Sonntag, 29. Juni 2008

Es war nicht alles schlecht in der großen Koalition - z.B. die Autobahnen

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) möchte künftig die rechte Fahrspur auf der Autobahn nur für Lkw reservieren. Die andere(n) Spur(en) sollen Lastwagen durch ein grundsätzliches Überholverbot nicht mehr benutzen dürfen. Wer kann es dem Minister verdenken - ähnliche Gedanken hat jeder Pkw-Fahrer schon mal gehabt, wenn er hinter einem 40-Tonner herzuckelt, der einen anderen 40-Tonner mit gefühlten 0,0001 km/h mehr zu überholen versucht.

Ich befürchte nur, dass der gute Mann schon lange nicht mehr selbst über eine Autobahn gefahren ist. Dann würde ihm nämlich dämmern, dass ein solcher Schritt wirkungslos verpuffen würde, da sich Lkw-Fahrer an ein generelles Überholverbot wohl ebensowenig halten werden wie an die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h.

Um ein solches Überholverbot nachhaltig durchsetzen zu können, würde ich vorschlagen, den Streifen zwischen der rechten Spur und den anderen zu verminen. Gut, das würde vielleicht in den ersten Wochen nicht gerade zu einem Rückgang bei den Staus führen. Aber man muss ja langfristig denken. Und außerdem Arbeitsplätze schaffen.

Donnerstag, 26. Juni 2008

Das kann doch einen (Möchtegern-)Seemann nicht erschüttern

Gestern wurde in Hamburg das "Internationale Maritime Museum" eröffnet. Es präsentiert die größte maritime Sammlung der Welt in einem beeindruckenden alten Speichergebäude - sicher mittelfristig eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Hansestadt, aber nicht jeder ist glücklich damit. Und das aus gutem Grund.

Bereits im Vorfeld gab es massive Kritik an der Schau des Museumschefs Peter Tamm, seines Zeichens früherer Vorstandsvorsitzender des Springer-Verlages. Dessen Sammelwut hatte diese riesige Privatsammlung hervorgebracht, die er bis vor wenigen Jahren in seiner Villa in der Elbchaussee unterbrachte. Tamm, der offenbar bei Springer ganz gut verdient hat, stopfte dieses Gebäude voll mit Schiffsmodellen, Uniformen und Waffen und platzierte Torpedos, Geschütze und ein komplettes Schnellboot in seinem Garten. Vermutlich verfügte Peter Tamm über mehr Feuerkraft als die finnische Marine.

Worüber er auf jeden Fall verfügt, ist ein ausgeprägt autoritäres Weltbild. Er sieht die Befehlshierarchie auf einem Schiff - wo der Kapitän unumschränkt das Sagen hat - als Vorbild für ein funktionierendes Staatswesen: "Da gibts nicht so viel Gerede, sondern wäre 'ne klare Ordnung", meinte er einmal; und selbst Axel Springer soll ihn bisweilen als Rechtsradikalen bezeichnet haben. Außerdem wäre er nach eigenem Bekunden gerne Admiral geworden. Dementsprechend sei die Ausstellung viel zu militärlastig und geradezu kriegsverherrlichend, heißt es seit geraumer Zeit von Seiten der Museumsgegner. Ich vermag das nicht zu beurteilen, ohne mir das Museum gründlich angesehen zu haben. Ich halte es aber für nicht unwahrscheinlich.

Das scheint mir aber auch nicht das Hauptproblem zu sein, denn eine militärverherrlichende Ausstellung ließe sich normalerweise notfalls immer noch neu konzipieren. Aber nicht in diesem Fall, nicht in den nächsten paar Jahren. Und das ist der eigentliche Skandal. Denn Tamm kann in seinem (!) Museum machen, was er will. Wer ihn zu stören versucht, wird vermutlich auf eine Kanone gebunden und mit der neunschwänzigen Katze bearbeitet.

Die Stadt Hamburg überließ der eigens eingerichteten "Stiftung Peter Tamm" als Träger des Museums 2002 den unter Denkmalschutz stehenden Kaispeicher B für nicht weniger als 99 Jahre - und zwar für lau. Den nötigen Umbau finanzierte die Hansestadt mit 30 Millionen Euro - mehr, als alle anderen Museen zusammen an Zuschüssen bekamen. Ermöglicht hat dies die Kultursenatorin Dana Horáková, die 2002 von der unheiligen Senats-Allianz aus CDU, FDP und Schill-Bande ernannt wurde und - welch Zufall aber auch! - zuvor als Redakteurin für die "Bild"-Zeitung und die "Welt am Sonntag" arbeitete. Kurz: Ehemalige Springer-Angestellte schiebt ehemaligem Springer-Chef Millionen an öffentlichen Geldern über den Tisch, damit der sich seinen Kindheitstraum erfüllen kann. Nebenbei gesagt war es auch Frau Horáková, die ihrem Ex-Chef den Professorentitel zugeschanzt hat.

Aber es kommt noch schlimmer. Die Stadt Hamburg, die so viel Geld locker gemacht hat, verzichtet auf jegliches (!) Mitspracherecht bei der inhaltlichen Konzeption des Museums. Dies geht aus dem zwischen der Stadt und der Tamm-Stiftung geschlossenen Vertrag hervor:

Die Vertragsparteien stellen ausdrücklich klar, dass das alleinige Entscheidungsrecht über die Präsentation der musealen Sammlung Peter Tamm, die Auswahl der Exponate, die Gewährung und Entgegennahme von Leihgaben, die Durchführung von Ausstellungen, Vorträgen und der gesamte Betrieb des Museums allein bei der Peter Tamm Sen. Stiftung liegt.” - zit. nach F. Möwe, Tamm-Tamm, Hamburg 2005, S.80

Der Vorstand der Stiftung besteht aus Tamm und seiner Geschäftsführerin, wobei im Zweifel Tamms Stimme entscheidend ist. Darüber hinaus ist die Finanzierung des laufenden Betriebs noch keineswegs gesichert - die Stiftung verfügt trotz Spenden aus der hamburgischen Wirtschaft nicht über genügend Kapital; außerdem wird sich zeigen, ob die recht hoch angesetzte Kalkulation von 150.000 Besuchern jährlich aufgehen wird. Es ist abzusehen, dass das Museum der Stadt noch mehr Geld kosten wird.

Nicht falsch verstehen: Ich finde es höchst erfreulich, wenn Steuergelder auch mal wieder für Museen ausgegeben werden. Aber die Öffentlichkeit - sprich: die Politik - darf sich dabei nicht ihrer Aufsichtsmöglichkeit entledigen; schon gar nicht, wenn die Gefahr besteht, dass sie ansonsten nur den Goldesel für die militaristisch-feuchten Träume eines waffenverliebten Marinefetischisten abgibt. Die Entstehungsgeschichte des Tamm-Museums scheint mir so sehr dem hanseatischem Klüngel zu entspringen (von dem sich offenbar auch der Spiegel nicht freimachen kann, da er auf jegliche kritische Reflexion verzichtet), dass die Finanzierung schon fast einer Veruntreuung öffentlicher Gelder gleicht.

Dienstag, 24. Juni 2008

Skandal: Tom Buhrow uriniert auf Deutschlandfahne!

