist ja nunmal unter uns! Und bezieht sich auf Usbekistan - wenn das kein Ausland ist!

Paranoia als Handlungsursache. Na, es kommt ja alles irgendwann wieder, also auch die Antiterrorpolitik der 70er Jahre - natürlich upgedatet auf Version 2.0, mit besserer Grafik und Soldaten und so. Willkommen bei Wolles Revival-Party! Wer was zu trinken haben will, kann ja eben den Nachbarsjungen zur Tanke schicken.

Ich frage mich eigentlich nur noch, ob die entsprechende Gesetzesvorlage noch vor der Wahl oder erst danach auf den Tisch kommt. Bis dahin stelle ich mir vor, wie derselbe Soldat, der mit seinem MG das Auto mit der afghanischen Familie zersiebte, weil die nicht anhalten wollten, wohl reagiert, wenn ein wütender Zug von Tausenden Demonstranten auf ihn zumarschiert.

Freitag, 5. Juni 2009

Neue Umfrage: Himmlisch, dieser Frieden ...

Ich gebe zu: Darauf war ich nicht gekommen und deshalb fehlte dieser Punkt in meinem letzten Voting. Während ich seinerzeit wissen wollte, was „Bild“ wohl als nächstes an Volksprodukten auf den Markt wirft, hat mich nun die Realität eingeholt: Ein „Volks-Notebook“ soll’s sein. Kollaborateur diesmal: Dell. Die Spezifikationen: Bildschirm im Kaliber 39,6cm (mehr als beim Schlachtschiff „Bismarck“!), Intel-Panzium-Prozessor, 1000-MB-jährigem Arbeitslagerspeicher und DVD-Rommel-Laufwerk; Standardfarbe Schwarz-Weiß-Rot. Dazu gibt’s das Betriebssystem „Fenster-Ausblick“ und einen vorinstalliertem Weltnetzblätterer (nicht änderbare Startseite: „Bild.de“). Die Bedienungsanleitung wird in loser Reihenfolge in den nächsten 1939 Ausgaben von „Computer-Bild“ abgedruckt, was im Preis von 499 Reichsmark allerdings nicht inbegriffen ist.

Damit fallen die von den Lesern dieses Blogs favorisierten Neuheiten "Volksunterhose", die jeder zweite gerne auf dem Wühltisch gesehen hätte, und "Volkshund" vorerst wohl weg. Schade. Aber vielleicht bekommt Schiesser ja auch noch Staatshilfe, posthum gewissermaßen, dann könnte das zumindest mit den Liebestötern unter Umständen noch ganz schnell gehen. Für die Hunde ist da so unter rassischen Gesichtspunkten schon mehr Aufwand nötig, vielleicht so eine Art Lebensborn für Köter - mal sehen, ob "Bild" entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.

Die neue Umfrage befasst sich mit dem 20. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens. Während nach wie vor Teilnehmer der Demonstration von 1989 in chinesischen Gefängnissen verrotten und unsere Politiker mit den Machthabern in Peking kuscheln, fand anlässlich des Jahrestages am Tatort nur eines statt: Der große chinesische Reporter-Verarsch-Contest. Was sagt uns das? Bitte klicken sie jetzt, die Umfrage findet sich wie immer rechts oben auf der Seite.

Donnerstag, 4. Juni 2009

Selbstbeweihräucherung für Fortgeschrittene

Schön, dass Barack Obama auf seiner Nahostreise der muslimischen Welt die Hand für eine Verbesserung der zuletzt doch arg gebeutelten Beziehungen reicht. Und mutig, dass er die Scharfmacherei im eigenen Land ebenso mitverantwortlich dafür macht wie den Umgang des Westens mit der muslimischen Welt in den Zeiten des Kolonialismus und des Kalten Krieges. Merkwürdig allerdings, wie er seine Botschaft anschließend ein wenig, nun ja, übersteigert.

Denn Amerika und der Islam hätten schließlich Gemeinsamkeiten und müssten nicht konkurrieren, so Obama in seiner Kairoer Rede: "Stattdessen überlappen sie sich und teilen gemeinsame Prinzipien - Prinzipien der Gerechtigkeit und des Fortschritts, Toleranz und die Menschenwürde." - Ich verstehe ja, worauf er damit hinaus will, und stelle seine Motive an dieser Stelle auch nicht in Frage. Aber ausgerechnet die USA und den Islam als Sinnbilder für Gerechtigkeit, Toleranz und Menschenwürde zu deklarieren? Menschenwürde, wo doch in US-Gefängnissen Häftlinge gefoltert und in vielen islamischen Ländern Frauen verhüllt und weggesperrt werden? Toleranz, wo 2004 jeder zweite US-Bürger einen Präsidenten wiedergewählt hat, der seine Angriffskriege als "Kreuzzüge" bezeichnete und wo jeden Tag irgendwo auf der Welt islamische Extremisten sich und Andersgläubige in die Luft jagen? Gerechtigkeit, wenn dem obersten Zehntel der amerikanischen Bevölkerung 70 Prozent des Privatvermögens gehört und in einigen muslimischen Ländern Frauen für Ehebruch drakonisch bestraft werden, Männer hingegen nicht?

