Zwar ist meine Wut auf die Bundeswehroberen und ihren ehemaligen Oberwaschbrettkopf über ihr Verhalten in bezug auf das Blutbad bei Kunduz noch längst nicht verraucht, aber mittlerweile immerhin etwas verdünnt worden - und zwar mit einer Prise Befriedigung und einer Messerspitze Mitleid. Befriedigung darüber, dass der Kopf von Generalinspekteur Schneiderhan gerollt ist; und Mitleid mit der unfassbar erbärmlichen Figur, die Ex-Verteidigungsminister Jung derzeit abgibt. Wohlgemerkt: Noch viel, viel erbärmlicher, als er ohnehin in den vergangenen Jahren wirkte. Das will was heißen.
Man verspürt wieder diesen Kernerschen Drang, sich peinlich berührt abzuwenden, wenn man hört, sieht oder liest, was der Mann heute absondert, wie er sich keiner Fehlleistung bewusst ist und nicht einmal merkt, dass er seine eigene Inkompetenz als Schild vor sich hält. Er habe die Öffentlichkeit "korrekt über seinen Kenntnisstand informiert", behauptet er. Das ist entweder eine ziemlich armselige Rechtfertigung - da er sein Unwissen vorschiebt, obwohl Dummheit bekanntlich nicht vor Strafe schützt - oder, mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit, eine weitere Lüge. Denn schwarz auf weiß ist nachzulesen, dass schon sehr früh von zivilen Opfern die Rede war, dass es mehr als 50 gewesen sein dürften, dass der Befehlshaber vor Ort falsche Angaben bezüglich der Gefechtslage gemacht hat und dass er selbst, Jung, diesbezüglich Gespräche mit verschiedenen Stellen geführt hat. Ein Lügner oder ein Depp im Ministerrang - suchen Sie's sich aus.
Als weitere Schutzbehauptung gibt Jung laut Spon an, dass er keine Kenntnisse über den internen Feldjägerbericht vom 9. September erhalten habe, der an die Nato weitergereicht worden sei; ja, überhaupt erst Anfang Oktober von der Existenz dieses Berichtes gehört habe. Wenn das stimmt, heißt das: Der bundeswehreigene Bericht über die folgenschwerste und blutigste Militäraktion deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg wurde wochenlang dem Minister nicht vorgelegt. Wenn das stimmt, dann hat Jung seinen Laden aber so was von überhaupt nicht in Griff gehabt und wurde von seinen Untergebenen wohl auch nicht für fuffzich Pfennig voll genommen. Wenn das stimmt, dann haben wir die Wahl zwischen Lügner, Depp oder Schießbudenfigur.
Gleichzeitig behauptet Jung aber, er habe frühzeitig erklärt, sich "um die Angelegenheit kümmern" zu wollen. Kann man da nicht davon ausgehen, dass er in diesem Fall irgendwann auf diesen Bericht hätte stoßen müssen? Oder hatte er mit der Aussage, sich "um die Angelegenheit kümmern" zu wollen, ohnehin etwas ganz anderes gemeint, nämlich die Vertuschung derselben?
Sich als Minister die Selbstabsolution erteilen zu wollen, indem man betont, keine richtige Ahnung von dem hochbrisanten Vorgang gehabt zu haben, von der eigenen Behörde verarscht worden zu sein und bei der behaupteten Aufklärung auf ganzer Linie versagt zu haben - dazu gehört schon eine Menge Chuzpe. Respekt. Oder eben Mitleid. Selbst Kinder, die mit dem Ball in der Hand neben der zerdepperten Vase erwischt werden, argumentieren stichhaltiger.
Dass der Bundeswehrlautsprecher Schneiderhan mit seiner persönlichen Wochenschaunummer nicht durchgekommen ist, nehme ich mit Wohlwollen zur Kenntnis - auch wenn natürlich klar ist, dass sein Rücktritt weit von dem entfernt ist, was ein normaler Mensch als Bestrafung oder Sanktion ansehen würde. Schließlich ist der Mann 63 Jahre alt, und das nur wenig verfrühte Ausscheiden aus seiner Führungsposition wird ihm wohl keinen Lebensabend, den er am Hungertuch nagend und unter einer Brücke frierend fristen müsste, bescheren.
Aber keine Sorge, trotz Befriedigung und Mitleid ist mein Adrenalinspiegel ist wieder auf normalen, sprich drastisch hohem Niveau angelangt. Und zwar nicht nur, weil Jung nach wie vor denkt, er könnte mich, Sie und den Rest der Welt für dumm verkaufen. Nein, wütend macht mich auch, dass in diesem Fall ausgerechnet der Blödzeitung die Rolle des investigativen Mediums zukam. Ich hasse es, diesen Schmierfinken auch noch dankbar sein zu müssen.
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Update, Freitagnachmittag: Das Elend hat ein Ende.
6 Kommentare:
Das Erschreckende ist ja, dass der Kerl damit durchkommt. Ich meine, wäre Jung in seiner Schlechtigkeit zumindest ein begnadeter Politiker, so wie Schäuble beispielsweise, dass wäre ja noch unterhaltsam. So aber scheint der einzige Grund, warum er überhaupt noch in politischen Ämtern verweilt, seine Loyalität gegenüber der Kanzlerin geschuldet. Und das ... naja ... zeugt nicht grad von good governance.
Naja, die Loyalität scheint bei der Kanzlerin ja nicht mehr auf allzu viel Gegenliebe zu stoßen... ich schätze, das einzige, das Jung noch auf seinem Posten hält, ist Roland Koch. (Jawohl: Das Koch.)
Aber eigentlich dürfte Jung das Wochenende bundespolitisch nicht überleben. Weil schließlich nicht sein kann, was nicht sein darf :-)... im Ernst: Selbst in einem System, in dem Ministerposten nicht nach Kompetenz, sondern nach Verfügbarkeit und Parteibuch vergeben werden, dürfte so ein Typ nicht mehr zu halten sein.
Dass er trotz allem dennoch weich fallen wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
P.S.: Und zu Schäuble fallen mir ganz andere Adjektive ein als "begnadet"...
Ein guter Politiker ist Schäuble. Wobei gut nicht auf das bezogen ist, was er tut, sondern wie er die Dinge durchsetzt, geschickt polarisiert und sich im "Raum der Macht" zu bewegen versteht. Ein Arsch bleibt er freilich.
Aber der Jung ist soeben zurückgetreten. Damit hätte ich nicht gerechnet. :)
Da der Herr Jung den Bericht der deutschen Militärpolizei ja nach seiner eigenen Aussage ungelesen von dem Herrn Schneiderhan an die NATO weiterleiten lassen hat, hat er vermutlich nicht einmal gelogen, als er beteuerte, er habe die Öffentlichkeit und das Parlament jederzeit über SEINEN Kenntnisstand informiert. Der Mann konnte es so natürlich nicht besser wissen - oder er hat sich zumindest redlich darum bemüht, nicht besser informiert zu sein. Und solche Dilletanten werden für ihre Untätigkeit auch noch hochbezahlt und zwar auch dann noch, wenn sie im Ruhestand sind. Wenigstens kann der Herr Jung nach seinem Rücktritt jetzt keinen weiteren Schaden mehr an unserem Gemeinwesen anrichten.
Das wäre dann tatsächlich die "Depp"-Variante... ich frage mich aber schon, ob die eigentlich sonderlich beruhigender ist als die Variante des abgebrühten Lügners, der die Angelegenheit vertuschen will.
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