Sonntag, 22. März 2009

"Wonach duftet es denn hier?" - "Geld."

Wie grausam die Welt doch sein kann. Als ich das Spiegel-Gespräch mit Madame Schaeffler samt Junior gelesen habe - "Es ist schwer zu ertragen, so stigmatisiert zu werden" - da kamen mir doch glatt die Tränen hoch... upps, jetzt ist es mir schon wieder passiert. Ich verwechsle "Tränen" immer mit "Frühstück", weiß auch nicht, warum. Ich jedenfalls gehöre nicht zu den gemeinen Menschen, die Frau Schaeffler auf so etwas unpersönliches wie einen Kleiderschrank reduzieren! Ich reduziere sie lediglich auf einen Körperteil, und zwar einen, der etwas mit Abführung zu tun hat. Aber darum geht es mir in diesem Post gar nicht, sondern um eine Formulierung, die völlig unreflektiert tausendfach von den Medien verwendet wird, so auch in dem genannten Artikel: Was, zum Henker, ist eigentlich "frisches Kapital"?

Na ja, es handelt sich dabei natürlich schlicht um Geld; und da der Begriff zumeist in Zusammenhang mit börsennotierten Unternehmen gebraucht wird, geht es in der Regel um eine ganze Menge Geld. Man könnte also ebenso gut sagen: "Die Bank (Autohersteller, Zulieferer...) xyz braucht dringend Geld, um nicht zusammenzubrechen". Das versteht jeder.

Aber "Wir brauchen dringend Geld" klingt irgendwie so bittstellerhaft. So ... unseriös. Wie ein Hartz-IV-Empfänger. Ungleich besser hingegen "Wir brauchen frisches Kapital", das klingt positiv, das verbindet jeder mit einem angenehmen Gefühl: "Der Gummibaum braucht mal wieder frisches Wasser!" - "Was Sie brauchen, um gesund zu werden, ist viel frisches Obst!" - "Hier stinkt's, lass mal einer frische Luft rein!" - "Frisches Kapital" kann ja sogar irgendwo "hineingepumpt" werden - so wie klares Gebirgsquellwasser. Oder Blut.

"Frisches Kapital", das sind dann wohl so richtig schön neue und glatte Banknoten, die nach Blumenwiesen duften und die nicht nur sauber, sondern rein sind. Jeder, der schon mal einen zerknüllten, eingerissen und schweißdurchtränkten Zehner herausbekommen hat, weiß, was ich meine. Da hat man doch auch lieber einen nigelnagelneuen Schein - druckfrisch eben (aber nicht blütenrein). Meinen die Unternehmen und Banken also das? Wollen sie bloß kein altes, modriges Kapital haben? Wohl kaum: Bargeld spielt in solchen Kreisen eigentlich nur noch eine Rolle, wenn man es in Koffern nach Liechtenstein schafft.

Nein, hier haben mal wieder die hochbezahlten Euphemismus-Erfinder zugeschlagen, die auch schon Begriffe wie "Humankapital", "Freisetzung" oder "Flexibilisierung" verbrochen haben. Wer "frisches Kapital" braucht, braucht dringend Geld; und derzeit wird es offenbar Usus, dieses Geld vom Staat zu verlangen - und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Der Staat, das sind wir. Aber egal, ob man den Staat oder Investoren anschnorrt - man soll es dann auch so formulieren, wie es ist: "Wir sind fast pleite und brauchen dringend Kohle!" Der potenzielle Investor wendet sich in diesem Falle natürlich angegruselt ab - und der Staat, also unsereins? Merkt vielleicht endlich, wie die große Umverteilung des 21. Jahrhunderts abläuft. Und dass sie nichts mit Frische zu tun hat.

Im Zuge der fortschreitenden Verwirtschaftlichung der Sprache wäre zu überlegen, "frisches Kapital" als Unwort des Jahres vorzuschlagen. Außerdem sollte man den Spieß umdrehen: Wenn man sich schon zeitweise von der Regierung als "Ich-AG" beleidigen lassen musste - als ob irgendein Arbeitssuchender sich so schäbig verhalten würde wie eine durchschnittliche Aktiengesellschaft - sollte man sich auch so ausdrücken. Beim nächsten Gang zur Arge heißt es dann also: "Guten Tag, ich bin ein notleidendes Einmannunternehmen und brauche dringend frisches Kapital, um die drohende Insolvenz abzuwenden. Vielen Dank." Fotoapparat nicht vergessen, um den Gesichtsausdruck des Sachbearbeiters festzuhalten.


P.S.: Wenn ich schon vergessen habe, mir selbst zum einjährigen Blog-Geburtstag zu gratulieren, dann klopfe ich mir wenigstens zum 200. Post auf die Schulter. Prost!

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schöner Artikel und Glückwunsch zum 200ten! Begrifflich stimme ich Dir zu und merke erschreckt, das ich irgendwie längst aufgehört habe, solche Euphemismen noch als solche zu erkennen und zu hinterfragen. "Systemrelevante Firmen" ist da sicher auch so etwas ...

Anonym hat gesagt…

Es ist schwer zu ertragen, sagt Frau Sch. zu Recht. Da kann nicht nur das Geld, sondern es auch dem Leser schlecht werden.
Muss man Kapital kühl lagern, damit es länger frisch bleibt, oder reicht es, als Kapitalist einen kühlen Kopf zu behalten, oder gilt einfach nur: Klappern gehört zum Geschäft?
Herzlichen Glückwunsch auch von mir!

Pathologe hat gesagt…

Passend finde ich natuerlich, dass direkt unter dem Schaeffler Artikel die Anzeige einer Versicherung zur Berufsunfaehigkeit geschaltet ist. Fuer nur 122,50 Euro im Monat. Das sind doch Peanuts im Vergleich zu Conti, oder?

Pathologe hat gesagt…

und den Geburtstagsglueckwunsch habe ich auch vergessen.

Dr. No hat gesagt…

Danke herzlichst für die Glückwünsche - da sieht man auch mal, welche Leser bis zum Ende des Posts durchhalten... :)

epikur hat gesagt…

Hey, Du bist mir zuvorgekommen. "Frisches Kapital" sollte demnächst in meiner Neusprech Rubrik analysiert werden ;)

Gute Analyse und Glückwunsch zum einjährigen!