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Prinzipien, nun ja, nicht überall in den USA und der islamischen Welt (und auch in Europa) so wirklich streng befolgt werden. Ich will damit hier gar nicht polarisieren und auch keine Stereotypen bedienen. Aber der Hinweis sei mir gestattet: Das war ein bißchen zu gut gebrüllt, Löwe. Neuanfang der Beziehungen ist toll, wichtig und nötig - aber man muss sich selbst und alle Anwesenden ja nicht gleich heilig sprechen. Denn wie wackelig diese amerikanischen Prinzipien sind, sieht man daran, wie schnell sie im Zweifelsfall wieder fallengelassen werden - so geschehen 2001ff. Von umfassender Gerechtigkeit und Toleranz sind beide Parteien aller Lippenbekenntnisse zum Trotz noch weit entfernt - und nicht nur die.

The Versicherungskonzern formerly known as "Staat"

"Bitte ziehen Sie eine Nummer und warten, bis Sie aufgerufen werden" - ein Schild mit dieser Aufschrift sollte künftig in Peer Steinbrücks Vorzimmer hängen. Falls dieses Vorzimmer überhaupt noch groß genug ist für die vielen, vielen Bittsteller, die ein Almosen vom Staat erschnorren wollen: Während sämtliche Bankvorstände mit prall gefüllten Portemonnaies und zufriedenem Blick das Büro des Finanzministers bereits wieder verlassen haben, warten vor der Tür noch die Vertreter von Opel, Schaeffler, Porsche, Karstadt, Hertie usw. Das Staatssäckel wird allseits als unerschöpfliches Füllhorn angesehen - aus dem sich mittlerweile sogar die bedienen, die gar nicht in Schwierigkeiten stecken. So kann man davon ausgehen, dass auch Metro sich seine großzügige und selbstlose Arcandor/Karstadt-Rettungsaktion, die eher den Charakter eines günstigen Gelegenheitskaufs hat, vom Staat mitfinanzieren lässt.

Warum sonst will der Metro-Chef bei Steinmeier vorstellig werden, wenn es nicht um Staatsknete oder -bürgschaften ginge? Und, nebenbei, warum eigentlich bei Steinmeier - hat er die beiden SPD-Granden verwechselt? Naja, kann schon mal passieren, beide haben ungefähr denselben Grauton. Wie dem auch sei: Arcandor/Karstadt ist pleite - das zeichnete sich auch schon vor der Finanzkrise ab - und Metro nicht. Zu normalen Zeiten würde Metro den Konkurrenten übernehmen, fusionieren oder sich an dessen Insolvenzmasse bedienen - und dies alles natürlich selber finanzieren, Probleme gäbe es höchstens mit dem Kartellamt.

Aber die Zeiten sind nicht normal. Und so ist nun ein 300-Millionen-Euro-Kredit für Arcandor im Gespräch - nicht etwa, um damit die insolvente Kette direkt zu retten. Nein, das Geld soll - ich zitiere - den Konzern "in die Lage versetzen, mit der Kaufhof-Mutter Metro 'auf Augenhöhe zu verhandeln'" (Spon). Dafür gibt's jetzt also auch schon Steuergeld: Um den Einsatz im Übernahmepoker zu erhöhen.

Ich setze meine Stiefel und meine Farm in Texas!

Und wenn man in diesem Poker unterliegt, weil man etwa nur zwei Siebenen hat und der Gegner ein Full House auf den Tisch liegt, macht das auch nichts: Rennt man eben zu Onkel Steinbrück und fragt nach mehr Taschengeld. So haben sich sowohl Schaeffler als auch Porsche mit ihren größenwahnsinnigen Übernahmeplänen übernommen, sich also ohne Not aus purer Gier selbst in die Nesseln gesetzt. In einer gerechteren Welt würden sich Wiedeking und Schaeffler demnächst auf ein Dosenbier an der Trinkhalle treffen und sich gegenseitig erzählen, was für große Nummern sie früher mal waren. In dieser Welt hingegen soll es für missglückte Übernahmeschlachten nun Geld von... wem geben? Na, wer kommt drauf? Richtig.

