Dienstag, 8. Juni 2010

Frag nicht, was dein Land für dich tun kann - sondern was du für deine Bank tun kannst

Seit Monaten wälze ich mich nachts schlaflos und schweißgebadet hin und her, weil ich verzweifelt nach einer Antwort nach der Frage aller Fragen suchte. Nein, keine existenzphilosophische wie "Warum bin ich?", denn das weiß ich. Vielmehr suchte ich nach einer Antwort darauf, wem denn nun die irrwitzigen Kosten der Finanzkrise aufgebürdet würden. Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld, murmelte ich mantraartig und ganz erschlagen von mühlsteinschwerer Staatsbürgersorge vor mich hin. Nun wissen wir's. Überraschung.

Es ist ja irgendwie auf eine kranke, um drei Ecken gehende Abart von Logik nachvollziehbar, wenn man auf die Idee kommt, das gigantischste Finanzloch aller Friedenszeiten, zu dessen Ausgleich unfassbar wahnsinnig riesige Mega-Summen notwendig sind, gerade von denen füllen lassen zu wollen, die keinen einzigen Cent übrig haben. Das hat was, einen künstlerischen Wert gar, ein Hauch von Dada weht durch die muffigen Flure des Kanzleramts. Plebs, übernehmen Sie!

Kein Elterngeld mehr gibt's für die Armen, was ja auch Sinn macht, weil deren Fortpflanzung bekanntlich aus Gründen der Staatsräson eh unerwünscht ist, da brauchen die doch auch keinen Anreiz. Studien belegen schließlich, dass die Kinder des Lumpenproletariats später ohnehin nichts zur Rentenkasse beitragen werden, also raus mit dem ganzen Gesindel aus der Rentenversicherung - immer vorausgesetzt, es wird mittelfristig überhaupt noch eine geben - und Öffnung hin zu neuen Altersmodellen, etwa dem sozialverträglichen Frühverhungern. Oder -erfrieren, denn Heizkostenzuschüsse gibt es für Wohngeldempfänger auch nicht mehr. Und bei Kälte ziehen sich Dinge ja bekanntlich zusammen, was sich wiederum positiv auf die zu erstrebene Schichtenmodell der Bevölkerungszusammensetzung auswirken würde. Vielleicht ändert sich diese, ähm, Form der Sozialpolitik aber auch noch, etwa falls mehr Soldaten für die Front gebraucht werden.

Dass in einer Leistungsgesellschaft Leistungen zu streichen sind, ist ebenfalls absolut schlüssig. Und das "Pflicht-" in "Pflichtleistungen" klingt ohnehin irgendwie... diktatorisch. Wie inner DDR. Da klingt "Ermessensleistungen" doch gleich viel netter. Also gibt's für Arme den neuen Kühlschrank, das Paar Krücken oder den Computerkurs, mit dem man den letzten Strohhalm einer Chance auf dem Arbeitsmarkt zu ergreifen trachtet, künftig nur noch, wenn der Sachbearbeiter in der Arbeitsagentur in guter Stimmung ist, etwa weil sein Lieblingsverein gewonnen oder seine Frau ihn mal wieder rangelassen hat.

"Aber, aber", schallt es da aus dem wirtschaftsfreundlichen Dickicht: "Die Unternehmen müssen doch auch in die Tasche greifen, die Energieversorger nämlich!" Stimmt. "Brennelementesteuer" heißt das Zauberwort; und mit Zauberei hat es tatsächlich nicht wenig zu tun, denn mit einer solchen Steuer dürfte das Thema "Atomausstieg" wie von Zauberhand vom Tisch gefegt und die Laufzeitverlängerung mit einem dahingemurmelten "Abrakadabra" plötzlich konsensfähig geworden sein. Das fürderhin alleingültige Argument: Wir können uns einen Ausstieg einfach nicht leisten. Geschickt, geschickt; ganz großes Kino.

