Schön, dass Barack Obama auf seiner Nahostreise der muslimischen Welt die Hand für eine Verbesserung der zuletzt doch arg gebeutelten Beziehungen reicht. Und mutig, dass er die Scharfmacherei im eigenen Land ebenso mitverantwortlich dafür macht wie den Umgang des Westens mit der muslimischen Welt in den Zeiten des Kolonialismus und des Kalten Krieges. Merkwürdig allerdings, wie er seine Botschaft anschließend ein wenig, nun ja, übersteigert.
Denn Amerika und der Islam hätten schließlich Gemeinsamkeiten und müssten nicht konkurrieren, so Obama in seiner Kairoer Rede: "Stattdessen überlappen sie sich und teilen gemeinsame Prinzipien - Prinzipien der Gerechtigkeit und des Fortschritts, Toleranz und die Menschenwürde." - Ich verstehe ja, worauf er damit hinaus will, und stelle seine Motive an dieser Stelle auch nicht in Frage. Aber ausgerechnet die USA und den Islam als Sinnbilder für Gerechtigkeit, Toleranz und Menschenwürde zu deklarieren? Menschenwürde, wo doch in US-Gefängnissen Häftlinge gefoltert und in vielen islamischen Ländern Frauen verhüllt und weggesperrt werden? Toleranz, wo 2004 jeder zweite US-Bürger einen Präsidenten wiedergewählt hat, der seine Angriffskriege als "Kreuzzüge" bezeichnete und wo jeden Tag irgendwo auf der Welt islamische Extremisten sich und Andersgläubige in die Luft jagen? Gerechtigkeit, wenn dem obersten Zehntel der amerikanischen Bevölkerung 70 Prozent des Privatvermögens gehört und in einigen muslimischen Ländern Frauen für Ehebruch drakonisch bestraft werden, Männer hingegen nicht?
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Prinzipien, nun ja, nicht überall in den USA und der islamischen Welt (und auch in Europa) so wirklich streng befolgt werden. Ich will damit hier gar nicht polarisieren und auch keine Stereotypen bedienen. Aber der Hinweis sei mir gestattet: Das war ein bißchen zu gut gebrüllt, Löwe. Neuanfang der Beziehungen ist toll, wichtig und nötig - aber man muss sich selbst und alle Anwesenden ja nicht gleich heilig sprechen. Denn wie wackelig diese amerikanischen Prinzipien sind, sieht man daran, wie schnell sie im Zweifelsfall wieder fallengelassen werden - so geschehen 2001ff. Von umfassender Gerechtigkeit und Toleranz sind beide Parteien aller Lippenbekenntnisse zum Trotz noch weit entfernt - und nicht nur die.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen