Samstag, 31. Mai 2008

Das Imperium schlägt zurück

So, die Empörung über die Spitzel-Affäre bei der Telekom ist auf dem Höhepunkt - Zeit für die Bundesregierung, die Ärmel hochzukrempeln, die Muskeln anzuspannen und ein für alle Mal klarzustellen, wer hier verdammt noch mal für Überwachungen zuständig ist.

Innenminister Schäuble bittet die Telekom, weitere Konzerne und Unternehmensverbände am Montag zum Gespräch. Den Inhalt kann ich mir gut vorstellen: "Mensch, René, du Vollpfosten! Bei so was darf man sich doch nicht erwischen lassen! Nimm dir mal ein Beispiel an mir!" Und dann musste Obermann auch noch ausgerechnet einen Schnüffel-Dienstleister beauftragen, der ehemalige Stasi-Spitzel beschäftigt. Gut, rein betriebswirtschaftlich betrachtet ist es für eine Detektei natürlich sinnvoll, Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung zu rekrutieren. Aber Schäuble ist zu Recht sauer: Wenn in der politischen Auseinandersetzung schon das Wort Stasi fallen muss, dann - bitteschön - immer noch in Zusammenhang mit der Linken und nicht der Wirtschaft!

Nein, im Ernst: Das montägliche Gespräch beim Innenminister wird bestimmt kein Spaziergang für die Schlipsträger. Denn Schäuble droht damit, die tödlichste, gnadenloseste und unerbittlichste Waffe einzusetzen, die der Bund gegenüber der Wirtschaft besitzt: die Aufforderung, eine freiwillige Selbstverpflichtung zum Verzicht auf Überwachungen einzuführen.

Huah! Wie eingeschüchtert die Konzernlenker jetzt schon sind, lässt sich daran ablesen, dass eine ganze Reihe von Unternehmen ihre Teilnahme an diesem Gespräch abgelehnt hat... nein, quatsch. Vermutlich haben sie sich über diesen ebenso abgehalfterten wie auch dämlichen Lösungsvorschlag dermaßen kaputtgelacht, dass sie mit einem Milzriss im Krankenhaus liegen und deshalb nicht kommen können. Vom Oberbullen des Staates darum gebeten zu werden, freiwillig doch bitte davon abzusehen, Gesetze nicht zu brechen... da muss ich ja selbst lachen. Hat ja schon bei der FSK super geklappt.

Über das typische Getrommel der Abgeordneten, die schon länger nicht mehr in den Medien waren, will ich mich gar nicht auslassen. Nun gut, dass ausgerechnet Dieter Wiefelspütz (SPD), der sich vor nicht allzu langer Zeit als Fan der Vorratsdatenspeicherung geoutet hat, jetzt als Retter des Datenschutzes aufspielt, ist dann doch eher lächerlich.

Aber wie wär's denn damit, dieses Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung auf den Alltag zu übertragen? Wenn man dabei erwischt wird, mit dem Fahrrad auf dem linken Bürgersteig zu fahren, wird man künftig nicht mehr von einem zu kurz geratenen Gesetzeshüter mit hochrotem Kopf angebrüllt. Geht auch einfacher und freundlicher: ein paar Tage später wird man gemeinsam mit einer willkürlichen Auswahl von anderen Radfahrern, die gerade Zeit und Lust darauf haben, zum Gespräch mit Kaffee und Keksen beim Dorfpolizisten gebeten, wo dann alle doch bitte - aber freiwillig, ohne Druck - erklären sollen, dass es falsch war, links zu fahren und dass sie fürderhin darauf verzichten werden. Und dann geben sich alle die Hand, klopfen sich auf die Schultern und betonen, wie fruchtbar das Gespräch war. Und radeln nach Hause.

Auf dem linken Bürgersteig natürlich.

Freitag, 30. Mai 2008

Umweltschutz? Was das nur wieder kostet!

Wer im Internet so vor sich hin surft, findet erstaunliche Dinge. Manchmal auch amüsante, erschreckende oder verworrene Dinge. Und manchmal unglaublich bescheuerte. Die Rede ist von der hanebüchenen "Kyoto-Uhr", die nicht zuletzt auch von einigen Bloggern übernommen und völlig unreflektiert auf ihrer Seite eingebaut wird. Schließlich bewegt sich dann was auf der Website, und das ist ja immer gut.

Die "Kyoto-Uhr" listet, kurz gesagt, die Kosten auf, die das Kyoto-Protokoll angeblich nach sich ziehe, und die dadurch zu erwartende Reduzierung der globalen Erwärmung. Das Ding ist fürwahr ein Hingucker: Der aktuelle Kostenstand beträgt darauf knapp eine halbe Billion (!) Dollar und steigt immer weiter - pro Sekunde um rund 5000 Dollar. Sie steigt damit schneller als die Verschuldung des Bundeshaushaltes , sogar - kaum zu glauben - schneller als die Gaspreise. Auf der anderen Seite die Auswirkungen in Grad Celsius, um die die globale Erwärmung dadurch angeblich reduziert wird - eine Zahl mit beinahe ebenso vielen Stellen, allerdings hinter dem Komma und einer ganzen Menge von Nullen.

Soweit der plakative Effekt: Kostet offenbar ein Heidengeld, dieser Umweltschutzkram, und bringt gar nix, denkt der etwas unbedarfte Surfer beim Blick auf die "Kyoto-Uhr". Dieser Eindruck ist natürlich gewollt - und auch überhaupt kein Wunder, wenn man die Quelle dieses irrsinnigen Machwerks betrachtet: Die Website eines gewissen Steven Milloy, seines Zeichens Energie- und Tabak-Lobbyist und Abgesandter des Reichs des Bösen.

