Mittwoch, 23. Juli 2014

Ein Stimmchen für Papa, eins für die Mama ...


Normalerweise kommen die haarsträubendsten Ideen im politischen Diskurs ja eher von Hinterbänklern oder profilierungssüchtigen Nachwuchskräften - um so bemerkenswerter, dass der neueste Angriff auf demokratische Grundfeste von einer durchaus zentralen Figur der Union kommt, nämlich von Jens Spahn. Der nutzt die Beschwerde einer Gruppe von Minderjährigen gegen das Wahlalter von 18 Jahren beim Bundesverfassungsgericht, um für ein von ihm favorisiertes Wahlrechtsmodell zu werben: das Familienwahlrecht. Er packt das in salbungsvolle Worte: "Unsere Demokratie ist erfolgreich, sie muss sich aber auch gesellschaftlichen Veränderungen anpassen." Ich aber sage: Wer davon spricht, eine Demokratie "anpassen" zu müssen, unternimmt den ersten Schritt zu ihrer Aushebelung.

Denn was Spahn da vorhat, verstößt gegen gleich mehrere Verfassungsprinzipien. "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt", heißt es in §38(1) GG. Nun: das "unmittelbar" müsste beim Familienwahlrecht gestrichen werden, das "geheim" auch. Und eigentlich das "frei" und "gleich" ebenfalls, was ich näher ausführen möchte.

Das "Familienwahlrecht" - der Begriff könnte einen Euphemismuspreis gewinnen - funktioniert, kurz gesagt, so: Jedes Kind bekommt von Geburt an eine Stimme; da es aber nicht wählen darf, geben die Eltern bis zu seinem 18. Geburtstag an seiner Stelle seine Stimme ab. Und zwar bei jedem einzelnen Kind. Bei einer bayrischen Bergdorffamilie kommt da eine Menge zusammen.

Ich will gar nicht lange davon anfangen, dass meine Eltern seinezeit mit Sicherheit meine Stimme schlicht geklaut oder zumindest unterschlagen hätten - denn meine Wahlentscheidungen, die ich so etwa ab zwölf getroffen hätte, wären nie dieselben gewesen wie die meiner Eltern. Nicht einmal annähernd. Und da dies keineswegs ein isoliertes Einzelbeispiel darstellt, sondern eher den Normalfall - gute Güte, wie viele 16-Jährige sind denn schon derselben politischen Meinung wie die Eltern? -, stellt sich die zwangsläufige Frage: Was passiert mit der Stimme, wenn die Eltern sie gewissermaßen mit ins Wahllokal nehmen?

In der Gedankenwelt der Familienwahlrechts-Apologeten passiert folgendes: "Es widerstrebt mir zutiefst", denkt da etwa der strammschwarze Hühnerzüchter aus dem Cloppenburgischen, "aber Finn-Elias findet den Gysi so sympathisch und will gerne die Linke wählen - da muss ich seinen Wunsch natürlich ernst nehmen"? Wer das glaubt, hält auch die Existenz eines Weihnachtsmannes zumindest für denkbar.

In rhetorischem Sinne greift auch Spahn diese Problematik auf. "Natürlich kann es sein, dass Eltern sich nicht einigen können, wie sie die Stimme abgeben", schreibt er und bringt unwissentlich den springenden Punkt zur Sprache: Dass sich eben die Eltern untereinander einigen und nicht die Eltern mit dem Kind. Aber Spahn wischt das nonchalant zur Seite: "Aber das können sie vielleicht auch heute schon in der Frage des richtigen Kindergartens nicht – und finden doch eine Lösung." Demokratische Grundprinzipien mit einer Kindergartenentscheidung zu vergleichen - nicht schlecht, Herr Spahn. 

Das ist längst nicht die einzige Argumentationsschwäche in dem Text. Spahn: "Es ist in anderen, deutlich älteren Demokratien wie dem Vereinigten Königreich vollkommen normal, dass jemand einem anderen eine Vollmacht ausstellt, an seiner statt zu wählen." Das ist hier natürlich ebenfalls möglich, auch aus gutem Grund. Der lautet aber nicht: "Weil der kleine Stinker in den vollgepupten Windeln noch nicht weiß, wie man CDU buchstabiert." Die Möglichkeit der Erstellung einer Wahlvollmacht basiert auf einer angenommenen Unpässlichkeit des Wahlberechtigten - und das ist ein entscheidender Unterschied: Ein Wahlberechtigter kann dieses Recht aus freiem Willen abtreten. Beim Spahnschen Wahlmodell stellt allerdings nicht das Kind seinen Eltern eine Vollmacht aus, sondern das Gesetz. Sprich: Das Kind ist nach wie vor nicht wahlberechtigt. Es kann nur hoffen, dass die Eltern in seinem Sinne agieren.

Übrigens ist sich Spahn nicht einmal zu schade, die Jugendlichen als Kronzeugen gegen sich selbst ins Feld zu führen: "Zumal in Umfragen die große Mehrheit der Unterachtzehnjährigen selbst wenig davon hält, das Wahlalter zu senken. Sollte man auch mal ernst nehmen." Da habt ihr's, ihr kleinen Racker: Ihr wollt doch gar nicht, und die paar Minderjährigen, die sich beim Bundesverfassungsgericht beschwert haben, sind wohl irgendwie pervers oder so.

Wie man es dreht und wendet: Das Familienwahlrecht ist kein Wahlrecht, das die Interessen der Kinder stärker wahren würde, sondern ausschließlich das der Eltern - deren Wahlbeteiligung so mehr Gewicht erhält. Und nun, lieber Jens Spahn, beantworten Sie mir folgende Frage: Warum ist in Ihren Augen meine Stimme so viel weniger wert als die eines, sagen wir, überzeugt katholischen Mittvierzigers vom Land mit sechs Kindern?

Weil letzterer mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit die CDU wählen wird? Ich habe es geahnt.

6 Kommentare:

ulf_der_freak hat gesagt…

Hatte nicht schon mal jemand vor wenigen Jahren mit dieser Suppe angefangen?

Dr. No hat gesagt…

Das war 2008, da hatten die das schonmal vorgebracht. Und dann war da noch der lütte Ludewig, der wollte doppeltes Stimmrecht für Reiche. Kommt aus demselben Stall ... die CDUler scheinen die Grundrechte ja wirklich nicht zu mögen.

Anonym hat gesagt…

Familienwahlrecht? Okay, ich adoptiere dann mal eben so um die 30 Kinder als Gegengewicht gegen rechts für die nächsten paar Wahlen. Das kann er haben, der Herr Spahn!

Alphawa hat gesagt…

Was kann ich sagen, jede Antwort ist wahrscheinlich rhetorisch. Es gibt etwas zum Nachdenken

AnnonPrestige hat gesagt…

Dies ist eine schwierige Frage. Es gibt wirklich etwas zu besprechen.

Anonym hat gesagt…

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