Denn die örtliche Regionalzeitung ließ keine Gelegenheit verstreichen, die Stimmung gegen den Mann aufzuheizen. Sie hat sein Gesicht veröffentlicht, ohne es unkenntlich gemacht zu haben, seinen vollen Namen und sogar seinen Wohnort genannt - und das alles schon, bevor der Prozess überhaupt begonnen hat. Sie ließ sich ausführlich über die Arbeitslosigkeit und die Drogensucht des Angeklagten aus, bezeichnete seine Wohnverhältnisse in einem Einfamilienhaus als "Daheim in schmutziger Baracke" - warum nicht gleich "Hauste dort wie ein Tier"? - und garnierte dies mit Fotos eines in seiner Wohnung liegenden Tittenmagazins, um ja keinen Zweifel an der moralischen Verkommenheit des Angeklagten aufkommen zu lassen. Und als dieser es auch noch gewagt hatte, sein zunächst abgegebenes Geständnis zu widerrufen, kannte der Zorn der Zeitung keine Grenzen mehr.
Hängt ihn höher!
Auch wenn sie zwischenzeitlich dazu verdonnert wurde, den Namen abzukürzen und den Angeklagten nur noch gepixelt zu zeigen - wogegen sich die Zeitung vor dem Verfassungsgericht zu Wehr setzt wie jemand, der seine Grundrechte angegriffen sieht - weiß dank der vorherigen Berichterstattung jeder Mensch in Oldenburg, wie der Verurteilte aussieht und wo er wohnt. Im Falle eines Freispruchs hätte dies, in Tateinheit mit der gleichzeitigen "Bild"-Hetze - noch interessant werden können: Die aufgewiegelte Meute hätte ihn sicherlich aus seiner schmutzigen Baracke geholt und an der Autobahnbrücke aufgehängt.
Ein solcher Freispruch war gar nicht so abwegig. Denn der Prozess beruhte allein auf Indizien - und die waren recht dünn. Eine DNA-Analyse des Holzklotzes hat nichts ergeben. Die Erdspuren daran bewiesen auch nicht viel. Das Handy des Angeklagten war in der Nähe des Tatorts geortet worden, aber er wohnte ja schließlich auch in der Nähe des Tatorts. Sein Geständnis war relativ wertlos, da widerrufen. Ausschlaggebender für die Verurteilung dürfte eher die ziemlich dämliche Vorgehensweise seines Anwalts gewesen sein.
Back to business
Am Tag nach der Urteilsverkündung war klar, was passieren würde: Der Verurteilte erschien wieder ohne Pixelung und mit vollem Namen auf der Titelseite. Schließlich dürfte er spätestens jetzt als eine "Person der Zeitgeschichte" gelten, da interessiert es ja keinen, dass der Verteidiger Revision eingelegt hat und das Urteil damit noch gar nicht rechtskräftig ist. Und nun suhlt sich die Chefredaktion des Blattes geradezu in der Genugtuung, endlich mit all den Zecken abzurechnen, die zuvor ihre oben beschriebene Art der Berichterstattung krititsiert haben - gemeint sind die taz und die Spiegel-Gerichtsreporterin Gisela Friederichsen. Wie siegesbesoffen der Chefredakteur seiner Häme freien Lauf lässt, das geht am besten aus seinem Leitartikel unter dem pathetischen und emotionstriefenden Titel "Im Namen des Volkes" hervor:
"Festzuhalten bleibt auch, dass es anfangs nicht an medialer Solidarität für den Angeklagten fehlte. Ob sogenannte Star-Gerichtsreporterin oder linkes Alternativblatt – es gab reichlich in Zeilen gegossenes Verständnis für den Angeklagten, aber vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit für die Getötete und deren Familie." (Quelle)Das heißt also: Wer Kritik an der Berichterstattung dieser Zeitung übt, macht sich mit einem Mörder gemein. Was für eine widerliche und perverse Art redaktioneller Selbstbefriedigung! Wegen der ethischen Regeln, die der Presserat aufgestellt hat, hat der NWZ-Chefredakteur diese Institution beizeiten einmal mit der "Reichsschriftkammer" verglichen. Nun ja, wenn wir schon bei Nazivergleichen sind, da habe ich auch einen: Diese Art der Vorverurteilung, der Bloßstellung und des Vorführens eines noch nicht überführten Verdächtigen erinnert mich an das hier.
Aber wie gesagt: Die Revision läuft. Seien wir gespannt auf die zweite Runde - und darauf, wieviel Wut, Haß, Niedertracht, Sabber und Geifer bei der Zeitung noch übrig ist, um das nächste Verfahren adäquat zu begleiten.
1 Kommentar:
Passt jetzt nicht direkt zu dem Topic, aber: Ich hatte mal das Vergnügen einen Heini der NWZ bei einem Webmontag in Bremen eine Präsentation zu sehen. Da haben die ihre (damals neue) Onlinepräsenz gefeiert. Daran musste ich denken, als ich die Zeile mit der redaktionellen Selbstbefriedigung las. :)
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