Es ist schon ziemlich beängstigend, wie einfach gestrickt Propaganda manchmal sein kann. Denn dieser Mann, der - nebenbei bemerkt - das Insektengift DDT, das zigtausende von Greifvögeln vernichtete, für eine super Sache hält, hat es gar nicht nötig, diese aberwitzigen Zahlen irgendwie zu belegen. Dieser Mann, der nebenbei auch noch als Korrespondent für den reaktionären TV-Sender Fox News tätig ist, will also die unterschiedliche Temperaturentwicklung (mit bzw. ohne Kyoto) für 42 Jahre im Voraus auf neun Stellen hinter dem Komma genau vorherberechnen können? Und: Woher kommen denn diese 500 Milliarden Dollar - und warum steigen sie so gleichmäßig, als handele es sich um ein festverzinsliches Darlehen?

Zumindest die vorletzte Frage kann ich beantworten. Milloy hat die Haare auf seinem Rücken gezählt, durch Pi mal Daumen dividiert und das Ganze anschließend mit dem Betrag, den er jeden Monat von Exxon erhält, multipliziert. Und wenn dann diese Kreatur, die einfach irgendwelche Zahlen herausrotzt und damit die Zerstörung des Planeten vorantreibt, sich auf ihrer Internetseite als Kämpfer gegen "Junk Science" - also pseudowissenschaftlich manipulierte Propaganda-Thesen - aufspielt, dann schlage ich vor, eine neue Maßeinheit einzuführen: das "Milloy". Damit könnte man das Maß an Niedertracht bezeichnen, das eine einzelne Person in sich vereinen kann.

Außerdem frage ich mich, ob man Milloys Haus nicht einfach mal mit einer Tankladung DDT besprühen sollte.

Donnerstag, 29. Mai 2008

Journalismus, made by Claus Kleber

Hoch ging es her, am gestrigen Mittwoch bei der Aktuellen Stunde im Bundestag. Thema: "Wie können wir der Linkspartei schaden, bevor sie noch mehr Wähler bekommt?" Die Antwort ist nicht besonders originell - die angebliche Stasi-Vergangenheit Gregor Gysis wird mal wieder hervorgekramt, der Staub heruntergepustet und die Papiere anschließend jedem um die Ohren geschlagen, der's wissen will. Grund genug für das ZDF-"heute-journal", die öffentlich-rechtliche TV-Version des Bayernkuriers, mit dem abgegriffenen Thema auch noch aufzumachen. Da können Artensterben oder Streubombenverbot vom Nachrichtenwert her natürlich nicht mithalten.

Mit einem aufgesetzten betroffenen-ernsten Gesichtsausdruck nölte Claus Kleber, der für "seine elegante, witzige und schlagfertige Art bekannte" Gysi habe Unterlassungs- und Gegendarstellungsdrohungen ausgesprochen, für den Fall, dass im heute-journal über die neuen Stasivorwürfe auch nur berichtet werde. "Wir berichten natürlich weiter, wie es unsere Aufgabe ist", warf sich der ölige Moderator in die Brust und fühlte sich für einen Moment offenbar wie eine Kreuzung aus Bob Woodward und Anna Politkowskaja. Ja, man lebt gefährlich als ZDF-Anchorman. Jetzt, wo der Bericht lief, wird Gysi Kleber vermutlich den Kopf seines Lieblingspudels ins Bett legen.

Aber sei's drum. Interessanter ist, wer hat sich alles mit Schaum vor dem Mund im Bundestag zu Wort gemeldet hat. Mal sehen, wie viele davon Sie kennen: Jörg Tauss, Carl-Christian Dressel, Stephan Hilsberg (alle SPD), Thomas Strobl (CDU), Wolfgang Wieland (Grüne), Christoph Waitz (FDP). Das ist, ähem, nicht gerade die erste Liga der Parlamentarier. Die Vorwürfe, die diese Hinterbänkler hinaustrompetet haben, sind dafür um so stärkerer Tobak: "Gregor Gysi hat für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet - das ist erwiesen", erdreistete sich der Tauss zu behaupten. Gysi habe "aufs engste mit dem MfS zusammengearbeitet", polterte Hilsberg. Und Strobl, der es vielleicht nicht so mit Wortgewandtheit hat, sprach einfach von "Sauerei".

Als Kronzeugin wird Marianne Birthler vor die Kamera geholt, die schon einmal für effekthascherische Schnellschüsse aufgefallen ist und die es ohnehin manchmal mit den IM-Vorwürfen nicht so genau nimmt. Das Ganze TV-gerecht aneinandergereiht, mit vorverurteilenden Andeutungen und suggestiven Formulierungen über die Reaktion Gysis angereichert und mit einer Prise Kleber'scher Selbstverliebtheit präsentiert - fertig ist der ZDF-Aufmacher. Und so jemanden wollte der Spiegel als Chefredakteur haben?

Dass es vornehmlich unbekannte Provinz-Politiker waren, die gestern im Bundestag ihr Haar geschüttelt haben, war im übrigen sicherlich kein Zufall. Die Partei-Prominenz hat aus gutem Grund Zurückhaltung geübt. Zwar haben Westerwelle, Schäuble und Schily vermutlich wutentbrannt jaulend an ihren Ketten gezerrt und wollten auch mal nach vorne, aber letztlich wussten sie genau: Was gegen Gysi vorgebracht werden kann, sind bislang unbewiesene Vorwürfe, aus denen einem jeder Jurastudent im ersten Semester einen Strick drehen kann.