Ja, ja, die Panne in den Tagesthemen mit der falschen Deutschlandfahne war peinlich. Keine Frage. Und ein bisschen Häme und Spott sei von mir aus den anderen Medienanstalten zugestanden - obschon ich der Meinung bin, dass RTL und Konsorten lieber die Klappe halten sollten, denn diese Sender sind selbst eine einzige Panne. Von der Blödzeitung ganz zu schweigen. Aber muss diese Sau nun unbedingt gleich tagelang durchs Dorf getrieben werden?

Ja, muss sie offenbar, zumindest bei Online-Medien - es gibt nämlich nur selten Meldungen, aus denen man derartig viele Klicks herausquetschen kann; und Klicks sind nach wie vor die maßgebliche Netzwährung. Spiegel.de etwa hat nicht nur in mehreren Artikeln über den Vorfall berichtet, sondern auch eine unlustige Satire daraus gestrickt, durch die man sich auf der Suche nach dem Witz durchklicken muss; seit mehreren Tagen ein höchst dämliches Flaggenquiz sowie die obligatorische Hintergrundstory "Die schönsten Pannen der TV-Geschichte", mit all den lahmen Geschichtchen, die man ohnehin alle paar Wochen liest. Und das alles nach drei Tagen noch auf der Spiegel-Homepage - scheint ja sonst nicht viel los zu sein.

Jedem Menschen, der schon mal irgendwann in seinem Leben an einem Computer gesessen hat, war klar, dass sich ein Tagesthemen-Techniker bei dem Bild einfach verklickt haben muss. Und? Ist der jetzt dran wegen Verunglimpfung der Fahne, die nach §90a StGB mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann? Dann werft ihn eben in den Kerker, wenn das dazu dient, das Thema endlich abzuschließen - ich kann's jedenfalls nicht mehr hören.

Montag, 23. Juni 2008

Manchmal ist Gewalt eben doch eine Lösung

. . . etwa, wenn jemand wie Robert Mugabe trotz aller Fälschungsbemühungen die Präsidentschaftswahl verliert und auch die Stichwahl zu verlieren droht: Dann bringt man einfach so viele Oppositionelle um, bis der Gegenkandidat aufgibt, um nicht noch mehr Leben aufs Spiel zu setzen. Das gibt dem Begriff "Wahlkampf" eine ganz neue Bedeutung. Geschickte Vorgehensweise zum Machterhalt, wenn auch weniger elegant als die unblutigere Bush-Variante. Es ist dabei allerdings hilfreich, in einem derartig armen Teil Afrikas zu leben, dass es niemanden so richtig interessiert, was man dort macht - zumindest nicht die "erste Welt".

Simbabwe ist ein Land, in dem die Inflationsrate 160.000 Prozent beträgt und der landwirtschaftliche Sektor total am Boden lieg, was immer wieder zu Hungersnöten führt. Aber wen kümmert's? Es gibt schließlich Wichtigeres als ein paar hundert oder tausend tote Simbabwer, etwa den Ölpreis oder die Fußball-EM. Schlechter Zeitpunkt, um in einen Bürgerkrieg zu schlittern.

An dieser Ignoranz gegenüber Afrika muss sich etwas ändern. Um das Bewusstsein für politische Entwicklungen in postkolonialen Diktaturen zu schärfen, schlage ich vor, ein weiteres Mal (ähnlich dem "Milloy") eine neue Maßeinheit einzuführen: das "Mugabe". Ein Mugabe bezeichnet fürderhin die Dauer in Minuten, die eine Meldung über blutige Unruhen/Kriege/Naturkatastrophen in einem durchschnittlichen schwarzafrikanischen Land auf den Homepages von Spiegel, Welt etc. zu finden ist, bevor sie nach hinten durchgereicht und durch etwas anderes ersetzt wird.

Ich habe vor, dieses Posting für mindestens zweieinhalb Mugabes oben auf diesem Blog stehen zu lassen. Mal sehen, ob's klappt.

Samstag, 21. Juni 2008

"Vorsicht, Kamera!" - Die lustige Show von und mit Wolfgang Schäuble

Tut mir leid, wenn ich zwischen Viertel- und Halbfinale kurz störe, aber es ist Zeit für eine Folge der in unregelmäßigen Abständen fortzusetzenden Quizshow "Wie bringt man ein unpopuläres Gesetz durch?" In dieser Folge geht es um die Neufassung des BKA-Gesetzes.

Antwort A: Indem man den Entwurf mitten in der heißen Phase eines großen Fußballturniers vorlegt, wenn's eh keinen interessiert
oder
Antwort B: Indem man den Entwurf vorlegt - und statt einer inhaltlichen Debatte sofort dazu übergeht, auf einer Linken-Abgeordneten einzuprügeln

Richtig sind natürlich beide Antworten. Und mit Ulla Jelpke fand sich ein dankbarer weiblicher Prügelknabe: Ihr Gestapovergleich bedient in erster Linie Godwins Gesetz und sorgt dafür, dass vorerst niemand mehr über den eigentlichen Gesetzentwurf redet. Das ist schade, denn der hat's in sich - und Jelpke hat gar nicht so unrecht mit der Formulierung einer "geheim ermittelnden Staatspolizei".

"Staatspolizei" deshalb, weil dem Bundeskriminalamt Befugnisse der unter der Befehlsgewalt der Länder stehenden Polizei übertragen werden sollen; "geheim ermittelnd" wegen der weiteren deutlichen Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen, die der Entwurf, den der Chefparanoiker und verklemmte Faschist Schäuble aus dem Hut gezaubert hat, vorsieht und der geeignet ist, Grundrechten wie der Unverletzlichkeit der Wohnung den Rest zu geben.

§20k regelt mal eben die vor kurzem noch heiß umkämpfte, jetzt zumeist schulterzuckend zur Kenntnis genommene Online-Durchsuchung. Interessant die Formulierung der Voraussetzungen in Ziffer 1: "... auch zulässig, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass ohne Durchführung der Maßnahme in näherer Zukunft ein Schaden eintritt..." Mit diesem schwurbeligen Schlangensatz wird die Kritik des Verfassungsgerichtes an der früheren Praxis elegant ausgebremst. Übersetzt heißt das nämlich nichts anderes als: Es muss keine Gefahr im Verzug sein, um die Festplatte zu durchleuchten. Die bloße Absicht, es zu tun, soll den Ermittlern künftig reichen.


Ähnliches gilt für die Telekommunikationsüberwachung (§20l) und das Betreten von Privatwohnungen (§20t). Am erschreckendsten sind jedoch §20g und h, die das Verwanzen und Videoüberwachen von Wohnungen ermöglichen:
"Das BKA kann zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Staates [...] durch den Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen [...] Lichtbilder und Bildaufzeichnungen über diese Person herstellen, wenn die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre."
Und wer entscheidet darüber, wann eine Gefahr dringend ist? Sie ahnen es bereits.

Was kann man nun als Untertan tun? Zum Sturz einer Regierung aufzurufen, die einem auch noch das letzte bisschen Privatsphäre rauben will, darf man ja nicht - "Gefahr für die Sicherheit des Staates" heißt es dann, und der unbedarfte Bürger wird zum Hauptdarsteller von "Vorsicht, Kamera!" - aber leider nicht mit Chris Howland, sondern dem Unsympathen Schäuble.

