Montag, 14. Dezember 2009

Pressefreiheit aus der Sicht eines beleidigten CDU-Politikers

In den Medien ist die Causa Brender zwar vorerst kein Thema mehr, es gibt aber noch die einen oder anderen Nachwehen der öffentlichen Auseinandersetzung: Zum Beispiel schwer genervte Politiker. Auf dem Höhepunkt der Debatte hatte die Initiative Campact einen Aufruf gestartet, sich an seinen jeweiligen Abgeordneten mit der Forderung zu wenden, sich für eine Prüfung der bestehenden gesetzlichen Grundlage durch das Bundesverfassungsgericht einzusetzen.* Der Abgeordnete meines Wahlkreises, Thomas Kossendey (CDU), hat diese Zuschriften auf eine derart angepisste Art und Weise beantwortet, dass ich dieses Schreiben der Nachwelt nicht vorenthalten möchte - zumal es von einem, nun ja, eigenwilligen Verhältnis zu Demokratie und Bürgernähe zeugt.


Es ist zugegebenermaßen etwas lang, aber es lohnt sich - besonders in der zweiten Hälfte. Hier also die Stellungnahme des Volksvertreters zum Thema Presse- und Rundfunkfreiheit:

Sehr geehrter xyz,

gemeinsam mit 86 bis aufs Komma gleichlautenden Formulierungen ist Ihre E-Mail in meinem Büro eingegangen. Ich bedanke mich dafür, dass Sie sich so viel Mühe gemacht haben, Ihre Argumente zu formulieren.
Holla, da ist aber jemand schwer eingeschnappt, dass er nicht mit 87 unterschiedlichen und persönlich aufgesetzten Schreiben bedacht worden ist, die er sicherlich allesamt Wort für Wort durchgegangen wäre, weil er ja sonst nichts zu tun hat. Ich bin auch absolut überzeugt davon, dass Kossendey jedem der 87 Adressaten eine ganz persönliche, individuell formulierte Antwort hat zukommen lassen.**

Leider ist Ihnen dabei entgangen, dass Herr Brender nicht abgewählt worden ist, sondern es um die Verlängerung der Amtszeit von Herrn Brender ging, die im ZDF-Verwaltungsrat keine Zustimmung gefunden hat. Darüber hinaus waren es nicht „Parteipolitiker“, sondern die auf demokratischem Wege dorthin entsandten Vertreter aus der Politik, die an dieser Entscheidung mitgewirkt haben.
Stimmt, da hat Campact in seiner vorformulierten Mail Mist gebaut und einen unzutreffenden Ausdruck gewählt - aber dieses Herumgemäkel ist letztlich Erbsenzählerei, denn die Art, in der Brender geschasst worden ist, unterscheidet sich de facto kaum von einer Abwahl. Warum man nun offenbar eine strenge Unterscheidung zwischen "Parteipolitikern" und "entsandten Vertretern" treffen muss, zumal das ganze Verfahren recht eindeutig parteipolitisch geprägt war, erschließt sich irgendwie nicht so recht - vielleicht könnten Sie das nochmal genauer erläutern?

Ist Demokratie aus Ihrer Sicht nur dann gewährleistet, wenn kritiklos die Vertreter in den Gremien alles abnicken, was Ihnen vorgesetzt wird?

AUA! So kann man den Spieß natürlich auch umdrehen und das Anliegen des Gegenübers diskreditieren. Gegenfrage, Herr Kossendey: Ist Demokratie aus Ihrer Sicht vor allem dann gewährleistet, wenn keine Kritik an den Entscheidungen der Politiker geäußert wird?

Dankbar wäre ich Ihnen auch für einen Hinweis, welche Möglichkeiten der Gebührenzahler hat, auf das Programm Einfluss zu nehmen. Wer wie Sie das Wort „Demokratie“ so intensiv im Munde führt, sollte darauf auch eine Antwort haben.

Im Campact-Schreiben tauchte das Wort "Demokratie" genau ein einziges Mal auf - für Kossendey wohl ein definitiv zu intensiver Gebrauch.

Für eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht sehe ich wegen der Entscheidung des ZDF-Verwaltungsrates keine Notwendigkeit.

Oh Wunder. Die beleidigte Leberwurst erklärt aber freundlicherweise auch, warum:

Worum geht es, jenseits aller medialen Aufgeregtheiten? Im ZDF-Verwaltungsrat hat sich die erforderliche Drei-Fünftel-Mehrheit nicht gefunden, dem Vorschlag des ZDF-Intendanten zu folgen, den Vertrag des ZDF-Chefredakteurs Brender nach zehn Jahren ein zweites Mal zu verlängern. Zu den Aufgaben des ZDF-Verwaltungsrates gehört es, den Chefredakteur im Einvernehmen mit dem Intendanten zu berufen.
Das ist alles soweit bekannt.
Dieses Gremium ist in Bezug auf seine Aufgaben und seine Zusammensetzung durch Staatsverträge der Länder bzw. durch Errichtungsgesetze der Landesrundfunkanstalten legitimiert.
Und genau da liegt die "mediale Aufgeregtheit", denn es hat sich nicht zum ersten Mal gezeigt, dass - Legitimation hin oder her - diese gesetzliche Grundlage für politische Einflussnahme missbraucht wird.
Dazu gehört es, die Entwicklung eines Senders bei den zentralen Kriterien Qualität, Quote und Kosten zu bewerten. Für alle diese Sachverhalte ist der Chefredakteur wesentlich mit verantwortlich. Der Verwaltungsrat hat der Einstellung vor zehn Jahren und auch der ersten Verlängerung der Amtszeit des Chefredakteurs Brender vor fünf Jahren zugestimmt. Dass nun einige Mitglieder des Verwaltungsrats dafür plädieren, mit einem jüngeren, neuen Chefredakteur die aktuellen Herausforderungen des Senders anzugehen, halte ich für gerechtfertigt. Dies gehört zur Aufsichtspflicht. Der Verwaltungsrat ist kein „Abnickgremium“. Daher war seine damalige Entscheidung zugunsten Brenders genauso verfassungsmäßig wie seine Entscheidung vom 27. November.
Es geht nicht darum, dass irgendwer glaubt, die Entscheidung sei auf verfassungswidrigem Wege zustande gekommen, sondern darum, dass nun dringend überprüft werden muss, ob die vorhandene Regelung mit der Verfassung im Einklang steht - Stichwort Pressefreiheit.

Ein Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit liegt hier nicht vor.

Ach so. Ich wusste nicht, dass Sie jetzt auch Verfassungsrichter sind. Aber egal, schieben wir das erstmal beiseite - denn jetzt kommt's knüppeldick:

CDU und CSU setzen sich nachhaltig für ein starkes, unabhängiges öffentlich-rechtliches System ein. Das heißt aber nicht, dass dieses System ohne Kontrolle sein kann.

Äh. Es soll unabhängig sein, aber gleichzeitig kontrolliert werden...?

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten wirtschaften mit Gebührengeldern von über 7 Milliarden Euro. Daher ist die Politik geradezu verpflichtet, durch Teilnahme an den Sendergremien über die angemessene Verwendung dieser Gelder zu wachen. Dies bedeutet keinen Eingriff in die Programmautonomie und Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern Verantwortungswahrnahme im Interesse der Gebührenzahler, die mit 17,98 Euro monatlich zur Kasse gebeten werden.

Schön den schwarzen Peter an die Bürger weitergeschoben: Dadurch, dass er unfreiwillig (!) für das öffentlich-rechtliche TV zahlt, erteilt er der Politik also den moralischen Auftrag, den politischen Daumen draufzuhalten. Und wer das in Frage stellt, muss sich von seinem Abgeordneten anhören, keine Ahnung von Demokratie zu haben.

