Montag, 29. September 2008

Bazis aller Hinterwäldlerdörfer, vereinigt euch!

Was für eine traumhafte Schlagzeile! "Revolution in Bayern!" titelt die Blödzeitung am Tag nach der Bayern-Wahl. Kurzzeitig hatte ich die Vision, dass tausende von wutentbrannten Bayern mit Heugabeln die CSU-Zentrale stürmen, alle Anwesenden an die Wand stellen, dann das Mausoleum von Franz-Josef Strauß in Brand setzen und anschließend alle Macht an Arbeiter- und Bauernräte übertragen, während über dem Nymphenburger Schloss die Rote Fahne flattert.

Aber ach, die Realität ist trister und hat so rein gar nichts Umstürzlerisches. Die CSU hat massiv Stimmen verloren, bleibt aber trotzdem mit weitem Abstand stärkste Partei. Die Linken haben ja nicht einmal die Fünf-Prozent-Hürde überschritten, und eine Revolution ohne Linke wäre ja irgendwie komisch. Nebenbei: Eine Revolution mit der SPD wäre genauso komisch, aber die ist ja wohl bis auf weiteres damit beschäftigt, herauszufinden, warum sie von dem vielen, vielen Wählern, die sich von der Staatspartei abgewandt haben, keinen einzigen abbekommen hat. In einer wirklichen Revolution rollen außerdem Köpfe, in München rollt gar nix, außer Bierfässer zum Oktoberfest. Beckstein, Huber und Haderthauer schließen ihren Rücktritt aus, derzeit zumindest. Eine Revolution, ohne dass der Machthaber wechselt? Undenkbar.*

Stattdessen wird sich die CSU die Macht mit der FDP teilen müssen - und die hat ja nun überhaupt nichts Revolutionäres an sich. Die Eingeborenen im Freistaat haben sich erstmals seit 1962 nicht freiwillig einem Einparteienregime unterworfen - das ist das Ergebnis des gestrigen Sonntags, nicht mehr, nicht weniger. Das hätten sie ja bekanntlich schon früher haben können, wollten sie aber nicht. Um mit Willy Brandt zu sprechen: Die Bayern haben mehr Demokratie gewagt. Der Trend geht schließlich zur Zweit- oder gar Drittpartei, das haben andere in Europa allerdings schon früher gemerkt.

Der politischen Kultur im Land kann es nur gut tun, einmal zu sehen, wie sich zwei Parteien - das heißt also: mehr als eine! - einig werden müssen, um eine Entscheidung herbeizuführen. Mal sehen, was das der geschundenen Volksseele antun wird. Vielleicht wird dem einen oder anderen der Kopf unterm Gamsbarthut wegplatzen. Vielleicht denken aber auch manche: "Wow - wir müssen offenbar gar nicht alles klaglos hinnehmen! Darauf hätten wir mal früher kommen sollen!" Dann bestünde zumindest die Hoffnung, dass sich auch in Bayern ein normales politisches System bilden könnte.

In diesem Sinne: Willkommen, liebe Bayern, im Europa des 21. Jahrhunderts.

*Edit, drei Tage später: Sind jetzt doch Köpfe gerollt. Noch ein bisschen weiter so - und aus Bayern könnte tatsächlich ein normales Bundesland werden.

Dienstag, 23. September 2008

Grußworte zum 125. Todestag von Karl Marx, Folge 5

"Die internationale Finanzwirtschaft braucht Regeln, um die Gier und Zockermentalität einzudämmen."

Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier

Sonntag, 21. September 2008

Money, money, money - must be funny

Wie oft wurde in den Medien nun schon angekündigt, dass in der internationalen Bankkrise das Schlimmste überstanden sei? Ich kann diese Frage beantworten: Genauso oft, wie es hieß, dass der Höhepunkt der Krise erst noch bevorstehe. Die Prognosen wechselten - auch innerhalb ein und desselben Mediums - mitunter täglich, und die Finanzexperten und Ökonomen zeigten mit ihren verzweifelten Durchhalteparolen oder blumigen Beruhigungspillen vor allem eines: Die absolute Unmöglichkeit, der Lage Herr zu werden. Ihren Ausführungen zufolge scheinen sich die Geldinstitute wie lebende, selbstständig agierende Wesen zu verhalten - und schlecht erzogene noch dazu.

