Samstag, 20. November 2010

Das Ende der Geschichte, Teil II: Hosepieseln als Staatsräson

Mist, schon wieder vor lauter Angst in die Buchse gemacht. Es ist aber auch nicht einfach mit der bewussten Koordination des Harndrangs, wenn man seit Tagen, Wochen, Monaten in Dauerpanik versetzt wird: Paketbomben! Verdächtige Koffer! Anschläge geplant! Irgendwo! Irgendwann! ES KÖNNTE ÜBERALL PASSIEREN! SOGAR JETZT GLEICH IN IHREM SCHLAFZIMMER!

Das zeitliche Zusammentreffen dieser Vielzahl an Terrormeldungen mit der Herbstkonferenz der Innenminister ist sicher nur ein Zufall.

In den USA klappt das schon seit 2001, hier hingegen kam die Hosenscheißerei lange nicht so richtig in die Gänge. Dabei klappte das doch schon mal so gut, in den 70ern nämlich - das muss doch wieder hinzukriegen sein! Und wenn es ein Ballack-Koffer hier oder ein paar Wasserstoffperoxidfässer dort nicht schaffen, die Knie der Untertanen staatstragend schlottern zu lassen, dann versucht man's eben mal mit einer kommunikativen Breitseite. Der Trick ist, den Nachschub an Angst nicht versiegen zu lassen, es gleichzeitig aber auch nicht so weit zu treiben, dass das Weihnachtsgeschäft gefährdet wird.


Dass jene Staatsdiener, die schon aufgrund ihres Amtes über paranoide Neigungen verfügen müssen, ein Interesse daran haben, die Panik zum Normalzustand zu machen, dürfte auf der Hand liegen. Aber erst die seit Jahren bestehende unheilige Allianz mit den auflagegeilen Medien von Bild bis Spiegel macht die Sache wirklich bedrohlich - und teilweise auch lächerlich. Das hiesige Regionalkäseblatt etwa titelt "Terroralarm in Deutschland", relativiert in der Unterzeile dann "Minister warnt vor Hysterie", um dann wiederum im Aufmacherbild zwei Polizisten mit MPs am örtlichen Bahnhof* zu zeigen.**

Wozu das Ganze - gibt es denn keine schlüpfrigen Details aus den Leben von Filmstars mehr, mit denen sich die Zeitung verkaufen lässt? Doch, aber die bringen's nicht so wie Terror. Nicht umsonst gibt es den international bekannten Begriff der "German Angst", und mit der lässt sich nicht nur jede Auflage steigern, sondern vor allem auch jedes gewünschte Gesetz durchkriegen, notfalls in wiederholten Versuchen. Und diese gewünschten Gesetze betreffen - das dürfte jeder denkende Mensch mittlerweile mitbekommen haben - die schrittweise Abschaffung der bürgerlichen Freiheitsrechte, die bei der großen Umverteilung des 21. Jahrhunderts nur hinderlich sind.

Jetzt also der Reichstag! Filzbärtige ungewaschene Terroristen wollen irgend etwas mit dem REICHSTAG (Hacken zusammenschlagen!) anstellen! Man weiß nicht, was genau; und wenn man das nicht weiß, dann sollte vielleicht der Ball vorerst lieber flach gehalten werden, wie es die Vernunft gebietet. Aber nein, mit Vernunft muss man niemandem mehr kommen, das ist spätestens seit Mumbai vorbei: Seitdem dort eine Handvoll Männer mit Schusswaffen eine ganze Stadt terrorisiert haben, funktioniert diese Angstschiene immer. Da gibt es keinen komplizierten Plot aufzudecken, da hilft keine ausgeklügelte Technik: Um sich schießen kann jeder überall jederzeit. Huah! Personenkontrolle auf Weihnachtsmärkten tut not - ein Muselman macht sich ja schon verdächtig, wenn er da überhaupt hingeht.

Aber das ist ja alles nur der Anfang. Denn nur eines wäre wirklich wirksam: Alle potenziellen Terroristen (Männer zwischen 14 und 49, vorsorglich Muslime, sonstige Ausländer, Linke, Bärtige,  komisch aussehende Typen) von vornherein wegsperren. Haha, das war jetzt natürlich eine vollkommen irreale Überspitzung, die niemand ernsthaft... Moment... da wäre ja noch Uwe Schünemann. Der niedersächsische Innenminister mit dem Fußfesselfetisch hat ja immerhin schon vorgeschlagen, mehr Polizei in von Muslimen bewohnte Blocks zu schicken und diesen auch noch die Handys und Computer vorsorglich wegzunehmen. Wie wär's gleich mit Hausarrest? Das klappt in anderen Ländern doch auch (und wäre die Konsequenz aus der unermüdlich vorgetragenen Forderung nach elektronischen Fußfesseln). Oder gleich Internierungslager, wie es in den USA mit den Japanern gemacht wurde?

