Donnerstag, 15. Mai 2008

Mediales Katastrophenmanagement

"Wo ist die Geschichte? Ich sehe die Geschichte nicht!" - fragte der BILD-Hannover-Chefredakteur in Günter Wallraffs legendärer Langzeitreportage "Der Aufmacher". Ein journalistisches Prinzip, das sich offenbar nicht nur auf Revolverblätter beschränkt.

Gestern abend, ARD-Tagesthemen: Caren Miosga berichtet über das Erdbeben in China. Vorausgegangen waren offensichtlich längere Diskussionen in der Redaktion, wie man dieses Thema anpackt, denn die üblichen Aufreger - Hilfeleistung rollt nur schleppend an, Versagen der Regierung, Regime hüllt sich in Schweigen - funktionierten in diesem Fall nicht. Vermutlich gibt es unter den Schwellenländern keinen Staatsapparat, der in solchen Fällen effizienter arbeitet als der chinesische.

Also pickt man sich andere Details heraus und wundert sich, dass die chinesische Regierung so offen mit der Katastrophe umgeht, statt sie weitestgehend unter den Teppich zu kehren, und darüber, dass Ministerpräsident Wen Jiabao äußerst betroffen wirkt. Da gibt es aber nichts zu wundern: Wen ist schließlich kein Roboter, und in einem guten Vierteljahr ist China Gastgeber für die ganze Welt - da kann man es sich kaum mehr leisten, die Karte "geheimnisumwittertes Reich der Mitte" zu spielen. Außerdem hat die chinesische Regierung dank dieser Fernsehbilder, die um die Welt gehen, vermutlich bis zum Beginn der Olympischen Spiele Ruhe vor den Themen "Tibet" und "Menschenrechte" - klingt pervers, ist es auch, wird aber wohl trotzdem so kommen.

Nachdem China adäquat nachrichtentechnisch abgehandelt worden war, wandten sich die Tagesthemen Katastrophe B zu, die nach den festen Regeln der Medienbranche wegen ihres Alters und der bisherigen Sendeminuten unerbittlich nach hinten wandert: Birma, Burma oder Myanmar; da ist man sich selbst innerhalb einer Redaktion oftmals nicht einig. Da macht Frau Miosga große Augen, setzt einen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck auf und fragt, warum denn die Deutschen so wenig für diese Region spenden. Nein, wir wollen jetzt keine unappetitlichen Vergleiche mit anderen Katastrophen aufstellen, ich kann das auch so beantworten: Weil sämtliche Nachrichtenredaktionen, egal ob TV oder Print, vom ersten Moment der "Nargis"-Berichterstattung ihren Zuschauern und Lesern eingehämmert haben, dass Hilfe dort nicht ankomme bzw. die Generäle das Geld für sich einstecken würden. Dann bleibt das Portemonnaie eben in der Tasche - und ich habe den deutlichen Eindruck, dass das "Tagesthemen"-Team das gestern endlich gemerkt hat und gegensteuern wollte.

Mal sehen, ob es was gebracht hat. Schön war jedenfalls der Kommentar von Stephan Wels über die Betroffenheitsarithmetik: "Naturkatastrophe schlägt Kriegskatastrophe, Urlaubsregion schlägt Allerweltsland" - und Afrika wird sowieso von allem geschlagen. Und nun zum Spielfilm.

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