Samstag, 5. März 2011

Nun muss aber auch mal gutt sein

Das ich sowas noch erleben muss: Da planen Leute offenbar neben diesem ganzen Internethype um die Causa Guttenberg - der, nebenbei bemerkt, allmächlich reichlich ermüdend wirkt, und zwar von beiden Seiten - allen Ernstes auch noch Demonstrationen, um einen der Betrügerei de facto längst überführten Politiker wieder ins Amt zu bringen... als ob es nicht grob geschätzt eine Million bessere Gründe gäbe, auf die Straße zu gehen. Diese ganze Geschichte nimmt nun wirklich bizarre, man möchte sagen: abstruse Formen an; die zahllosen Pro-Gutti, Anti-Gutti, Anti-Anti-Gutti und Anti-Anti-Anti-Gutti-Gutti-Seiten auf Facebook à la "Wir wollen xyz wiederhaben" waren anfangs vielleicht noch lustig, jetzt sind sie bestenfalls langweilig, schlimmstenfalls hochgradig nervig - und bei den Argumentationsmustern seiner Fangemeinde möchte man sowieso den Kopf auf die Tischplatte hauen, bis eins von beiden bricht.

Also, nochmal langsam und zum Mitschreiben und ungeachtet der geringen Wahrscheinlichkeit, dass Gutti-Apologeten sich überhaupt auf diesen Blog verirren: Der geballte Schwachsinn ihrer Argumentation (mit Ausnahme der ultrabescheuertsten Auswüchse wir der der Anna von Bayern, die den Einsatz von Disketten als Ursache für die Plagiate ins Spiel bringen wollte):

"Es hat doch jeder schon mal geschummelt!"
Die meistbemühte Keule in der Diskussion. Eine Doktorarbeit ist aber kein Französischtest in der achten Klasse, bei dem man irgendwie geradebiegen muss, dass man in den Tagen zuvor lieber Playstation gespielt als Vokabeln gepaukt hat. Eine Doktorarbeit ist für die meisten Menschen, die eine entsprechende Laufbahn einschlagen wollen, der größte Brocken Arbeit, den sie in intellektueller Hinsicht in ihrem Leben zu meistern haben. Sie entsteht in mehrjähriger, mühevoller, akribischer Kleinarbeit, die bei den allermeisten mit familiären und beruflichen Zusatzbelastungen verbunden ist und unter dem ständigen Druck geschieht, sich mit dem Ergebnis lächerlich zu machen, falls man irgendwelche wesentlichen Forschungsergebnisse nicht mitbekommen hat. Wenn man eeine Promotion schafft, definiert sich der komplette weitere Lebensweg und nicht zuletzt die Wahrnehmung der eigenen Person durch andere (vor allem Arbeitgeber) darüber - dazu werde ich weiter unten noch was sagen. Dabei zu "schummeln" wiegt schon allein deshalb um Welten schwerer als in der Schule.
Zudem kann man bei einer wissenschaftlichen Arbeit nicht "schummeln" im schulischen Sinne: Die betreffenden Passagen liegen i.d.R. ja bereits öffentlich vor. Wer sie aber ohne Hinweis auf ihren Urheber übernimmt, gibt sie damit automatisch als seine eigenen Ergebnisse aus. Er spart sich die erwähnte jahrelange Sysiphusarbeit und nutzt andere aus, die viel Zeit und Mühe hineingesteckt haben. Das ist nicht nur ein "handwerklicher Fehler", sondern schlicht asozial und ein Vergehen, das nicht einmal bei Studenten im zweiten Semester geduldet wird.

