662 Euro bar auf die Kralle sind im Gespräch, dazu Krankenkassengutscheine und die Möglichkeit, etwas mehr hinzuverdienen zu können als beim Alg II. Toll, toll; "hinzuverdienen" klingt ja immer gut. Und welche weiteren Vorteile gegenüber Hartz IV bringt das Bürgergeld wohl noch mit sich?
- Eine Stadt wie München würde auf einen Schlag arbeitslosenfrei: Denn von diesen 662 Euro muss der Empfänger alle Ausgaben bestreiten, also auch die Miete, die bislang zusätzlich zum Hartz-IV-Regelsatz gezahlt wurde. Das heißt: Wer eine etwas teurere Wohnung hat oder das Pech, einfach nur in einer teuren Stadt zu leben, muss sich darüber nicht mehr lang und breit mit seinem Arge-Sachbearbeiter streiten. Einfach ein eine Einzimmerwohnung aufs Land oder gleich unter eine Brücke ziehen - und schon ist der dauernde Ärger vorüber, der FDP sei Dank.
- Das Bürgergeld leistet auch einen aktiven Beitrag zur Klimarettung: Denn Heizen, bislang ebenfalls von der Arge gezahlt, die mitunter auch Nachforderungen übernimmt, ist ebenfalls von der 662 -Euro-Pauschale zu finanzieren. Herzlichen Glückwunsch an alle, die in schlecht isolierten Altbauwohnungen leben: Am besten jetzt schon anfangen, Pullover zu stricken, um demnächst nicht zu erfrieren - denn für's muckelig-Einheizen wird es da nicht mehr langen. Arme schlottern für die Rettung des Planeten: Der FDP sei Dank.
- Klein Mäxchen läuft nicht mehr Gefahr, vom Klassenausflug mit Kopfläusen oder schlimmeren zurückzukehren. Denn er wird gar nicht mehr daran teilnehmen können: Bislang werden derartige zusätzliche Ausgaben im Zweifelsfall ebenfalls von der Arge übernommen, auch wenn man sie manchmal gerichtlich dazu zwingen muss. Die Notwendigkeit, auch so etwas von der Bürgergeldpauschale bezahlen zu müssen, wird dem einen oder anderen Kind aus armer Familie zu einem zusätzlichen schulfreien Tag verhelfen. Der FDP sei Dank.
Für die Wirtschaft ist dies eine klare Einladung, den Sektor der Lohnarbeit weiter aufzusplitten, sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen in steuerbegünstigte Nebenjobs zu verwandeln und die Löhne auf ein Minimum zu drücken, denn für das nackte Überleben der Proletarier sorgt ja der Staat. Letztlich werden wir ein Millionenheer von Tagelöhnern haben, die zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Zum einen wegen der niedrigen Pauschale, und zum anderen, weil die FDP die schlechtesten Seiten von Hartz IV, nämlich das Zwangsarbeitsprinzip, die Zumutbarkeitsregelungen und die Sanktionsmöglichkeiten, selbstredend beibehalten möchte. Dass dazu nach wie vor ein bürokratischer Apparat nötig sein wird, liegt auf der Hand; und selbst die Hofpostille des Kapitals, die FTD, kritisiert daher diesen Plan, allerdings nur, weil er am organisatorischen Aufwand nichts ändert und dafür noch mehr Geld kostet.
Das Bürgergeld soll dem Beschäftigungssektor "neue Impulse" verleihen. Im neoliberalen Neusprech lautet das dann so: "Flexibilisierung des Tarifrechts und Öffnung der Tarife nach unten, damit Arbeit mit geringer Wertschöpfung wieder nachgefragt wird." Anders gesagt: Hier wird mit dem kühlen Vokabular eines Buchhalters Menschen das Recht auf einen Verdienst, der einen menschenwürdigen Lebensunterhalt gewährleistet, schlicht abgesprochen.
Das ist nicht "Hartz IV in neuem Gewand", wie die SZ titelt, sondern tatsächlich dessen Steigerung: Haben die Hartz-Gesetze die Armut der untersten Bevölkerungsschicht festgeschrieben, so wird nunmehr das Recht auf ihre unbegrenzte Ausbeutung durch das Kapital in Stein gemeißelt. Willkommen in der neoliberalen Gesellschaftsordnung: Durchs 21. Jahrhundert kommt man wohl am besten, indem man ins 19. zurückkehrt.
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