Nein, am besten ist, man findet sich mit den neuen Verhältnissen ab - etwas, was wir Deutschen besonders gut können - und gibt sich so unbedarft wie möglich, denn es könnte ja jemand zugucken. Die Wasserpfeife verschwindet im Schrank, der Orientteppich wandert zum Flohmarkt, abends vor dem Fernseher wird nicht über Politik diskutiert - am besten nicht einmal mehr die "Tagesschau" geguckt, auch das macht einen verdächtig - beim Kacken wird künftig ein entspanntes Gesicht gemacht und Sex gibt's nur noch unter der Bettdecke, es sei denn, Sie haben exhibitionistische Neigungen.

Denn schließlich hat man ja nichts zu verbergen, oder?

Donnerstag, 19. Juni 2008

Boeing, Airbus und das Fliewatüüt

Na, das hat die Washingtoner Waffenlobbyisten mit Sicherheit überrascht: Da ziehen sie monatelang Fäden, zahlen Unsummen an Schmier- und Schweigegeldern, um dem Pentagon einen weiteren milliardenschweren Rüstungsauftrag aus den Rippen zu leiern - und dann geht dieser doch tatsächlich an ein nichtamerikanisches Unternehmen!

Die Rede ist von den neuen Tankflugzeugen für die US-amerikanische Luftwaffe. Nicht Boeing-, sondern Airbus-Maschinen sollten US-Kampfflugzeuge auf ihrem Weg zum nächsten Streubombeneinsatz demnächst betanken - so lautete die Entscheidung der Air Force von Anfang März. Die Bestellung landete also nicht beim US-Rüstungsriesen Boeing, sondern beim europäischen EADS-Konzern, der ein kosteneffizienteres Angebot unterbreitet hatte.

Soweit kommt das noch, dachten sich die Boeing-Bosse, krempelten die Ärmel hoch und machten sich daran, die Verhältnisse wieder zurechtzurücken. Schließlich hat man dieses ganze Geschäft überhaupt nur angeschoben, um möglichst viele Milliarden Dollar aus dem US-amerikanischen Steuertopf auf möglichst kurzem Wege auf die Konten von Boeing zu überführen. Militärische Erfordernisse haben da keine Rolle zu spielen; das sieht man an der - selbst wenn man die Größe der US Air Force und die weltweit verstreute Militärpräsenz der USA in Betracht zieht - aberwitzig hohen Anzahl der georderten Maschinen, nämlich 179. Und das schöne Geld soll jetzt ein anderer kriegen? Und dann auch noch Ausländer? Das glich beinahe Landesverrat.

Kein Wunder also, dass Boeing auf die Barrikaden ging; ebenso wenig ein Wunder, dass die Regierung einknickt und eine Empfehlung ausspricht, den Auftrag neu auszuschreiben. Begründung: "Verfahrensfehler", eine überaus hohle Phrase, unter der man sich alles mögliche vorstellen kann und die deshalb so beliebt ist. Denn worin genau die Fehler bestanden, erfährt man nirgends so recht. Vielleicht war irgendwo ein Komma falsch gesetzt.

Selten wurde die marionettenhafte Machtlosigkeit amerikanischer Regierungsstellen gegenüber dem militärisch-industriellen Komplex derart deutlich. Boeing schreit, und der Rechnungshof zuckt zusammen. Und am Ende wird Boeing gewinnen, denn es verfügt über einen Trumpf gegenüber EADS: Nämlich die Welle von dumpfem Patriotismus, die seit dem 11. September über das Land geschwappt und bislang nirgendwohin abgeflossen ist. Der Konzern muss der Bevölkerung nur eintrichtern, dass EADS im wesentlichen ein deutsch-französisches Unternehmen ist - "Sind das nicht die Feiglinge, die nicht mit in den Irak wollten, Slim?" "Glaub schon, Jim. Kommunisten, alle miteinander." Und ruck-zuck wird der öffentliche Druck so stark, dass das Pentagon gar nicht mehr anders kann, als den Auftrag an Boeing zu vergeben. Schließlich wird in wenigen Monaten der Präsident gewählt, und alle Kandidaten greifen das Thema begierig auf.

Dieses Mal wird Boeing, um die Form zu wahren, ein neues, niedrigeres Angebot abgeben müssen. But who cares? Am Ende wird ohnehin der Satz stehen, den jeder kennt, der schon mal mit Handwerkern zu tun hatte: "Tut mir leid, aber den Kostenvoranschlag werden wir nicht einhalten können . . ." Der militärisch-industrielle Komplex bekommt immer, was er will. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass beinahe die Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben auf die USA entfällt. Gelackmeiert ist der amerikanische Steuerzahler. Aber der hat's ja nicht anders gewollt.

Dienstag, 17. Juni 2008

Neue Umfrage: NPD legt bei Kommunalwahlen in Sachsen zu

So, der Córdoba-Humbug ist vorüber, ebenso die letzte Umfrage. Anlässlich des allgegenwärtigen Flaggezeigens fragte ich, was gegen diese ganzen schwarz-rot-goldenen Autofähnchen zu tun sei, bevor sie eines natürlichen Todes sterben und in die ewigen Straßengräben eingehen.

Alle Teilnehmer waren dafür, den schwarzen und goldenen Streifen abzuschneiden. Das sähe dann hinterher ungefähr so aus:



Ein Drittel hatte immerhin noch Lust, den jeweiligen Fahrer auch noch anzubölken. Niemand entschied sich für Gewaltanwendung, was ja schön ist; und niemand wollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine Patriotismusdebatte anleiern, was noch viel schöner ist.

Zeit, zu politischen Problemen zurückzukehren. In der aktuellen Umfrage (rechts oben) geht es um die Wahlerfolge der Neonazis in Sachsen. Aufgrund der Brisanz des Themas gibt es dieses Mal eine ganze Menge Antwortmöglichkeiten. Man kann mehrere auswählen, denn es gilt wie immer Ludewigsches Wahlrecht. Ich bitte um Hand-, äh: Klickzeichen.

Montag, 16. Juni 2008

Der Ball ist rund, und ein Spiel dauert 30 Jahre

Kleine Quizaufgabe: Nennen Sie eine argentinische Stadt außer Buenos Aires.

*ticktack*

*ticktack*

*ticktack*

Die Zeit ist um. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lautete die Antwort "Córdoba" - und das heißt: Entweder haben Sie Ahnung von argentinischer Geschichte und Geographie oder Sie gehören zu diesen total durchgeknallten Fußballfreaks, die am heutigen Tag ihr gesamtes Weltbild auf die 90 Minuten reduzieren, als Titelverteidiger Deutschland bei der WM 1978 von Österreich aus dem Turnier geworfen wurde.

Nun gibt es viele Stichworte zum Thema "Argentinien 1978". Mir würden da etwa Nazi-Flüchtlinge, Militärdiktatur, Staatsterror, tausende ermordete oder verschwundene Menschen einfallen. Aber nein - das einzige, was heute die Gehirne beschäftigt, ist ein Tor in der 88. Minute und ein völlig übergeschnappter Radiomoderator. "Schmach" auf der einen, "Wunder" auf der anderen Seite. Nebenbei: Auch, wenn man das ganze rein fussballerisch betrachtet, fällt mir ein Spiel zwischen beiden Mannschaften ein, das es viel mehr verdient hätte, nach so langer Zeit noch die Emotionen hochkochen zu lassen: Die geschobene Vorrundenpartie von 1982. Aber das ist ja für beide Seiten ein bißchen peinlich, nicht wahr?

