Montag, 2. März 2009

Vom Kindheitstraum zum Unterhaltungs-Alptraum

Als ich unlängst durch die Gänge eines Elektronik-Marktes schlenderte, fiel mir die Verpackung eines Computerspiels ins Auge; eines Simulators, um genau zu sein. Gemeint ist allerdings nicht der altehrwürdige "Flight Simulator" von Microsoft, das einzige ihrer Produkte, das offenbar tadellos funktioniert - nein, gemeint ist etwas viel Schrägeres: Ein Gabelstapler-Simulator! Und als ich näher hinschaute, stellte ich zu meinem größten Erstaunen - um nicht zu sagen: Entsetzen - fest: Er ist nicht allein. Eine ganze Legion an Programmen hat sich aufgemacht, das öde Arbeitsleben in Form eines Spieles zu präsentieren:
  • Gabelstapler-Simulator
    Erleben Sie den unglaublichen Thrill, Euro-Paletten von A nach B zu transportieren. In den höheren Schwierigkeitsstufen sind die auch noch wackelig bepackt worden! Arbeiten Sie in der dritten Dimension, wenn Sie die Pakete in Hochregale befördern müssen! Lassen Sie sich vom Vorarbeiter anbrüllen! Heimsen Sie Bonuspunkte ein, indem Sie Zeitarbeiter, die durch die Gänge irren, weil sie sich an ihrem neuen Arbeitsplatz noch nicht auskennen, gnadenlos überfahren! Antworten Sie Ihrer Frau, die Ihnen zuruft, Sie sollen doch endlich mal aufhören, dauernd vor der blöden Kiste zu sitzen: "Geht nicht, muss Überstunden machen!"
  • Landwirtschafts-Simulator
    Übernehmen Sie die Rolle eines Jungbauern, der nie gefragt wurde, ob er den elterlichen Hof überhaupt übernehmen will. Erfahren Sie am eigenen Leib die grenzenlose Eintönigkeit, wenn Sie mit einem Mähdrescher ein Feld abfahren. Immer hin und her. Hin und her. Hin und her. Hin und... verstehen Sie, warum Bauern gerne eine Pulle Korn in Reichweite haben? Aber das ist noch nicht alles! Misten Sie Ställe aus und freuen Sie sich, dass es nicht stinkt! Ach, tschuldigung, dieses Feature gibt es gar nicht. Dafür aber einen Karrieremodus: Steigen Sie zum Schützenkönig des Dorfes auf! Kaufen Sie immer größere Maschinen! Beantragen Sie EU-Subventionen! Erreichen Sie das Ziel des Spiels: Nur noch von Subventionen zu leben und gar nicht mehr immer hin und her fahren zu müssen!
  • Bagger-SimulatorNein, das ist kein Spiel, mit dem Sie Ihre Wirkung auf das andere (oder auch gleiche) Geschlecht optimieren können. Es geht hier tatsächlich um die Bedienung eines Baggers! Sogar bis hin zu einem Braunkohlebagger, für diejenigen mit zu klein geratenem Fortpflanzungsorgan. Zerstören Sie damit eigenhändig ganze Landschaften! Aber auch kleinere Modelle sind verfügbar: Spannung pur beim Ausheben eines Abwasserkanals! Arbeiten Sie unter Zeitdruck! Versuchen Sie, die drei Schaufeln zu koordinieren, die vor Ihren Augen tanzen, nachdem Sie mit den Kollegen in der Mittagspause eine Kiste Bier plattgemacht haben. Fahren Sie zum Feierabend mit Ihrem Bagger über die meistbefahrenen Straßen der Stadt und sammeln Sie Bonuspunkte durch möglichst originelle Flüche, die Ihnen Autofahrer zurufen! Lästern Sie abends in der Kneipe über den Baustellenleiter und darüber, dass Sie das alles besser könnten! Fragen Sie sich, warum Sie als Junge ausgerechnet von diesem Beruf geträumt haben.
  • Bus-SimulatorFühlen Sie sich einmal wie ein echter Busfahrer. Stellen Sie sich der Herausforderung, eine Bushaltestelle nach der anderen anzufahren. Vergessen Sie keine! Wenn Sie es schaffen, pünktlich einzutreffen, gibt es Bonuspunkte. Wenn nicht, ist es aber auch nicht schlimm. Und das ist nicht alles: Drängeln Sie sich schamlos durch den Verkehr - immer daran denken: Sie sind stärker! Lassen Sie alte Damen im Regen stehen! Sehen Sie im Rückspiegel, wie ein verspäteter Fahrgast angerannt kommt, und machen Sie im allerletzten Moment die Tür zu und fahren los (je knapper, desto mehr Punkte). Werfen Sie heulende Kinder, deren Monatskarte gerade heute abgelaufen ist, erbarmungslos hinaus (je mehr Kilometer bis nach Hause, desto mehr Punkte).
  • Müllabfuhr-SimulatorNein, das denke ich mir nicht aus, den gibt es wirklich. Steuern Sie verschiedene Arten von Müll-Lastwagen durch die Straßen und halten Sie alle paar Meter an. Sie steuern auch die Müllmänner! Nehmen Sie die Mülltonnen, hängen Sie sie in die Kippvorrichtung ein und leeren sie. Bringen Sie sie anschließend wieder zurück! Wiederholen sie diesen Vorgang 500 Mal. Dann essen Sie eine Stulle und machen weiter. Wenn Sie fertig sind mit spielen, duschen Sie eine Dreiviertelstunde lang.

