Samstag, 22. August 2009

Von jetzt ab wird Dreckwurf mit Dreckwurf vergolten!

Wahlkampf ist die Fortführung des Macchiavellismus mit anderen Mitteln - das beweist derzeit wohl niemand besser als Ursula von der Leyen. Vorbei die Zeit, in der sie als immer etwas weggetreten wirkende und in ihrer persönlichen Familienidyll-Fantasie schwelgende Bundesmutti von vielen nicht für voll genommen wurde: Auf aktuellen Wahlkampfveranstaltungen - zu sehen etwa auf dem Honigbrot-Blog und nachzulesen auf netzpolitik - geriert sich die Norddeutsche durch wohlüberlegt gesetzte Emotionsausbrüche, akzentuierte Kraftausdrücke und übertriebenes "r"-Rollen wie ein Straßendemagoge der 30er-Jahre. Ja, das war jetzt ein kaum verhohlener Nazivergleich - und den nehme ich mir heraus. Denn wer den politischen Gegner auf eine Stufe mit Kinderpornofans stellt, hat's nicht besser verdient.

Ja, ich weiß: Nazivergleiche führen zu nichts und sind in aller Regel wenig stichhaltig. Aber was Ursel da auf dem Reichsparteitag der Wahlkampfveranstaltung in Sulzbach brachte, ist nicht von schlechten Elterngeldbeziehern und taugt als Lehrfilm für jeden selbsternannten Möchtegern-Volkstribun: Mit Phrasen wie "Um Himmels willen", "Das schlägt dem Fass den Boden aus" oder "Das ist das Grauen" wärmt sie gezielt die Tränen- und die Adrenalinproduktion im Publikum an. Mit von Salzsaüre durchtränkter Stimme schnarrt sie in deutlich herabwürdigendem Ton das Wort "Inforrrrmationsfrrrreiheit", als wäre dies kein schützenswertes Grundrecht, sondern ein fragwürdiges Hobby verkommener Subjekte, denen ja wohl offenbar nichts am Kindeswohl läge. Und "verfassungsrechtliche Bedenken", die sie mit deutlich hörbaren Anführungszeichen intoniert, wischt sie mit herrischer Geste vom Tisch, weil die Verfassung ja wohl keine Kinderpornos dulden dürfe. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie den Bundestag als "Debattierclub" schmäht.

Von der Leyen kennt offenbar nicht einmal den Unterschied zwischen einer Verfassung und einem Gesetzbuch: Das Grundgesetz ist dazu da, die Grundwerte, -rechte und -regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens festzulegen und nicht, um sich mit einzelnen Straftatbeständen zu befassen. Daher können auch auf demokratischem Weg entstandene Gesetze, die eben diese Grundrechte einzuschränken geeignet sind, verfassungswidrig sein. Das hat sich in jüngster Zeit mehrfach gezeigt. Vielleicht kennt sie den Unterschied aber auch doch - und baut darauf, dass ihr Publikum dafür zu blöd ist, womit sie in beeindruckender Form ihre kombinierte Verachtung sowohl für ihre Kritiker als auch für ihre Anhänger unter Beweis stellen würde. Elitärer Machtdünkel in Reinkultur.

Aber es kommt ja noch schlimmer. Nicht nur die Intonation ihrer Rede erinnert an Propagandisten übelster Sorte, sondern ebenso die Art, Kritikern - ich formuliere es mal zurückhaltend - unlautere Motive zu unterstellen: "Dann kam der Chaos Computer Club und die Piratenpartei, die plötzlich schrien: 'Das ist Zensur!'. Meine Damen und Herren, Kinderpornographie im Internet anzuschauen ist Kindesmissbrauch...", belfert sie ihren silberlockigen Stammwählern zu, bei denen man schon statistisch durchaus davon ausgehen kann, dass die meisten Anwesenden keine allzu große Internetaffinität haben. Und wie kommt so ein Satz bei solchen Leuten an? CCC und Piratenpartei - und die Linken natürlich sowieso - kämpfen offenbar dafür, ungehindert auf Kinderpornos zugreifen zu können, und machen sich dieser Argumentation zufolge des Kindesmissbrauchs schuldig. Nicht hingegen die FDP, obwohl sie die Sperren ebenso ablehnt. Aber das ist selbstredend was anderes.

Den politischen Gegner als Kinderficker zu diffamieren - so sieht der Wahlkampf einer Bundesministerin im Jahre 2009 aus. Dass das keine einmalige Entgleisung war, sondern wohlüberlegte rhetorische Strategie, zeigen mittlerweile auch andere Mitschnitte. Man stelle sich vor, in einer solchen Veranstaltung aufzustehen und Kritik an der Zensurpolitik zu üben - binnen Sekunden würde man als vermeintlicher Kinderschänder von der aufgehetzten Menge mit Bierflaschen und Krückstöcken niedergeknüppelt.

Auf diesem Niveau wiegelten schon ganz andere Demogogen das Volk auf. Und wie diese hält auch Ursel von Pressefreiheit nicht besonders viel:




Gut - ist ja auch irgendwie verständlich, dass Zensursula bei dem jüngsten Hickhack um Internetsperren gerne mal wieder in ihrer Lieblingsrolle abgelichtet werden möchte: Als fürsorgliche Übermutter in einer Kita. Das Spiegel-TV-Team, das wahrscheinlich wieder mal irgendwelche bohrenden politischen Fragen im Notizblock hatte, nervt da ja nur ("Doch nicht vor den Kindern!"). Gastgeberin Gitta Connemann aus dem ostfriesischen Leer ist auch eher den Wohlfühljournalismus der Ostfriesen-Zeitung gewöhnt, die bis vor kurzem noch zum Medienportfolio der CDU-Hofberichterstatter der NWZ gehörte. Hier sind keine unbequemen Fragen zu erwarten, daher durften deren Lokalreporter auch bleiben. Derartiges herrisches Gebaren gegenüber Journalisten erinnert eher an autoritäre Regime in Bananenrepubliken als an die vielbeschworene stabile Demokratie in Deutschland.

Bekanntlich kommt man im Wahlkampf immer weiter, wenn man auf die Bäuche der Zuhörer abzielt und nicht auf ihre Köpfe. Auch das ist in der Geschichte der Propaganda eine Binsenweisheit und hat sich schon oft als erfolgreich dargestellt. Und damit beschließe ich meinen persönlichen Nazivergleich. Denn Ursel ist natürlich nicht Magda Goebbels. Ursel würde nie ihre Kinder vergiften.

In einem Punkt allerdings stimme ich ihr vorbehaltlos zu - nämlich als sie sagte: "Wir werden eines Tages nicht nur gefragt nach dem, was wir getan haben, sondern auch nach dem, was wir vielleicht nicht getan haben." -- Eben. Und wir werden vielleicht gefragt werden, warum wir nichts getan haben, als die Bundesrepublik in einen Überwachungsstaat umgewandelt wurde.

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