Nicht falsch verstehen: Es ist ja nichts Schlimmes dabei, in diesen Zeiten ein wenig Fußballverrücktheit an den Tag zu legen. Aber man kann's auch wirklich übertreiben. Eine Niederlage gegen ein auf dem Papier schlechteres Team auch nach 30 Jahren noch als "Schmach" zu bezeichnen, zeugt von überheblicher Arroganz - den Sieg über einen stärkeren Gegner als "Wunder" zu bezeichnen, von selbsterniedrigenden Minderwertigkeitskomplexen. In beiden Fällen haben die beiden betreffenden Nationalitäten ihr ganz spezielles Selbstverständnis seit Jahrzehnten verinnerlicht.

Und was passiert, sollte sich "Schmach" bzw. "Wunder" heute abend wiederholen? Massenselbstmorde in Deutschland, Ausrufung der Monarchie in Österreich? Keine Sorge, wird wohl nicht passieren. Das DFB-Team wird gewinnen, die Deutschen sich in revanchistischer Befriedigung suhlen und die Österreicher sich wieder als Opfer fühlen. Beide können das besonders gut.


Sonntag, 15. Juni 2008

Macht's gut, und danke für die vielen Subventionen

Die EU-Kommissare können den Champagner wieder zurück in den Kühlschrank legen - die Iren sagten "No" zum Reformvertrag, der unter anderem das EU-Parlament stärken und eine mehr oder weniger einheitliche EU-Außenpolitik ermöglichen sollte. Damit ist auch der zweite Versuch, der Union eine Art Verfassung zu geben, vorzeitig gescheitert. Warum das aber nun allgemein als Überraschung dargestellt wird, erschließt sich mir nicht so recht.

Irland ist der einzige der 27 Mitgliedsstaaten, der die Zustimmung zum "Vertrag von Lissabon" an einen Volksentscheid gekoppelt hat, und das ging prompt in die Hose. Genauso wie beim Vorläufer, dem "Vertrag über eine Verfassung für Europa". Andere Länder, vor allem Frankreich und die Niederlande, haben damals gelernt, dass man solch wichtige politische Prozesse bloß nicht in die Hände des Urnenpöbels legen darf, der ja sowieso nicht weiß, was das Beste für ihn ist. Mediales Trommelfeuer zum Thema Bürokratenwahn und EU-Verschwörungstheoretiker tun ihr Übriges dazu, dass der Durchschnittsbürger der Union grundsätzlich skeptisch gegenüber steht. Selbst in einem Land, das wie kaum ein anderes von der EU profitiert hat.

Statt einmal darüber nachzudenken, warum die Bevölkerung nun gegen das Vertragswerk votiert hat, wird nun hektisch an einer Lösung herumlaboriert. Von einem zweiten Referendum ist die Rede, als ob man die Iren so oft zur Wahlurne treiben könnte, bis das Ergebnis passt. Man denkt auch darüber nach, Irland im Integrationsprozess vorerst einige Zeit außen vor zu lassen. In Schul-Sprache ausgedrückt: die Iren werden mit einer Eselsmütze vor die Tür geschickt, damit sie über ihre Fehler nachdenken können.

Vielleicht nicht die schlechteste Variante. Denn Strafe muss sein: nicht nur, dass Irland dank EU-Finanzspritzen mittlerweile zu den reichsten Ländern der Welt gehört - das einzige, was Europa dafür zurückbekommen hat, ist der "Lord of the Dance". Und allein dafür sollte man die Iren aus der Union schmeißen.

Donnerstag, 12. Juni 2008

Wer wird Staatsbürger? (Leider ohne Günther Jauch)

Am 1. September soll also ein verbindlicher Einbürgerungstest für Migranten eingeführt werden, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten möchten. Ich dachte eigentlich, dieses Thema sei längst ad acta gelegt, schließlich wird in Hessen gerade nicht gewählt. Das Geschrei ist nun groß, weil Innenminister Wolfgang Schäuble den Test per Verordnung, also am Parlament vorbei, einführen will und der Bundestag sich übergangen fühlt. Dieses diktatorische Gehabe ist aber nicht das Hauptproblem - sondern der Test selbst.

310 Testfragen hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Berliner Humboldt-Universität, dem Schäuble einen Maulkorb angelegt hat, entwickelt. Eine bemerkenswerte Fleißarbeit, hat bestimmt eine Menge Zeit und Geld verschlungen. Daraus sollen für die Tests je 33 Fragen zufällig ausgesucht werden, damit die bereits Eingebürgerten den Neulingen nicht vorsagen können wie wir damals auf dem Schulklo. Die Auswahl der Fragen scheint, den veröffentlichten Beispielen zufolge, einer Mischung aus Beliebigkeit, Serviceinformationen und Politikunterricht zu folgen. Aber auch das ist noch nicht das eigentlich Lächerliche daran - sondern die Vorstellung, wie gebürtige Deutsche - gewissermaßen Volksdeutsche - dabei abschneiden würden.

Auf die Frage, warum Willy Brandt 1970 in Warschau niederkniete, würde vermutlich ein erklecklicher Teil der gebürtigen Deutschen unter 30 antworten: "Willy wer?" Auch an der Frage, wieviel Bundesländer es gibt, würden viele scheitern, weil man zum Abzählen mehr als zwei Hände braucht. Es kommt erschwerend hinzu, dass die Auswertung der Fragen nicht zeitgemäß sein wird. Auf die Frage "Wer bestimmt die Regierung in Deutschland - a. das Militär, b. die Unternehmen, c. der Wähler oder d. die Medien?" wird "Wähler" als korrekt gewertet - wir alle wissen aber, dass das wohl eher aus Politologenromantik resultiert und die eigentlich richtige Antwort eine Kombination aus b und d wäre.

Sprachkurse für Migranten sind sicherlich sinnvoll, Kurse über Land und Leute vielleicht auch - woher soll der Zuwanderer sonst wissen, dass ihm schwere Verletzungen drohen, wenn er sich auf einem Fahrrad durch die Fußgängerzone bewegt und sich einem Rentner mit Krückstock nähert? Aber die Idee, die Neu-Staatsbürger wie Pennäler auf die Schulbank zu drücken und einen Test schreiben zu lassen - das ist, kurz gesagt, Quatsch; ein typisch deutsches Machwerk, wie es sich nur verkniffene Bildungshuber ausdenken können. Da hilft es auch nicht, dass nach Angaben des Migrationsforschers Klaus Bade die Engländer gute Erfahrungen mit damit gemacht hätten: In deren Test wird der Möchtegern-Brite u.a. gefragt, wo der Weihnachtsmann her kommt und an welchem Tag man Aprilscherze macht.

Unter einer Bedingung wäre ich allerdings einverstanden mit dem Test: Wenn er verbindlich auch für alle Deutschen eingeführt wird und alle, die daran scheitern, umgehend ausgebürgert werden. Sonst weiß der Pizzabäcker hinterher mehr über Deutschland als der Dorfvorsteher - wie sähe das denn aus.