Und das ist noch längst nicht alles, was die Simulatorbranche aus ihrem Schoß gedrückt hat. Es gibt unter anderem noch den Kran-Simulator, den Angel-Simulator (vielleicht mit Beiheft "Anglerlatein") und - mein absoluter Favorit! - den U-Bahn-Simulator. Nicht nur, dass man wie bei anderen Zugsimulatoren nicht zu lenken braucht und stoisch vorgegebene Geschwindigkeiten einhalten muss: Man sieht auch nichts! Fahren Sie stundenlang durch stockdunkle Tunnel! Halten Sie an, wenn Sie Licht sehen (aber gehen Sie nicht hinein)! Beobachten Sie auf dem Überwachungsbildschirm, wie sich Jugendliche im hintersten Waggon prügeln. Überfahren Sie ab und zu einen Selbstmörder - Sie können ja eh nichts dagegen tun!

So, und nun mal im Ernst: Wer kauft sich so was? Das Geschäftsmodell scheint ja zu florieren, also muss es Käufer geben. Ich kann mir ja bis zu einem gewissen Grad vorstellen, dass diese Dinger als Spaßgeschenke Verwendung finden. Aber so oft, dass sich die Herstellung lohnt...? Vielleicht schenken manche Väter so etwas ihren Kindern, in der Hoffnung, damit bestimmte Berufswünsche in ihre Köpfe zu pflanzen, bevor sie auf die Idee kommen, studieren zu wollen. Erschreckend. Da kann ich nur hoffen, dass diese Kinder auf die übliche Art auf diese Form elterlicher Wunschvorstellung reagieren - und das komplette Gegenteil machen.

Nur für den Bagger-Simulator habe ich eine schlüssige Erklärung: Leute, die als Junge davon geträumt haben, Baggerfahrer zu werden, wollen irgendwann wissen, wie das eigentlich so wäre, hätten sie diesen Beruf ergriffen.

Und nach dem Spielen des Bagger-Simulators wissen sie ihr reales Leben wieder richtig zu schätzen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die perfekte Lösung des Problems, dass es zu wenig Arbeitsplätze gibt: Für diese virtuellen Jobs bezahlen die Bagger-, Bus oder Müllfahrer sogar noch.
Zu Hause läuft dann alles wie gewohnt - Er verabschiedet sich mit den Worten: "Ich muss zur Schicht." und geht an seinen PC. Und alle sind glücklich.

Kreuzundquer hat gesagt…

Also auch im wahrscheinlich vorwiegend männlichen Bereich gibt es Dinge, die die Welt nicht braucht.
Somit haben wir Frauen doch kein Abo darauf. ;-)
Ja, der U-Bahn-Simulator ist mein Favorit.