Die maßgebliche Währung im Online-Marketing ist bekanntlich seit langem die Zahl der PIs - eine Zahl, die in Redaktionen, PR-Abteilungen und Werbeteams ungeahnte Kreativitätsschübe auslöst, wenn es darum geht, sie Monat für Monat zu übertreffen. Oder, weniger blumig formuliert: Sie setzen dem Besucher gerne redaktionelles Fast Food vor - es werde Bilderstrecke! Vielleicht bleiben uns die allerblödesten Varianten dieser besonderen Contentspezies aber ab demnächst erspart.
Denn die IVW, die "Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern" als maßgebliche Instanz zur Bemessung der Verbreitung und Reichweite von Print- und Onlinemedien, hat angekündigt, künftig statt der PIs die Zahl der Visits ins Zentrum ihrer Statistiken zu rücken. Mit ein wenig Glück führt das in der einen oder anderen Redaktion zu einer Hinwendung zum "Klasse statt Masse"-Prinzip: Es gilt, den Besucher durch attraktiven und verlässlichen Content überhaupt erstmal auf die Seite zu locken. Aus Vermarktungsgründen wäre es gar nicht mehr nötig, ihn dazu zu bringen, sich in Dutzenden nichtssagender Fotogalerien halbtot zu klicken.
Bislang war klar: Onlinegeschäft, dein Name sei "Bilderstrecke" - nichts generiert so viele Klicks in so kurzer Zeit, und daher wird man überall mit immer fragwürdigen Vertretern dieser Contentgattung totgeschmissen - notfalls quetscht man auch Inhalte, die eigentlich gar nicht in dieses Format passen, in eine Extra-Galerie.
So verbirgt sich hinter dem durchaus spannenden Titel "Wenn Avatare sterben" bei Spon kein informativer Hintergrundbericht über psychologische Probleme von Onlinespiel-Süchtigen, sondern eine unsagbar langweilige und blöde Bilderstrecke. Selbstredend auch hinter den "Top 15 der Zickenkriege", mit der die SZ den Intellekt ihrer Leser beleidigt, bevor sie mit den "100 besten Bieren" und ebenso vielen einzelnen Fotos dem Zeigefinger des Users den Rest zu geben versucht; und der Stern schraubt seine Klickzahlen mit Pseudoquiz à la "Sex-Mythen im Check" auf den digitalerotischen Höhepunkt - und wer eher auf der Suche nach einer fundierten Tiefenanalyse zum Thema ist, kann gleich bequem zur Bilderstrecke "Das sollten Sie über Sex wissen!" weiterklicken. Kleinere Regional- und Lokalzeitungen suchen ihr Umsatzheil mitunter in Fotogalerien von möglichst schrecklichen Unfällen - Klicken Sie sich durch, vielleicht finden Sie ja doch irgendwo einen Blutfleck oder ein Körperteil!
Wer's nicht gar so mit Fotos hat, kann dafür an einem der zigtausend Spielchen teilnehmen. Wie wäre es mit den gefühlt alle zwei Wochen irgendwo auftauchenden IQ-Tests oder Jugendsprache-Quiz? Oder testen Sie online, ob Sie wirklich im Weihnachtsstress sind oder sich das nur einbilden. Oder mutieren Sie zum Laiengraphologen - hauptsache, Sie klicken, klicken, KLICKEN! Schließlich soll die Popup-Werbung, die Ihnen den letzten Nerv raubt, auch etwas einbringen.
Nein, ich habe ja gar nichts Grundsätzliches gegen Fotogalerien oder Spielchen - im Gegenteil. Aber was einem da manchmal vorgesetzt wird, grenzt wirklich an Userverarschung. Und ich habe die leise Hoffnung, dass dieser Overkill an Banalitäten durch die angekündigte Änderung bei der IVW vielleicht endlich mal zu einem Ende kommen könnte: Wenn es egal ist, wie lange der Besucher auf einer Einzelseite verweilt, kann man diese ja mal wieder mit Tiefgang füllen.
1 Kommentar:
Onlinegeschäft ist 90% Prahlhanstum und 10% Kreativität. Auf die 10% Kreativität entfallen 90% der Arbeit, die Prahlhänse verdienen aber 99% des Geldes. ;)
Ich könnt Dir Sachen von meiner kurzen Arbeit in der Onlineredaktion einer bekannten, norddeutschen Tageszeitung erzählen ... aber ich glaub, dass darf ich nicht.
Jedenfalls - im Handel mit Webseiten zählen schon längst nicht mehr die Impressions. Ich glaube schlicht, dass hinter den großen Werbebudgets "weltlicher" Firmen schlicht Menschen stehen, die erst so ganz langsam überhaupt das Prinzip des Internets begreifen. :)
Der großartige Psychotest-Produzent ImpiLabs ist jedenfalls schon vor Monaten dazu übergangen, Scripte zu erstellen, die den Server nicht durch ständige Reloads belasten. Hier liegt die Zukunft, denke ich. Wer möchte Aktien erwerben?
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