Freitag, 7. August 2009

Ein Blogger ist keine Insel

Die Visit-Zahlen bringen es an den Tag: Jeder normale Mensch, der sich in keinem festen Beschäftigungsverhältnis befindet oder der sich eine glaubhafte Ausrede für den Chef ausgedacht hatte, verbrachte die vergangenen paar Tage nicht am Computer, sondern irgendwo draußen. So auch ich. Und nun möchte ich mal eine grundsätzliche Frage in den Raum stellen: Warum, zum Geier, machen die Leute eigentlich immer so ein Getue um die Ostfriesischen Inseln?

Ich habe mich gestern auf eine solche begeben, Norderney, um genau zu sein. Es ist ja nicht so, dass es meine allererste Inselerfahrung war: Bereits im letzten Jahr habe ich einen ähnlichen Ausflug gemacht, nach Wangerooge nämlich. Nachdem dieser erste Trip allerdings berufsbedingt war, habe ich den gestrigen tatsächlich freiwillig unternommen, nachdem ich mir jahrzehntelang Sprüche angehört habe wie "Was, du warst noch nie auf den Inseln?" "Du musst unbedingt mal auf die Inseln fahren, die sind sooo schön!" - gefolgt von mehrstündigen Debatten, welche denn nun die allerschönste sei. Persönlich dachte ich immer, die Nordseeküste ist nur für Menschen unter 15 und über 50 spannend, aber man kann's ja mal versuchen. Dachte ich.

Zunächst einmal bedeutet ein solcher Ausflug eindreiviertel Stunden Fahrt zur Fähre, und das, obwohl ich strenggenommen - und ein Blick auf die Landkarte hat dies bestätigt - gar nicht so weit weg wohne. Gut, für ihre abgeschiedene Lage am Rand der bekannten Welt können die Inseln ja nix. Auch nichts für den Umstand, dass im Fährhafen mehrere Hundert Quadrillionen Marienkäfer ihr Unwesen trieben. Die sind niedlich, solange sie einem nicht in den Mund fliegen, wenn man gähnt. Oder in die Nase. Oder ins Ohr. Froh war ich daher, als die Fähre endlich ablegte. Allerdings entschlossen sich zig Milliarden Käfer, ebenfalls einen Abstecher auf die Insel zu machen, und bildeten dunkle Wolken um die Passagiere an Deck. Die ägyptischen Plagen waren nichts dagegen, da können die kleinen Tierchen noch so süss sein.

Nachdem man nun, endlich angekommen und die letzten Käfer aus den Haaren klaubend, seine Eintrittsberechtigungskarte für die Insel dem uniformierten Inselschergen artig vorgezeigt hatte und demzufolge nicht st(r)andrechtlich erschossen wurde, durfte man das Innere des Eilands betreten. Ich hielt es für eine schlaue Idee, gleich vom Hafen aus die Strandpromenade entlangzuwandern, da es sich hierbei doch eigentlich um den idyllischsten Fußweg handeln müsste. Dachte ich. Leider haben die Insulaner große Teile der Westküste zuasphaltiert; vermutlich, damit sich das Meer nicht ihre dolle Insel zurückholt. Hmm - und wenn das passieren sollte, wäre das dann nicht eigentlich natürliche Auslese und mithin ganz normal? Nach dem evolutionären Motto: Norderney kann sich nicht an die Gegebenheiten anpassen und muss sterben, während Helgoland klugerweise Felsen entwickelt hat und weiterlebt? Darf der Mensch so sehr in die Natur eingreifen? Gedankliche Notiz: Mal bei Gelegenheit einen Umweltschützer fragen, ob man Norderney nicht aufgeben und versenken müsste.

Nach einem gefühlt zwölfstündigen Spaziergang über glühenden Asphalt und Betonplatten war es definitiv an der Zeit, ein kurzes Päuschen zu machen und einen leckeren Ostfriesentee zu sich zu nehmen. Die Betonung liegt auf "kurz", denn in dem Café meiner Wahl bekam man kein Teelicht zum Tee ("Anweisung vom Chef!" wurde man auf Nachfrage angebellt, als sei die Kellnerin in einem früheren Leben Mafiaschläger gewesen), musste ihn also schnell trinken, wenn man ihn zumindest noch halbwegs warm genießen wollte. Statt "Draußen nur Kännchen" also "Draußen kein Stövchen" - auch mal was Neues. Aber was erwarte ich auch für meine lumpigen sechs Euro.