Bestes Beispiel: die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau, kurz KfW. 300 Millionen Euro sind kurz vor dem Exitus der Lehmann Brothers noch in den sterbenden Rachen der US-Traditionsbank geworfen worden - versehentlich, wie es heißt. 300 Millionen, das ist mehr als das Bundesumweltministerium an Zuschüssen bekommt. Man sollte glauben, dass bei Überweisungen dieser Größenordnung ein Höchstmaß an Sorgfalt und zahlreiche Sicherheitshürden zur Anwendung kommen, aber das ist natürlich nur die völlig bedeutungslose Meinung von niederen Würmern wie mir. Die bankrotten Lehmann-Banker dürften sich über den unerwarteten Geldsegen schlappgelacht haben: Money, money, money - must be funny in a rich man's world, wusste schon Abba.

A propos Wurm: So bedeutungslos bin ich dann doch nicht, als dass ich nicht zur Schadensbegrenzung herangezogen werden könnte. Denn nachdem die KfW schon ihre Tochterbank IKB zum Schleuderpreis an die Heuschrecke Lone Star verschachert hat - statt 800 Mio. Euro zahlten die Investoren offenbar lediglich 100 Mio. - müssen Sie und ich und alle anderen Steuerzahler für die Verluste geradestehen. Denn die KfW - ich erwähnte es bereits - gehört dem Bund und ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Wenn sich da Millionenlöcher auftun, kann man sich an zwei Fingern abzählen, wer es letztlich stopft.

Übrigens: Aufgabe der KfW ist die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen und Existenzgründern, die Finanzierung von Infrastrukturprojekten und auch der Wohnungsbau. Vom Jonglieren auf den internationalen Finanzmärkten und Teilnahme an der großen Immobilien-Abzocke steht gar nichts in ihrem Aufgabenprofil. Aber das nur am Rande.

Money ist manchmal eben doch nicht funny. Es ist bestenfalls ein wenig amüsant, dass nicht nur deutsche Steuerzahler amerikanische Großbanken alimentieren. Das Ganze funktioniert auch andersherum: Als die US-Regierung ankündigte, die beiden Investmentbanken mit den comichaften Namen Fanny Mae und Freddie Mac zu übernehmen - selbstredend hat das der amerikanische Steuerzahler zu berappen - schnellte in Frankfurt der Dax hoch. Wie der Fließbandarbeiter in Detroit die Allianz-Aktie des Rentners auf Sylt konsolidiert - ich würde gerne wissen, in welchem Semester des Wirtschaftsstudiums das drankommt.

Samstag, 20. September 2008

Maschin kaputt

Kaum eingeschaltet, schon kaputt - dieses Problem, das man bislang vor allem von bei Saturn gekauften Geräten kannte, ist nun auch beim Teilchenbeschleuniger im Cern-Institut aufgetaucht. Bevor irgendeines der Teilchen ein anderes getroffen hat und damit den Planeten zu vernichten drohte, hat das Ding mit einem lauten "Knaarz" und einer dunklen Qualmwolke den Geist aufgegeben.

Der Welt bleiben also ein paar Monate Galgenfrist, bis die Forscher ihre Höllenmaschine repariert haben. Ich wiederhole hiermit meinen Aufruf, diese Zeit zu genießen: Konto plündern, Weltreise machen, nervenden Leuten die Meinung geigen etc.

Aber vielleicht sollte man sicherheitshalber doch darauf verzichten, dem Chef eine reinzuhauen - nur für den Fall, dass das einzige Schwarze Loch, das die Forscher erzeugen können, dasjenige sein wird, in dem die Milliardenbeträge für die Reparatur des kaputten Colliders verschwinden werden ...

