Montag, 26. April 2010

Endlich einmal eine sexy Volkskrankheit

47 Sekunden - genau solange habe ich es gestern abend bei "Spiegel TV" ausgehalten. Warum ich mir diesen Schmarrn überhaupt reinziehe, fragen Sie? Tue ich normalerweise nicht, aber die Vorschau hatte mich neugierig gemacht: Ohne dabei zu kichern oder zumindest ein wenig peinlich berührt zu klingen, verkündete der Sprecher vollmundig "Die neue Volkskrankheit: Sexsucht!" Und nachdem ich anschließend in meiner Verzweiflung mehrfach meinen Kopf auf den Wohnzimmertisch gehämmert hatte, wollte ich wenigstens noch kurz in die Sendung hineinschauen, ob ich mir das nicht vielleicht in meinem kranken Hirn eingebildet hatte. Nein, hatte ich leider nicht.

Soso, Sexsucht ist jetzt also "Volkskrankheit", so wie zuvor schon Rückenschmerzen, erhöhte Cholesterinwerte und die Wechseljahre beim Mann - nur eben TV-tauglicher. Ich habe es ja geahnt - schließlich war ich selbst am Wochenende unterwegs in einer Discothek einem Club und schreckte ob der nicht zu übersehenden Krankheitssymptome dieser neuesten Geißel der Menschheit zurück, die ich bei manchem Gast beobachten musste: Literweise Schweißabsonderung, Sabberei, leeres, glasiges Starren in Dekolletes, unrhythmische Zuckungen zu schlechter Musik - und das alles bloß, um den Würgegriff der Sucht zumindest für eine Nacht abzuschütteln. So wie ich auf meinem Nachhauseweg lauter paarungswillige, sexbesessene potentielle Geschlechtspartner auf Turkey abschütteln musste, die sich an meine Hosenbeine klammerten und mich um sofortigen Beischlaf anflehten. Schlimme Geschichte, das.

Gut, dass Tiger Woods dieses gesellschaftliche Tabuthema an die Öffentlichkeit zerrte. Wie Rock Hudson damals bei Aids - endlich wird nun offen darüber gesprochen. Vor allem natürlich in Spiegel TV, das immerhin so konsequent war, den Beitrag wie folgt anzukündigen: "Elf Uhr, die Kinder sind im Bett - Zeit für schmuddelige Themen" (aus dem Gedächtnis zitiert). In gewohnt investigativer Manier fuhren die Spiegel-Reporter mit irgendeinem "Betroffenen" nachts zu einem Swinger-Parkplatz, während dieses Würstchen die ganze Zeit Sachen von sich gab wie "Die Frauen müssen ja erstmal geil werden" und so. In diesem Moment habe ich weggeschaltet, aus purer Angst, meine eigene Sexsucht - natürlich bin auch ich betroffen, ist ja schließlich 'ne Volkskrankheit - könnte durch diesen verschwitzt-klebrigen Hecheljournalismus empfindliche Dämpfer erleiden.

Na, dann schauen wir doch mal, ob und wie wir diese neue Volkskrankheit in den Griff kriegen. Müssten da nicht eigentlich die Krankenkassen die Kneipenrechnung übernehmen? Und zieht das alles nicht gänzlich neue Formen der Beschaffungskriminalität nach sich? Und wie hoch ist der volkswirtschaftliche Schaden, den die Sexsucht anrichtet? Ich bin gespannt auf die ersten Studien.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Sexsucht ist:
Eine dumme Ausrede.