Freitag, 16. Oktober 2009

Man freut sich ja schon über Kleinigkeiten - oder?

Das ist schon komisch, wenn eine Partei wie die FDP, mit der man sich so ganz und gar nicht identifizieren möchte, plötzlich das tut, was man sich eigentlich von einer auf der Sympathieskala viel weiter oben verorteten Partei, nämlich der SPD, erwartet hat. Allüberall wird der gelbe Teil der Tigerente nun als Heilsbringer bejubelt: Erleichterungen für Hartz-IV-Empfänger, Steuersenkungen, Abschwächung der Überwachungsgesetze ... Donnerwetter. Eben wurde noch die Union als neue Sozialdemokratie hingestellt, jetzt offenbar schon die Liberalen, wenn man sich das Presseecho mal anschaut. Die SPD führt Hartz IV ein, die FDP schwächt es ab - irgendwie sollte das doch anders laufen. Aber bevor man je nach sozialer Lage den Schampus oder die Plastikflasche Bier öffnet, lohnt es sich, einen näheren Blick auf die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen zu werfen.

Zum Thema Hinzuverdienst bei Hartz IV habe ich bereits meine Bedenken geäußert, dass dadurch im Wesentlichen der Niedrigstlohnsektor aufgebläht wird. Den Begriff kann man jetzt übrigens an einer Zahl festmachen: Als sittenwidrig gilt fortan ein Stundenlohn von 3,50 Euro. Alles darüber - also 3,60 - ist dann wohl kein Problem mehr, was der eine oder andere Arbeitgeber sicher mit Wonne zur Kenntnis nehmen wird. Die Idee des Mindestlohns wird damit nicht nur verworfen, sondern geradezu mit Tomaten beworfen, verspottet und in einem Käfig zur Belustigung der wohlhabenderen Massen zur Schau gestellt. Dass Hartz-IV-Empfängern mehr von ihrem angesparten Vermögen belassen wird, ist schön, wenngleich auch unter dem Schlagwort "Eigenverantwortliche Altersvorsorge" unschwer als weiterer Schritt in Richtung Aushöhlung der gesetzlichen Rente zu erkennen.

Kommen wir zur Inneren Sicherheit, dem Feld, in dem sogar Linke ein wenig Hoffnung in die FDP setzen, nachdem die SPD auf ganzer Linie versagte. Die Internetsperren werden ausgesetzt. Und alle so: Yeeaaah... äh, ausgesetzt? Ganz recht: Nicht aufgehoben. Das entsprechende Gesetz bleibt vorerst bestehen; es soll nur zunächst "versucht" werden, Kinderpornoseiten eher zu löschen als zu sperren. Nach einem Jahr soll dann eine Zwischenbilanz gezogen werden; dann - und erst dann! - wird sich zeigen, ob die Zensur, nachdem ziemlich langes Gras über die Sache gewachsen sein wird, immer noch zur Disposition steht oder ob es nicht heißen wird: "Die Löschung einer Seite hat sich als so komplizierter und langwieriger Rechtsvorgang erwiesen, dass es zur unmittelbaren Gefährdungsbekämpfung weiter nötig ist, Sperren zu errichten." Gehe zurück auf los, ziehe ein weiteres Bürgerrecht ein.

Und die Onlinedurchsuchungen? Dass nun ein BGH-Richter grünes Licht dafür geben muss, ist sicher eine größere Hürde für die Staatsschnüffler als die, die sie bislang überwinden mussten. Aber ich bin da trotzdem skeptisch, denn die Festplattenüberwachung an sich wird schließlich nicht in Frage gestellt. Und auch bei der Vorratsdatenspeicherung bleibt es wohl den Ermittlungsbehörden überlassen zu definieren, was denn nun eine "akute Gefahrenlage" ist. Ich halte es für gefährlich, diese Punkte als Sieg für die Bürgerrechte zu feiern, wenn gleichzeitig prinzipiell jede Option offengehalten wird.

Und schließlich soll der Schutz des Berufsgeheimnisses künftig von Strafverteidigern auf alle Anwälte ausgedehnt werden (also nicht nur Anwälte, die sich auf Steuerrecht spezialisiert haben). Und ein entsprechender Schutz für Journalisten soll nach Willen der FDP immerhin "geprüft" werden, was einerseits eine wie üblich schwammige Formulierung ist, andererseits aber auch Anlass zur Hoffnung gibt. Denn hier steht nicht mehr und nicht weniger als die Pressefreiheit und der Status der Medien als "Vierte Gewalt" auf dem Spiel - wer Angst haben muss, vor den Behörden aufzufliegen, steckt Journalisten keine brisanten Informationen mehr zu, Stichwort Asse. Damit würde das Prinzip des Vertuschens nicht nur wesentlich erleichtert, sondern schon fast zur Staatsraison.

Also alles zwar irgendwie nicht Fisch und nicht Fleisch, aber immerhin mehr, als die SPD in dieser Hinsicht erreicht hat. Meine Güte - es ist ja schon mehr, als die SPD überhaupt versucht hat! Deren Erosion dürfte damit weiter gehen: Nachdem die Linke die enttäuschten Wähler vom linken Rand abgegriffen hat, grast die FDP nun am rechten Rand der Sozialdemokratie. Unabhängig davon, ob ich die Liberalen mag oder nicht, sehe ich das als gerechte Strafe für vier Jahre bloßes Erfüllungsgehilfendasein und elf Jahre Wählerverprellung. Sozialdemokratische Inhalte scheinen zu einem bloßen Wanderpokal verkommen zu sein, der wahllos an jeden vergeben wird, der nicht sofort eine Diktatur errichtet.

Und das ich sowas schreibe, zeigt mir mehr als alles andere, dass wir in seltsamen Zeiten leben.

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