Das andere Reizwort, zumindest wenn man Anhänger von schwarz-gelb ist, lautet "Finanzmarkttransaktionssteuer". Ein schönes Wort, mit dem ich gleich nochmal meine Stimmbänder und tastaturverhornten Fingerspitzen liebkosen möchte: "Finanzmarkttransaktionssteuer". Hachja. Mehr als diesen wohligen Schauer beim Aussprechen werden wir aber wohl nicht davon haben, denn bislang ist es nichts anderes als oben beschrieben: Ein Reizwort, strenggenommen nur ein Wort, ein hohles gar, völlig unbeleckt von irgendeiner Verbindlichkeit. Mit Sprechblasen allein lässt sich aber kein Loch füllen, ein Bohrloch nicht und ein Finanzloch schon gar nicht, deshalb holt man die Kohle lieber aus ...

(Ein Absatz aus Gründen des Spannungsaufbaus freigelassen)

... der Kultur, die haben's ja. Muss denn eigentlich jede verdammte Stadt ein Theater haben? Und die ganzen Museen - da geht doch eh keiner rein. Eines pro Bundesland sollte reichen. Aber damit es nicht den Anschein erweckt, dass auch hier wieder nur das popelige Volk unter Kulturturkey zu leiden hat, verzichtet die Politik großmütig auf ihr Prestigeprojekt: Das Berliner Stadtschloss. Halt - sagte ich "verzichtet"? Hehehe. Natürlich wird auf die reaktionär-monarchistische Wichsvorlage keineswegs verzichtet, sie wird bloß verschoben. Erst ab 2014 heißt es dann: "Tut uns leid, den Kostenvoranschlag von zweiunddrölfzig Fantastilliarden Euro können wir leider nicht einhalten." Die Wissenschaft spricht vom "Elbphilharmonie-Effekt".

Das sind mir so ein paar Zivilisationsleuchten an den Entscheidungshebeln: Ein wirklich historisch wie architektonisch bedeutsames und einzigartiges Gebäude wie den Palast der Republik reißen sie nach aufwendiger Sanierung in einem Anfall talibanesken Bildersturms, gepaart mit lang aufgestauter Siegesbesoffenheit, einfach ab, aber die Neuerrichtung des Herrschaftssymbols absolutistischer Potentaten muss natürlich sein. Obwohl - irgendwie ist das Ganze auch den Zeiten angemessen. Ich finde, Wulff sollte dann ins Stadtschloss ziehen und den ganzen Tag mit einer "Burger-King"-Krone auf dem Balkon stehen und winken müssen.

Aber hey - ich leiste doch gerne meinen Beitrag. Ich bezahle schließlich ohnehin schon den Krieg, den Atommüll, die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Polizisten, die mich bei Bedarf als Gegenleistung gerne verprügeln und das Gehalt von Kreaturen wie Mixa - da werde ich doch auch noch die paar Kröten für die Banken übrig haben.

4 Kommentare:

HF hat gesagt…

Es wird immer bei denen abkassiert, die sich am Wenigsten wehren bzw. keine Lobby haben. Also - wehren und/oder Lobby gründen. Oder wie die, die Vermögen haben, ins Ausland abwandern - so kann man auch seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllen.

Dr. No hat gesagt…

Tja - aber mit welcher Drohung sollte eine Armenlobby schon Druck ausüben? Obwohl, da würde uns schon etwas einfallen ...

HF hat gesagt…

Es ist eine Frage der Menge - ein paar Protestierende gehen unter, Hunderttausende können nicht ignoriert werden. Und dann wäre der Druck automatisch da. :-)

juwi hat gesagt…

@HF: Recht hast du! Und, komisch, in Spanien geht so etwas auch.

Wenn die Wespen hier noch lange weiter so rumwurschteln, dann bleibt den Arbeitslosen und Hartz-IV Empfängern bald nicht einmal mehr ein Hungertuch, an dem sie noch nagen könnten. Währenddessen stopfen sich unser Herr Bundespräsidentschaftskandidat und seine niedersächsischen Landtagsabgeordnetenkollegen noch mal eben schnell die Taschen voll: Schlappe 7,2 Prozent mehr Geld in der Tasche - 6000 Euro gibt's dann ab Januar 2011. Das hätte ich jetzt auch gerne. Da könnte ich glatt noch was für die kommenden schlechten Zeiten beiseite legen.