Montag, 3. November 2008

Der Vormittag der langen Messer

Wenigstens hatte sie einen schnellen Tod: Wenn gleich vier Parteigenossen gleichzeitig ihre Dolche zücken und die ehemals zukünftige Ministerpräsidentin Hessens, Andrea Ypsilanti, hinterrücks abstechen, einen Tag vor der entscheidenden Wahl, rechne ich nicht mit einem langen Dahinsiechen - zack, mitten ins Herz, gut is. Morgen werden ihre Überreste verscharrt, das Blut von den Klingen abgewischt und der Blick nach vorne gerichtet: Jürgen Walter, Carmen Everts, Silke Tesch und Dagmar Metzger freuen sich auf weitere fünf Jahre mit dem ausländerhassenden Demagogen Roland Koch. Denn darauf wird es nun hinauslaufen. Die grandiose Lust der Sozialmasochistischen Partei Deutschlands an ihrer Selbstzerfleischung ist mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben.

Immerhin hatte Metzger Ypsilanti vor Monaten gewarnt ("Pass auf, ich bin bewaffnet!") . Walter hingegen konnte seinen kleinen Rachefeldzug dafür, dass Ypsilanti und nicht er 2007 zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Januar 2008 gekürt worden ist, fast ein Jahr lang minutiös planen. Er kann niemandem erzählen, dass er bis zuletzt um seine Entscheidung gerungen und sich jede Nacht vor Gewissensbissen in den Schlaf geweint hat. Die SPD hat die Wahl zur Ministerpräsidentin sogar geübt, um sicher zu gehen - und Walter stimmte ganz offensichtlich für Ypsilanti, bevor er wieder in sein Hinterzimmer verschwand, um sein Messer zu wetzen. Aber selbst, wenn er nach diesem politischen Attentat Spitzenkandidat anstelle der Spitzenkandidatin werden sollte, wäre es ein Pyrrhussieg: denn die Partei wird bei den zu erwartenden Neuwahlen wohl untergehen. Zwar nicht mit wehenden Fahnen, aber dafür in einem geradezu epischen Ausmaß. Vielleicht haben Union und Liberale den Abtrünnigen aufgrund des ebenfalls zu erwartenden Parteiausschlusses auch schon den roten (hehe) Teppich ausgelegt - wer weiß das schon.

Vorangegangen war eine beispiellose monatelange Hetzkampagne gegen Ypsilanti, an der sich nicht nur die Pofallas und Westerwelles dieser Welt geifernd betätigten, sondern dazu fast die komplette Medienlandschaft - nicht nur Bild-Diekmann, sondern auch der allerletzte Bauernkurier aus Klein-Wölferode fühlte sich bemüßigt, auf der Hessen-SPD einzudreschen. Der Tenor: Mit den Linken spielt man nicht; Schluss, aus, fertig. Einen konkreten Grund dafür, warum man glaubt, sich derartig arrogant über den Willen von 140.769 Bürgern - das sind jene 5,1 %, die im Januar die Linke gewählt haben - hinwegsetzen zu können, hat niemand genannt. Und wenn doch, dann war der vorgeschobene Grund ein selten dämlicher:

  • "Die Linke ist die SED-Nachfolgepartei!" - Was für ein Unfug. Eine Partei ist eine Organisationsstruktur, sie hat demzufolge keine Erbanlagen, die ihr genetisches Grundmuster an die nächste oder in diesem Fall übernächste Generation weitergeben könnte. Eine Partei definiert sich in erster Linie über ihr Programm, in zweiter über ihre Mitglieder. Dass das Programm der Linken ein demokratisches ist, daran gibt es nichts zu rütteln. Bleiben die einen oder anderen Mitglieder. Das ist sicher nicht schön, Stasi-Betonköpfe in den eigenen Reihen zu haben - aber da sollte die Union, mit Verlaub gesagt, einfach mal die Fresse halten; vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Studie, die belegt, dass jeder vierte CDU-Landtagsabgeordnete in Niedersachsen braun war, bevor er sich über den Untergang des Großdeutschen Reichs schwarz geärgert hat - dies übrigens eine Nachricht, die in ziemlich wenigen Medien erschienen ist, obwohl sie per Agentur-Ticker in sämtlichen Redaktionen angekommen sein dürfte. Und über die Anfänge der FDP als Sammelbecken für SS-Veteranen brauchen wir hier nicht zu diskutieren.
    Abgesehen davon geht diese abgegriffene Floskel mit geradezu übelkeitserregender Großkotzigkeit über die vielen tausend WASG-Mitglieder hinweg, die mit SED-Verbrechen aber auch gar nichts zu tun haben und ohne die die Linke in den alten Bundesländern noch längst nicht so weit wäre.
  • "Ypsilanti lügt, weil sie vor der Wahl jede Zusammenarbeit mit den Linken ausgeschlossen hat!" - Stimmt so nicht, sie hat vor der Wahl eine Koalition mit ihnen ausgeschlossen. Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man eine feste Koalition mit einer anderen Partei eingeht oder sich lediglich bei Bedarf ihrer Stimmen bedient. Eine Koalition basiert auf festen Abmachungen, die vertraglich festgelegt werden und normalerweise bindend sind. Natürlich muss eine Minderheitsregierung zusehen, wo sie die fehlenden Stimmen hernimmt - das gilt aber auch, wenn eine normale Regierungskoalition zwecks Verfassungsänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht. Als Kohl 1998 den Großen Lauschangriff mit Stimmen der SPD durchsetzte, hat ja auch niemand von einer Großen Koalition gesprochen.
  • "Die Linken sind nicht regierungsfähig!" - Das sehen Berliner und Mecklenburger unter Umständen etwas anders. Oder zählen die nicht, weil bloß frustrierte Ossis? Oder sind diese beiden Länder irgendwann untergegangen, und nur ich habe es nicht mitbekommen? Man sollte sich mal ehrlicherweise fragen, ob eine Partei regierungsfähig ist, die überlegt, fundamentale Mechanismen zur Bildung einer Regierung zu boykottieren oder die eine gemeinsame Verurteilung antisemitischer Tendenzen zum Platzen bringt, nur um keinesfalls einmal auf derselben Seite zu stehen wie die Linke - so geschehen bei der CDU.
Man merkt es mir vielleicht an: Dieses mittlerweile jahrelange Linke-Bashing hängt mir wirklich, wirklich, WIRKLICH langsam zum Hals heraus. Man muss die Partei ja nicht mögen. Man muss sie auch nicht wählen, wenn man nicht will. Aber man muss allmählich akzeptieren, dass es sich hier um eine nicht wegzuleugnende, demokratisch legitimierte und demokratisch agierende Kraft im politischen Spektrum handelt. Dauernd auf der schieren Existenz der Linken herumzuhacken, zeugt von nichts anderem als von der Verachtung, mit der die etablierten Parteien den Urnenpöbel betrachten. In diesem Staat wird lieber ein bedeutendes Bundesland wie Hessen ein Jahr lang unregierbar gehalten, bevor man den Wählerentscheid respektiert. Und dann wird eben nochmal gewählt - so lange, bis das Ergebnis genehm ist.

Und dieses Ergebnis wird schwarz-gelb sein. Hat die Propaganda-Maschine also wieder einmal ihre Schuldigkeit getan.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Auch heute muss ich dir einfach mal wieder Lobhudelei aussprechen, so kriecherisch es klingen mag: Aber danke für den Artikel. :-)

Mir geht das Gebashe gegen die Linke auch zunehmend auf den S***. Ich kann zwar nicht aufhören, ein Unbehagen gegenüber dieser Partei zu fühlen, aber die Art der Debatte gegen die Linke ist der wahre und bedenkliche Populismus.

Aber ich denke, dass die Linken derzeit von ihrer Position als Enfant Terrible deutlich profitieren. Und ich kann nur hoffen, dass die SPD 2009 zerbricht, Münte entgültig in Rente geschickt wird und sich im nächsten Jahrzehnt langsam wieder soetwas wie Sozialdemokratie entwickelt.

Das ist in dieser verfluchten Welt zumindest das kleinere aller Übel.

Dr. No hat gesagt…

Wohl wahr... aber es ist schon hart, wenn man seine Hoffnungen nicht mehr auf die nähere Zukunft, nicht einmal auf die mittelbare, sondern auf die Geschichte setzen muss.

Danke für die Blumen :)