Die deutsche Gesellschaft wird ja bekanntlich nicht nur andauernd rauf und runter gecastet, sondern auch immer wieder in Ranglisten gequetscht: Die 20 beliebtesten Deutschen, die zehn besten Filme, die 35 peinlichsten TV-Momente; gewürzt jeweils mit nichtssagenden Kommentaren von B-Promis, die zwischendurch immer wieder ins Bild geschoben werden. Kein Wunder also, dass nun, da ein Großteil der Mainstreamthemen mittlerweile abgegrast sein dürfte, auch mal die Vertreter des intelligenteren Humors an der Reihe waren: „Die größten deutschen Kabarettisten“, neulich auf N3. Das Ergebnis offenbart in seiner erwartungsgemäßen Beliebigkeit die gesamte Sinnlosigkeit nicht nur des Prozederes, sondern auch dieses Formats überhaupt.
Die Rangliste wurde offenbar – mitbekommen habe ich es nicht – per Internetabstimmung erstellt. Jeder Mensch weiß, dass solchen Abstimmungsformen mangels Repräsentativität keinerlei Aussagekraft innewohnt; sie haben den Stellenwert einer bedeutungslosen Spielerei, aus der der nötige Content abgeleitet wird und die dem Medienhaus als Nebeneffekt ein paar PIs verschafft. Nachdem sich also diverse Menschen die Finger wundgeklickt hatten, stand der Ablauf der Sendung fest. Vorhang auf für die größten Kabarettisten aller Zeiten!
Ich habe mich ungefähr bei Platz 15 hineingezappt: Kurt Krömer. Den mag ich ja an sich ganz gern; warum er hierfür allerdings als Kabarettist eingestuft wurde, erschließt sich mir immer noch nicht so recht. Und während die N3-Moderatorin mit valiumhafter Begeisterung die Sendung entlang der Rangliste in Richtung Tabellenspitze voranschnarchte, wunderte ich mich immer mehr: Wo waren Hagen Rether, Gerhard Polt, Henning Venske? Wo der doch allseits bekannte Urban Priol und der begnadete Wilfried Schmickler? Die Antwort findet sich auf der Website: Auf den Plätzen 18, 27 und 38; und während Priol es immerhin auf Rang 19 brachte, findet sich Schmickler - nicht nur einer der besten, sondern mit seinen regelmäßigen "Mitternachtsspitzen"-Auftritten wohl auch einer der produktivsten Kabarettisten - auf Platz 56. In Worten: Sechsundfünfzig!
Man muss kein Sozialwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass in einer Internetabstimmung stets derjenige abräumt, der eine hohe Webpräsenz hat bzw. onlineaffin genug ist, um via Homepage, Blog und Twitter seine Fans zu mobilisieren. Oder eben derjenige, der über eine genügend hohe Prominenz verfügt, dass ihm der pure Wiedererkennungswert zu ein paar Stimmen verhilft. Auf diese Weise wurden die Plätze drei und zwei vergeben: Bronze für den sicherlich guten und unterhaltsamen, gleichwohl aber ziemlich jungen und eigentlich recht wenig gesellschaftskritischen Bodo Wartke. Dafür ist der um so berühmtere Dieter Nuhr vom klickwütigen NDR-Publikum zum zweitgrößten Kabarettisten aller Zeiten gekürt worden (wer die Nummer Eins wurde, muss man wohl nicht eigens erwähnen). Man möchte sich an den Kopf fassen.
Ohne dass ich bestimmten Leuten ans Bein pieseln will: Reicht es denn neuerdings schon, ab und zu einen politikbezogenen halbgaren Schenkelklopfer zu bringen, um als Kabarettist durchzugehen? Ist es noch nicht bei den Verantwortlichen angekommen, dass im Kabarett das Lachen als Mittel zum Zweck, aber keinesfalls als Selbstzweck zu verstehen ist? Es ist ja schon schlimm genug, was da seit Jahren täglich unter dem Neusprech-Label "Comedy" auf die Menschheit losgelassen wird. Um so mehr wäre es meines Erachtens angebracht, eine deutliche Trennlinie zwischen Kabarett und simpler Spaßmacherei zu ziehen. Diese Unterscheidung findet aber nicht statt - im Gegenteil: Die Grenzen werden, siehe Nuhr, gezielt immer mehr verwischt.
Das mag vielen Zuschauern schnurz sein. Mir aber nicht. Irgendwann führt das dazu, dass im Namen der Quote alle Comedians, Kabarettisten, Liedermacher und weiß-der-Geier-wer-noch in einen Topf geworfen werden, aus dem dann "Die 50 witzigsten Scherzbolde des Universums" gelöffelt werden - samt gewohnter TV-Verwurstung, eigens gestiftetem Preis und öffentlicher Gala, die in einer fünfstündigen Live-Übertragung auf RTL2 zu sehen sein wird.
Und die dazugehörige Onlineabstimmung wird Mario Barth vor Loriot und Atze Schröder vor Volker Pispers sehen. Hurra.
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