Mittwoch, 11. Juni 2008

George W. Bush tut es leid

Noch-Präsident George W. Bush hat sich entschuldigt. Was für eine Überschrift! Es gibt so vieles, wofür er sich entschuldigen müsste, dass man gar nicht weiß, wo er damit anfangen sollte. Dafür weiß Dabbeljuh aber ganz genau, wo er aufhören muss. Die Entschuldigung betrifft nämlich ausschließlich die Scharfmacher-Rhetorik im Umfeld des Irak-Krieges.

Wohlgemerkt: Die Rhetorik, nicht den Krieg selbst. Zum Teil war diese ja auch mehr als peinlich, etwa wenn das Staatsoberhaupt der einzigen Weltmacht den brutalen Diktator Saddam Hussein als "the guy who tried to kill my dad" bezeichnete (die Amis und ihr Vaterkomplex - eine wohl wirklich unendliche Geschichte). Nun gab er zu, dass Wildwest-Formulierungen wie "tot oder lebendig" wohl auch nicht geeignet waren, ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern als Friedensengel zu reservieren. Eine brillante und höchst selbstkritische Schlußfolgerung, die ich Dabbeljuh ohne Hilfe von außen gar nicht zugetraut hätte. Die Angehörigen der rund 650.000 getöteten Iraker vermutlich auch nicht.

Nachdem er also seine unglückliche Wortwahl eingeräumt hatte, ging Bush in dem Gespräch mit Times-Journalisten in eine Art Selbstmitleids-Offensive über. Er sei frustriert, dass seine guten Taten nicht gewürdigt werden und er in Europa eine Art Buhmann sei. Seine Argumentation muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen:

“America is a force for good. America is a force for liberty. America is a force to fight disease. We've got the largest HIV/Aids initiative in the history of the world. We've got a malaria initiative that's saving babies.” (Times)

Yes, and you've got a military initiative that's killing babies, möchte man ihn anbrüllen. Über Bushs esoterische Gut-Böse-Definitionen ist jede Diskussion überflüssig. Inwieweit die USA Freiheit bringen, kann vielleicht Pervez Kambaksch Ibrahimi beantworten, der im "befreiten" Afghanistan in der Todeszelle sitzt, weil er einen islamkritischen Text kopierte. Oder die kleine Ghulam, die einen ungewaschenen alten Sack heiraten musste. Und Kern der Aids-Initiative Bushs ist offenbar das Predigen von Enthaltsamkeit, mit dem Effekt, dass der deutliche Rückgang der Zahl der HIV-Infizierten zur Zeit der Clinton-Administration zum stoppen gebracht wurde und sich nun wieder in langsamen Anstieg befindet.

Und wenn ihm schon hunderttausende tote Iraker am Allerwertesten vorbeigehen - die Angehörigen der US-Soldaten tun das nicht, behauptet er. "
I try to meet with as many of the families as I can", so Bush. Für ein zweites Treffen mit der Friedensaktivistin Cindy Sheehan hat es allerdings nicht gereicht, obwohl das für ihn einfach gewesen wäre: schließlich hat sie 2005 nicht weniger als fünf Wochen lang - und seitdem noch mehrere Male - neben Bushs Ranch in Texas, auf der er Urlaub machte, kampiert.

Die zerknirschte Selbstkritik von Bush ist derartig verlogen, dass sie nicht einmal mehr eine Farce ist.
Vermutlich wird er ab dem nächten Jahr, wenn er im unverdienten Ruhestand ist, Bücher schreiben (wohl eher: schreiben lassen). Da hat er dann viel Zeit und Raum für weitere Entschuldigungen: für seine Klimapolitik, seine Rüstungspolitik, seine Sozialpolitik, seine Bildungspolitik, seine Gesundheitspolitik . . . aber vermutlich werden seine Elaborate ohnehin nicht besonders textlastig, denn wie er selbst sagte: "Was an Büchern mit am besten ist: Manchmal sind da ganz phantastische Bilder drin."

Montag, 9. Juni 2008

Braune Soße auf dem kotelettförmigen Land

Jetzt ist die EM richtig losgegangen: es gab die ersten Krawalle. Nachdem schon am Samstagabend Polen und Deutsche aneinandergeraten waren, haben am Sonntag 140 deutsche Hooligans (im folgenden kurz "Arschlöcher" genannt) in Klagenfurt polnische Anhänger mit Nazi-Sprüchen beleidigt. Wenigstens hat die österreichische Polizei geschaltet und diese Vollidioten festgenommen. Ich würde vorschlagen, auf jegliche Auslieferungsgesuche zu verzichten und sie gleich dort zu belassen.

Wenn die österreichischen Behörden die Arschlöcher des Landes verweisen wollen, lassen wir sie einfach nicht mehr rein! Das wären 140 Probleme weniger in Deutschland und gäbe der hohlen Phrase "Nazis raus" endlich mal eine konkrete Bedeutung. Außerdem können sich die Österreicher dann mal wieder so richtig als Opfer des Nationalsozialismus fühlen.

Eine schöne Pointe wäre es, wenn die Krawallbrüder im Verhör angeben, durch die Berichterstattung in den jeweiligen Boulevardzeitungen aufgestachelt worden zu sein. Man könnte den Springer-Verlag ja ohnehin schon täglich wegen Volksverhetzhung anklagen - aber vielleicht kann man es in diesem speziellen Fall ja in Den Haag.

Sonntag, 8. Juni 2008

Einem Teil unserer heutigen Auflage liegen Galgenstricke bei. Wir bitten um freundliche Beachtung.

Wer erinnert sich nicht an den tödlichen Holzklotz-Wurf von einer Oldenburger Autobahnbrücke am Ostermontag? Eine grauenhafte Tat, die jeden hätte treffen können - was sie für viele Leute um so erschütternder macht. Niemand will zum Opfer eines solchen Verbrechens werden, und niemand will, dass der Täter ungeschoren davonkommt.

Mit Erleichterung wurde daher vor gut zwei Wochen die Nachricht von der Festnahme eines mutmaßlichen Täters aufgenommen. Nur: Der Tatverdächtige scheint sein zwischenzeitlich abgelegtes Geständnis nun widerrufen zu wollen, wie am Samstag bekannt wurde. Das ist immerhin sein gutes Recht - und wenn es stimmt, dass er zum Zeitpunkt des Verhörs unter Entzugserscheinungen litt, muss man ohnehin die Frage stellen, was das dabei abgelegte Geständnis eigentlich wert sein soll. Natürlich gibt es dringende Verdachtsmomente gegen ihn - die Tat muss ihm dennoch nachgewiesen werden, sonst hat er als unschuldig zu gelten und müsste im bevorstehenden Prozess freigesprochen werden. Die Öffentlichkeit hat ihr Urteil allerdings längst gefällt.

Schließlich herrschte sechs Wochen lang quälende Ungewissheit, alle möglichen Teenager mit Schirmmützen wurden aufgrund eines fragwürdigen Phantombildes scheel angeguckt - und dann präsentierte die Polizei einen Verdächtigen, und der war nicht nur arbeitslos, sondern auch noch drogensüchtig. Man konnte die Stimmung regelrecht spüren: Das ist der Täter, das muss er sein, wir wollen, dass er es ist!