Dienstag, 16. September 2008

Einer geht noch, einer geht noch rein

Der Begriff der "Schnapsidee" ist um eine Bedeutung reicher: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), feilscht mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein (Nennung der Partei überflüssig) gewissermaßen indirekt um eine neue Promille-Obergrenze für Autofahrer. Dabei werden neue mathematische Wege beschritten: 0,0 plus 0,5 geteilt durch zwei ergibt 0,2 - dies jedenfalls ist offenbar der Kompromissvorschlag des Drogen- und Suchtrates. Ein fauler Kompromiss, nebenbei gesagt.

Denn einen Wert von 0,2 Promille hat man in aller Regel schon mit einem Glas Wein überschritten. Also macht, wenn man schon die derzeit gültige Grenze von 0,5 Promille unbedingt deutlich herunterschrauben will, nur ein absolutes Alkoholverbot am Steuer Sinn. Das kann Bätzing den Deutschen (und offensichtlich speziell den Bayern) aber wohl nicht vermitteln, ohne den SPD-Umfragewerten den Rest zu geben - weshalb man nun für diese halbgare Lösung eintritt. Denn es ist eine Binsenweisheit, dass bei Landtagswahlen auch die Bundespolitik mitgewählt wird.

Während es einerseits kein Geheimnis ist, dass Bätzing eigentlich für eine Null-Promille-Grenze eintritt, verwundert es auf der anderen Seite nicht, dass Beckstein a bisserl Alkohol am Steuer wenig problematisch findet. Schließlich haben CSU-Granden Erfahrung damit. In Bayern kann man ja sogar noch Verkehrsminister werden, wenn man im Suff einen Rentner totfährt.

Ein "gestandenes Mannsbild" vertrage zwei Maß, versucht sich Beckstein an den bayerischen Stammtischen anzubiedern. Seine eilig hinterhergeschobene Einschränkung, dass man sich dafür auch sechs oder sieben Stunden Zeit lassen müsste, ist in seiner verlogenen Alibifunktion nur allzuleicht zu erkennen: Den Bazi möchte ich sehen, der sich drei Stunden an ein und demselben Maßkrug festhält.

Selten eine so überflüssige Debatte gesehen. Ich bin gespannt, wie sie sich auf das Landtagswahlergebnis niederschlägt: Denn die wird ja bekanntlich auf dem Höhepunkt des Oktoberfestes durchgeführt. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.

Sonntag, 14. September 2008

Gong frei zur ersten Wahlkampf-Runde!

Kaum hat die SPD ihre jüngste Säuberungsaktion hinter sich gebracht und einen Kanzlerkandidaten präsentiert, geht es los mit dem Wahlkampf. Und wie es zu erwarten war, schießt die SPD ausschließlich gegen den einzigen Gegner los, den sie überhaupt öffentlich angreifen darf, ja sogar angreifen muss, sonst würde sie weiter durch den Medienwolf gedreht: Die Linkspartei. Denn die Grünen sind als potentieller Partner gesetzt, mit den Liberalen darf man es sich auch nicht verscherzen, wenn die Ampel bunt leuchten soll - und die Union zu attackieren, ist in der aktuellen Konstellation halt nicht so ganz einfach für Steinmeier.

Für die Herbstoffensive haben die Genossen zunächst ihr schwerstes Geschütz in Stellung gebracht: Altkanzler Helmut Schmidt. Dass er es war, der die niveau- und haltlosen Nazivergleiche losließ, erkennt man daran, dass kein Pulverdampf, sondern Zigarettenqualm nach dem verbalen Trommelfeuer langsam hochwaberte. Ansonsten hätte man eher vermutet, dass irgendein vollgesoffener Dorfsozi am Stammtisch diesen Bullshit hervorgebrabbelt hätte, und nicht der intellektuelle Dampfplauderer von der Waterkant.

