In ein paar Tagen wird das Europaparlament gewählt, und wir dürfen sogar mitmachen. Nachdem es nun schon seit einiger Zeit unmöglich ist, sich auch nur zwanzig Schritte weit von seinem Haus zu entfernen, ohne vor eine fußballfeldgroße Plakatwand zu rennen, die am Vortag noch nicht dagewesen war, könnte man ja mal die Gelegenheit nutzen, eine kurze vorgezogene Abschlussbilanz der Wahlslogans ziehen. Denn die sind größtenteils wieder mal eher peinlich geraten. Überraschung...
Frühere Generationen waren ja lange dem Irrglauben aufgesessen, auf Wahlplakaten gehörten Aussagen zu den politischen Zielen der Partei. Was für eine Schnapsidee! Damit überfordert man den Wähler doch total. Und unter designerischen Gesichtspunkten macht es ja auch viel mehr her, das übergroße Gesicht eines Kandidaten abzudrucken - nachdem man Augenringe und Pickel wegretuschiert hat selbstredend. Wenn schon unbedingt ein Slogan draufmusste, dann bitteschön ein so nichtssagender wie möglich. Klassiker des Genres: "Weltklasse für Deutschland" (Kohl/CDU), "Ich bin bereit" (Schröder/SPD) und - seinerzeit geradezu innovativ in seinem kompromisslosen Kasernenhofton - "Joschka wählen!" (Grüne).
2009 bleibt sich die CDU in dieser Hinsicht treu: "Wir in Europa". Äh, ja. Ihr seid in Europa, hab' ich mir doch gleich gedacht. Aber auch diese Nicht-Aussage lässt sich noch locker unterbieten: Man nehme die Visage des hiesigen Kandidaten - der wie alle Europapolitiker bei den Wählern vollkommen unbekannt ist und deshalb versucht, besonders seriös aus dem Anzug zu schauen, bei diesem Versuch allerdings scheitert - und schreibe "Europa-Mayer" darunter. Fertig ist das Wahlplakat, und ich sehe schon tausende Wähler, die am Sonntag im Gruppen zum Wahllokal marschieren und dabei inbrünstig "Eu-ro-pa-May-er! Eu-ro-pa-May-er!" skandieren.
Diese Vorgehensweise ist ebenso bedeutungslos wie auch schlau. Denn wenn die CDU in diesem Wahlkampf schon mal vereinzelt versucht, mit irgendwelchen konkreten Aussagen zu punkten, kommt so etwas dabei heraus wie "Für einen starken Euro" - wobei sie lieber nicht erwähnt, dass ein allzu starker Euro der immer wieder beschworenen Exportnation Deutschland eher schadet. Aber es ist ja immer so wenig Platz auf diesen Plakaten, da muss man sich auch mal kurz fassen. Also "Europa-Mayer".
Haken wir kurz die FDP ab, denn das geht schnell. Zumindest in meiner Stadt wirbt sie offenbar ausschließlich mit dem Namen und dem Portrait der hiesigen Kandidatin, die ebenfalls kein Schwein kennt. Aber was sollen die Liberalen auch sonst schreiben: "Für einen freien, ungezügelten Kapitalismus" etwa? Oder "Gegen Verrechtlichung der Finanzwirtschaft"?
Die SPD hingegen beschritt ganz neue Wege. "Finanzhaie würden FDP wählen", prangte es von der Wand, und das traf derzeit sowohl ins Schwarze als auch den Zeitgeist. Dieser ungewöhnliche Anflug von Kreativität hat sich aber nicht lange gehalten, denn die anderen Slogans aus dieser Serie tun weh: "Heiße Luft würde Die Linke wählen" oder "Dumpinglöhne würden CDU wählen". Aua! Klassische Fälle von schiefen Bildern. Jeder Zeitungsvolontär würde das um die Ohren geschlagen kriegen. Dumpinglöhne können nun mal nicht wählen; wenn, dann wählen die Leute, die Dumpinglöhne zahlen, also Ausbeuter - aber das klingt der SPD sicher zu klassenkämpferisch.
