Samstag, 19. Juni 2010

Der Exot an sich

Eine seltsame WM ist das bislang. Die Spiele größtenteils grottig, die Ergebnisse sehen nach Binärcode aus, die Soundkulisse ist mehr als nervig. Die Leistung der deutschen Elf wird erst zu überirdischer Schönheit verklärt und nur wenige Tage später zu abgrundtiefer Peinlichkeit herabgewürdigt - und dann wäre da auch noch diese komische Nazisprech-Debatte, bei der am merkwürdigsten ist, dass sie weniger zum Skandal, sondern quasi sofort zum Anti-Skandal hochstilisiert wurde. Dabei gab und gibt es viel bedenklichere - und bescheuertere - Auswüchse protochauvinistischer Denkweise.

Etwa wenn Bela Réthy Spielern wie Sami Khedira (geboren in Stuttgart) oder Mesut Özil (geboren in Gelsenkirchen) - bei denen er im Übrigen des öfteren Schwierigkeiten hat, sie auseinanderzuhalten, aber hey, die sehen doch alle gleich aus - die berüchtigten "deutschen Tugenden" abspricht. Wohl aufgrund ihres genetischen Erbes, oder wie darf man diese unqualifizierte Einlassung verstehen? Und wenn derselbe Bela Réthy diesen Kickern gleich darauf herrenmenschlich-gönnerhaft attestiert, sie würden dem deutschen Spiel ja "exotische" Elemente verleihen. Vermutlich haben sie diese wegen ihres ererbten exotischen Blutes von Geburt an drauf. Oder so. Nach dem Motto: Tanzen können diese Wilden ja.

Auf der anderen Seite habe es "der Nordkoreaner" nicht so gerne, in die Offensive zu gehen, schwafelt die ZDF-Phrasendreschmaschine ungerührt weiter und immer weiter. Erinnert famos an "Der Mexikaner an sich" aus dem ebenfalls nicht zum Schweigen gebracht werden könnenden Munde von Günther Netzer. Ebensowenig wie die Fresslade eines Loddar Maddhäus, der in seiner Hauspostille ungeniert unter Beweis stellte, dass er sich gedanklich nicht einmal so weit auf das erste afrikanische Gastgeberland eingelassen hat, um zu wissen, dass "Höhenluft" wohl kaum der Grund für schwache Torwartleistungen sein kann. Statt eines Vuvuzela-Filters wünscht man sich da manchmal einen Dummschnackfilter.

Naja, das sind alles Fußballer- bzw. Fußballkommentatorensprüche, die man wie immer unter Schmerzen hinnehmen muss, schließlich hat der Herr ja trotz wiederholter Aufforderung immer noch kein Hirn vom Himmel regnen lassen. Natürlich machen solche saudummen Sprüche Leute wie Réthy oder Netzer nicht zwangsläufig zu Rassisten, aber sie deuten auf ein tiefverwurzeltes  Schubladendenken hin, von dem aus es auch nicht mehr so furchtbar weit zu einer Ranglisteneinteilung der Nationalitäten ist. Das ist viel bedenklicher als der "innere Reichsparteitag" der KMH.

Die hat damit allerdings viel mehr Aufmerksamkeit bekommen. Nicht zu Unrecht, aber diese Debatte war wirklich skurril und schien irgendwie von hinten loszugehen. Bevor ich mitbekommen habe, dass sich irgendjemand über ihre Formulierung echauffierte, war ich auf ein halbes Dutzend Blogs gestoßen, die sich darüber mokierten, dass sich überhaupt jemand darüber aufregt. Schließlich sei das doch ein ganz normaler, gängiger umgangssprachlicher Ausdruck, schimpften da ausgerechnet diejenigen herum, von denen ich eher erwartet hätte, dass sie den einen oder anderen Finger in die frisch geöffnete Wunde legen.

Natürlich outet sich die Dame nicht als Faschistin, weil sie sich in selten dämlicher Weise derartig verplappert hat. Das Problem lautet doch eigentlich: Gehört der "innere Reichsparteitag" tatsächlich zum alltäglichen Wortschatz des Durchschnittsdeutschen, wie nun allenthalben behauptet wird? Und wenn ja - wie kann das sein? Nazikonnotation bleibt schließlich Nazikonnotation - es ist Makulatur, darauf hinzuweisen, dass auch SPD und KPD "Reichsparteitage" abgehalten hätten, weil das nun mal nicht die Parteien sind, an die man zuerst denkt, wenn man das Wort hört.


Verbreitet? Ich bin dieser Wortschöpfung bislang nur ein einziges Mal begegnet, und das war vor geraumer Zeit in der "Titanic". Und diesem Umfeld, nämlich der Satire, sollte sie auch vorbehalten bleiben - ob nun Magazin, Kabarett oder Kneipenabend. Gehen solche Ausdrücke nämlich tatsächlich in den Alltagswortschatz ein, verwässern sie mittelfristig den Umgang mit der NS-Vergangenheit. Und das wäre doch geradezu ein Stalingrad für das öffentliche Geschichtsbewusstsein.


So. Und jetzt zurück aufs Sofa: Gleich zeigt der Ghanaer dem Australier, wer mehr Rhythmus im Blut hat.

5 Kommentare:

Torwartfehler-Impi hat gesagt…

Angesichts des über weite Teile sich ähnelnden, stupide-taktischen Systemfussballs ist es vielleicht auch ein Ausdruck von Sehnsucht, wenn man den einzelnen Nationen irgendwelche "Eigenschaften" zuordnet, die diese "im Blut" zu haben scheinen. Rassistische Tendenzen hat das trotzdem.

Auch was diesen Reflex betrifft, der nach dem "Reichsparteitag"-Lapsus in Gang getreten wurde. Himmel. Ich neige zunehmend dazu anzunehmen, dass ein gehäuftes Schwenken deutscher Fähnchen wachsende Verblödung zur Folge hat. Allemal aber wird jeder, den der ganze Budenzauber anödet, sofort zum Nestbeschmutzer herabgewürdigt. Aus Patriotismus wird Nationalismus ...

Den einzigen, den ich persönlich von den ganzen Kommentatoren noch ertragen kann, ist Mehmet Scholl. Günther Netzer wohnt irgendwo auf einem anderen Planeten und bei Oliver Kahn kann man jedes Mal schon froh sein, wenn er nicht während der Live-Sendung anfängt, sich auf seinen Hosenboden zu setzen und mit seinen Füssen zu spielen.

Aber was will man machen. Irgendwie schaut man sich den Kram ja doch an, wenn man grad nichts besseres zu tun hat.

Dr. No hat gesagt…

Ich habe immer weniger Lust, mir Spiele anzuschauen - das ist langsam wirklich einschläfernd, in Tateinheit mit nervig.

Man könnte sich aber künstlich etwas Motivation verschaffen, indem man wettet. Vor allem Ergebniswetten wären der Bringer, es gibt ja im Wesentlichen bloß vier Möglichkeiten: 1:0, 0:1, 1:1 und 0:0. Trefferwahrscheinlichkeit von 25% beim simplen Raten. Das ist doch was.

Merkwürdig finde ich allerdings, dass ich selber nicht ganz frei von Fußballpatriotismus bin... ich drücke tatsächlich den Deutschen die Daumen, warum auch immer. Aber zum Ausgleich auch den Niederländern, dann passt das schon. Patriotismus und Hochverrat gleichen sich ja wieder aus.

Anonym hat gesagt…

Also ich drücke vor allem den afrikanischen Manschaften die Daumen. :)

ImpiUnentschieden hat gesagt…

Günther Hetzer .. ähh Netzer hält aber so generell nichts von all den afrikanischen Mannschaften. Hat er gestern zumindest erklärt.

Dr. No hat gesagt…

Jawoll. Der Afrikaner an sich kann ja auch nix. Da loben wir uns doch die brasilianische Mannschaft, die neuerdings die guten alten deutschen Tugenden für sich gepachtet hat un zaubert wie einst Andy Brehminho! Schorch!