Freitag, 25. September 2009

Den Überwachungsstaat in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf

Dieser zu Ende gehende Wahlkampf unterscheidet sich fundamental von allen vorausgegangenen. Nicht nur durch die von ihm ausgehende und schwer erträgliche Langeweile - darüber ist weißgott* genug geschrieben worden. Nein, ich rede von den vielen Katzen, die dieses Mal schon vor dem Wahltermin aus ihren verschiedenen Säcken gelassen werden: Es ist der Wahlkampf der auf diffusen Kanälen vorzeitig an die Öffentlichkeit gedrungenen Geheimpapiere, bei denen man mit dem Mitzählen kaum mehr hinterherkommt. Neuester Fall: Eine weitere feuchte "1984"-Fantasie aus dem Innenministerium.

Die bisher aufgetauchten Dokumente waren ebenfalls brisant, aber wenig überraschend. Ob nun die Atomlobby dokumentiert, wie sie Journalisten zu kaufen, die Öffentlichkeit zu belügen und die SPD zu unterwandern gedenkt; ob Forschungsministerin Schavan dienst- und eilfertig eine Pro-Atom-Studie zurückhält oder ein neoliberales Pin-Up-Papier aus dem Wirtschaftsministerium sickert: Erstaunlich häufig bekam die Öffentlichkeit in letzter Zeit Wind von Vorhaben, über die sie aus Regierungssicht besser nicht Bescheid gewusst hätte, bevor sie an die Wahlurnen schreitet. Gemeinsam haben diese Papiere, dass sie nur vorwegnahmen, woran im Falle einer schwarz-gelben Regierungsbildung ohnehin niemand zweifelt.

Aber auch Schäubles Behörde will da nicht zurückstehen. Nachdem das BKA durch entsprechende Gesetze mittlerweile offiziell berechtigt ist, die Bürger in ihren Wohnungen abzuhören und zu filmen, ihre Surfgewohnheiten zu dokumentieren, ihre E-Mails mitzulesen und ihre Festplatten zu durchforsten, sollen diese Befugnisse nun auch auf den Verfassungsschutz übertragen werden. Auf den Verfassungsschutz - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Dass Schäuble die bürgerlichen Freiheiten immer weiter beschneiden möchte, ist ja ebenfalls kaum überraschend - die Tragweite dieses neuen Schachzugs aber so weitgreifend, dass "reaktionär" ein viel zu schwacher Begriff ist. Es geht um nichts weniger als die Verfolgung politischer Gegner.

Denn während das BKA nominell für Verbrechensbekämpfung zuständig ist, weshalb ja auch immer der internationale Terrorismus oder Kinderpornos - zweifellos etwas verbrecherisches - als Alibi vorgeschoben wurden, handelt es sich beim Verfassungsschutz um ein politisches Instrument. Der VS befasst sich nicht eben nur mit radikalen Islamisten, die einen Gottesstaat herbeibomben wollen, sondern mit allen Personen, Vereinigungen und Strömungen, die auch nur in Verdacht stehen, die herrschende grundgesetzliche Ordnung in diesem Lande in Frage zu stellen. Darunter fallen nicht nur wirre Scientologen und dämliche Neonazis, nein, auch linke Kritiker stehen unter ihrer Beobachtung. Und dazu zählen bekanntlich nach wie vor die Linkspartei oder die DKP, aber auch Zeitschriften wie "konkret" oder "Junge Welt" sowie Internetseiten wie "Indymedia" oder "Nadir", die jeweils eine nicht zu vernachlässigende Zahl an Lesern erreichen.

Wenn der VS dieselben Überwachungsbefugnisse und -instrumente erhält wie das BKA - wer würde bezweifeln, dass er die nicht auch alsbald gegen diese Querulanten einsetzen würde? Wir hätten dann unter Umständen Wanzen in Büros von gewählten Linke-Abgeordneten, Festplattenschnüffelei bei Websitebetreibern und deren Besuchern, Einblick in die Korrespondenz kritischer Journalisten, Razzien und Videoüberwachungen - und wer Indymedia aufrufen möchte, wird dann wohl von einem freundlichen Stoppschild aufgehalten. Im Zweifelsfall kann auch hier zur Legitimierung die Terroristen-Karte gespielt werden. Das geht weit, sehr weit über Verbrechensbekämpfung hinaus - es sei denn natürlich, Kritik am Staat gilt nunmehr als Verbrechen oder Terrorismus. Dann - ja, dann sind wir tatsächlich China, wie es im Rahmen der Zensursula-Debatte etwas plakativ geäußert worden ist.

Und wer von den üblichen Habe-nichts-zu-verbergen-Spießbürgern nun denkt: "Nun ja, es geht doch nur um Beobachtung - wenn die nichts Kriminelles unternehmen, passiert ihnen ja auch nichts" - dem sei gesagt, dass das BKA mitunter dafür sorgt, dass man dem Dissidenten etwas Kriminelles ans Bein binden kann. So schreckte es etwa im Falle eines Verfahrens gegen mutmaßliche Mitglieder der mittlerweile aufgelösten "militanten gruppe" nicht davor zurück, Beweise zu fälschen.** Diese Leute können jeden in den Knast kriegen, wenn sie das wollen. Was, Sie wollen den Anklagevorwurf hören? Hochverrat, Landesverrat, Gefährdung der nationalen Sicherheit, Defätismus - suchen Sie sich was aus.

Das entsprechende Dokument ist offenbar nicht einmal auf Schäubles Mist gewachsen, obwohl er dessen Inhalt sicherlich sofort unterschreiben würde. Berichten zufolge ist es von unteren Chargen des Bundesinnenministeriums entwickelt worden, was Rückschlüsse darüber zulässt, was für ein Geist in dieser Behörde eigentlich herrscht. Das heißt wiederum: Auch wenn Schäuble selbst wohl trotz zu erwartenden Wahlsiegs der Union als Innenminister erledigt sein dürfte - er kann sich darauf verlassen, dass diese Vorhaben weiterhin verfolgt werden und sich als neuer Verteidigungsminister in Ruhe dem Thema "Bundeswehr im Innern" widmen.

Man kann manchmal wirklich nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.





*Bekanntlich glaube ich nicht an Gott. Bis jedoch adäquater Ersatz für Begriffe wie "weißgott", "gottseidank" oder "Herrgottnocheins!" gefunden wird, werde ich diese weiter verwenden - sagen wir, aus Gründen der Traditionspflege.
**Mit bestem Dank an Impi für den Hinweis.

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