"Na gut, dann hat er halt etwas mehr geschummelt. Aber das ist doch unwichtig, ob er nun einen verdienten Doktortitel hat oder nicht!"
Nein, ist es nicht. Denn der Doktortitel dient nicht bloß der intellektuellen Selbstbefriedigung, obschon manche Menschen vor allem aus diesem Grund promovieren. Er ist vor allem ein Türöffner, und zwar für Türen, die in ziemlich sensible Schalträume führen. Wer ein "Dr." vor seinem Namen führt, dem stehen ganz andere Möglichkeiten offen als jemandem, der nicht weniger intelligent ist, aber "nur" einen normalen Schulabschluss hat. Wer einen Doktortitel führt, muss sehr oft auch nicht einmal große Kompetenzen in bestimmten Bereichen, in denen er tätig werden möchte, nachweisen können: Der Titel allein verleiht ihm schon den Anschein eines Hans Dampfs. Das beste Beispiel dafür sind die immer mal wieder bekannt werdenden Fälle, in denen Leute mit gefälschten Doktortiteln Anstellungen als Krankenhausärzte (!) bekommen und z.T. jahrelang als solche praktiziert haben.
Aus diesen Gründen gibt es einen regelrechten Markt für gefälschte oder von Ghostwritern zusammengeschusterte Doktortitel, und nicht wenige Dottores haben ihren Grad unter obskuren Umständen erworben. Wenn ich aber einen Arzt aufsuche oder einen Anwalt zu Rate ziehe, möchte ich mich darauf verlassen können, dass er sein Metier auch gründlich gelernt hat. Deshalb darf man mit Doktortiteln keinen Schindluder treiben. Und deshalb darf man es auch nicht durchgehen lassen, wenn einer der hochrangigsten Vertreter des Staates genau das tut.

"Okay. Aber er ist doch nicht als Jurist oder Wissenschaftlerr, sondern als Minister berufen worden!"
Das ist wahr. Und der Inhalt der Doktorarbeit interessiert außerhalb von Juristenkreisen vermutlich wirklich kaum jemanden. Aber um akademische Weihen geht es, wie gesagt, auch nicht, sondern darum, dass der Verteidigungsminister ganz offensichtlich Diebstahl begangen hat - es ist völlig egal, ob es sich um materielle oder geistige Güter handelt -, dies zunächst leugnete, solange es irgendwie ging und anschließend die Leute für dumm verkaufen wollte und immer noch will, indem er von "Fehlern" spricht - er habe drei Viertel der Arbeit wohl ganz unabsichtlich irgendwo anders abgeschrieben: Wer so mit der Wahrheit umgeht, eignet sich nicht für ein politisches Amt. Punkt.

"Er hat sich ja entschuldigt."
Die beliebte Beruhigungspille der letzten Jahrzehnte: Eine Entschuldigung macht in der Politik alles wieder gut. Aber einem Ladendieb hilft es auch nicht, wenn er sich beim Detektiv, der ihn ertappt hat, entschuldigt und generös das Diebesgut zurückgibt. Wenn man mit einer simplen Entschuldigung durchkäme, würde das Try-and-Error-Prinzip zur grundsätzlichen Maxime im gesellschaftlichen Miteinander: Wer auf dem Parkplatz ein anderes Auto touchiert und sich aus dem Staub macht, kann sich ja hinterher, wenn die Polizei auf der Matte steht, immer noch entschuldigen und dann doch in einer großen Geste seine Versicherung anrufen. Wer sich den Großteil seines Hausrats per Ladendiebstahl zusammengemopst hat und schließlich erwischt wird, würde sich damit entschuldigen, er habe bei den vielen Läden den Überblick verloren, was er wo hätte bezahlen müssen, und dann gönnerhaft zur Kasse schreiten. Eine Entschuldigung ist oft eine wichtige Geste, ersetzt aber keinesfalls die zu ziehende Konsequenz.