Schnell sind in solchen Fällen zwecks Lynchjustiz die Fackeln und Mistforken hervorgekramt. Und die in Oldenburg erscheinende Zeitung hat die Stimmung tatkräftig angefeuert - indem sie nicht nur den Verhafteten deutlich erkennbar auf der Titelseite abgebildet hat (was schon schlimm genug ist), sondern auch seinen vollen Namen, ein Bild seines Hauses und, kaum zu glauben, einen Ausschnitt eines Stadtplanes mit dessen Lage. Würde der Mann auch nur vorübergehend auf freien Fuß gesetzt werden, könnte man ihn wohl kurz darauf vom nächsten Laternenpfahl abschneiden.

Was passiert, wenn sich der Tatverdächtige tatsächlich am Ende als unschuldig erweisen sollte? Sein Leben in dem beschaulichen Vorort Oldenburgs ist restlos zerstört. Er wird sich irgendwo anders etwas Neues aufbauen müssen - und zwar etwas ganz Neues, einschließlich neuer Identität. Fragt sich nur, wo er sich überhaupt noch blicken lassen kann: Seine Bilder sind schließlich auch per Bild-Zeitung durchs ganze Land gegangen. Und als Heroinabhängiger ist es ja nun auch nicht ganz einfach, einen Neuanfang auf die Reihe zu kriegen.

Schon in einem anderen spektakulären Mordfall, der die Gemüter stark bewegte, hat sich die Zeitung nicht mit Ruhm bekleckert, als sie die Angeklagte mit vollem Namen und (trotz Pixelung des Gesichts) gut erkennbar vorführte. Und die Frau ist dann tatsächlich freigesprochen worden. Mal sehen, ob sie mit ihren Nachbarn und ihren Kollegen gut auskommt. Aber darüber berichtet das Blatt dann nicht mehr - zu uninteressant, vermutlich.

Außer natürlich, sie - oder eventuell der mutmaßliche Holzklotzwerfer, falls freigelassen - wird vom aufgebrachten Mob erschlagen. Das wäre wiederum eine Geschichte.

Samstag, 7. Juni 2008

Manchmal reicht ein Koch, um den Brei zu verderben

Löblich war das Ansinnen der hessischen Mehrheit aus SPD, Grünen und Linkspartei, die Studiengebühren wieder abzuschaffen. Verwerflich dagegen die Machtspielchen eines Roland Koch. Was bislang aus dieser Geschichte wurde, ist vor allem eines: Ein Paradebeispiel dafür, dass in diesem Land - und damit meine ich nicht nur Hessen - Politik reiner Selbstzweck geworden ist. Das System ist in eine Art permanentem Wahlkampf erstarrt: Es geht nur noch darum, den politischen Gegner zu diskreditieren, ihm Inkompetenz und Handlungsunfähigkeit vorzuwerfen und damit seinen eigenen Allerwertesten so lange wie möglich im Amt zu behalten. Vollzug der Staatsgewalt, die unveräußerlich beim Volke liegt (Art. 70 der hessischen Verfassung)? Ein andermal - man kann sich ja schließlich nicht um alles kümmern.

Gut, das Ganze hat von Anfang an ein wenig merkwürdig - weil ungewöhnlich - gewirkt: eine parlamentarische Mehrheit beschließt ein Gesetz, ohne dass sie gleichzeitig auch die Regierung stellt. Nur folgerichtig, dass diese - im wesentlichen repräsentiert durch den an seinem Sessel klebenden Roland Koch - prompt zurückschlägt: Er könne das Gesetz nicht unterzeichnen, führte Koch genüsslich aus, da die Vorlage fehlerhaft sei. In der Tat fehlte im Text ein nicht unwichtiger Passus: der über den Termin für die Abschaffung der Studiengebühren nämlich. Koch wusste das bereits vor der Lesung im Landtag, schaute lächelnd zu, wie die parlamentarische Maschinerie in Gang gebracht wurde - und ließ sich am Ende seinen billigen Triumph nicht nehmen. Für diese Art der politischen Selbstbefriedigung bekommt er schätzungsweise 13.000 Euro im Monat, was ihm übrigens viel zu wenig ist.

Um so trauriger, dass es ausgerechnet Kochs im letzten Jahr verstorbener Vater Karl-Heinz war, der seinerzeit, nämlich 1949, die Abschaffung von Studiengebühren in Hessen erst erkämpfte. Ich würde ja zu gerne wissen, wie Karl-Heinz Koch reagierte, als seine missratene Brut die Gebühren 57 Jahre später unbedingt und trotz aller verfassungsrechtlichen Bedenken wieder durchprügelte. Wenn er das vorher gewusst hätte, hätte er den halbwüchsigen Roland vielleicht eher auf den Bau als an die Uni geschickt.

Aber auch die Opposition sieht nicht besonders gut aus. Dass sie sich überhaupt noch mit dem Reaktionär Koch abgeben muss, ist schließlich ihre eigene Schuld, weil die SPD - eingeschüchtert vom Wutgeheul der CDU und der Springerpresse - keine rot-grüne Koalition unter Duldung der Linken zustande bekommen hat. Im Ergebnis hat sie aber durch den Riesenbohei, der darum gemacht worden ist, ohnehin derart großen Schaden genommen, dass sie auch gleich mit der Linken hätte zusammenarbeiten können. Dann wäre der rechte Scharfmacher Koch längst da, wo er hingehört: Auf dem Kehrichthaufen der Geschichte.

Natürlich ist Koch ein "Trickser", wie die Opposition nun in ihrer halben Ohnmacht wütend ruft. Das entbindet sie zwar nicht von der Verantwortung für ihren ziemlich bescheuerten Fehler mit der Gesetzesvorlage, tut aber trotzdem gut, es mal auszusprechen. Mir fallen für Koch übrigens noch ganz andere Worte ein. Nebenbei bemerkt: Das ist doch mal ein Grund, sich über das Thema "Regierungsunfähigkeit" auszulassen. Möchten Sie von Leuten regiert werden, die zu blöd sind, einen Text per copy & paste zu übertragen? Die Antwort kann nur lauten: Eigentlich nicht, aber wenn die Alternative Koch heißt . . .

Letztlich wird das Gesetz von der rot-rot-grünen Mehrheit doch noch verabschiedet werden; da kann Koch heulen, mit den Zähnen klappern oder sich auf den Kopf stellen. Und als Pointe könnte er sich am Ende mit dieser Geschichte sein eigenes politisches Grab geschaufelt haben - denn SPD-Rebellin Dagmar Metzger überlegt sich jetzt doch, Andrea Ypsilanti ihre Stimme bei der Wahl des Ministerpräsidenten zu geben. Manchmal gibt es eben doch Gerechtigkeit in der Politik - man muss nur lange genug suchen.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Noch hat Polen nicht verloren

Die Fußball-EM steht in den Startlöchern - Zeit, das Niveau in dem Maße abzusenken, wie der Bierkonsum steigt, tief in die Klischee-Kiste zu greifen und Sport-Chauvinismen zu bedienen. Polnische Boulevardblätter haben mit schlechten Fotomontagen vorgelegt, und die Blöd-Zeitung schlüpft in ihre Lieblingsrolle als Verteidiger der nationalen Ehre. Eine Chronologie des Irrsinns.