Trotz der ungewöhnlichen Herangehensweise ist die SPD-Kampagne dennoch erbärmlich. Denn bei den Sozialdemokraten reicht es lediglich dazu, zu sagen, warum man andere Parteien nicht wählen soll. Es wird hingegen nicht gesagt, warum man denn die SPD wählen sollte! Vermutlich gibt es dafür auch keinen vernünftigen Grund und die Genossen wissen das. Und vermutlich ist ihnen die Kampagne dann auch irgendwann peinlich und die Plakate durch andere ersetzt worden - ich sehe zumindest keine mehr. Was für ein politisches Armutszeugnis.
Auch die Grünen wollten mal was frisches anbieten: "Mit Wums für ein besseres Europa!" Wenn man Glück hat, entdeckt man ein Plakat, auf dem auch aus einem vorbeifahrenden Auto heraus lesbar erklärt wird, was die Grünen uns eigentlich mit "Wums" sagen wollen. Wenn man weniger Glück hat, sieht man nur den Slogan "Ich unterstütze Wums" und fragt sich, ob die grünen Strategen ein paar Bildzeitungen gefressen haben. Wums hier, Wums dort - vermutlich hatte da ein PR-Berater die Finger im Spiel, der gerade die Uni verlassen hat und dem noch Begriffe wie "Wiedererkennungswert" und so in den Ohren klingeln. Dabei fällt ihnen nicht einmal auf, dass der Schornstein auf dem Klimaschutz-Plakat wie ein feuerndes Kanonenrohr aussieht - was mit dem Wort "Wums" äußerst lächerlich wirkt. Oder war das etwa beabsichtigt, so als "pfiffige Idee"? (Schön übrigens diese Repliken darauf).
Gleichwohl: Wenigstens sprechen die Grünen überhaupt Themen an, wenn auch nur mit drei oder vier Worten; und wenn im aktuellen Wahlkampf die CDU mit "Freiheit und Sicherheit" wirbt und die Grünen ihr Schäuble-Plakat direkt daneben platzieren, hat das ja auch seinen Reiz.
Mit dem Kleingedruckten haben's auch die Linken. Zwar bilden sie mit Slogans wie "Gleicher Lohn für Frauen", "Raus aus Afghanistan" und "Millionäre zur Kasse" zwar eine rühmliche Ausnahme, gewissermaßen das Salz in der lauwarmen Wahlslogan-Buchstabensuppe. Allerdings muss der geneigte Wähler, wenn er auch die dazugehörigen Argumente lesen will, erst anhalten, aussteigen und die Brille aufsetzen. Macht aber niemand, weshalb wohl eher die plakativen Überschriften im Gedächtnis bleiben und bei nächster Gelegenheit wieder als "Populismus" verschrien werden. Außerdem schießen die Linken mit dem Slogan "Rot wählen!" ein klassisches Eigentor: Rot ist immerhin auch die Farbe eines Mitbewerbers um die gut dotierten Parlamentssitze - und warum eigentlich Rot wählen, wenn das Plakat blau ist?
Fazit: Bis auf die Linken und - mit Abstrichen - die Grünen ein erfrischend sinnleerer Wahlkampf. Wer CDU wählt, tut dies, weil Papi es auch schon gemacht hat; wer SPD wählt, macht das, weil ihm genausowenig einfällt wie den Parteistrategen - und wer FDP wählt, dem ist eh nicht mehr zu helfen. Was bleibt, ist eine wieder mal grandiose Papierverschwendung und ein Vorgeschmack auf das, was da im Herbst auf uns zukommt.
Ich muss derweil erstmal den herben Schlag verdauen, dass der Wahl-O-Mat mir gesagt hat, ich solle SPD wählen. Da hilft es auch nichts zu sagen "Beruhige dich, Schatz, das passiert doch jedem mal." Nein, MIR passiert sowas sonst nicht.
Siehe hierzu auch Carluv und Roman.
1 Kommentar:
Eigentlich müssten wir uns vor den Wahllokalen am Sonntag verteilen und anhand des Textes, den Wählern, die Augen öffnen.
Super Ansicht -gg-
MfG
darki
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