Mittwoch, 2. Juni 2010

UN-Resolution Nr. 17382: "Kevin ist verkna-hallt!"

Wenn Zehntklässler in Konfirmationsanzügen, Abiturientinnen in Kostümchen und Pumps und Englisch-Leistungskursler mit Schlips und Kragen in Regimentsstärke die Cafés in der Innenstadt bevölkern, weiß man, dass es wieder OLMUN-Zeit ist: Die größte Polit-Simulation der Republik, ein Vereinte-Nationen-Rollenspiel. Ohne Orks, dafür aber ebenfalls mit finsteren Herrschern; ohne Kettenhemden, dafür mit Pullundern; ohne Humor, dafür aber mit einer gehörigen Portion spätpubertären Weltverbesserungsdrangs, der indes wohl zum Scheitern verurteilt ist: Alle Teilnehmer sehen so aus, als würden sie demnächst der FDP beitreten.

Grundsätzlich ist es eine nette Idee: Schüler tun so, als wären sie die UN-Vollversammlung, stellen jeweils die diplomatischen Vertreter eines bestimmten Staates dar und versuchen, das Anpacken der großen Probleme der internationalen Staatengemeinschaft zu simulieren. Davon erhoffen sie sich Einblick in die komplexe Welt der Diplomatie, über die Entstehung und Bewältigung internationaler Krisen und des, ähem, gemeinschaftlichen Vorgehens bei der Bekämpfung humanitärer Katastrophen. Irgendwie süss, dieser Idealismus. Ich war nie so jung.

Aber auch einigermaßen unangebracht. Denn die Beziehungen zwischen den Staaten dieser Welt gehen in der Realität nur geringfügig und in den meisten Fällen auch bloß formal über den Zustand absoluter Anarchie, gepaart mit dem Gesetz des Faustrechts, hinaus. In der rauen Wirklichkeit interessieren UN-Resolutionen die Großmächte einen feuchten Kehricht, ist der Sicherheitsrat ein reines Blockadeinstrument mit zweifelhafter Legitimation, werden Stimmen gekauft oder gleich erpresst und beruht Diplomatie auf Traditionen, die kein normaler Mensch versteht und auf Manipulationen, die im Zivilbereich gleich mehrere Straftatbestände erfüllen würden. Da gelten Regeln, auf die käme nicht einmal der fieseste Schulhofrowdy, geschweige denn die feuchtohrigen Musterschüler aus den Vororten.

Da sitzen sie aber nun, die hoffnungsfrohen Wohlstandskinder, und glauben, durch ihr Engagement und ihre hierbei gesammelten Erfahrungen an einer besseren Welt mitzubauen. Aber wenn sie dereinst das Alter und den Karrieregrad erreicht haben, in dem sie selbst zum UN-Botschafter ernannt werden könnten, werden sie feststellen, dass die Flüchtlinge in Darfur immer noch in ihren Zelten hausen, Burmesen und Tibeter immer noch regelmäßig von ihren Machthabern zusammengeknüppelt werden und Aids mangels gerechter Medikamentenabkommen immer noch kreuz und quer durch Afrika wütet, während multinationale Nahrungsmittelkonzerne darüber entscheiden, wer leben darf und wer verhungern muss.

Einen größeren Lerneffekt würde man erzielen, indem man ein paar Tage lang "Civilization" spielt, da bekommt man die wesentlichsten Regeln der internationalen Politik ebenfalls mit: Nämlich dass derjenige bestimmt, wo's langgeht, der das Geld, die Panzer und die Atomraketen hat.

Andererseits fällt es mir in diesem Zusammenhang auch schwer, sarkastisch zu bleiben. Zu schön ist nämlich die Vorstellung, dass die großen Krisen des Planeten dadurch behoben werden, dass Jan-Philipp (Nordkorea) und Lisa-Anna (Südkorea) hinter der Veranstaltungshalle wild herumknutschen.

6 Kommentare:

juwi hat gesagt…

In der Tat wäre das eine geniale Methode gegen die Spirale der Gewalt in diesem geteilten Land vorzugehen, und außerdem eine wohltuende Rückbesinnung auf die Philosophe der 1960er und 1970er Jahre: "Make Love, not War." ...

Allein, es fällt mir mehr als schwer, mir vorzustellen, was passieren würde, wenn Südkoreas Präsident Lee Myung-bak und der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Il wild herumknutschender Weise hinter dem UN-Gebäude in New York von einem Fotoreporter der Blöd-Zeitung ertappt werden würden. Wahrscheinlich würde es anschließend zu beiderseitigen heftigen Vergewaltigungsvorwürfen kommen, die Kim Jong Il auf seine Weise mit einem Atomraketenangriff auf das Haus von Lee Myung-bak abruppt aus der Welt schaffen würde.

Dr. No hat gesagt…

Aber was, wenn der mächtigere der beiden, also der mit der Atombombe, einfach behaupten würde, alles wäre in gegenseitigem Einvernehmen geschehen? Müsste es dann nicht heißen: "Wiedervereinigung nach Atomorgasmus?"

juwi hat gesagt…

Unter diesem Gesichtspunkt sollte man die beiden unter irgendwelchen fadenscheinigen Vorwänden zur nächsten Vollversammlung der UNO nach New York locken, und sie dort unauffällig miteinander verkuppeln. Dann müsste man sie nur noch irgendwie dazu veranlassen, heimlich gemeinsam händchenhaltend hinter dem UN-Gebäude zu verschwinden ...

Pathologe hat gesagt…

Haben wir fuer einen solchen Fall nicht einen entsprechend hervorragend geschulten Aussenminister? Der koennte den Herren doch diskrete Tipps in Sachen Wiedervereinigung geben.

Auch wenn diese Tipps nachher nur fuern Arsch waren.

Dr. No hat gesagt…

Diese Tipps wären aber sehr theoretisch angelegt. In der Praxis würde niemals jemand, nur um einen Atomkrieg abzuwenden, mit Guido...

Pathologe hat gesagt…

...man steckt nicht selber mit drin, Herr Dr. No. Zum Glueck.