In diesem Land hat man nämlich immer noch als unschuldig zu gelten, solange die Schuld nicht bewiesen ist. Stellt sich demnächst heraus, dass Gysi tatsächlich nicht für die Stasi gearbeitet hat, könnte das schließlich dem Ansehen des einen oder anderen Fraktionsvorstandes schaden - also schickt man lieber diejenigen in den Ring, die gar kein Ansehen zu verlieren haben, auf dass sie sich benehmen wie in einer Art Mischung aus Kindergarten und Volksgerichtshof.

Dienstag, 27. Mai 2008

Geld regiert die Welt - wer braucht da ein demokratisches Wahlrecht?

Ich hatte unlängst bereits erwähnt, dass es in der Politik keine Idee gibt, die zu beknackt ist, als dass sie nicht von jemandem gehabt und auch noch öffentlich vorgetragen wird. Die folgende Meldung haut einen aber so richtig vom Hocker: Der Vorsitzende des schwarzen Studentenvereins RCDS, Gottfried Ludewig (CDU), hat allen Ernstes eine Rückkehr zum Klassenwahlrecht gefordert. Er unterscheidet dabei zwischen "Leistungsträgern", die aufgrund ihres hohen Einkommens mehr Stimmen bekommen sollten, und jenen, die ohnehin nix tun und der Gesellschaft zur Last fallen, wie Arbeitslose und Rentner.

Wohlgemerkt: Dieser elitäre Schnösel, der auch von der Meinungs- und Pressefreiheit nicht allzuviel hält, zählt sich offensichtlich selbst zu den Leistungsträgern, obwohl er bislang noch nicht mehr auf die Beine gestellt haben dürfte, als sich in den AStA wählen zu lassen. Aber seine Zukunft als "Entscheider" scheint vorgezeichnet: Ich vermute mal ganz stark, dass es sich bei dem Schnulli um den Sohnemann von Ex-Bahnchef Johannes Ludewig handelt, der einen Sohn namens Gottfried hat. Dank Papis Geld und Einfluss bekommt der Sprößling eine gute Ausbildung und mit Sicherheit auch einen hochbezahlten Job.

Das heißt: Auch, wer einfach nur reiche Eltern hat, zählt im Weltbild dieses unangenehmen Zeitgenossen automatisch zur Elite. Was wiederum bedeutet, dass er eine (geld-)aristokratische Denkweise hat. Ein Christdemokrat, der wenig von Demokratie und noch weniger von christlicher Nächstenliebe hält - man könnte darüber lachen, wenn es nicht so eklig wäre.

Die Linke wird nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtet, weil sie den Kapitalismus - und ein paar von ihnen auch das parlamentarische System - nicht für der Weisheit letzten Schluss halten. Aber die Wahlen sind laut Grundgesetz nicht nur frei, unmittelbar und geheim, sondern auch allgemein und gleich - Ludewig (und damit der RCDS und letztlich die CDU, deren Bundesvorstand er angehört) legt damit offen verfassungsfeindliche Bestrebungen an den Tag, ganz zu schweigen davon, dass seine Forderung eine Verletzung der Artikel 1.1 und 3.1 GG bedeutet und geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu stören.

Schäuble, übernehmen Sie...

...ach so, falsche Partei. Tschuldigung.

Montag, 26. Mai 2008

Wer hat uns verraten? - Sozialdemokraten!

Gesine Schwan wird heute voraussichtlich für die Wahl zum Bundespräsidenten nominiert. Was die Frage aufwirft: Was fällt der SPD überhaupt ein, einen eigenen Kandidaten aufzustellen? Und dann auch noch eine Frau? Es geht hier schließlich um das Staatsoberhaupt! Wo kämen wir denn da hin, wenn jede x-beliebige Volkspartei daherkommt und Demokratie spielen will?

Gegenüber Horst Köhler ist das eine absolute Frechheit. Der Mann ist schließlich schon Präsident und versteht jetzt natürlich nicht, warum er es nicht einfach so bleiben kann. So wie Hunderte von Staatsoberhäuptern vor ihm. Mit Gegenkandidaten stiftet man doch nur Unfrieden - siehe Simbabwe.

Nein, wer so an den Grundfesten der Staatsraison rüttelt wie die Sozis, ist als Regierungspartei wohl wirklich nicht tragbar. Meinen jedenfalls führende CDU-Köpfe, holen den schon leicht abgewetzten Kommunisten-Knüppel hervor - Pofalla krakelt mit einem Edding auch noch NPD darauf - und dreschen los, was das Zeug hält. Selten hat es eine Koalition gegeben, in der der eine Partner den anderen derartig hasst. Ist schon wie bei einer kaputten Ehe, wo der geringste Anlass dazu genutzt wird, von Scheidung zu sprechen.

So geht das jedenfalls nicht weiter. Das Amt des Bundespräsidenten ist viel zu wichtig, um die Wahl mit zu vielen Kandidaten - also mehr als einem - zu verwässern. Und wenn wir schon mal dabei sind: Eigentlich gibt es ohnehin viel zu viele Parteien. Eine reicht doch.


P.S.: Für alle, die in dem Satz "Wenn die SPD sich ernsthaft dafür entscheidet, einen Kandidaten gegen Horst Köhler aufzustellen, macht sie sich zur Marionette der Linkspartei und der NPD" keinen Sinn erkennen: Fragen Sie Ronnie. Der freut sich über Anregungen und Anmerkungen.

Sonntag, 25. Mai 2008

Könnten Sie das nochmal wiederholen - langsam und zum mitschreiben?