Schlimm, wenn den Sozialdemokraten bereits zum Wahlkampfauftakt nichts besseres einfällt. Laut Godwins Gesetz sollte der Hitlervergleich eigentlich erst am Ende einer festgefahrenen Diskussion kommen - um ihr dann endgültig den Rest zu geben. Einfacher haben's da die Liberalen, die von Merkel ja bereits einen Heiratsantrag für 2009 bekommen haben. Nach dem alten Verlobungsprinzip "Sicherstellen und weitersuchen" flirten sie jetzt mit der SPD - freilich auf eine etwas grobklotzige Art. Ihr Forderungskatalog stellt jedenfalls ein geradezu dadaistisches Meisterwerk dar: Da verlangt Westerwelle doch glatt von der SPD, sie müsse bei der anstehenden Bundespräsidentenwahl verhindern, dass Horst Köhler mit den Stimmen der Linken abgewählt werde. Wie soll sie das denn anstellen? Das ginge nur, wenn die SPD ihre Vertreter im Wahlgremium dazu verdonnert, trotz eigener Kandidatin für Köhler stimmen. Groteske Vorstellung.

Auch die CDU scheint sich die Linke zum Hauptgegner erkoren zu haben. Jedenfalls definiert Kanzlerin Angela Merkel die SPD nur noch über ihr Verhältnis zu der Linkspartei: "Eine klare Abgrenzung zur Linkspartei" (gähn) sei nötig, giftet sie in Richtung Noch-Koalitionspartner, eine Zusammenarbeit mit den Linken "würde die Glaubwürdigkeit der SPD nachhaltig erschüttern" (gähn-streck). Mit keiner Silbe deutet sie auch nur an, dass sie die SPD selbst für gefährlich hält - eine grandios-herablassende Wahlkampf-Taktik, die einen fast Mitleid mit den Sozialdemokraten fühlen lässt.

Vermutlich werden Union und Liberale noch nie so entspannt in einen Wahlkampf gegangen sein. Mit einem kommoden Vorsprung in der Tasche - und einer Tüte Popcorn in der Hand - können sie genüsslich zuschauen, wie die linke Hälfte des politischen Spektrums sich selbst zerfleischt - darin waren Sozialisten und Sozialdemokraten schon immer besonders gut. Geschichte wiederholt sich manchmal eben doch.

Freitag, 12. September 2008

Neue Umfrage: Wie tickt Hans-Adam von und zu Liechtenstein?

Seiner durchlauchtigsten Majestät, Fürst Hans-Adam II. von (und natürlich zu) Liechtenstein, pocht das blaue Blut in den Schläfen. Angepisst davon, dass deutsche Beamte tatsächlich versuchen, den Steuerflucht-Sumpf - eine der Grundlagen seines märchenhaften Reichtums - wenigstens halbwegs trockenzulegen und er sie dafür nicht einmal auf die Streckbank packen darf, schimpft Ihro Gnaden drauflos und spricht von einem "vierten Reich", von dem er hoffe, dass sein Miniatur-Wunderland es überlebe.

Das ist nicht nur ziemlich peinlich, sondern im gegebenen Kontext auch noch einigermaßen geschmacklos: Hans-Adam hat sich nämlich nicht entblödet, diesen Begriff ausgerechnet in einem Brief an das jüdische Museum in Berlin zu verwenden, in dem er die Leihgabe einiger Kunstschätze ablehnt. Offenbar dachte Hoheit, dass gerade jüdische Institutionen es besonders knorke finden, wenn die singulären Verbechen des "Dritten Reiches" durch derartige ideologische Floskeln und aus persönlichen und kleinkarierten Rachegelüsten heraus verwässert werden. Auch hier könnte es helfen, zwischendurch mal ein Geschichtsbuch zu lesen - und nicht nur Kontoauszüge.

Was den Monarchen zu seinem rhetorischen Rohrkrepierer getrieben hat, lässt sich nur spekulieren. Also wollen wir das auch tun: Nämlich in der neuen Umfrage (rechts oben auf der Seite). Mehrfachabstimmungen sind möglich - klicken Sie jetzt.

Ach ja, da war ja noch der andere Kerl mit einem verqueren Verhältnis zur deutschen Geschichte: Kim Larsen, seines Zeichens gealterter Musiker und Thema der letzten Umfrage, nachdem er das Nichtraucherschutzgesetz in die Nähe des Holocaust gerückt hatte. Die meisten Teilnehmer der Umfrage waren der Meinung, bei Larsen handele es sich um einen abgehalfterten und versoffenen Altrocker, der sich mit dieser Aktion ins Gespräch bringen wollte.

