Was für eine traumhafte Schlagzeile! "Revolution in Bayern!" titelt die Blödzeitung am Tag nach der Bayern-Wahl. Kurzzeitig hatte ich die Vision, dass tausende von wutentbrannten Bayern mit Heugabeln die CSU-Zentrale stürmen, alle Anwesenden an die Wand stellen, dann das Mausoleum von Franz-Josef Strauß in Brand setzen und anschließend alle Macht an Arbeiter- und Bauernräte übertragen, während über dem Nymphenburger Schloss die Rote Fahne flattert.
Aber ach, die Realität ist trister und hat so rein gar nichts Umstürzlerisches. Die CSU hat massiv Stimmen verloren, bleibt aber trotzdem mit weitem Abstand stärkste Partei. Die Linken haben ja nicht einmal die Fünf-Prozent-Hürde überschritten, und eine Revolution ohne Linke wäre ja irgendwie komisch. Nebenbei: Eine Revolution mit der SPD wäre genauso komisch, aber die ist ja wohl bis auf weiteres damit beschäftigt, herauszufinden, warum sie von dem vielen, vielen Wählern, die sich von der Staatspartei abgewandt haben, keinen einzigen abbekommen hat. In einer wirklichen Revolution rollen außerdem Köpfe, in München rollt gar nix, außer Bierfässer zum Oktoberfest. Beckstein, Huber und Haderthauer schließen ihren Rücktritt aus, derzeit zumindest. Eine Revolution, ohne dass der Machthaber wechselt? Undenkbar.*
Stattdessen wird sich die CSU die Macht mit der FDP teilen müssen - und die hat ja nun überhaupt nichts Revolutionäres an sich. Die Eingeborenen im Freistaat haben sich erstmals seit 1962 nicht freiwillig einem Einparteienregime unterworfen - das ist das Ergebnis des gestrigen Sonntags, nicht mehr, nicht weniger. Das hätten sie ja bekanntlich schon früher haben können, wollten sie aber nicht. Um mit Willy Brandt zu sprechen: Die Bayern haben mehr Demokratie gewagt. Der Trend geht schließlich zur Zweit- oder gar Drittpartei, das haben andere in Europa allerdings schon früher gemerkt.
Der politischen Kultur im Land kann es nur gut tun, einmal zu sehen, wie sich zwei Parteien - das heißt also: mehr als eine! - einig werden müssen, um eine Entscheidung herbeizuführen. Mal sehen, was das der geschundenen Volksseele antun wird. Vielleicht wird dem einen oder anderen der Kopf unterm Gamsbarthut wegplatzen. Vielleicht denken aber auch manche: "Wow - wir müssen offenbar gar nicht alles klaglos hinnehmen! Darauf hätten wir mal früher kommen sollen!" Dann bestünde zumindest die Hoffnung, dass sich auch in Bayern ein normales politisches System bilden könnte.
In diesem Sinne: Willkommen, liebe Bayern, im Europa des 21. Jahrhunderts.
*Edit, drei Tage später: Sind jetzt doch Köpfe gerollt. Noch ein bisschen weiter so - und aus Bayern könnte tatsächlich ein normales Bundesland werden.
1 Kommentar:
Angesichts der Altersverteilung der Wähler kann man simpel ablesen, dass der CSU die Wähler auch schlicht wegsterben.
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