Es ist schon fragwürdig genug, wenn der Staat plötzlich anfängt, Kredite zu vergeben, die Banken längst nicht mehr geben wollen. Was aber nun geschieht, ist die Umwandlung des Staates in einen gigantischen Versicherungskonzern - bei dem die Beitragszahler in aller Regel nicht die sind, die die Versicherungsleistung dann auch in Anspruch nehmen können. Es sei denn, man zählt mit, dass der Opelaner für seine vielen Steuergelder das Recht erwirbt, noch ein paar Jahre weiterarbeiten zu dürfen.

Konzernchef-Abenteuer-Spielset zum Selbermachen

Letztlich bedeutet das alles das Ende jeglichen unternehmerischen Risikos, das ja ohnehin schon auf die Beschäftigten abgewälzt worden ist. Es ist wie bei einem Computerspiel, bei dem man den aktuellen Stand abspeichert, bevor man sich einer schwierigen Aufgabe stellt - falls man scheitert und die Spielfigur dann tot ist, lädt man einfach den alten Spielstand neu. Und wenn man sich dann auch noch vorstellt, das beim Neuladen 500-Euro-Scheine aus dem Drucker kommen, fühlt man sich fast so wie der Arcandor-Chef. Solange es gut geht, verdienen sich Vorstände und Anteilseigner dumm und dämlich; und wenn was schiefgeht, springt der Staat mit Geld rettend ein, das er zuvor Fließbandarbeitern, Floristen und Friseurinnen abgenommen hat. Und wird dafür, wie man am Fall HRE gesehen hat, auch noch ausgebuht.

Irgendwie komisch, das alles - aber ich habe schon öfter erwähnt, dass ich kein Wirtschaftsexperte bin.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Lauwarme Buchstabensuppe

In ein paar Tagen wird das Europaparlament gewählt, und wir dürfen sogar mitmachen. Nachdem es nun schon seit einiger Zeit unmöglich ist, sich auch nur zwanzig Schritte weit von seinem Haus zu entfernen, ohne vor eine fußballfeldgroße Plakatwand zu rennen, die am Vortag noch nicht dagewesen war, könnte man ja mal die Gelegenheit nutzen, eine kurze vorgezogene Abschlussbilanz der Wahlslogans ziehen. Denn die sind größtenteils wieder mal eher peinlich geraten. Überraschung...

Frühere Generationen waren ja lange dem Irrglauben aufgesessen, auf Wahlplakaten gehörten Aussagen zu den politischen Zielen der Partei. Was für eine Schnapsidee! Damit überfordert man den Wähler doch total. Und unter designerischen Gesichtspunkten macht es ja auch viel mehr her, das übergroße Gesicht eines Kandidaten abzudrucken - nachdem man Augenringe und Pickel wegretuschiert hat selbstredend. Wenn schon unbedingt ein Slogan draufmusste, dann bitteschön ein so nichtssagender wie möglich. Klassiker des Genres: "Weltklasse für Deutschland" (Kohl/CDU), "Ich bin bereit" (Schröder/SPD) und - seinerzeit geradezu innovativ in seinem kompromisslosen Kasernenhofton - "Joschka wählen!" (Grüne).

2009 bleibt sich die CDU in dieser Hinsicht treu: "Wir in Europa". Äh, ja. Ihr seid in Europa, hab' ich mir doch gleich gedacht. Aber auch diese Nicht-Aussage lässt sich noch locker unterbieten: Man nehme die Visage des hiesigen Kandidaten - der wie alle Europapolitiker bei den Wählern vollkommen unbekannt ist und deshalb versucht, besonders seriös aus dem Anzug zu schauen, bei diesem Versuch allerdings scheitert - und schreibe "Europa-Mayer" darunter. Fertig ist das Wahlplakat, und ich sehe schon tausende Wähler, die am Sonntag im Gruppen zum Wahllokal marschieren und dabei inbrünstig "Eu-ro-pa-May-er! Eu-ro-pa-May-er!" skandieren.

Diese Vorgehensweise ist ebenso bedeutungslos wie auch schlau. Denn wenn die CDU in diesem Wahlkampf schon mal vereinzelt versucht, mit irgendwelchen konkreten Aussagen zu punkten, kommt so etwas dabei heraus wie "Für einen starken Euro" - wobei sie lieber nicht erwähnt, dass ein allzu starker Euro der immer wieder beschworenen Exportnation Deutschland eher schadet. Aber es ist ja immer so wenig Platz auf diesen Plakaten, da muss man sich auch mal kurz fassen. Also "Europa-Mayer".

Haken wir kurz die FDP ab, denn das geht schnell. Zumindest in meiner Stadt wirbt sie offenbar ausschließlich mit dem Namen und dem Portrait der hiesigen Kandidatin, die ebenfalls kein Schwein kennt. Aber was sollen die Liberalen auch sonst schreiben: "Für einen freien, ungezügelten Kapitalismus" etwa? Oder "Gegen Verrechtlichung der Finanzwirtschaft"?

