Da hat wohl so manches Berliner Ladenbesitzerherz für einen Moment ausgesetzt: Das Bundesverfassungsgericht hat die verkaufsoffenen Sonntage zur Adventszeit für grundgesetzwidrig erklärt. Zwar nur in der Hauptstadt, und für dieses Jahr dürfen die angesetzten Ladenöffnungen noch durchgezogen werden - aber immerhin ein kleines Signal gegen diesen aberwitzigen und immer weiter ausufernden Konsumterror, dem meiner Meinung nach schon längst mal jemand hätte Einhalt bieten müssen. Verwunderlich ist indes die Begründung der Verfassungsrichter.
Neben dem nicht ohne Grund im Grundgesetz festgehaltenen Sonntagsschutz verwiesen die Karlsruher Juristen auf die Beeinträchtigung der Religionsfreiheit - besser gesagt: des Rechts auf freie Religionsausübung. Das ist zum einen den Beschwerdeführern geschuldet, nämlich den Kirchen, zum anderen natürlich absoluter Quatsch. Die Leute können doch trotzdem ihrem Aberglauben nachhängen, wie sie lustig sind, und wenn die Geschäfte ab 13 Uhr öffnen, kollidiert das nicht einmal mit den Gottesdienstzeiten - die Gläubigen unter den Konsumenten können also problemlos erst dafür beten, dass die Armut und der Hunger auf der Welt enden mögen und anschließend losrennen und sich um die Schnäppchen aus Fernost prügeln. Vermutlich wird das höchste Wesen an solchen Tagen auch häufiger angerufen als an normalen ("Mein Gott, ist das voll hier!" - "Um Gotteswillen, gibt es hier denn überhaupt keinen freien Parkplatz?" - "Himmiherrgottsakramentzefixnoamoi!").
Ich persönlich finde es schön, einen Tag in der Woche wirklich Ruhe zu haben; einen Tag, an dem man gar nichts erledigen kann, selbst wenn man wollte. Das hat nichts mit diesem ganzen Christenzeug zu tun - es ist einfach eine entspannende Stimmung, wenn alles zu ist. An einem Sonntag kann man sich nun mal besser erholen als an einem Mittwoch. Wer an einer in Richtung Innenstadt führenden Hauptstraße wohnt, freut sich zudem darüber, dass wenigstens an einem Tag pro Woche der Lärm und die Abgase auf ein überschaubares Maß reduziert sind. Und wer als VerkäuferIn arbeiten muss, ist ja vielleicht auch mal froh darüber, mal einen definitiv freien Tag zu haben, anstatt alle Wochentage zu einem Einheitsbrei verschwimmen zu sehen.
Niemand muss Sonntags einkaufen, genausowenig wie irgendjemand mitten in der Nacht einkaufen muss. Wem Sonntags der Yoghurt ausgeht, der hat am Samstag eben nicht gut genug vorgesorgt. Also lehnt euch zurück und horcht mal aus dem Fenster, wie das klingt, wenn sich keine Blechlawinen durch die Straßen drängen.
9 Kommentare:
Na, lieber Dr. No, der Sonntag hat sehr wohl etwas mit diesem Christenzeug zu tun, jetzt mal rein historisch gesehen. Die Juden haben ihren Sabbat, die Christen haben daraus den Sonntag gemacht. Die durchgängige Weisheit darin: Der Mensch ist nicht nur zum Arbeiten auf der Welt.
Das ist mit der freien Religionsausübung gemeint: Nicht jeden Tag arbeiten gehen müssen. Ob man die freie Zeit zum Kirchgang nutzt, ist die andere, private Angelegenheit.
Ohne das Christenzeug hätten wir die Sonntagsruhe nicht. Für mich gehört sie ganz klar zu den guten Dingen der jüdisch-christlichen Tradition. Ginge es nur nach ökonomischen Gesichtspunkten, würden wir arbeiten dürfen bis zum Umfallen. Da hat das Christenzeug direkt ein antikapitalistisches Potential.
Vermutlich habe ich mich an dieser Stelle etwas ungeschickt ausgedrückt - dass der arbeitsfreie Sonntag der christlichen Tradition entstammt, steht natürlich außer Frage.
Was ich sagen wollte, ist: Dass in der heutigen Arbeitswelt mit schrittweisen Erhöhungen der Wochenstunden und zunehmender Verwischung der Tageszeiten und Wochentagen ein solcher Tag nach wie vor nötig und wichtig ist, sollte auch ganz unabhängig vom christlichen Hintergrund gelten. Das Anrecht auf einen arbeitsfreien Tag zur psychischen und physischen Regeneration darf - Tradition hin oder her - doch nicht von der Religiösität der Gesellschaft abhängen.
Insofern finde ich die Entscheidung des BVG gut und richtig, die Begründung aber reichlich anachronistisch.
Ich möchte hier mal die Gegenposition der absoluten Notwendigkeit einnehmen, mir auch Abends um 22 Uhr noch Bier und Pizza kaufen zu können. Meine halbe Existenz wäre bedroht! Am Ende ernähre ich mich noch gesund, belaste noch mit 90 Jahren das Rentensystem und entziehe meine kostbare Seele ganz unnötig dem knisternden Fegefeuer.
Brr.. welcher steinalte Cookie hat sich denn da eingemischt. Obiges Posting kommt natürlich von mir.
Ja, die Notwendigkeit besteht zweifellos, aber dafür gibt's ja Tankstellen. Und in Rostock bekommst du dein Beck's ja eh sonst nirgends. ;-)
Tankstellen sind in meinen Augen deshalb auch Keimzellen der Modernisierung und Vermenschlichung der brutalen, kapitalistischen Ordnung. Und was das Becks betrifft, so ist das hier doppelt bitter. Ja.
Aber dennoch rücke ich nicht vom edlen Prinzip der 7-Tage/24-Stunden Grundversorgung für Nerds ab. Und komm mir jetzt nicht mit dem Pizzadienst! Da hat man dann immer nen pickeligen Heranwachsenden an der Tür, während in Tankstellen und Supermärkten zumindest noch junge Frauen die Nachtschichten wuppen.
Hm - wäre das nicht u.U. ein lukratives Geschäftsmodell: Ein 24/7-Lieferdienst für Nerds? Mit 10 Bier-, 5 Cola- und 6 Pizzasorten zur Auswahl (mehr braucht man eh' nicht) und ausschließlich jungen Damen als Lieferantinnen?
Schon, aber ich finde zur Identität des Nerds gehört es eben auch, mit dem nächtlichen Einkauf gleichsam sein schlechtes Gewissen, man müsse ja auch mal "an die frische Luft gehen", zu beruhigen.
Ach was. Die Luft, die bei der Entgegennahme der Bestellung zur Tüt reinkommt, reicht dicke für ein paar Tage.
Kommentar veröffentlichen