Was ein Unternehmen von Weltgeltung sein will, braucht - neben Raffgier und Skrupellosigkeit - vor allem eines: einen ordentlichen Skandal. Siemens hat einen, VW sowieso - und jetzt hat auch die Telekom endlich einen. Nein, gemeint ist nicht der skandalöse Umgang des Konzerns mit seinen Kunden - die Telekom hat offenbar planmäßig die Gespräche von Managern und Aufsichtsräten belauscht. Selber schuld, ich wäre an deren Stelle ja längst zu einem anderen Anbieter gewechselt. Hunderttausende ehemalige Kunden können sich schließlich nicht irren.

Aber auch mißliebige Journalisten sollen Ziel des privatisierten Lauschangriffes geworden sein. Bin gespannt, wer das sein soll - ich lese jedenfalls nicht allzu oft kritisch-investigative Berichte über den rosa Konzern. Aber vielleicht hat die Telekom die wirklich gefährlichen Reporter beizeiten mit Betonschuhen schwimmen geschickt, wer weiß.

Eine Anmerkung dazu sei erlaubt: Jedes Jahr werden zig Millionen Gespräche abgehört, und die allermeisten davon werden nicht von Telekom-Managern geführt. Das Fernmeldegeheimnis ist - den Schäubles und Schilys dieser Welt sei Dank - ohnehin nicht mehr das Papier namens "Grundgesetz" wert, auf dem es geschrieben ist. Dass es jetzt auch noch von der Privatwirtschaft mit Füßen getreten wird, ist die Konsequenz aus dieser Entwicklung. Aber eigentlich verstehe ich den Aufruhr nicht - der Gedanke hinter der Belauschung von Telefonaten ist doch die Verbrechensbekämpfung. Na, und wenn Telekom-Manager keine kriminelle Ader haben ...

Mittwoch, 21. Mai 2008

Beleidigte Leberwürste und andere Gierschlunde

Ach, und noch was zum Thema Geld, weil's gerade so schön ist: Die Koalition verzichtet aufgrund der wütenden Proteste in der Öffentlichkeit auf die zusätzliche Diätenerhöhung. Vorerst jedenfalls, da sich die Abgeordneten bis auf weiteres nicht mehr in ihre Wahlkreise trauen. Chefredakteure landauf, landab klopfen sich auf die Schultern und aalen sich in dem Gefühl, ausnahmsweise mal wieder etwas bewegt zu haben. Dabei sollte so etwas eigentlich selbstverständlich sein, dafür sind Medien schließlich da - aber lassen wir das.

Viel interessanter sind nämlich die Nachwehen des Diätenstreits, die erneut die geballte Widerwärtigkeit der Weltbilder mancher Politiker aufzeigen. Und wieder kommt das Gezetere und Gegeifere vor allem aus dem schwarzem Block (dem im Bundestag natürlich). Hans-Peter Uhl (CSU) etwa findet es "unerträglich", dass es keine Erhöhung geben wird, und fordert den Kopf von Peter Struck. Und Jürgen Gehb (CDU) verkündete: "Der Eindruck in der Öffentlichkeit ist doch jetzt: Die Abgeordneten sind erst gierig und dann auch noch feige." Kurze Zwischenfrage: Wäre es Herrn Gehb lieber, die Abgeordneten würden als "erst gierig und dann arrogant" gesehen? Oder "gierig und kaltschnäuzig"? Wenn ein politisches Vorhaben aufgrund der öffentlichen Meinung fallen gelassen wird, hat das nichts mit Feigheit zu tun. Man fragt sich schon, was für ein Staats- und Demokratieverständnis solche Leute haben.

Am schönsten ist jedoch die Äußerung eines Mitgliedes des CDU-Fraktionsvorstandes, dass lieber nicht namentlich genannt werden möchte (und das aus gutem Grund): Er orakelte, die Kehrtwende der SPD werde "Rückwirkungen auf andere Gesetzesvorhaben haben". Daran zeigt sich ein weiteres Mal, wie in dieser Koalition Politik gemacht wird: durch nackte Erpressung. Auch wenn in diesem Fall die Drohung erst nach Abschluss des Verfahrens kommt: Die CDU wird also schon aus Prinzip irgendeinen Vorschlag kippen, egal ob dieser inhaltlich etwas mit Politikerbesoldung zu tun hat oder nicht. Die Sozis werden schon sehen, was sie davon haben!

Was darf's denn sein? Wird die Union ein mögliches neues NPD-Verbotsverfahren abwürgen? Müssen wir uns weiter mit den Nazi-Säcken herumschlagen, weil ein Unionspolitiker keine Taschengelderhöhung bekommen hat? Oder kippen die Christdemokraten den neuen Bußgeldkatalog für Verkehrssünder - was schlau wäre, da ja sowieso ständig besoffene CSU-Politiker am Steuer erwischt werden?

Nein, die Antwort ist klar: Den Mindestlohn wird es natürlich treffen. Damit erhält die ganze Geschichte noch eine nette Pointe: Wenn die Abgeordneten nicht mehr Geld kriegen dürfen, warum dann ausgerechnet die Friseure? Oder noch schlimmer - die Arbeitslosen? Sag' noch einer, auf der Regierungsbank herrsche kein Sinn für Gerechtigkeit.

Dienstag, 20. Mai 2008

Umfrage zum Armutszeugnis

Dreizehn Prozent der Deutschon gelten als arm, jeder vierte wäre es, wenn er nicht staatliche Leistungen in irgendeiner Form bekäme - so die Kernaussage des jüngsten Armutsberichtes für 2007. Warum nur kommt einem das so bekannt vor? Ganz einfach: Weil es ziemlich genau dieselben Zahlen sind wie 2005. Schon damals vermuteten Wohlfahrtsverbände, dass die Realität noch weitaus düsterer aussehe.