Man hilft ja gerne.

Dienstag, 9. September 2008

Die Leser, die ich rief . . .

. . . werde ich unter Umständen genauso schwer wieder los wie der Zauberlehrling die von ihm gerufenen Geister. Nein, es geht zur Abwechslung einmal nicht um Bussi-Beck, sondern um eine Posse aus meiner Heimatstadt (die nicht Schilda heißt). Die hohe Kunst des Lokaljournalismus besteht bekanntlich darin, gute Geschichten erstmal zu finden; wenn sich diese dann auch noch über Wochen hinweg weiterstricken lassen, rückt der Reporter in die Champions-League der Lokalzeitungsmacher auf. Für den nüchternen Betrachter bietet sich indes vor allem eines: Ein Blick in die Abgründe historischer Unbelecktheit des durchschnittlichen Provinzblatt-Lesers.

Was war geschehen? Es gibt hier einen Platz mit dem schönen Namen "Friedensplatz". Auf dem steht eine Säule. Und auf dieser steht - nichts. Denn der "Friedensengel", der die Spitze der Säule dereinst zierte (s. Bild), wurde 1943 von seinem Sockel geholt und zu Granaten für Hitlers Armeen eingeschmolzen. Sicherlich ein Karriereknick für einen Friedensengel - wenn es sich denn unzweifelhaft um einen gehandelt hätte. Was nicht der Fall war.

Denn errichtet wurde das ganze Teil 1878, und damals hatte man noch andere Vorstellungen von Frieden. Dementsprechend handelte es sich hierbei auch um nicht um einen Engel, sondern um die Siegesgöttin Viktoria, die mit entschlossen in die Lüfte gerecktem Lorbeerkranz düster in Richtung des sieben Jahre zuvor niedergekämpften Frankreichs blickte. An diesen Sieg sollte die Figur im Hemdchen erinnern. Der Krieg von 1870/71 forderte, nebenbei gesagt, eine sechsstellige Zahl von Todesopfern; deutsche Truppen belagerten und beschossen Paris mehrere Monate lang. Friedfertigkeit à la Kaiserreich: Frieden durch Sieg!

Möchtegern-Engel Vicky hat also ihr verdientes Schicksal erhalten, als sie im Alter von 65 Jahren nicht in den Ruhestand geschickt, sondern für Führer, Volk und Vaterland in den Schmelzofen geschoben wurde. Aber das ficht einen wack'ren Oldenburger nicht an. In diesem Falle fühlte sich ein 87-jähriger Bürger, der die bronzene Dame noch persönlich kannte, bemüßigt, die Aufstellung eines neuen "Friedensengels" zu fordern. "Parteiideologische Gründe" seien es, die eine längst fällige (und vor 22 Jahren schon mal diskutierte) Reinkarnation der Figur verhinderten - welche Partei und welche Ideologie, verrät er nicht; es ist auf jeden Fall wohl nicht seine. Inspiriert zu seiner Schnapsidee wurde der Mann übrigens durch den Auftritt Barack Obamas vor der Berliner Goldelse - auch so ein chauvinistisches Machwerk, denn sie stellt gleichfalls Viktoria dar und erinnert ebenso an die preußischen Kriege.

Den Leserbriefschreibern ist's wurscht: Sie bezeichnen die Figur unbeirrt als "Engel" und stimmen unisono in die Forderung nach Wiederaufstellung ein. Unfassbar schwachsinnige Argumentationsstränge werden in die Debatte eingebracht: Ohne "Engel" dürfe der Platz auch nicht mehr "Friedensplatz" heißen; der "zerstrittene Rat der Stadt könnte einen Engel gebrauchen", versucht sich eine Leserin vergeblich in Wortwitz; mit einer neuen Statue kann man es den Nazis mal so richtig zeigen und, und, und. Einer schlägt sogar vor, Vertreter der französischen Partnerstadt zur Einweihung einzuladen. Na, die werden sicher Verständnis dafür haben, wenn ihre deutschen Freunde im Jahr 2008 eine Siegesgöttin zur Erinnerung an den Krieg 1870/71 aufstellen. Bestimmt werden sie vor Begeisterung platzen.

