Erst Gorleben, dann die niedersächsische Variante des Sturms auf die Bastille - manch einer hält es nun offenbar an der Zeit, das ganze Versammlungsrecht komplett zu kastrieren, bevor so etwas wieder passiert. Es wäre doch viel besser, ruhiger und vor allem ordentlicher, wenn Demonstranten künftig gewissen... nun ja: Regeln unterworfen werden würden. An Vorschlägen mangelt es derzeit nicht.
Da wäre zunächst einmal Innenminister Uwe Schünemann, der am liebsten in jedes Klo eine Überwachungskamera einschrauben und Muslimen Fußfesseln verpassen möchte. Nun will er auch, dass die Gorleben-Demonstranten für die Kosten des Polizeieinsatzes aufkommen. Ich kann ja verstehen, dass er angefressen darüber ist, dass das Land ständig alle Kosten der Atommüll-Transporte alleine übernehmen muss, weil zufälligerweise beide Atommüll-Lager in Niedersachsen liegen und nicht etwa in Hessen oder Bayern - die zwar am lautesten das Lied der Atomlobby singen, aber mit dem radioaktiven Abfall nichts zu tun haben wollen. Mich nervt das auch. Noch viel mehr nervt mich allerdings, dass die Verursacher des Mülls, nämlich die Energiekonzerne, auch keinen müden Euro rüberwachsen lassen. Vermutlich zahle ich mehr für die Endlagerung des strahlenden Mülls als Eon-Kernkraft.
Aber ich schweife ab. Schünemann will also Demonstranten zur Kasse bitten. Gute Idee, entlastet den Staatshaushalt. Ich vermute, ihm schwebt auch eine gerechte Kostenverteilung vor: Wer die staatlichen Dienstleistungen intensiv in Anspruch genommen hat, weil er sich von Beamten ordentlich die Scheiße hat rausprügeln oder sich von einem Wasserwerfer quer übers Feld hat jagen lassen, sollte selbstverständlich mehr zahlen als jemand, der artig mit einem Teelicht in der Hand an einer Dorfstraße 20 Kilometer entfernt stehend Anti-Atomkraft-Lieder singt. Und wer gleich ganz zu Hause bleibt, könnte gar einen Bonus gutgeschrieben bekommen - vielleicht einen Gutschein über zwei Kilowattstunden Atomstrom. Die daraus resultierenden Verdienstausfälle bei Eon und Co. müsste das Land selbstverständlich ausgleichen, alles andere wäre Kommunismus.
Und dann war da noch Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann. Sie spottete über die Zahl der Demonstranten ("Wir haben eine Million Schüler in Niedersachsen") und stellte sie pauschal als Krawallbrüder, mit denen man sich gar nicht abzugeben brauche, an den Pranger ("Ich kann mich nicht mit Leuten unterhalten, die Straftaten begehen"). Sie salbaderte im Landtag darüber, dass mit der Bildung alles in Ordnung sei, und kapierte nicht, warum die Leidtragenden selbigen stürmen wollten. Am tollsten finde ich jedoch, dass Heister-Neumann den Schülern das Demonstrieren am liebsten gleich ganz verbieten will, zumindest während des Unterrichts - und damit Tausende von Protestlern zu bloßen Schulschwänzern degradiert. Sie könnten ja nachmittags, nach dem Unterricht, demonstrieren gehen, erdreistet sich das Ministerium vorzuschlagen. Also in ihrer Freizeit.
Auch dies dünkt mich eine prima Idee zu sein: Man könnte auch gleich per Gesetz vorschreiben, dass Demonstrationen generell zu Zeiten abzuhalten sind, an denen die Teilnehmer nicht durch Schule, Beruf oder ähnliches gebunden sind. Wo kämen wir da denn hin, wenn Leute zu Uhrzeiten auf die Straße gehen, zu denen sie die größte Aufmerksamkeit bekämen, aber zugleich für ihren Arbeitgeber Werte zu schaffen haben! Also, wenn es schon sein muss, dann zu einer volkswirtschaftsverträglichen Zeit. Metallarbeiter vielleicht abends um halb sieben und Beschäftigte im Einzelhandel nachts um zwei.
Und der Chef der Baggage, Christian Wulff? Hat vielleicht kurz überlegt, ob er die Schüler-Proteste mit SA-Randale vergleichen soll, es dann aber doch sein gelassen und lieber - weil sich diese Taktik zigfach bewährt hat - den Linken die Schuld gegeben (*gähn*). "Die Linke verfolgt eine perfide Strategie, das Parlament herabzuwürdigen und die Konflikte auf die Straße zu verlagern", wütet der Landesvater und präsentiert damit nicht nur ein erbärmlich peinliches Scheinargument, sondern auch einen offensichtlichen Hang zu Verschwörungstheorien. Tausende Schüler haben die Schnauze voll und sagen das laut - und das alles ist eine "perfide Strategie der Linken"? Vielleicht sollte Wulff sich mal untersuchen lassen. Sonst sieht er demnächst noch Reptiloiden am Werk.
Fazit: So geht es nicht weiter mit den Demonstrationen, das muss alles durchorganisiert werden. Wir haben ja nicht umsonst eine hochentwickelte Bürokratie. Ich bin bekanntlich immer bereit, konstruktiv mitzuwirken:
- Ich stelle mir da eine Art Basisgebühr von zehn Euro für jeden Teilnehmer vor, die bei Anmeldung der Demo vom Veranstalter an das Innenministerium zu entrichten ist. Kommen mehr Teilnehmer als angekündigt, zahlt der Veranstalter Strafgebühren. Jeder Teilnehmer hat sich schriftlich anzumelden und eine Kopie des Personalausweises einzureichen.
- Ferner muss, wenn die Demo zwischen 8 und 22 Uhr stattfinden soll, jeder Demonstrant auf Verlangen eine schriftliche Entschuldigung seines Arbeitgebers/Klassenlehrers/Hartz-IV-Sachbearbeiters/seiner Mami vorweisen können.
- Parteimitglieder der Linken werden, wenn sie an der Demo teilnehmen oder mit Demonstranten sprechen oder sich in Sichtweite des Demonstrationszuges aufhalten, sofort des Hochverrats angeklagt und standrechtlich erschossen.
- Für den Fall, dass über das Basispaket hinaus Leistungen aus dem Premium-Demopaket (Wegtragen von Personen, Auftrennen von Ketten) oder dem Gold-Demopaket (Schlagstöcke, Hunde, Tränengas usw.) in Anspruch genommen werden, hat der Veranstalter die zusätzlichen Kosten in vollem Umfang zu übernehmen.
Und ich muss jetzt los, Bahnsteigkarte kaufen. Bis denn.
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