Dienstag: Das polnische Revolverblatt "Fakt" zeigt Ballack als Deutschordensritter mit preußischer Pickelhaube, was nicht gerade ein Zeichen historischer Kompetenz darstellt, sowie Polens Trainer Beenhakker, der mit einem Schwert ausholt.
Mittwoch: Die Bild nölt von "ersten Giftpfeilen gegen uns", "Fakt" legt mit einer noch dämlicheren Montage nach. Die Warschauer Konkurrenzzeitung "Super Express", journalistisch offenbar auf einem ähnlichen Fäkalniveau, will sich da nicht lumpen lassen, hat zumindest bessere Grafiker und präsentiert die abgeschlagenen Köpfe Ballacks und Löws.
Donnerstag: Die Bild-Zeitung gibt sich schwer entrüstet, spricht vom polnischen "EM-Krieg gegen uns" und verwendet Ausdrücke wie "widerlich" und "geschmacklos", Worte, die sie selbst oft genug zu hören bekommt. "Deutsche, wir werden Euch schlagen - wie immer", konterte "Super Express" am Donnerstag und ließ im Dunkeln, wie sie das "wie immer" eigentlich meinte. "Fakt" verliert sich derweil in einem mittelschweren Anfall von Paranoia und legt sich Erklärungsmuster für den Fall eines frühzeitigen Ausscheidens zurecht.

Und so weiter, Fortsetzung folgt garantiert - zumindest bis zum Spiel am Sonntag. Es wirkt verdächtig, wie sich diese Zeitungen gegenseitig den Ball zuspielen, fast wie nach Drehbuch... und tatsächlich: Bild und Fakt gehören beide zum Hause Axel Springer. Dass die Chefetagen keinerlei Beziehungen zueinander haben, kann Bild-Vize Draxler sonstwem erzählen: Auf der Jagd nach Auflagenzahlen ist jedes Mittel recht. Wenn das Warscheuer Konkurrenzblatt dann auch noch auf den fahrenden Zug aufspringt - um so besser.

Dieses "Macht sie platt"-Geschwafel ist völlig belanglos und führt selbst bei so manchem Fußballinteressierten dazu, dass er sich schon vor dem Beginn der EM auf deren Ende freut. Es gehört aber offenbar ebenso naturgemäß ins Vorfeld eines großen Turniers wie Diskussionen über die Flatterhaftigkeit des offiziellen Balls oder das Philosophieren über Fan-Patriotismus.

All diese Themen haben gemeinsam, dass sie - im Gegensatz zu gutem Wein - mit der Zeit nicht besser werden, sondern nur noch ermüdend. Letztendlich ist es bloß Fußball - und der ist an sich meistens schon unlustig genug.

Mittwoch, 4. Juni 2008

Der Teufel mag in Lafontaine gefahren sein - geritten hat er aber Friedbert Pflüger

Wenn die Regierung, in diesem Fall die Berliner SPD-Linke-Koalition, Erfolge vorzuweisen hat, muss man sich als Oppositionsführer eben andere politische Schlachtfelder suchen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedbert Pflüger (CDU) will daher Anne Will absetzen. Die Sendung vom letzten Sonntag hat ihm nicht so recht gefallen: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit war da, gegen den Pflüger vor gut eineinhalb Jahren grandios die Wahl vergeigt hat; zu viele Linke waren da (nämlich einer, und dann auch noch der Staatsfeind Nr.1); dazu ein Wirtschaftsvertreter aus altem und degeneriertem Adel, der mutmaßte, dass der Teufel in Lafontaine gefahren sei; und es wurde über rot-rote Zusammenarbeit gesprochen - garniert mit der aberwitzigen These, Regierungsbeteiligungen der Linkspartei bedeuteten nicht unbedingt den sofortigen Untergang der Zivilisation.

Pflüger stößt sich unter anderem an der Aussage, die rot-rote Koalition habe bei ihrem Regierungsantritt 2001 einen Schuldenberg von 60 Mrd. Euro geerbt. Stimmt gar nicht, meint Pflüger, es seien nur 38,5 Mrd. Euro gewesen, die man der neuen Regierung hinterlassen habe. Das stimmt zwar auch wieder nicht so ganz, es handelte eher um 42,3 Mrd. Euro, aber da sind wir jetzt mal nicht kleinlich - viel wichtiger ist nämlich, dass die Berliner Staatsverschuldung nicht erst seit 2001 dramatisch in die Höhe geschossen ist, sondern eine Entwicklung fortgesetzt hat, die in den frühen 90er Jahren begann und durch den milliardenschweren Bankenskandal auch nicht besser wurde. Die "Wer wird Millionär"-Frage für 200 Euro lautet nun: Welche Parteienkoalition hat von 1990 bis 2001 in Berlin reagiert und die Schuldenspirale in Gang gesetzt? Die Antwort, ganz ohne Telefonjoker: Eine Große Koalition unter - Trommelwirbel - CDU-Führung. Statt auf einer schlampig recherchierten Zahl herumzuhacken, sollte Pflüger sich einmal dazu äußern.

Natürlich ist es legitim, TV-Sendungen vom Bildschirm verbannen zu wollen. Ich will das so ziemlich jeden Tag. Und sogar Anne Will hat ihren Sympathiebonus bei mir allmählich aufgebraucht, da hilft auch die kecke Augenbraue nicht mehr. Einspieler über eine arme Berliner Familie, die wegen Oskar Lafontaine nicht mehr ins Schwimmbad gehen kann, sind journalistisch nicht einmal mehr grenzwertig, sondern manipulative und an den Tatsachen vorbeigehende Gehirnwäscherei, die Pflüger eigentlich gefallen müsste. Aber wenn Leute wie er die Sendung absetzen wollen, ist das Grund genug, sich für ihren Erhalt einzusetzen - und ARD-Programmdirektor Günter Struve sieht das wohl ähnlich.

"Als Mitglied des Rundfunkrates des rbb Berlin werde ich mich für eine Ablösung von Frau Will einsetzen", kündigt der schlechte Wahl-Verlierer in seiner Hof-Hetzpostille "Bild" an. Das würde allerdings nichts weniger als einen parteipolitischen Missbrauch seines Amtes im Rundfunkrat bedeuten. Das ist kein Medienwächtertum mehr, sondern schamlose Missachtung der Pressefreiheit. Der Umstand, dass die Anne Will-Redaktion hier ungenau gearbeitet hat, ändert daran nichts.

Es geht Pflüger hierbei gar nicht darum, wann die Berliner Schulden wie hoch waren, das wäre nämlich für seine Partei eher peinlich. Es geht ihm sicher auch nicht um Anne Will. Es geht for allem darum, mit Attacken gegen Rot/Rot die Anti-Linke-Propagandamaschine weiter laufen zu lassen - nach dem Motto: Wer die Linke nicht kompromisslos verteufelt, hat ernsthafte Konsequenzen zu befürchten und soll zum Schweigen gebracht werden. So hat das in der Vorstellung eines Friedbert Pflüger zu laufen. Früher hieß das mal "Reichsschriftkammer". Und die hatte mit unabhängiger Berichterstattung ja auch nicht viel am Hut.