Das hat man nun davon, wenn man in tiefster Sommerloch-Verzweiflung ein solches Thema anschiebt. Überall suhlt man sich in absoluter historischer Ahnungslosigkeit und kräht nach einer eigenen Goldelse - je ungebildeter, desto lauter und aggressiver.

Ein Blick in ein Geschichtsbuch ist manchmal hilfreich. Notfalls sogar die Wikipedia. Aber das ist ja viel zu anstrengend. Setzen - Sechs!

Montag, 8. September 2008

Palastrevolte oder Zwergenaufstand?

Um ein Statement zum heiteren Stühlerücken bei der SPD und zur Kanzlerkandidatur Steinmeiers gebeten, sagte Angela Merkel: "Ich freue mich auf einen spannenden Wahlkampf." Wenn ich es so recht überlege, können wir uns alle darauf freuen, denn: Wie, bitteschön, soll dieser Wahlkampf zwischen Kanzlerin und Vizekanzler eigentlich aussehen?

Wenn die SPD bei der nächsten Bundestagswahl wirklich was reißen will, muss sie mit wirklich harten Bandagen kämpfen, sonst ist sie schneller weg vom Fenster, als sie es sich in ihren schlimmsten Albträumen vorstellen kann. Als Wurmfortsatz der Union kann man politisch nicht überleben. Also müssen massive Breitseiten her. Die letzten Wahlkämpfe funktionierten im Wesentlichen nach dem Prinzip, auf den politischen Gegner zu zeigen und zu meckern: "Die können es nicht". Das reicht normalerweise für das Bildzeitung lesende Wahlvolk.

Aber nichtsdestotrotz gibt es ja auch noch richtige Wahlkampfthemen. Und Außenpolitik ist sicherlich eines davon - insbesondere die Einsätze der Bundeswehr stehen hier zur Debatte. Soll der Außenminister die Kanzlerin nun mit dem Vorwurf attackieren, dass ihr außenpolitisches Programm Mist sei? Kaum vorstellbar, zumal kurz nach der Wahl die nächste Verlängerung der Afghanistan-Mandate auf der Agenda steht. Da wird eher Einigkeit demonstriert werden, sonst schießt der SPD-Kandidat ein Eigentor. Und was ist mit der anderen Agenda - der mit dem Zusatz "2010"? Eigentlich eine formidable Sache, dürften sich Steinmeier und Müntefering einig sein. Aber wie soll man das wahlkampftaktisch nutzen gegen einen Gegner, der dies genauso formidabel findet? Am besten gar nicht, sonst ist man sich ja schon wieder einig. Bleibt das Thema Energiepolitik - und selbst wenn sich die Sozialdemokraten zu Vorkämpfern des Atomausstiegs machen sollten, würde dieser vermutlich auf dem Verhandlungsaltar einer etwaigen neuen großen Koalition geopfert werden. Und rechnet irgendjemand damit, dass sich Kanzlerin und Vizekanzler im TV-Duell vor laufenden Kameras gegenseitig anblaffen? Wie sähe das denn aus.

Eigentlich, so möchte man meinen, müsste bei dieser Konstellation das Klima im Kabinett bis zum Wahlabend nachhaltig vergiftet sein. Ich glaube aber eher nicht daran. Als Oppositionspartei hat man mehr Möglichkeiten, als Juniorpartner der Regierungskoalition ist man von vornherein in der Defensive. Es dürfte einer der langweiligsten und zahnlosesten Wahlkämpfe der letzten Jahrzehnte werden, zumindest was die beiden Volksparteien angeht. Vermutlich werden sich SPD und CDU im Krakeelen gegen die Linkspartei zu überbieten versuchen.

Aber halten wir uns an die Geschichte: Außenminister gegen Kanzler - das hat es zuletzt vor fast 40 Jahren gegeben, als Willy Brandt gegen den Kurt Georg Kiesinger antrat - und tatsächlich gewann.