Also keine Zeit verloren und endlich an den Strand. Das heißt: Wieder gefühlt stundenlang latschen, bis man an etwas Strandähnlichem ankam. Bis dahin gab es neben einer Menge freigelegtem Meeresboden, der penetrant nach totem Fisch und fauligen Algen roch, immer nur so quadratmeterweise Sandhäufchen, die aber in aller Regel schon belegt waren; manchmal auch von Möwen, deren Blick eindeutig klarstellte, das man keine Schonung zu erwarten hatte, wenn man sich dort breitzumachen gedenkt. Auch manche Menschen guckten so. Also ab dahin, wo alle landeten: An den Nordstrand, wo auch immerhin alles schön reglementiert ist ("Schwimmen nur zu den angegebenen Zeiten! Fahrrad fahren verboten! Drachen steigen lassen verboten! Deutsche, badet nicht in ausländischen Gewässern!"). Schon als ich mich dem Strand näherte, ahnte ich: Bei den zwischen all den Menschen vereinzelt durchblitzenden gelben Punkten musste es sich um Sand handeln.

Ich hatte sogar das Glück, eine Stelle zu finden, an der der Abstand zu anderen vor sich hin bratenden Touristen ganze eineinhalb Meter betrug. Was für ein Luxus! Nun musste ich es nur noch schaffen, meinen Rucksack so zu platzieren, dass mir nicht der Sand in die Fresse wehen würde, den ein wahnsinnig gewordenes Kind aufwarf, als es neben mir ein Loch in einer Geschwindigkeit aushob, als wollte es einen Fluchttunnel graben, was ich durchaus verstanden hätte. Klappte aber nicht mit dem Rucksack, dösen ging so auch nicht, also aß ich erstmal eine Kleinigkeit (Sandbrötchen mit Marienkäfern). Schließlich, da ich mich mittlerweile wie während eines Sturms in der Sahara fühlte, entschloss ich mich, ins Meer zu gehen - also nicht, mich umzubringen, sondern wirklich nur so mal kurz ins Meer zu gehen. Sorgsam prägte ich mir die Koordinaten meines Handtuchs und meines Rucksacks ein, damit ich wusste, wo ich später nach ihnen würde graben müssen.

Die Enttäuschung war groß, als ich feststellen musste, dass es gar kein Meerwasser dort gibt. Nur so eine braune, brackige Brühe; eine gehässige Parodie auf Wasser. Selbst der Nil sieht einladender aus. Todesmutig wollte ich dennoch ein paar Schritte hineinwagen, ignorierte das saugende und schmatzende Geräusch unter meinen Füßen ebenso wie die fünf Grad, die die wasserähnliche Substanz höchstens aufwies. Aber bereits nach wenigen Zentimetern nahm ich von diesem Plan wieder Abstand, als ich die Quallen sah. Jawohl, mehrere; bereit, sich an den Kopf eines unvorsichtigen Schwimmers zu heften und ihm das Hirn auszusaugen. Sie rochen auch das Blut, das mir aus zahllosen Wunden aus dem Fuß strömte, nachdem ich auf dem Weg vom Strand zum Wasser etwa 300 Meter über rasiermesserscharfe Muschelbruchstücke laufen musste, und näherten sich gierig. Also zurück zum noch nicht völlig verschütteten Handtuch, einen letzten verzweifelten Versuch zum Dösen unternommen und dann, als ich das dumme Geschnatter der Muttis hinter mir nicht mehr ertragen habe, die Sachen zusammengeklaubt und zurück zur Fähre. Drei Stunden reichten.

Wieder auf dem Schiff blieb festzuhalten, dass einige Hundert Millionen Marienkäfer bis dahin überlebt hatten und sich sehr über das Wiedersehen freuten. Ich war aber mehr damit beschäftigt, den Kapitän gedanklich anzufeuern ("Mach schon! Schneller! Volle Kraft voraus!") und gleichzeitig Angst zu haben, dass wir auf eine Sandbank auflaufen und zurück zur Insel mussten. Für diesen Fall habe ich mich in die Nähe des Beibootes gesetzt und mir dessen Bedienungskonsole eingeprägt, um im Notfall schnell damit verschwinden zu können. Allein. Gut, ein paar tausend Käfer würden mitkommen. Hätte ich in Kauf genommen. Aber es ging alles gut, und todmüde wankte ich zum Auto, bereit, während der Rückfahrt das entgangene Nickerchen nachzuholen.

Erfrischt und ausgeschlafen kam ich zu Hause an. Der Spruch: "Trautes Heim, Glück allein" erhielt eine ganz neue Bedeutung, als ich in die Dusche ging, dabei den letzten Marienkäfer aus meiner Hose puhlte und schließlich halbtot aufs Sofa fiel. Genau auf meinen Sonnenbrand.

Und die Moral von der Geschicht'? Im Garten isses ja auch ganz schön.

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