Die SPD hingegen beschritt ganz neue Wege. "Finanzhaie würden FDP wählen", prangte es von der Wand, und das traf derzeit sowohl ins Schwarze als auch den Zeitgeist. Dieser ungewöhnliche Anflug von Kreativität hat sich aber nicht lange gehalten, denn die anderen Slogans aus dieser Serie tun weh: "Heiße Luft würde Die Linke wählen" oder "Dumpinglöhne würden CDU wählen". Aua! Klassische Fälle von schiefen Bildern. Jeder Zeitungsvolontär würde das um die Ohren geschlagen kriegen. Dumpinglöhne können nun mal nicht wählen; wenn, dann wählen die Leute, die Dumpinglöhne zahlen, also Ausbeuter - aber das klingt der SPD sicher zu klassenkämpferisch.

Trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise ist die SPD-Kampagne dennoch erbärmlich. Denn bei den Sozialdemokraten reicht es lediglich dazu, zu sagen, warum man andere Parteien nicht wählen soll. Es wird hingegen nicht gesagt, warum man denn die SPD wählen sollte! Vermutlich gibt es dafür auch keinen vernünftigen Grund und die Genossen wissen das. Und vermutlich ist ihnen die Kampagne dann auch irgendwann peinlich und die Plakate durch andere ersetzt worden - ich sehe zumindest keine mehr. Was für ein politisches Armutszeugnis.

Auch die Grünen wollten mal was frisches anbieten: "Mit Wums für ein besseres Europa!" Wenn man Glück hat, entdeckt man ein Plakat, auf dem auch aus einem vorbeifahrenden Auto heraus lesbar erklärt wird, was die Grünen uns eigentlich mit "Wums" sagen wollen. Wenn man weniger Glück hat, sieht man nur den Slogan "Ich unterstütze Wums" und fragt sich, ob die grünen Strategen ein paar Bildzeitungen gefressen haben. Wums hier, Wums dort - vermutlich hatte da ein PR-Berater die Finger im Spiel, der gerade die Uni verlassen hat und dem noch Begriffe wie "Wiedererkennungswert" und so in den Ohren klingeln. Dabei fällt ihnen nicht einmal auf, dass der Schornstein auf dem Klimaschutz-Plakat wie ein feuerndes Kanonenrohr aussieht - was mit dem Wort "Wums" äußerst lächerlich wirkt. Oder war das etwa beabsichtigt, so als "pfiffige Idee"? (Schön übrigens diese Repliken darauf).

Gleichwohl: Wenigstens sprechen die Grünen überhaupt Themen an, wenn auch nur mit drei oder vier Worten; und wenn im aktuellen Wahlkampf die CDU mit "Freiheit und Sicherheit" wirbt und die Grünen ihr Schäuble-Plakat direkt daneben platzieren, hat das ja auch seinen Reiz.

Mit dem Kleingedruckten haben's auch die Linken. Zwar bilden sie mit Slogans wie "Gleicher Lohn für Frauen", "Raus aus Afghanistan" und "Millionäre zur Kasse" zwar eine rühmliche Ausnahme, gewissermaßen das Salz in der lauwarmen Wahlslogan-Buchstabensuppe. Allerdings muss der geneigte Wähler, wenn er auch die dazugehörigen Argumente lesen will, erst anhalten, aussteigen und die Brille aufsetzen. Macht aber niemand, weshalb wohl eher die plakativen Überschriften im Gedächtnis bleiben und bei nächster Gelegenheit wieder als "Populismus" verschrien werden. Außerdem schießen die Linken mit dem Slogan "Rot wählen!" ein klassisches Eigentor: Rot ist immerhin auch die Farbe eines Mitbewerbers um die gut dotierten Parlamentssitze - und warum eigentlich Rot wählen, wenn das Plakat blau ist?

Fazit: Bis auf die Linken und - mit Abstrichen - die Grünen ein erfrischend sinnleerer Wahlkampf. Wer CDU wählt, tut dies, weil Papi es auch schon gemacht hat; wer SPD wählt, macht das, weil ihm genausowenig einfällt wie den Parteistrategen - und wer FDP wählt, dem ist eh nicht mehr zu helfen. Was bleibt, ist eine wieder mal grandiose Papierverschwendung und ein Vorgeschmack auf das, was da im Herbst auf uns zukommt.

Ich muss derweil erstmal den herben Schlag verdauen, dass der Wahl-O-Mat mir gesagt hat, ich solle SPD wählen. Da hilft es auch nichts zu sagen "Beruhige dich, Schatz, das passiert doch jedem mal." Nein, MIR passiert sowas sonst nicht.

Siehe hierzu auch Carluv und Roman.