Sonntag, 7. September 2008

The Beck Experience

So, nun sind die Fronten in der SPD für's Erste geklärt: Frank-Walter Steinmeier ist Kanzlerkandidat, Kurt Beck hat sich beleidigt zurückgezogen und Franz Müntefering is beck, ich meine natürlich: is back - und sitzt stärker im Sattel als je zuvor. Denn die Ereignisse des Wochenendes sind vor allem eines: eine vernichtende Niederlage für den linken Flügel der Partei, also für diejenigen, die noch nicht zur Linkspartei übergelaufen sind.

Zwar halte ich Beck für alles andere als einen Klassenkämpfer oder einen bedeutenden Arbeiterführer. Aber unter seiner Ägide war es immerhin möglich, über linke Alternativen nachzudenken. Plötzlich schien die Agenda 2010 nicht mehr in Stein gemeißelt. Auf Landesebene wurden Bündnisse mit den Linken nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Und dass Andrea Nahles so ziemlich die einzige hochrangige Sozialdemokratin ist, die Becks Rücktritt bedauert, ist kein Zufall - ebenso wenig, dass sich Andrea Ypsilanti bedeckt hält. Ihr mühsam errichtetes rot-grünes Kartenhaus unter Duldung der Linken droht nun wieder zusammenzustürzen, wenn Müntefering kräftig pustet.

Das mit dem zarten Linksrückchen hat nun sicherlich ein Ende. Parteisoldat Münte wird die Zügel schon straff anziehen - darin hat er Übung. Es bleibt abzuwarten, was für Folgen das nach sich zieht. Sicherlich eine schärfere Abgrenzung zur Linkspartei - was für die SPD sowohl die Rettung als auch das endgültige Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit bedeuten kann. Ich tippe auf letzteres. Mit einem weiteren Herumhacken auf der linken Konkurrenz bedient man nur den konservativen Medienapparat, der täglich vom Wahlvolk nachgeplappert wird. Es hilft eben nichts, andauernd nur ohnmächtig über die Kommunisten zu schimpfen - das können die Genossen getrost Pofalla überlassen. Ein erklecklicher Teil der wählenden Bevölkerung fordert nun mal eine soziale Politik - und wenn die Wähler diese von einer erstarkenden Rechts-SPD nicht bekommen, wählen sie eben links.

Oder sie wählen Steinmeier. Außenminister sind in diesem Land traditionell hoch angesehen, egal, was sie so alles verbocken. Ob es allerdings schlau ist, den einzigen vorzeigbaren Kandidaten ausgerechnet in die völlig aussichtslose Wahl 2009 zu schicken, sei einmal dahingestellt - aber alles, was geeignet ist, eine absolute CDU-Herrschaft zu verhindern, sollte zumindest versucht werden. Es steht zuviel auf dem Spiel.

Samstag, 6. September 2008

Die Arithmetik des Krieges oder: Was kostet ein Menschenleben?

Jetzt ist Deutschland wirklich unwiderruflich in den Kreis der Großmächte zurückgekehrt: Nicht nur, dass deutsche Soldaten in Afghanistan Zivilisten - genauer gesagt: eine Frau und zwei Kinder - mit ihren MGs niedergemäht haben. Nun zahlt die Bundesregierung der Familie der Opfer auch eine Entschädigung. Ganz wie die in dieser Hinsicht viel erfahreneren US-Streitkräfte. Der Wert eines Menschenlebens lässt sich eben doch beziffern.

Der "Zwischenfall", zu dem das Springer-Blatt "Welt" den Tod der Familie kleinredete, wird die Staatskasse indes nicht allzu sehr belasten: 20.000 Dollar gibt es für die Hinterbliebenen, und damit ist die Sache wieder gut. Das sind also 6.666,66 Dollar pro Opfer. Und Verteidigungsminister Jung wird von dem Blatt auch noch dafür bejubelt, dass er so billig seine Hände vom Blut reingewaschen hat: "Jung verhindert Blutrache" - zum Heulen, wie manche versuchen, den gewaltsamen Tod dreier unschuldiger Menschen für wahlkampftaktische Meinungsmache zu missbrauchen.

