Samstag, 21. August 2010

Puten, Paten, Psychopathen

Seit einer Woche nichts mehr gebloggt. Das hängt nicht unwesentlich damit zusammen, dass ich derzeit ziemlich überarbeitet bin, aber auch damit, dass ich gar nicht mehr weiß, worüber ich eigentlich schreiben soll - dabei ist nicht der Mangel an kommentierenswerten Themen das Problem, sondern deren schiere Häufung. Erneut hat mich ein akuter Anfall von Bloggerstarre niedergestreckt, und mangels Spezialisten versuche ich es mal mit Selbsttherapie: Auf zum Rundumschlag.

Soll ich nun darüber schreiben, dass die neue Landwirtschafts- und Verbraucherschutz-ministerin Niedersachsens ausgerechnet aus einem Putenzuchtbetrieb stammt, also eigentlich eine Lobbyistin ist? Einer Firma, die Mehrheitseigner einer Kükenfabrik in Meckpomm ist, in der Peta erschreckende Aufnahmen vom Leid der Tiere gemacht hatte - womit Frau Ministerin allerdings nichts zu tun gehabt haben will, obwohl sie nichts weniger als die Geschäftsführerin des Hauptgesellschafters gewesen ist? Und dass sie, obwohl sich abzeichnet, dass sie bei ihren Rechtfertigungen - um es vorsichtig zu formulieren - nicht gerade die ganze Wahrheit zu sagen scheint, dennoch vom Ministerpräsidenten auch noch den Rücken gestärkt bekommt?

Soll ich meinen Senf dazu geben, dass die wirre These des verschwundenen Öls ebenso breitgestreut wie das Öl selbst zur allgemeinen Konsensmeinung gemacht wurde und dass die nicht wenigen Wissenschaftler, die sie anzweifeln, medial geradezu wie intellektuell Aussätzige behandelt werden und es nur noch zu einer Randnotiz bringen? Und dass trotz alledem der Hunger auf fossile Energieträger dermaßen weiter angeheizt wird, dass man demnächst wohl in Kauf nehmen muss, dass man sich beim Händewaschen ordentlich die Finger verbrennen könnte?

Soll ich mich darüber beömmeln, dass Indien nun anfängt, Arbeitsplätze in das Billiglohnland USA outzusourcen? Globalhistorisch sicherlich nicht unkomisch, wenn der Ausbeuter-Bumerang auch mal in die erste Welt zurückkommt - aber ist billige Genugtuung nach dem Ätsch-Bätsch-Prinzip angebracht, wenn man weiß, dass in Deutschland genauso nachdrücklich daran gearbeitet wird, ein stets zur Verfügung stehendes Heer an Lumpenproletariern heranzuzüchten?

Angie, du haste unse schwere enttäuschte

Soll ich wutentbrannt die Faust in Richtung der Energiekonzerne schütteln, die in einem selten so öffentlich begangenen Akt von Dreistigkeit ein ganzes Land zu erpressen versuchen? Denn die Drohung, beim Festhalten am Ausstieg AKWs sofort stillzulegen und "Strom im Ausland dazuzukaufen", ist nichts anderes als die Drohung, die Preise willkürlich zu erhöhen und dem Volk hin und wieder den Saft ganz abzudrehen, wenn die von ihm gewählten Vertreter nicht spuren wollen. Diese Gangstermethoden sind nicht neu, neu ist allerdings, dass die Paten sie in der Zeitung inserieren. Der nächste Schritt wäre, wenn Ackermann der Kanzlerin öffentlich den Todeskuss gäbe, aber das ist wohl nicht nötig: Die Politik gehorcht ja jetzt.

Soll ich mir seitenlang meinen Frust darüber von der Seele schreiben, dass Oberst Klein nicht einmal die allerwinzigste Konsequenz aus dem Blutbad von Kunduz ziehen muss? Dass die Bundeswehr, die pro forma ein bisschen länger als die Bundesanwaltschaft vorermittelt hat, ihn von jeglichen Vorwürfen freigesprochen hat und nicht einmal ein Disziplinarverfahren einleitet, obwohl bekannt ist, dass Klein den Luftschlag dadurch herbeigeführt hat, indem er von einer Gefechtssituation fabulierte, die es nicht gab, und dass er die zögernden Piloten zum Angriff geradezu drängte? Dass das Thema, nachdem die Bundesrepublik gönnerhaft Blutgeld an die Hinterbliebenden der bis zu 142 Toten gezahlt hat, damit höchstoffiziell erledigt ist?

Dass sich keine Sau für die Flut in Pakistan interessiert?

