"Moderne Zeiten" titelt der aktuelle Spiegel in bester Charlie-Chaplin-Optik und packt die Unterzeile "Ausleihen, befristen, kündigen - die neue Arbeitswelt" dazu. Schön, dass sich das größte deutsche Nachrichtenmagazin dieses Themas annimmt, obwohl man natürlich schnippisch anmerken könnte: "Ach, jetzt schon?" Das schenke ich mir, weil mich eine andere Frage vielmehr umtreibt: Was, bitte schön, soll an all dem denn neu sein?
Das gab es doch alles schon im 19. Jahrhundert - wenn auch unter anderen Namen und anderen Voraussetzungen. Fangen wir mal am hinteren Ende der Zeile an: "Kündigen". Betriebsbedingt bzw. bei rückläufiger Auftragslage hinausgeworfen zu werden - oder weil man einfach nicht mehr gebraucht wurde - war in der frühkapitalistischen Ära überhaupt nichts besonderes, und die heutigen Kündigungsschutzgesetze oder -abmachungen schützen auch nur höchst begrenzt davor. Zwar wird man nicht mehr gefeuert, wenn man krank wird, und auch fristlose Kündigungen sind nicht ohne weiteres möglich - notfalls kann der Arbeitgeber aber, wie sich zeigt, auch einfach eine gefutterte alte Frikadelle oder ein Stück Müll, das man aus der Tonne gezogen und mit nach Hause genommen hat, ins Spiel bringen.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich eines "überzähligen" Arbeitnehmers zu entledigen; Juristen bieten spezielle Seminare für Personaler an, in denen sie entsprechende Tipps und Tricks vermitteln. In die gleiche Richtung zielt daher auch das "Befristen": Wenn alle Stricke reißen, lässt man einen Vertrag eben auslaufen. Als Arbeitnehmer ist man gekniffen: Nix Zukunftsaussichten, keine auch nur mittelfristige Planungssicherheit - Unsicherheit als Lebensgefühl ist die Parole. So groß ist der Unterschied zu 1850 nun auch wieder nicht.
Neu ist bestenfalls das "Ausleihen". Früher hieß das mal "Tagelöhnerei": Man wird beschäftigt, solange es Arbeit gibt, und abgeschoben, sobald es keine mehr gibt. Der wesentliche Unterschied zum heutigen Ausleihen ist, dass zwischen Arbeit und Arbeitslosigkeit noch der Verleiher, der "Personaldienstleister" (vulgo: Sklavenhändler) steht, der seinen Beschäftigten immerhin noch eine gewisse Zahl an Stunden garantieren muss. Noch jedenfalls. Irgendwann werden die sicher nur noch wie Modelagenturen arbeiten; und der ursprüngliche Sinn, der tatsächlich mal hinter der Leiharbeit stand, wird tagtäglich von immer mehr Arbeitgebern pervertiert, die über den Umweg des Personalleasings Tarifverträge - und damit auch Kündigungsschutz - unterlaufen.
"Ausleihen, befristen, kündigen" - eigentlich lässt sich all das unter dem zu Unrecht aus der Mode gekommenen Begriff der Tagelöhnerei zusammenfassen. Man stellt Leute ein, wenn man sie braucht, und entledigt sich ihrer bei sich bietender Gelegenheit. Der Unterschied liegt lediglich in der verwendeten Vokabel. Heute nennt man das "flexible Beschäftigungsmodelle" oder so einen Mist.
Auf diese ganz und gar nicht neue Arbeitswelt steuern wir dank FDP und Union mit Riesenschritten zu: Statt "Zurück in die Zukunft" heißt es "Vorwärts in die Vergangenheit". Geschichte wiederholt sich manchmal eben doch, zumindest, wenn man gewisse Leute gewähren lässt.
1 Kommentar:
Genau! Und deshalb darf man die nicht einfach gewähren lassen. Aber irgendwie muss es den Berliner Wespen gelungen sein, ihre rückwärtsgewandten politischen Absichten einer ausreichenden Zahl derjenigen, die im letzten September zur Wahl gegangen sind, als Fortschritt unterzujubeln. Dumm nur, dass Wespen immer mit dem Stachel voran unterwegs sind, wenn sie sich rückwärts bewegen. Da werden wir wohl noch einige Sichwunden davonzutragen haben.
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