Gedanklich ist dieser schwarzgefärbte Faschist schon längst soweit, und jede angeblich von einer Oma gebastelte - und von wem auch immer auf den Weg gebrachte - Möchtegernbombenattrappe verwendet er als weitere Munition für seine ideologische Walther PPK. Zur Erinnerung: Wir reden hier von Menschen, die sich überhaupt nichts zuschulden haben kommen lassen, außer vielleicht religiös zu sein, was nicht schlau, aber auch nicht verboten ist.

Ach, und noch was, liebe Spiegel-Redaktion: Der Reichstag ist alles mögliche, aber wohl kaum das "Herz der Demokratie". Und insbesondere in diesem "Gefährdungs"-Zusammenhang sollte man etwas zurückhaltender sein: Die Gefährdung dieses Gebäudes ist schon einmal als Alibi missbraucht worden, um die Demokratie einzuschränken, zu kastrieren und schließlich abzuschaffen.

Oder sind wir etwa schon wieder soweit?


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* Das könnte in Stuttgart noch lustig werden.

** Dieselbe Zeitung war sich auch nicht zu schade, "Bombenalarm in deutschem Jet" zu titeln, obwohl im dazugehörigen Test eindeutig ausgeführt wurde, dass das Namibia-Paket es gar nicht bis in die Maschine geschafft hat.

6 Kommentare:

Dar Al Impi hat gesagt…

Fein geschrieben. :)

Und als Rostocker freue ich mich natürlich auch über die Illustration des Artikels.

Anonym hat gesagt…

Dieses Jahr sind die "Guten" wirklich in Hochform. Ein bisschen was ist ja immer in der Vorweihnachtszeit, nach dem Motto "Weihnachtsmärkte sind der ideale Ort für Anschläge", aber dieses Mal haben einige Minister vielleicht schon vorher zu viel Glühwein getrunken...

Dr. No hat gesagt…

Ja, Weihnachtsmärkte sind ideal. Also jetzt. Vor ein paar Wochen waren Fußballstadien ideal. Und zwischen Weihnachten und Neujahr sind vermutlich Bahnhöfe ideal... naja, wenn sie auf dem Oldenburger Weihnachtsmarkt zuschlagen wollten, um Deutschland zu treffen, lägen die Terroristen ohnehin falsch: Sie würden nur Holländer erwischen.

Gut, und ein paar Westfalen.

@Impi: Was macht denn Rostocks berühmtester Einwohner so?

ImpiHeil hat gesagt…

K.a, denke er hat rübergemacht. Oder wohnt jetzt in der national befreiten Dorfgemeinschaft Jarmel.

Pathologe hat gesagt…

Wir wissen ja schon lange, dass man mit solcherart Aktionen von anderen, tiefgreifenderen Veraenderungen ablenken moechte. Ich frage mich nur, was es diesesmal ist? Abschaffung des Weihnachtsgeldes? Waere eine Idee. Denn wenn man nur genug Angst schuert, dass niemand mehr auf einen Weihnachtsmarkt geht, dann braucht auch keiner mehr dort das Weihnachtsgeld auszugeben. Ergo spart man sich diese nutzlose Geldanhaeufung, indem man das Geld erst gar nicht mehr bezahlt.

Was koennte sonst ein Grund sein? Entvoelkerung der Innenstaedte, damit sich die Herren und Damen Politiker voellig staufrei ueber Weihnachtsmaerkte bewegen koennen? Auch eine Moeglichkeit, die ich dann allerdings, waere ich Terrorist, gnadenlos ausnutzte: traefe ich doch kaum Unschuldige bei einem Attentat. (Gilt fuer Hollaender eigentlich eine Unschuldsvermutung?)

Dr. No hat gesagt…

Eigentlich müssten sie derzeit von aber auch wirklich ALLEM ablenken. Der Bedarf an Ablenkung ist, wenn man mich fragt, derart gigantisch, dass es sich für die Koalition sogar lohnen würde, richtige Terroristen anzuheuern, um halb Berlin abzufackeln. Schwund ist ja schließlich immer.