"Seine Leistungen als Politiker sind doch viel wichtiger!"
Merkwürdigerweise konnte niemand von all den Leuten, die Guttenbergs messianische Großartigkeit als Politiker abfeiern, mir auch nur einen einzigen Punkt nennen, worin denn diese wahnsinnig tollen Leistungen bestehen sollen. Ich gebe zu: Das Amt des Verteidigungsministers haben in der bundesdeutschen Geschichte schon viel schlimmere Leute bekleidet als der jungdynamische Freiherr. Vor allem schlimmere Leute mit gleicher Parteizugehörigkeit. Und immerhin hat er die Wehrpflicht auf Eis gelegt, wenngleich es natürlich grundsätzlich schwachsinnig ist, solche zentralen gesellschaftspolitischen Entscheidungen einem einzelnen Minister ans Revers zu heften - so etwas wird lange partei-, koalitions- und kabinettsintern durchgepaukt, bevor die Öffentlichkeit überhaupt erstmal Wind davon bekommt. Aber immerhin.
Ansonsten: Herumgeeiere um das Wort "Krieg", fragwürdiger Korpsgeist im Fall des Oberst Klein, Selbstinszenierung und Herabwürdigung der Truppe zur bloßen Kulisse - und dass er jetzt in seiner Rücktrittsbotschaft auch noch den Tod dreier Soldaten ins Feld führt, um von der Affäre um seine Person abzulenken, fand ich auch ein bisschen widerwärtig.

"Die Leute sind doch nur neidisch!"
Worauf jetzt? Auf sein Amt? Wohl kaum. Auf sein Aussehen? Ist Geschmackssache. Auf seine Beliebtheit? Unsinn. Diese Beliebtheit ist schließlich keine echte, sondern von der Klatschpresse von Bild bis Bunte herbeigeschrieben worden.

"Es ging doch gar nicht um die Plagiate, sondern um politische Taktik - darum, den beliebtesten Vertreter der Regierung abzuschießen!"
Ebenfalls Unsinn. Wäre herausgekommen, dass Guido Westerwelle seine Doktorarbeit zusammengeklaut hätte, wäre alles genauso verlaufen - und niemand wird behaupten, dass Westerwelle zu den beliebtesten Politikern des Landes gehört. Aber uns wären vermutlich 90 Prozent der diesbezüglichen Facebook-Kampagnen erspart geblieben.

"Das war doch eine einzige Schmierenkampagne der Medien!"
Schon wieder Unsinn. Die einzige Schmierenkampagne in diesem Zusammenhang war die der Bild, die sich wieder einmal eine angebliche "Mehrheitsmeinung" zurechtgelogen hat. Andere Medien haben genau das gemacht, wozu sie da sind: Sie haben den Fall an die Öffentlichkeit getragen und zur Meinungsbildung beigetragen. Es war eine Sternstunde des öffentlichen Diskurses; zudem eine, die zeigt, wie unverzichtbar das Internet nicht nur als Informationsquelle, sondern auch als Kontrollinstrument geworden ist: Binnen weniger Tage ist es einer Anzahl eifriger User gelungen, die Zahl der belegbaren Plagiate zu vervielfachen. Das heißt nichts weniger als: Solche Affären kleinzureden oder gar zu vertuschen wird der Politikerkaste in Zukunft kaum mehr möglich sein.

So, das soll's gewesen sein. Mein Wort zum Sonntag. Die Geschichte ist längst nicht ausgestanden; mich interessiert, was noch im Nachklapp kommt und wie die politische Zukunft des Sonnyboys aussieht. Aber das momentane Gedöns um Gutti-mögen-oder-nicht ödet mich, um ehrlich zu sein, einfach nur noch an. Ich glaube, ich lasse die Nachrichtensendungen heute einfach mal ausfallen.

2 Kommentare:

FreiImpi von und zu Guttenberg hat gesagt…

*hust...in eigener sache*

http://www.alster-blog.de/politik/demonstration/pro-guttenberg/

Dr. No hat gesagt…

Ah, er hat wieder die Stadt gewechselt. Das schreit nach einer neuerlichen Blogrollaktualisierung.

(Hamburg ist mir eh näher als Rostock. Also nicht nur im geografischen Sinne.)