Heute in den frühen Abendstunden verstarb nach langer, schwerer Krankheit unsere gute alte Tante SPD. Sie möge in Frieden ruhen. Von Beileidsbekundungen im Fernsehen bitten wir abzusehen.
Die Tante SPD war allerdings keine Erbtante – ihr inhaltliches Vermögen hat sie zu Lebzeiten sinnlos verprasst; ihre Erben werden wieder ganz von vorne anfangen müssen. Und das ist das Tröstliche an diesem dunklen Tag für alle Anhänger der SPD (ich spreche bewusst nicht von Sozialdemokraten): Wenn man mitten in der Talsohle steht, kann es nur noch aufwärts gehen.
Gerade einmal 23 Prozent: Das ist wie Waterloo, multipliziert mit Cannae. Ich habe bis zuletzt gedacht, dass am Wahltag noch der eine oder andere Wähler aus purem Mitleid oder alter Tradition noch sein Kreuz bei der SPD macht, aber Pustekuchen – deutlicher kann man einer Volkspartei nicht signalisieren, dass man sie derzeit für überflüssig hält. Wozu sollte sie auch gut sein? Um einen allgemeinen Mindestlohn einzuführen, der sie allerdings erst interessiert, seit die Linke damit Erfolge erzielt? Oder um den Ausbau des Überwachungsstaates zu verhindern, obwohl sie jede große Maßnahme des Innenministeriums im Wesentlichen abgenickt hat? Wohl kaum.
Zugegeben: Die SPD hatte in den vergangenen vier Jahren auch einen schweren Stand; nicht nur als Juniorpartner, der sich bereitwillig über den Tisch ziehen ließ, sondern auch als Prügelknabe, der für alle negativen Aspekte der Legislaturperiode verantwortlich gemacht wurde. Während Merkel sich bloß mit anderen Regierungschefs oder in Grönland fotografieren lassen musste, um fürderhin als Weltwirtschafts- oder Klimaretterin zu gelten, bleibt die Karstadt-Pleite samt trauriger, weil arbeitslos gewordener Verkäuferinnen an den Sozen hängen. Ebenso vermutlich der zu erwartende Stellen-Kahlschlag bei Opel, wogegen Merkel und ihr gegelter Wirtschaftsyuppie Guttenberg sich die Medaille für das Weiterbestehen des Konzerns ans Revers heften dürfen. Und während ein Großteil der Leute, die sich dank Abwrackprämie stolzer Besitzer eines Neuwagens nennen dürfen, dankbar ihr Kreuz bei der Union gemacht haben, verdammen all diejenigen, die nicht mehr den Genuss der Subventionsorgie gekommen sind – etwa weil sie etwas länger sparen oder um ihren Kredit kämpfen mussten – die SPD. Und die, die das Ganze von vorherein doof fanden, sowieso.
Und jetzt? Die SPD steht tatsächlich vor den Trümmern ihres ideologischen Gebäudes, bzw. dem, was überhaupt noch davon übrig war (wenig genug). Wenn aber ein Haus zusammenfällt, reicht es nicht, die Zimmer neu zu tapezieren. Man muss es neu bauen. Das heißt: Ein personeller Wachwechsel muss her, wenn die Partei 2013 etwas reißen will. Steinmeier, Struck und Müntefering sind es, die abgewählt wurden - es reicht einfach nicht, bloß so zu wirken, als wäre man in seiner Jugend noch selber in den Schacht eingefahren (was ohnehin nur auf die beiden letzteren zutrifft). Darauf fällt keiner mehr rein. Die Schröder-Kamarilla ist endgültig erledigt, und das ist wenigstens ein positiver Aspekt dieses Ergebnisses.
Struck wird auf ewig als derjenige gelten, der Deutschland am Hindukusch verteidigen will - was zwei Drittel aller Deutschen anders sehen - und ist deshalb kaum mehr tragbar. Müntefering ist derartig geblendet von seinem geradezu epischen Hass auf Lafontaine und die Linkspartei, die ihm so viele Mitglieder geklaut hat, dass er einer konstruktiven Neubesinnung auf klassische linke Rezepturen schlicht im Wege steht. Und Steinmeier? Ist als gescheiterter Kanzlerkandidat eh' verbrannt, und vermissen wird ihn auch niemand so richtig.
Also Vorhang auf für Klaus Wowereit und Andrea Nahles. Falls die SPD wieder zügig auf die Füße kommen will, dann geht das nur mit Leuten, die glaubhaft für einen Neuaufbau stehen; ob es schon für 2013 reichen wird, wird sich zeigen. Wenn sich die Partei nicht dauerhaft auf 20 bis 25 Prozent einpendeln will, muss sie sich wieder auf wirklich soziale Inhalte besinnen und ihre unsinnige Feindschaft zur Linkspartei begraben: Dorthin hat sie einen großen Teil ihrer Anhängerschaft verloren; und wer in diesem Land eine sozialere Politik will, darf sich zu Recht fragen, warum er die SPD wählen soll und nicht gleich die Linke.
Ich traue dieser orientierungslosen Chaotentruppe aber durchaus auch zu, ihr Heil in der berüchtigten Mitte - also in bürgerlich-liberaler Programmatik zu suchen. Das wäre der Fall, wenn sich im anstehenden Diadochenkampf der rechte Flügel um den Seeheimer Kreis durchsetzen sollte. Damit allerdings würde sich eine der ältesten sozialdemokratischen Parteien der Welt endgültig zu einem bloßen Wurmfortsatz des konservativ-kapitalistischen Lagers herabstufen - und dann würde sie meiner Meinung nach allmählich wirklich dahin gehören, wo Leo Trotzki (freilich aus anderen Motiven) ihre russischen Genossen 1917 schicken wollte: Auf den Kehrichthaufen der Geschichte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen