Das ging schnell: Während ich nach dem Wahlabend erstmal mehrere Tage zur psychischen Regeneration brauchte, haben die üblichen Verdächtigen im Land der kommenden Regierungskoalition - noch vor deren Gründung - bereits ihre seit Monaten in den Schubladen liegenden Wunschzettel an die schwarze Nikolausine und ihren gelben Knecht Ruprecht präsentiert, der allerdings weniger die Rute als vielmehr das Steuersäckel schwenkt. Die Forderungen überraschen niemanden, es stellt sich eigentlich nur die Frage, was davon schon Weihnachten unterm Baum liegen wird und auf was die Lobbyisten noch bis zu ihrem Geburtstag - den sie vermutlich im Kanzleramt feiern dürfen - warten müssen.
Am schnellsten war erwartungsgemäß die Atomindustrie: Von allen Lobbyverbänden geht ihnen der Allerwerteste am meisten auf Grundeis, denn schließlich stehen schon in den nächsten Monaten gleich vier Atomkraftwerke zur Außerbetriebnahme an. Um eine kleine Vorstellung davon zu gewinnen, welche Laufzeit den Betreibern so vorschwebt: Der RWE-Chef spricht offen von 60 Jahren. Angeblich fordert die Wespenkoalition eine 50-prozentige Abgabe auf die durch Laufzeitverlängerungen zusätzlich erwirtschafteten Gewinne. Wer's glaubt, wird selig; und wenn sich die Versorger tatsächlich darauf einlassen, ist das ein Beleg dafür, wie irrwitzig viel Geld mit dem Grundbedarfsgut Strom verdient wird.
Mit ihren Forderungen nach längeren Laufzeiten rennt die Lobby bei Schwarz-Gelb offene Türen ein, daher dürfte eine Novellierung des Atomgesetzes bis Weihnachten realistisch sein. Leise rieselt der radioaktive Schnee.
Wo es etwas zu fordern gibt, sind natürlich auch die Ärzte nicht weit. Sie wollen richtig tief in die Tasche greifen, allerdings nicht in ihre eigene. Die Regierung soll demnach alle Budgetierungen aufheben, was angesichts des nur noch als korrupt zu bezeichnenden Wechselspiels zwischen Kassen, Ärzten und Pharmaindustrie die Kosten wohl explodieren lassen würde; wer das letztlich zu bezahlen hat, liegt auf der Hand. Zusätzlich soll sie den "Ärztemangel" beheben, eine Floskel, zu der die Verbände mittlerweile so viele Pressemitteilungen rausgehauen haben, dass sie mittlerweile unbesehen wie ein Faktum behandelt wird. Und schließlich soll der Beitragssatz vom Gehalt entkoppelt und mehr Zuzahlungen der Versicherten eingefordert werden - Adieu, Solidarität. In ein paar Jahren wird man das Nettogehalt eines Menschen an seinem Gebiss ablesen können. Aber das ist nach Ansicht des Chefs der Bundesärztekammer gerecht, könne es doch "Gesundheit nicht ohne Eigenverantwortung" geben. Also: Sparen Sie schon mal auf Ihre Krebserkrankung oder den Schlaganfall. Ob eine Reform der Reform der Reform der Reform noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht wird, bleibt angesichts dringlicherer Probleme fraglich. Vermutlich müssen die Ärzte dieses Mal noch alleine feiern, können aber bis zum nächsten Jahr in Ruhe ihren besinnlichen Gesang einstudieren: Kling, Kasse, klingelingeling.
Die Schallplatte der Industrie- und anderen Arbeitgeberverbände hängt ohnehin schon seit Jahrzehnten in der selben Rille fest: Steuerentlastungen für die Wirtschaft. *knacks* Steuerentlastungen für die Wirtschaft. *knacks* Steuerentlastungen für die Wirtschaft. *knacks* ... Es ist ja nicht so, dass die Unternehmen in den vergangenen Jahren keine bekommen hätten, aber die reichten eben nicht. Und wenn sie nur noch weiter entlastet werden, dann können sie wachsen und auch freudig wieder Leute einstellen und so weiter blahblah. Wer daran heute noch glaubt, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen, denn diese Gleichung - Unternehmen zahlen weniger Abgaben und investieren das damit eingesparte Geld freiwillig in neue Arbeitsplätze - hat noch nie funktioniert und funktioniert in Zeiten der allmächtigen Börsenwirtschaft noch viel weniger.
Auch hier gilt: Die Lobbyisten müssen sich gar nicht mehr groß anstrengen, die Koalition in spe hat sich dies eh' schon auf die Fahnen geschrieben. Dumm nur, dass auch ohne Steuersenkungen schon ein gigantisches schwarzes Loch im nächsten Haushalt klaffen wird. Wer das wohl stopfen wird? Die Unternehmen jedenfalls nicht. Ist so verlässlich wie die Krawatte unterm Baum. Ein Fall für den Weihnachtsklassiker: Alle Jahre wieder...
Und dann wären da noch - natürlich - die Autofahrer. Die fordern den tausendjähr... 'tschuldigung: tausendkilometrigen Autobahnbau. Sehr realistisch angesichts der öffentlichen Finanzlage. Zuviel Verkehr gäbe es, lamentieren die Lobbyisten, also müssten die Autobahnen ausgebaut werden, auf dass noch mehr Verkehr auf ihnen Platz habe ... und wenn drei Spuren nicht mehr reichen, dann eben vier oder fünf. Frei Fahrt für freie Bürger mit minderentwickeltem Gemächt! Der Deutsche und sein Auto - ein Thema, bei dem das Gehirn regelmäßig in den rechten Fuß wandert.
Da sich aber selbst beim ADAC mittlerweile herumgesprochen hat, dass Autos nicht ganz unschuldig am Klimawandel ist, fordern die Autonerds ... CO2-reduzierte Treibstoffe. Aha. Der Sprit ist schuld, nicht etwa der Verbrauch eines Porsche oder Mercedes. Is' klar. Da reden wir dann ein anderes Mal drüber.
Dass die Autolobbyisten ihr Geschenk, eine neue Carrerabahn mit tausend Teilen, unterm Tannenbaum finden, steht also erstmal nicht zu befürchten: Kein Geld. Singen dürfen sie trotzdem: Macht hoch die Spur, die Fahrbahn macht weit.
Das reicht für's Erste, ich verspüre allmählich Übelkeit in mir aufsteigen. Man sieht: Nicht nur im Süßwarenregal im örtlichen Supermarkt, sondern auch in den Vorstandsetagen und Lobbyistenbüros weihnachtet es sehr. Dort sind die Tannenbäume diesmal zwei Nummern größer, damit auch alles schön drunterpasst. Dem Normalo reicht auch ein Plastikbäumchen für das Beistelltischchen: Er hat nicht viel zu erwarten. Und bei ihm tauscht Knecht Guidoprecht das Scheckbuch sicher wieder mit der Rute.
Jetzt heißt es warten, bis die Bescherung da ist bzw. wir selbige haben. Und jetzt alle: Morgen, Kinder, wird's was geben...
1 Kommentar:
Lieber Gott, bitte mach, dass die nächsten vier Jahre übermorgen schon vorbei sind. Dann wird Schaden nicht ganz so groß.
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