Mittwoch, 15. April 2009

Wolle mer ihn rauslasse?

Kommt er oder kommt er nicht? Ein normales Gänseblümchen reicht bald nicht mehr zum Abzählen der Frage, ob der mutmaßliche NS-Verbrecher John Demjanjuk nun nach Deutschland ausgeliefert wird oder nicht. Gestern war der Mann schon von US-Beamten aus seinem Haus abgeführt worden, da hat ein Einspruch der Familie die Auslieferung erneut in letzter Minute gestoppt. Es ist schon fast die Pointe in der langen unsäglichen Geschichte der Verfolgung von NS-Tätern, dass der wahrscheinlich letzte große Fall zu einem peinlichen Hickhack ausartet.

Längst sind im Fall Demjanjuk ärztliche Gutachten von der Macht der Bilder verdrängt worden. Insbesondere die Familie des 89-Jährigen übt sich eifrig als Amateurfilmer und nahm schon vor einer Woche ein vor Theatralik nur so triefendes Video auf, in dem Demjanjuk, vor Schmerzen stöhnend, von einem angeblichen Arzt, der merkwürdigerweise des Englischen nicht so recht mächtig zu sein scheint, zu Bett gebracht wird und darüber jammert, dass alle ihn umbringen wollen. So was macht Eindruck: Dieser arme, alte und gebrechliche Opi soll noch einen Transatlantikflug hinter sich bringen müssen und dann auch noch vor Gericht gestellt werden?

Ja, soll er. Es gibt mehr als einen begründeten Verdacht, dass Demjanjuk in Sobibor an der Ermordung von zigtausend Juden beteiligt war; und es ist erbärmlich genug, dass der Mann so lange unbehelligt geblieben ist. Wenn die Beweise nicht ausreichen sollten, wird er sicherlich auch freigesprochen - wie schon einmal. So viel Vertrauen in unser Rechtssystem sollte schon angebracht sein, zumal die bundesdeutsche Justiz noch nie in dem Ruf stand, NS-Verbrecher allzu hart zu bestrafen.

Ich weiß nicht, ob Demjanjuk wirklich so krank oder gebrechlich ist. Wenn dies der Fall sein sollte, hat er ohnehin gute Chancen, als prozessunfähig zu gelten. Ich habe aber den leisen Verdacht, dass von Seiten seiner Familie ein wenig zu sehr auf die visuelle Mitleidstube gedrückt wird und die Videos zumindest zum Teil inszeniert sind. Das alles ist aber auch zweitrangig: Allein der Versuch, ihn vor Gericht zu bringen, muss unternommen werden. Viel zu viele NS-Verbrecher haben viel zu lange ein ruhiges Rentnerdasein führen können, und das ist fürwahr kein Ruhmesblatt der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, die in diesem Jubiläumsjahr so groß abgefeiert wird. Und viele sind ihrer Strafe entgangen durch das, was sie selbst vermutlich vor 1945 als "biologische Endlösung" beschrieben hätten.

Um so wichtiger, die letzten Gelegenheiten zu nutzen, Gerechtigkeit walten zu lassen. Alter schützt vor Strafe nicht.


Edit, 24. April: Quod erat demonstrandum.

1 Kommentar:

Herr Liebreiz hat gesagt…

Man möge mich nicht falsch verstehen. Ich stimme in jeder Deiner Zeilen mit Dir überein. Mir fallen wenige, eigentlich keine Mörder in der Kriminalgeschichte ein, deren Alter sie zumindest vor einem Prozess, geschweige denn Haft wirklich verschont hätte. Auf der anderen Seite würde ich der Familie keinen Vertuschungswillen unterstellen wollen. Ich nehme einfach an, dass wohl vielen Söhnen der nötige Abstand fehlen würde, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.