Es kann daher nicht sein, dass die sogenannte „vierte Gewalt“ völlig losgelöst und ohne demokratische Kontrolle existiert.

WAS?! Wie... Bitte diese Aussage gleich noch einmal lesen:

Es kann daher nicht sein, dass die sogenannte „vierte Gewalt“ völlig losgelöst und ohne demokratische Kontrolle existiert.
Ach, so ist das also. Endlich bekennt der Mann Farbe: Für Thomas Kossendey darf es also keine unkontrollierte Presse geben. Gut gebrüllt! Sollen wir uns vielleicht gleich nach dem italienischen Vorbild richten? Oder besser noch: Nach dem russischen?

Die Vertreter der Politik und damit auch der Exekutive haben aktiv mitgeholfen, dass das öffentlich-rechtliche System zukunftssicher ist. Hätten in der Vergangenheit keine Vertreter der Politik durch ihre Gremienzugehörigkeit einen so intensiven Einblick in das öffentlich-rechtliche System erlangt, wäre diese Säule des dualen Mediensystems nicht so vielfältig präsent – auch wenn sich diese Vielfalt noch ausbauen lässt.

Ah ja. Nur so interessehalber: Ohne den Einfluss - 'tschuldigung: Einblick der Politiker hätte es jetzt was genau nicht gegeben?

Wir werden den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiter aufmerksam und kritisch begleiten und über die verfassungsmäßig garantierte Staatsferne des Rundfunks wachen.
Mit freundlichem Gruß
Thomas Kossendey

Davon bin ich überzeugt.

Dass der CDU-Mann Kossendey hinter der Entscheidung steht, überrascht natürlich nicht wirklich. Dafür aber der völlig unsouveräne angefressen-beleidigte Ätztonfall, der selbst in einer Kneipendiskussion reichlich kleinkariert wirken würde. Auf seiner Website beweihräuchert sich der Mann übrigens mit der Aussage:
Häufig bekomme ich zu hören, Politiker seien abgehoben und es interessiere sie nicht, was die Menschen bewegt. Das sollte nicht so sein: Als Ihr Abgeordneter bin ich für Sie da! (Quelle)
Jupp, haben wir jetzt gemerkt. Und ebenso, was er für ein Verhältnis zur Pressefreiheit hat. Eine vierte Gewalt ohne Kontrolle darf es nicht geben. Da wundert einen nichts mehr.


Zum selben Thema auch: rocktdashaus

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* Im Folgenden das vorausgegangene Campact-Schreiben:

Sehr geehrter Herr Kossendey, mit der Abwahl von Nikolaus Brender als ZDF-Chefredakteur haben Parteipolitiker massiv in die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Grundfeste der Pressefreiheit eingegriffen.
Demokratie braucht unabhängige und kritische Berichterstattung. Als Bürger/in Ihres Wahlkreises fordere ich Sie deshalb auf: Setzen Sie sich im Bundestag für eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht ein. Das Gericht soll prüfen, inwieweit die Zusammensetzung der ZDF-Gremien gegen die vom Grundgesetz garantierte Rundfunkfreiheit verstößt.
Damit eine Normenkontrollklage zustande kommt, braucht es die Unterschrift eines Viertels der Bundestagsabgeordneten. Bitte informieren Sie mich, ob Sie sich einer Initiative für eine Klage anschließen!
Mit freundlichen Grüßen usw.

**  So wie eine ganze Reihe seiner Kollegen auch: Denn alles, was nach "Worum geht es, jenseits aller medialen Aufgeregtheiten..." kommt, ist offenbar offizielle CDU-Sprachregelung und findet sich exakt genauso in anderen Antwortschreiben von Unionsabgeordneten. Also, lieber Herr Kossendey: Ich bedanke mich ebenfalls dafür, dass Sie sich so viel Mühe gemacht haben, Ihre Argumente zu formulieren.

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