Die neuen Zahlen sind jedenfalls schon allein deswegen düsterer als die alten, weil vor zwei Jahren arm war, wer weniger als 938 Euro im Monat zur Verfügung hatte. Heute muss man schon mit nur noch 781 auskommen, um offiziell als arm zu gelten. Der Grund: Die Armutsgrenze richtet sich nach dem Durchschnittseinkommen, und das sinkt seit Jahren. Im Gegensatz zu Managergehältern.

Lustig ist es nun, wie die rechte Hälfte des Bundestages den Bericht nutzt, um ihre ohnehin schon ziemlich abgegriffenen Lieblingsvorhaben gebetsmühlenartig runterzuleiern: Steuersenkungen und Kombilöhne. Denn schließlich haben zahllose Umfragen unter Reinigungskräften, Wachpersonal und Hartz-IV-Empfängern ergeben, dass diese den hohen Spitzensteuersatz als größte Belastung empfinden. Außerdem werden Steuersenkungen natürlich zu Wirtschaftswachstum und Neueinstellungen führen und rhabarber rhabarber blah blah. Schlau ist daran vor allem der Plan, dem Staat durch Steuersenkungen erst die Einnahmen zu reduzieren, um anschließend durch Kombilöhne die Ausgaben hochzuschrauben.

Mit welcher Verachtung manche Parlamentarier offenbar auf den niederen Urnenpöbel herabblicken, wenn sie davon ausgehen, dass man ihm derartigen Mist vorsetzen kann. Aber es soll nicht heißen, dass Blogger immer nur schimpfen und nie etwas tun. Ich habe daher eine Umfrage gestartet, in der verschiedene konstruktive Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut zur Wahl gestellt werden. Also bitte.

Montag, 19. Mai 2008

Die Lizenz zum Peitschen

Wenn ein 68-jähriger Mann an einer Orgie teilnimmt, die im wesentlichen darin besteht, dass Prostituierte in Naziuniform anderen Prostituierten, die KZ-Klamotten tragen, per Peitsche den Hintern versohlen, dann muss man sich schon ernstlich fragen, was in der Erziehung dieses Mannes schief gelaufen ist. Bei Max Mosley lautet die Antwort: nichts - vermutlich ist das die Erziehung, die ihm sein alter Herr, der britische Obernazi Oswald Mosley, dereinst angedeihen ließ.

Diese Geschichte ist nicht nur unappetitlich, sondern auch schon ein paar Wochen alt. Neu ist hingegen die Meldung, dass ein britischer Geheimagent nebst Gemahlin offenbar in die Geschichte verwickelt ist. Nun, die Zeiten, als britische Spione ständig die Welt vor wahnsinnigen Superschurken retten mussten, sind wohl vorbei. Heute reicht es nur noch für hochgradig perverse Großväter - so scheint es jedenfalls.

Klingt eigentlich wenig verwunderlich: Der Sprößling vom Faschistenführer vergnügt sich mit Nazi-Sexspielen. Mich kann der MI5 aber nicht täuschen: Allzu eilfertig entledigte man sich des betreffenden Agenten und bemühte sich, die Hände in Unschuld zu waschen. Wenn man aber nun bedenkt, dass der hinausgemobbte Agent für die Beobachtung russischer Spione (!) zuständig war - dann, ja dann ergibt alles einen Sinn; vom Kennedy-Mord über die gefakete Mondlandung bis hin zu 9/11.

Max Mosley ist also zweifellos vom Geheimdienst ihrer Majestät in eine Falle gelockt worden, da man aus naheliegenden Gründen keinen KGB-Mann an der Spitze des mächtigen Automobilverbandes FIA dulden konnte. Es ist ja schon schlimm genug, dass mit Bernie Ecclestone ein Außerirdischer dafür sorgt, dass die letzten Mineralölvorräte der Welt dafür verplempert werden, dass Autos immerzu im Kreis fahren.

Mosleys teuflischer Plan, alle Formel 1-Wagen auf einen Schlag durch Kirovez-Traktoren zu ersetzen, ist vorerst gescheitert. Gewitzt eingefädelt, schließlich hätte niemand vermutet, dass der Mann mit dem comichaften Namen ein verkappter Bolschewik ist. Nicht bei der Familiengeschichte. Wenn das der Papi wüßte.

Freitag, 16. Mai 2008

Die kleine humoristische Welt des Ingo A.

Uh-oh, diplomatische Verwicklungen im gesellschaftspolitischen Bereich stehen an. Bespaßungsschmalzlocke Ingo Appelt, dessen Durchbruch als intellektuelle Instanz weiterhin auf sich warten lässt, bekommt einen bösen Brief vom Bundestagsabgeordneten Beck - nein, nicht von SPD-Problembär Kurt, sondern vom Grünen Volker.

Beck ist not amused, dass der selbsternannte Comedian Appelt, der seinen Bekanntheitsgrad im Wesentlichen durch inflationäre Verwendung des Wortes "ficken" aufgebaut hat - womit auch so ziemlich sein komplettes Humorverständnis hinreichend umschrieben ist -, in einer Hauptschule gemeinsam mit den Schülern sang:

"Hauptschule ist cool, Abitur ist schwul."