Dienstag, 3. Juni 2008

Madame Tussaud's proudly presents: Mr Hitler, back in Berlin

Im Juli wird Madame Tussaud's ein Wachsfigurenkabinett in Berlin eröffnen. Mit dabei, zumindest als Figur: Adolf Hitler. Jedenfalls, wenn es nach der M.T.-Geschäftsführung geht, die gar kein Problem darin sieht. Schließlich stünden Hitler-Figuren auch in anderen Niederlassungen, von denen es weltweit bislang sieben gibt. Die M.T.-Planer weisen durchaus zu Recht darauf hin, dass ohne Hitler eine Lücke in der Ausstellung klaffen würde. Also bitte: Berlin ohne Hitler, das wäre ja wie... ääh... Berlin ohne Hundescheiße.

Oder Bundeswehr ohne Eisernes Kreuz auf den Panzern? Oder Schützenfest ohne König... Wie auch immer: Der historische Anspruch, den Politik und Vertreter der Gedenkstätten an die Ausstellung anlegen, ist ohnehin sinnlos: Niemand geht in ein Wachsfigurenkabinett, um sich historisch zu bilden. Das wäre, als würde man die Bild-Zeitung lesen, um politischen Durchblick zu erlangen.
Nein, die M.T.-Besucher wollen einfach nur sehen, wie die ollen Berühmtheiten aussahen - und da man das in aller Regel durch zahllose Fotos und Filme ohnehin schon weiß, geht es im Grunde genommen um eines: Zu sehen, wie groß die Leute waren. Um anschließend festzustellen, dass unzählige Hekatomben von Toten auf das Gewissen von zu kurz geratenen Männern gehen.

Nun gibt es arge Bedenken, die M.T.-Niederlassung in Berlin könnte zu einem Anlaufpunkt für Neonazis werden, die sich mit der Figur fotografieren lassen. Darauf würde ich es ankommen lassen. Zunächst einmal könnte es einen heilsamen Schreck geben, wenn diese selbsternannten Herrenmenschen sehen, was für eine mickrige kleine Schießbudenfigur ihr Führer war. Und falls das nicht reicht, könnte man die Bodenplatte um die Figur herum bei Bedarf unter Starkstrom setzen. Der Wachtposten, der nach der bisherigen Planung sowieso immer anwesend sein soll, würde eine Fernbedienung bekommen - und sobald so ein Drecksnazi den Arm um seinen Führer legt und mit erhobenem Daumen in die Kamera seines Kumpels grient: *BRAAAATZ!* Vielleicht wird durch den Stromschlag sogar das Gehirn in Gang gesetzt.

Hat ja schließlich bei Frankensteins Monster auch gewirkt.

Montag, 2. Juni 2008

Neue Umfrage: Die Niederungen des Fußballfiebers

Die Umfrage ist tot, es lebe die Umfrage - Zeit, dem Volk aufs Maul zu hauen, ich meine natürlich: zu schauen. Entschuldigung für den freudschen Verschreiber.

Die alte Befragung zum Thema "Armut" hat eindeutig ergeben, dass der Springer-Verlag enteignet (62% der Stimmen) und die FDP verboten werden sollte (ebenfalls 62% der Stimmen - jetzt können sich die Liberalen auch mal über ein zweistelliges Ergebnis freuen).

Falls sich jemand wundern sollte, dass das insgesamt mehr als 100% sind: Ich habe mir erlaubt, für meine Umfragen ab sofort das Ludewigsche Wahlsystem einzuführen. Es sind also Mehrfachnennungen möglich, aber nur, wenn man zu den Leistungsträgern dieser Gesellschaft gehört. Wagen Sie es nicht, mehr als eine Antwort auszuwählen, wenn Sie arbeitslos oder Rentner sind.

Die neue Umfrage, wie immer rechts oben, befasst sich mit den nervtötendsten Auswüchsen der Fußball-EM-Begeisterung: den bereits jetzt wieder omnipräsenten und vermutlich von ausgemergelten Kindern in Fernost zusammengenähten Autofähnchen, die ab Ende des Monats wieder in zahlreichen Gräben, Gebüschen und Vorgärten zu finden sein werden. Alsdann!

Sonntag, 1. Juni 2008

43 Cent auf der nach oben offenen Bauernskala

Der Kampf der Titanen, zumindest wenn man es aus einer eher landwirtschaftlich geprägten Perspektive betrachtet, geht offenbar in die Endrunde - der Kampf zwischen Bauern und Industrie um den Milchpreis. 43 Cent fordern die Bauern pro Liter, zwischen 27 und 35 Cent bekommen sie derzeit. Seit einer Woche boykottiert ein Teil der Bauern die Milchlieferungen an die Molkereien - wie viele genau, kann niemand so richtig sagen.

Der Bundesverband der Milchviehhalter mit dem lustigen Kürzel BDM behauptet schon seit Beginn des Lieferstopps, dass die Milch nur noch tröpfchenweise in den Molkereien ankomme, die Supermarktregale bald leer seien und quasi die Ernährung Mitteleuropas gefährdet sei. Die Molkereien hingegen liessen zunächst verlauten, dass der Streik sich so gut wie gar nicht auswirke - nach ein paar Tagen nahmen sie dann doch das Wort "Engpass" in den Mund. Und der Einzelhandel wiegelte ab, die Versorgung mit Joghurt und Magerquark sei natürlich nicht im Mindesten gefährdet.

Jeder erzählte also das, was von ihm erwartet wurde - wie die Liefersituation tatsächlich aussieht, weiß wohl niemand so recht. Dennoch scheinen die Bauern erste Erfolge zu erzielen: Die Industrie hat nun ein Einsehen und kündigt an, Milch künftig "fair handeln" zu wollen, ähnlich wie bei peruanischem Kaffee oder bolivianischem Kakao. Den verarmten deutschen Milchbauern bleibt es unter Umständen also erspart, ihr kärgliches Dasein Panflöte spielend und Strickmützen verkaufend in den Fußgängerzonen fristen zu müssen.

Was allerdings in der ganzen Debatte um hungernde Milchbauern ein wenig untergeht: Der Milchpreis folgte bislang, wie alle anderen Produktpreise auch (außer vielleicht Erdöl und Gas), dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Vereinfacht gesagt: Der hohe Milchpreis im vergangenen Herbst resultierte aus einer erhöhten Nachfrage auf dem Weltmarkt, hat in der Folge zu einer deutlich erhöhten Milchprouktion geführt, was wiederum das Angebot nach oben schraubte, während die Nachfrage aufgrund des hohen Preises gesunken war - also stürzte der Literpreis eben wieder ab. That's Capitalism.

Da Kapitalismus aber keinen Spaß mehr macht, wenn man plötzlich selbst auf der Verliererseite steht, ist der nun ins Spiel gebrachte Preis von 43 Cent tatsächlich als Mindestforderung zu verstehen (höher darf der Milchpreis natürlich jederzeit gerne steigen). Das heißt: Milchbauern, die ja eigentlich Unternehmer sind und vornehmlich konservativ wählen, wollen die marktwirtschaftlichen Spielregeln für sich außer Kraft setzen. Das wirkt bei Lichte betrachtet ein bißchen verlogen. Aber egal - man ist ja schon froh, wenn in diesem Land überhaupt jemand für sein Einkommen kämpft.