Wenn es darum geht, ob etwas witzig war oder nicht, wird immer gerne Kurt Tucholsky bemüht. "Was darf die Satire?", fragte der Journalist und Autor einst und lieferte die Antwort gleich mit: "Alles." Hätte es seinerzeit schon den Bayerischen Rundfunk gegeben, hätte er hinzufügen können: "Aber nicht überall." Denn der Sender schneidet einen halbgaren, gegen Guido Westerwelle gerichteten Nazivergleich des Schauspielers Michael Lerchenberg in der Fastenrede zum Starkbieranstich am Nockherberg mal eben raus, der Redner wird geschasst - und der spaßbefreite Spaßparteichef hat endlich ein Alibi, nicht mehr zur traditionellen Politikerschelte kommen zu müssen.
Sicher sind Nazivergleiche immer eine delikate Angelegenheit, meistens zudem ziemlich unpassend, überkandidelt oder geschmacklos, manchmal aber auch treffend wie die Faust aufs Auge. Lerchenberg alias "Bruder Barnabas" hatte in seiner Predigt das Bild eines Lagers für Hartz-IV-Empfänger in den Neuen Bundesländern gezeichnet, mit "einem Zaun drumherum" und einem Tor, über dem "in eisernen Lettern" die gebetsmühlenartig wiederholte FDP-Floskel stehe: "Leistung muss sich wieder lohnen." Die Assoziation mit Auschwitz ist offensichtlich.
Man kann solche Passagen gelungen finden oder doof, sich peinlich berührt abwenden oder sich fragen, wer heute eigentlich schon alles als Satiriker durchgeht. Und insbesondere, wenn der betreffende Passus den Holocaust berührt, darf und sollte man auch mal die Frage aufwerfen, ob das jetzt unbedingt sein musste. Schließlich geht es hier um Mord - die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen bietet nicht gerade die Basis, auf der Humor sonderlich gut gedeiht.
Man darf meiner Meinung nach aber auch die Frage aufwerfen, ob die Hetze von Westerwelle und Co. gegen Hartz-IV-Empfänger nicht Qualitäten aufweist, die geradezu zwangsläufig in diese Richtung weisen. Manche Äußerungen aus dem neoliberalen Lager lesen sich wie "Die Hartz-IV-Empfänger sind an allem schuld!" Ein Schritt weiter, und es könnte auch heißen: "Die Hartz-IV-Empfänger sind unser Unglück!" Und wenn dann noch manche selbsternannten Elite-Angehörigen öffentlich kritisieren, dass sich Hartz-IV-Empfänger fortpflanzen - ist es dann so unverständlich, wenn man an die Nürnberger Gesetze denkt?
Ich denke, darauf wollte Lerchenberg hinaus, hat es aber ungeschickt angepackt und muss nun büßen. Mit einer Entschuldigung in Richtung Zentralrat ist es offenbar nicht getan, er tritt gleich ganz von seinen Auftritten auf dem Nockherberg zurück. Nicht als erster: Auch Django Asül war offenbar aus der Veranstaltung gemobbt worden, weil sein Beitrag von der gastgebenden Paulaner-Brauerei als zu scharf angesehen wurde. Diese Vorkommnisse als Einzelfälle anzusehen fällt schwer - immerhin hat der BR bekanntlich schon vor einem Vierteljahrhundert die Ausstrahlung einer "Scheibenwischer"-Sendung boykottiert, die Zensur hat also System.
Deshalb also fand ich den Nockherberg bislang immer eher gähnend langweilig: Was weh tut, wird zensiert; es lebe der Wohlfühlkabarettismus - und das in Bayern, der traditionellen Hochburg des politischen Kabaretts. Satire contra bierbräsige Befindlichkeit 0:3. Warum da nicht gleich Nägel mit Köpfen machen und die Manuskripte der Redner erst durch die PR-Vertreter der Parteien absegnen lassen?
Politikern stand es ruftechnisch gut zu Gesicht, mit dem Besuch der Veranstaltung einen Hang zur Selbstironie vorzutäuschen, den sie eigentlich gar nicht haben. Das gequälte Grinsen eines Ede Stoiber oder Guido Westerwelle sprach Bände, auch wenn das Programm meines Erachtens stets reichlich zahnlos war. Westerwelle, die dauerbeleidigte Leberwurst, hat nun bekanntgegeben, den pöhsen bajuwarischen Spaßkanonen nie wieder die Ehre zu geben. Es ist offensichtlich, dass er auf so eine Gelegenheit nur gewartet hat. Gut, die Macher werden's überleben.
Im Übrigen war das schon das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass Tucholskys Erkenntnis nicht von allen geteilt wird, denn auch die Titanic bekam unlängst öffentlich die Grenzen dessen aufgezeigt, was manche als ihr Verständnis von Satire ansehen. Dies bleibt allerdings folgenlos, denn beim Beschwerdeführer handelt sich lediglich um den Presserat, auf den bekanntlich eh' keiner hört. Und dessen Rüge zum Umgang mit dem Suizid von Robert Enke schmettert das Magazin einfach mit einer lesenswerten Gegenrüge ab, mit vermutlich bestem Dank für die unfreiwillige Contentlieferung.
2 Kommentare:
"Westerwelle, die dauerbeleidigte Leberwurst, hat nun bekanntgegeben, den pöhsen niederbayrischen Spaßkanonen nie wieder die Ehre zu geben."
München ist nicht in Niederbayern.
Stimmt natürlich. Ich war gedanklich wohl noch bei Django Asül, als ich diesen Satz formuliert habe. Danke für den Hinweis.
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