Verneigen wir uns ehrfürchtig vor dieser messerscharfen philosophisch-soziologischen Analyse der Mängel im deutschen Bildungssystem... Jetzt mal abgesehen davon, dass Appelt damit die gesellschaftliche Akzeptanz von Homosexualität in einem Milieu torpediert, das ohnehin nicht gerade symbolisch für den friedlich-lockeren Umgang mit Schwulen und Lesben steht - was fällt dem Mann eigentlich ein, den Hauptschülern jegliche Motivation, vielleicht doch das Abi zu machen, aus dem Brägen zu johlen? Ist es nicht schon schlimm genug, dass die meisten von ihnen ohnehin keine vernünftigen Perspektiven geboten bekommen? Brauchen sie da wirklich noch diesen erbärmlichen, selbstverliebten, homophoben Vollpfosten, der mit dahingerotzten Zweizeilern auch noch Kapital aus der Bildungsmisere ziehen will?

Nun, für alle Hauptschüler, die schlechte Noten haben oder kurz davor sind, die Schule aus Gründen der Coolness hinzuschmeissen, habe ich auch etwas gedichtet:
"Was cool ist und was nicht,
seht ihr an diesem doofen Wicht.
Seht zu, dass ihr euch berappelt,
sonst endet ihr wie Ingo Appelt."

Donnerstag, 15. Mai 2008

Mediales Katastrophenmanagement

"Wo ist die Geschichte? Ich sehe die Geschichte nicht!" - fragte der BILD-Hannover-Chefredakteur in Günter Wallraffs legendärer Langzeitreportage "Der Aufmacher". Ein journalistisches Prinzip, das sich offenbar nicht nur auf Revolverblätter beschränkt.

Gestern abend, ARD-Tagesthemen: Caren Miosga berichtet über das Erdbeben in China. Vorausgegangen waren offensichtlich längere Diskussionen in der Redaktion, wie man dieses Thema anpackt, denn die üblichen Aufreger - Hilfeleistung rollt nur schleppend an, Versagen der Regierung, Regime hüllt sich in Schweigen - funktionierten in diesem Fall nicht. Vermutlich gibt es unter den Schwellenländern keinen Staatsapparat, der in solchen Fällen effizienter arbeitet als der chinesische.

Also pickt man sich andere Details heraus und wundert sich, dass die chinesische Regierung so offen mit der Katastrophe umgeht, statt sie weitestgehend unter den Teppich zu kehren, und darüber, dass Ministerpräsident Wen Jiabao äußerst betroffen wirkt. Da gibt es aber nichts zu wundern: Wen ist schließlich kein Roboter, und in einem guten Vierteljahr ist China Gastgeber für die ganze Welt - da kann man es sich kaum mehr leisten, die Karte "geheimnisumwittertes Reich der Mitte" zu spielen. Außerdem hat die chinesische Regierung dank dieser Fernsehbilder, die um die Welt gehen, vermutlich bis zum Beginn der Olympischen Spiele Ruhe vor den Themen "Tibet" und "Menschenrechte" - klingt pervers, ist es auch, wird aber wohl trotzdem so kommen.

Nachdem China adäquat nachrichtentechnisch abgehandelt worden war, wandten sich die Tagesthemen Katastrophe B zu, die nach den festen Regeln der Medienbranche wegen ihres Alters und der bisherigen Sendeminuten unerbittlich nach hinten wandert: Birma, Burma oder Myanmar; da ist man sich selbst innerhalb einer Redaktion oftmals nicht einig. Da macht Frau Miosga große Augen, setzt einen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck auf und fragt, warum denn die Deutschen so wenig für diese Region spenden. Nein, wir wollen jetzt keine unappetitlichen Vergleiche mit anderen Katastrophen aufstellen, ich kann das auch so beantworten: Weil sämtliche Nachrichtenredaktionen, egal ob TV oder Print, vom ersten Moment der "Nargis"-Berichterstattung ihren Zuschauern und Lesern eingehämmert haben, dass Hilfe dort nicht ankomme bzw. die Generäle das Geld für sich einstecken würden. Dann bleibt das Portemonnaie eben in der Tasche - und ich habe den deutlichen Eindruck, dass das "Tagesthemen"-Team das gestern endlich gemerkt hat und gegensteuern wollte.

Mal sehen, ob es was gebracht hat. Schön war jedenfalls der Kommentar von Stephan Wels über die Betroffenheitsarithmetik: "Naturkatastrophe schlägt Kriegskatastrophe, Urlaubsregion schlägt Allerweltsland" - und Afrika wird sowieso von allem geschlagen. Und nun zum Spielfilm.

Mittwoch, 14. Mai 2008

Grußworte zum 125. Todestag von Karl Marx, Folge 4

"Die internationalen Finanzmärkte haben sich zu einem Monster entwickelt, das in die Schranken gewiesen werden muss."
Horst Köhler, Bundespräsident und Ex-IWF-Chef

Dienstag, 13. Mai 2008

Viel Lärm um... ja, was eigentlich?

Der Sommer kommt, die Schwalben fliegen tief, über Birma will niemand mehr etwas lesen - Zeit für den nächsten Hitlervergleich. Die Akteure: Hugo Chávez, meistgehasster Staatschef der kapitalistischen Welt, als Provokateur und Angela Merkel in ihrer angestammten Rolle als Opfer. Und wieder wird Zeter und Mordio geschrien, was natürlich auch irgendwie klar ist; niemand wird schließlich gerne mit Hitler in einem Atemzug genannt. Aber in diesem Fall hatte der wirre Hugo gar nicht so unrecht.

Merkels Partei gehöre zu "derselben Rechten, die Hitler und den Faschismus unterstützt hat", polterte Chávez. Nun, die CDU ist mit Sicherheit keine linke Partei, da sind wir uns alle einig. (Wer dem nicht zustimmt, darf diese Seite jetzt gerne verlassen.) Und dass Hitler von Teilen der bürgerlichen Rechten, aus der die CDU später hervorgehen sollte, schon vor 1933 Unterstützung erfuhr, ist auch kein großes Geheimnis. Und dann waren da noch Kiesinger und Filbinger.

So weit, so bekannt also. Der ausgewachsenen Dämlichkeit und Sinnlosigkeit der Bemerkung Chávez' tut dies jedoch keinen Abbruch. Also, Hugo, alte Säge: Wenn du schon führende deutsche Politiker in die Hitler-Ecke stellen willst, dann bleibe doch bitte wenigstens realistisch - und wenn es schon unbedingt sein muss, such' dir ein passenderes Ziel, z.B. Wolfgang Schäuble. Was, den kennst Du nicht? Du Glücklicher.

Montag, 12. Mai 2008

Bei der Bahn kann man noch Karriere machen...

Nachträglich die besten Wünsche für den wohlverdienten Ruhestand an den ehemaligen Oberlokführer Manfred Schell. Gerne würde ich sagen, dass der Ex-GDL-Chef mit seinem kompromisslosen Kampf für einen eigenen Tarifvertrag meinen Glauben an die Gewerkschaften ein klein wenig wiederhergestellt hat. Das hat er auch, wenigstens für einen kurzen Moment - da rückte plötzlich ein gewisser Norbert Hansen auf die Bühne und machte diesen Effekt sogleich wieder zunichte.

Hansen bekam in dieser Woche die Belohnung dafür, dass er "seine" Bahngewerkschaft Transnet frühzeitig auf Mehdorn-Linie getrimmt hatte und sowohl den mageren Tarifvorstellungen der Bahn als auch der bevorstehenden Privatisierung zustimmte. An der Umsetzung von beiden Punkten ist er nunmehr als frisch ernannter Arbeitsdirektor der Bahn maßgeblich beteiligt.

Und legt gleich munter los: 9000 Arbeitsplätze sollen in bis zu 30 neue Tochterunternehmen der Bahn ausgegliedert werden, gab Neu-Manager Hansen (zur Erinnerung: der bis Mittwoch noch Arbeitnehmervertreter war!) bekannt. Was das für die Beschäftigten bedeutet, ist nach zahllosen ähnlichen Vorgängen in allen möglichen Branchen hinlänglich bekannt: Alte Tarifverträge zählen in Tochtergesellschaften nicht mehr - auch der nicht, den Hansen selbst noch vor kurzem ausgehandelt hat.

Den betroffenen Beschäftigten wird es aller Voraussicht nach und allen Lippenbekenntnissen zum Trotz ans Portemonnaie und an die Freizeit gehen - bin mal gespannt, wie Hansen seinen Ex-Genossen das erklären wird.

Dienstag, 6. Mai 2008

Schluss mit den Hungerlöhnen!

... dachten sich die Bundesparlamentarier und genehmigten sich eine weitere Diätenerhöhung, nur ein halbes Jahr nach der letzten. Schön finde ich dabei, dass jedesmal gute Gründe vorgebracht werden, die die teils saftigen Erhöhungen rechtfertigen sollen: War es im November noch das Alibi, die Diäten an das Gehalt "einfacher Bundesrichter" anzugleichen, so muss nun der Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst herhalten. Ich frage mich, ob ver.di das im Sinn hatte, als die Gewerkschaft um höhere Löhne für Krankenschwestern und Busfahrer stritt.

Dieser Tarifabschluss datiert übrigens vom 31. März 2008, ist also gerade mal fünf Wochen her. Schön, dass die Politik doch noch fähig ist, schnell zu arbeiten und ohne lange Debatten zügig zu Ergebnissen zu kommen. Auch da hat sich das Vorzeige-Revolverblatt der Republik unlängst gründlich geirrt.

Warum ein Abgeordneter nun zwingend so viel verdienen muss wie ein Bundesrichter, ist mir aufgrund des doch recht unterschiedlichen Arbeitsprofils beider Seiten allerdings nicht wirklich schlüssig. Egal - Ich hoffe nur, dass es nicht im Sommer heißt, die Diäten müssten auf das Gehalt "einfacher Fußball-Nationalspieler" angehoben werden.

Sonntag, 4. Mai 2008

Erst wenn der letzte Arbeitslose einen Minijob hat, werdet ihr sehen, dass man McKinsey nicht essen kann

Vollbeschäftigung sei also möglich, meinen die Wirtschaftspropagandisten von McKinsey in ihrer Studie Deutschland 2020, um die sie niemand gebeten hat. Und das Erfolgsrezept dazu lautet - Überraschung! - eine unternehmensfreundliche Politik seitens der Regierung, die damit die Grundlage für mehr Wachstum schaffen soll, was in der Folgezeit zu explosionsartig steigenden Löhnen führen werde.

Vollbeschäftigung ist indes nicht nur ein höchst dehnbarer Begriff, sondern vor allem ein Heilsversprechen ohne jede Substanz. Sicher ist die Vollbeschäftigung ohne großen Aufwand zu erreichen, und die Bundesregierung und die ihr angeschlossenen Behörden tun eine ganze Menge dafür: die Arbeitsmarktstatistiken frisieren, die Neo-Sklaverei namens Leiharbeit ebenso wie den berüchtigten Niedriglohnsektor - was früher einmal kurz und griffig "Ausbeutung" genannt wurde - nach Kräften fördern sowie Autobahnen bauen. Das hat schließlich schon mal geklappt.

