Freitag, 17. Februar 2012

Letzter Lagebericht aus der Wulffs-Chance

So, jetzt noch ein paar Tage lang Post-Wulff-Aufmacher ertragen, dann haben wir's hinter uns. "Endlich", atmen zahllose Bürger und auch viele Medien auf, sogar die, die federführend an der großen Berichterstattungsorgie beteiligt waren. Nur der Tonfall ist jeweils anders: Während die meisten Bürger ihr "Endlich" eher erleichtert seufzten, weil das Thema sie längst nervte, können die Journalisten ihr "Endlich" mit geschwellter Brust und emporgereckter Faust schmettern. Zu Recht, denn was sie erreicht haben, ist so bedeutend, dass man es erst mittelfristig richtig wird ermessen können. Sie haben der schwächelnden demokratischen Kultur in diesem Land die Defibrillatoren aufs Herz gesetzt und abgedrückt.


Also, was war das jetzt? Eine bloße Hetzjagd, wie manche - glücklicherweise nur wenige - behaupten? Bestimmt nicht, das ist eine ebenso beleidigte wie bescheuerte Behauptung. Es war Wulffs Fehlverhalten, das ihn zu Fall brachte, keine Hetze. Was dann? Eine strategische Politdemontage durch die Medien, wie andere - glücklicherweise auch nicht besonders viele - unterstellen? Moralinsaure Selbstbefriedigung einiger Leitartikler? Eine Schmierenkomödie? Und wenn ja - wer war der Schmierige? Der Präsident oder die Presse - oder gar beide? Die Antwort ist ganz simpel und wird den einen oder anderen überraschen - das Ganze war eine Entscheidungsschlacht der Gewalten. Und die haben die Guten gewonnen. Die Guten, das muss man erklären, weil nicht jeder von allein darauf kommen wird, sind hierbei die Medien, die ihn absägen wollten - also die allermeisten im Lande.

Aber das ist kein Sieg, der bloß der redaktionellen Eitelkeit dient, auch keinem journalistischen Selbstzweck. Es ging um viel, viel mehr; es stand nichts weniger als das Machtverhältnis zwischen erster und vierter Gewalt im Staate auf dem Spiel, ein Machtverhältnis, das, sobald es zugunsten der ersten Gewalt ausschlägt, stets den Weg zur Diktatur ebnet. Die vierte Gewalt - die Medien - hätte diesen Kampf um keinen Preis verlieren dürfen, die Folgen wären unabsehbar gewesen. Deshalb und nur deshalb haben die Sender, Websites und Blätter ihn immer weitergeführt, immer neue Attacken geritten, sind immer wieder in die Offensive gegangen und haben in Kauf genommen, ihren Lesern und Zuschauern immer mehr auf den Sack zu gehen.

Was wäre passiert, wenn sie irgendwann aufgegeben hätten? Es hätte eine fatale Signalwirkung gehabt. Es hätte gezeigt, dass die Medien letztlich am kürzeren Hebel sitzen. Dass sie zwar nölen können, wie sie wollen, aber nicht die Macht haben, einen Repräsentanten der Politik, dem sie Fehlverhalten nachweisen konnten, aus eigener Kraft zu Fall zu bringen. Dass Vertreter des Staates oder der Politik einfach nur lange genug durchhalten müssen, um letztlich mit kleineren Skandälchen durchzukommen.

Kurz: Dass die Entscheidung darüber, ob eine Affäre so schlimm ist, dass ein Kopf rollen muss, bei demjenigen liegt, der diesen Kopf auf den Schultern trägt.

Noch kürzer: Es drohte die Berlusconisierung der deutschen Gesellschaft.

Stattdessen ist nun die Zeit des Verdreckte-Stecken-Reinigens durch simples Aussitzen vorbei. Die Verschleppungstaktik, mit der ein Schäuble noch vor wenigen Jahren durchgekommen ist - Sie erinnern sich an die 100.000 Mark? - ist passé. Man kann sich nicht mehr hinter der - ohnehin bloß konstruierten - "Würde des Amts" verschanzen. Jeder kann stürzen, auch der Inhaber des höchsten Staatsamts. Diese Erkenntnis ist existenziell für das Funktionieren einer Demokratie. Sie macht das System zwar nicht gerechter oder auch nur sauberer, aber sie verwässert wenigstens die hochtoxische "Die da oben"-Resignation, die die politische Kultur langsam zu vergiften droht.

Deshalb ist das "Endlich!" eigentlich die grundfalsche Reaktion. Es müsste heißen: "Who's next?", während man die Ärmel hochkrempelt und vor Lust, den Saustall weiter aufzuräumen, geradezu bebt. Das werden auch diejenigen eines Tages kapieren, die jetzt herumlamentierten, sie hätten "es nicht mehr hören" können. Diese Leute sollten froh sein, dass sie es gehört haben, dass sie gar nicht anders konnten als es täglich zu hören. Die Alternative ist nämlich mehr als gruselig, sie bestünde aus einer Gesellschaft, in der es nur noch zu müden Protesten reicht, in der Medien zahnlose Kämpfe führen, in denen sie schon nach wenigen Tagen kapitulieren müssen, in der Genervtheit höher bewertet wird als Moral. Was in den letzten Wochen geschehen ist, hat uns ein Stückchen von dieser Alternative weggeführt, und ich persönlich bin den Medien dafür dankbar.

Klar: Zu irgendeinem Zeitpunkt hat jeder von uns die Augen verdreht, wenn er den Namen "Wulff" gehört oder gelesen hat. Bis repetita non placent, Wiederholungen gefallen nicht, wusste schon Cäsar, und vielleicht hat Wulff genau darauf spekuliert: Dass die Kampagne nach zwei, zweieinhalb, vielleicht auch drei Wochen würde abebben müssen, weil dann die nachrichtliche Halbwertszeit überschritten und die Leserschaft adäquat angepisst ist. Das klappt sonst schließlich immer, deshalb lasen wir auch nie wieder etwas über Darfur, Haiti oder die Hypo Real Estate. Man sollte nicht genervt, sondern dankbar sein, dass die Medien in Sachen Wulff aus ihrem aberwitzig überdrehten Newsmaschineriewahn ausgebrochen sind und einmal, wenigstens ein einziges Mal ein Thema konsequent weiterbedient haben. Seien wir mal ehrlich: Ist das nicht etwas Schönes?

Es besteht eine gute Chance, dass es künftig Leuten wie Wulff nicht mehr so einfach fallen wird, auf eine immer kürzere Interesse- und Aufmerksamkeitsspanne der Medienrezipienten zu setzen. Denn die große Präsidentenabsägung hat letztlich Modellcharakter; handelte es sich um ein technisches Projekt, würde man von einem Prototyp sprechen - die sind bekanntlich immer aufwendiger produziert als das Serienmodell, dass dann in der Regel auch noch reibungsloser funktioniert. Während es diesmal noch nötig war, dass 90 Prozent der deutschen Medienlandschaft ein Vierteljahr lang herausrotzen, was die Rohre hergeben, wird das beim nächsten Mal schneller gehen. Weil der Delinquent weiß, dass er aus der Nummer nicht herauskommt.

Schließlich haben alle gesehen, zu was für einer erbärmlichen Schießbudenfigur Wulff am Ende dieser elend langen Geschichte degeneriert war. Das will keiner nachmachen.

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