Ach nein, über all das mag ich nicht schreiben. Stattdessen befasse ich mich mal mit diesem sympathischen Zeitgenossen, dessen Elaborat ich schon seit Wochen vor mir herschiebe: Gunnar Heinsohn, seines Zeichens Bremer Sozialwissenschaftler. Der machte sich öffentlich Gedanken darüber, was in diesem Land und im Rest der Welt schief läuft, was an sich ja aller Ehren wert wäre - wenn es sich bei diesem Herzchen nicht offensichtlich um einen elitären, niederträchtigen Sozialdarwinisten mit Frauenkomplex handeln würde.

Alles Parasiten außer Mutti?

Schon der erste Satz seines Hirnejakulats ist geeignet, quer über die Tastatur zu kotzen: "Die Tüchtigen Deutschlands, die viele Millionen Bildungsferne und ihren stetig zunehmenden Nachwuchs versorgen..." So könnte auch eine Pressemitteilung der INSM beginnen. Oder eine Urlaubspostkarte von Westerwelle. Die "Tüchtigen" lassen wir mal beiseite - widmen wir uns eher dem "Nachwuchs".

Im Duktus eines Hühnerzüchters spricht der Mann von "Bestandserhaltung", wenn er die seiner Ansicht nach zu niedrige Geburtenrate ins Feld führt, von "Vermehrungsförderung", wenn er das Elterngeld meint und teilt Nationen in "Ränge" von unten nach oben ein, wenn er Sozialsysteme vergleicht, bevor er sich seinem Lieblingsthema zuwendet: Alleinerziehenden arbeitslosen Frauen. Ich weiß nicht, was seine Mami ihm einst angetan oder wieviele Ehen der Professor an die Wand gefahren hat - Sozialhilfemütter, so die in den USA längst wieder verschwundene herablassende Brandmarkung, sind Heinsohn zufolge offenbar an allem Schuld, vor allem ausländische Sozialhilfemütter, was er gleich wieder in Form einer Bundesligatabelle zum Ausdruck bringt: Deutschland auf Platz 23, nach welchen Maßstäben auch immer.

Dä Migranten sänd onser Unglöck! Schnorch!

Das Ganze liest sich bei ihm dann so (Hervorhebungen von mir):
"Denn eine solche Mutter kostet bis zum fünfzigsten Lebensjahr 415.000 Euro, also die Steuern von zwei Vollerwerbstätigen."
"Nur solche Einwanderer sind eine Hilfe, deren Leistungsprofil über dem aktuellen Durchschnitt der aufnehmenden Nation liegt."
"Passabel in Mathematik schneiden schließlich auch Inder ab. Sie haben 2010 immerhin noch 2,7 Kinder pro Frau – gegenüber nur 1,6 in China."

"Überdies aber gibt es [Deutschland] den Frauen auf Sozialhilfe in Form von Elterngeld Sonderprämien, wenn sie ihre risikoreiche und pädagogisch ungünstige Existenz auf weitere Neugeborene ausdehnen."
Allein für diesen Satz, Herr Heinsohn, würde ich Ihnen gerne mal so richtig ordentlich ________________________ (Raum für Notizen). Was ich damit meine, dürften Sie sich denken können; ebenso, an wessen Sprachgebrauch mich Ihre Auslassungen erinnern. Sie sind ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen. Das heißt - vermutlich sind Sie es schon, aber trotzdem Wissenschaftler geworden. Warum auch immer.

Und nicht vergessen: Die größten Sozialhilfemuttis in diesem Land heißen nicht Bärbel oder Uschi, sondern IKB, Hypo oder HSH.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich bin froh, dass ich kein "Politblogger" bin, man weiß ja zur Zeit gar nicht, wo man anfangen soll.
Schlimm.
Und solchen "Herzchen" wie Gunnar Heinsohn würde ich wünschen, dass sie mal ein paar Monate unter Hartz-IV-Bedingungen leben müssten, damit sie endlich mal eine Ahnung bekommen, worüber sie schreiben. Und so jemand lehrte Sozialwissenschaften.

Dr. No hat gesagt…

Und dann auch noch in Bremen...

Leute wie Heinsohn sind ja davon überzeugt, dass SIE nie unter Hartz-IV-Bedingungen werden leben müssen. Wahrscheinlich sogar zu recht. Nicht weil sie die "Tüchtigen" sind, als die sie sich gerne selber bezeichnen. Sondern weil solche Menschen, wenn sie aus irgendeinem Grund fallen, sollten, leider immer weich landen.