Das neuerliche Bramarbasieren über Vollbeschäftigung klingt einmal mehr so, als handele es sich dabei um einen Selbstzweck. Aber was nutzt es dem Einzelnen, wenn die Arbeitslosenquote unter soundso viel Prozent sinkt, man selbst aber trotz Arbeit nicht über die Runden kommt? Man kann nämlich für sich persönlich durchaus "voll beschäftigt" sein und 40, 50 oder 60 Stunden pro Woche in zwei oder drei Jobs arbeiten und trotzdem die Miete nicht zahlen können. Wenn nun Politik und Wirtschaft blühende Landschaften Vollbeschäftigung in absehbarer Zeit versprechen, dann drängt sich doch der leise Verdacht auf, das von den wirklichen Problemen - den seit Jahren sinkenden Reallöhnen und dem massiven Sozialabbau - abgelenkt werden soll.

Aber halt, schreit McKinsey an dieser Stelle, letztendlich führt unser Plan doch bis 2020 zu höheren Löhnen! Ja, sicher. Als ob diese Idee besonders neu wäre: wir tätscheln und streicheln die Unternehmen ein paar Jahre lang, bis deren schwarze Kassen so richtig doll klingeln, und DANN werden sie mit dem verdienten Geld neue Leute einstellen, die Löhne anheben, die Wochenarbeitszeiten bei Lohnausgleich reduzieren und ihren Mitarbeitern Nektar und Ambrosia in der Kantine darbieten. Is klar.

Zur Erinnerung: McKinsey ist ein Wirtschaftsberatungskonzern. Das sind keine gesellschaftspolitischen Visionäre oder von einer besseren Welt träumende Revolutionäre. Wenn sich diese Büttel des Kapitals nun ins Rampenlicht drängeln und - ohne rot zu werden! - die düstere Prophezeihung treffen, dass, wenn man den Unternehmen nicht noch mehr Geschenke mache, nun auch die Mittelschicht in die Armut abrutschen würde, nachdem man mit der Unterschicht ja schon fertig ist, dann - ja, dann fallen mir für diese Leute nur noch Worte ein, die gleich mehrere Straftatbestände erfüllen würden.

Samstag, 3. Mai 2008

Das Wort zum Tag der Pressefreiheit

Die Unesco hat den 3. Mai vor 14 Jahren zum "Tag der Pressefreiheit" erklärt - zur Erinnerung daran, dass in vielen Ländern Journalisten wegen ihrer Berichterstattung in Haft sitzen oder getötet werden. Derzeit sitzen weltweit 129 Journalisten hinter Gittern; die meisten von ihnen in einem Land, in dem die Welt in wenigen Monaten ein Fest des Friedens zu feiern gedenkt.

Ein durchaus ambivalentes Thema, wie ich finde. Denn wer träumt nicht davon, einmal Kai Diekmann in einem heruntergekommenen Verlies mit feuchtem Mauerwerk und einem muffigen Strohlager zu sehen, in dem er sich das steinharte Brot und das brackige Wasser mit einigen Ratten teilen muss und er einmal pro Monat an einem Pranger auf dem Marktplatz gestellt wird, wo faule Eier und Tomaten unentgeltlich vom Presserat zur Verfügung gestellt werden?

Es liegt mir fern, das Thema der unterdrückten Presse- und Meinungsfreiheit hier bloß veralbern zu wollen. Aber es reicht nicht aus, als parlamentarisch-demokratischer Gutmensch ohnmächtig die Faust in Richtung China oder Kuba zu schütteln, denn auch vor der eigenen Tür sieht es schließlich nicht besonders gut mit der Pressefreiheit aus. Stichwort Selbstzensur: Wie 9/11 und Antiterrorkampf bewiesen haben, muss man so manchen westlichen Journalisten nicht erst in ein Kellerloch werfen oder auch nur mit einem derartigen Schritt drohen, um ihn oder sie auf Linie zu trimmen. Und das ist mitnichten nur mehr ein Problem US-amerikanischer Zeitungen und TV-Sender im Rahmen der diversen Kriege im mittleren Osten, sondern es hat längst Europa erreicht - Stichwort Mohammed-Karikaturen und die Berichterstattung darüber.

Ob sie nun einem ausufernden Patriotismus oder überzogenem Sicherheitsdenken unterworfen wird: Die Pressefreiheit ist auch dort in Gefahr, wo bewusst auf das Recht der freien Meinungsäußerung verzichtet wird, sei es nun durch behördliche Weisungen, Vorgaben der Geschäftsführung oder gesellschaftlichem Druck - und nicht nur in den Ländern, wo Journalisten tatsächlich eingesperrt werden.

Aber Diekmann einzukerkern und den Schlüssel wegzuschmeissen, ist trotzdem keine schlechte Idee.

Hinterher ist das Geschrei groß - und dann will's keiner gewesen sein

Wieder vier Wochen um, Zeit für die Auswertung der Umfrage des Monats. Dieses Mal ist das Ergebnis so undurchsichtig wie die Publikumsfrage bei "Wer wird Millionär", deshalb lassen wir mal eine Kombination aller Antworten als Volksmeinung gelten. Also: Wenn die Linkspartei den Sprung in noch mehr westliche Landtage schaffen sollte, wird die Mark - die sich immerhin jeder Dritte offenbar zurückwünscht - keine fuffzich Pfennig mehr wert sein und außerdem die Russen einmarschieren; was aber ohnehin keine Rolle mehr spielt, weil das Universum durch etwas völlig anderes und noch unbegreiflicheres ersetzt werden würde.

Soll hinterher keiner behaupten, er habe die Risiken nicht erkannt. Ich für meinen Teil habe den Rat eines Teilnehmers befolgt und bin nach "drüben" gegangen, so "drüben", wie man in diesen Zeiten überhaupt noch sein kann. Aber dazu ein anderes Mal mehr.

Die neue Umfrage befasst sich einmal mehr mit meinem Langzeit-Lieblingsthema, der Olympischen Flamme. Viel Spaß.