Man könnte an dieser Stelle mal die Frage aufwerfen, wie sich der Wert eines Lebens eigentlich konkret errechnet. Deutschland zahlt also rund viereinhalbtausend Euro pro Toten. (Aber das auch nur, weil hier Bundeswehrsoldaten selbst geschossen haben. Die Hinterbliebenen der Opfer des NATO-Luftangriffs auf die serbische Stadt Varvarin bekommen hingegen keinen einzigen Cent.) Die Briten wiederum ließen sich vor ein paar Wochen nicht lumpen und zahlten dreieinhalb Millionen Euro für neun Folteropfer und die Familie eines zu Tode gefolterten Irakers. Die Amerikaner sind da knauseriger und zahlen nur 2.500 Dollar pro Toten im Irak - vielleicht fließt da ja irgendeine Art von Mengenrabatt in die Rechnung ein. Bei der Vielzahl der Opfer könnte der Staat sonst auch schnell pleite gehen.

Es scheint also keine leichte Rechenaufgabe zu sein, den Wert eines Lebens zwecks Begleichung von menschlichen Kollateralschäden zu ermitteln. Sicher ist nur eines: Die Herkunft des Opfers scheint doch einen erheblichen Einfluss auf die Summe zu haben. Libyen zahlte nicht weniger als 10 Millionen Dollar für jedes der vornehmlich US-amerikanischen und westeuropäischen Opfer des Lockerbie-Anschlags von 1988. Dafür kann man eine ganze Menge Afghanen über die Klinge springen lassen.

Im Oktober und November sollen die Afghanistan-Mandate im Bundestag verlängert werden. Die Chancen, dass die Parlamentarier sich nach dem Willen von fast zwei Dritteln der deutschen Bevölkerung richten und einen Abzug der Bundeswehr beschließen, stehen denkbar gering. Vielleicht wird bei dieser Gelegenheit aber wenigstens ein Fonds für die noch zu erwartenden Opfer aufgelegt - wundern würde mich gar nichts mehr, vor allem, wenn ich Sprüche höre wie vom FDP-Generalsekretär Dirk Niebel:
"So lange die Terrorgefahr fortbesteht, wird es sich leider vermutlich niemals verhindern lassen, dass auch unbeteiligte Personen gefährdet werden, wie es jetzt geschehen ist."
Er hätte auch gleich sagen können: Wo gehobelt wird, da fallen Späne.

Willkommen in der realen Welt

Eine der informativsten und spannendsten Webseiten, die mir in letzter Zeit begegnet ist und die den passenden Film zum Sonntagsbraten gleich mitliefert:

Freitag, 5. September 2008

Gegen Aufpreis bekommen Sie auch einen Fallschirm

Ich weiß ja, dass in Passagierflugzeugen die Plätze an den Notausstiegen besonders begehrt sind, wegen der größeren Beinfreiheit und so. Und es wundert mich auch nicht, dass manche Airlines diesen Umstand nutzen, um eine Reservierung dieser Plätze gegen Aufpreis anzubieten.

Aber als ich kürzlich in der Warteschlange vor dem Check-In-Schalter von TUIfly stand und auf dem Monitor eingeblendet wurde: "Platz am Notausstieg für 25 Euro erhältlich" - da fand ich das in dieser Form doch recht fragwürdig. Wird da nicht ein wenig mit der Flugangst mancher Passagiere Kasse gemacht? Vor allem wenige Tage nach dem Unglück von Madrid? Denn es war eben nicht die Rede von "Beinfreiheit" oder "Mehr Platz", sondern explizit von "Notausstieg" - mit allen dadurch hervorgerufenen Assoziationen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass es TUIfly derzeit schlecht geht - aber dennoch sollte man auf diese Einnahmequelle meiner Meinung nach besser verzichten.

Mittwoch, 3. September 2008

Da geht er hin, der reine Titan

Auch ich möchte mich an dieser Stelle von Olli Kahn, dem Primaten unter den Torhütern, verabschieden. Ich werde ihn vermissen, war doch meines Wissens der einzige Fußballer mit weißer Hautfarbe, dem von Fans Bananen zugeworfen wurden.

Statt "Time to say goodbye" gibt es aber eine andere Hymne:

Dienstag, 2. September 2008

Deus lo volt - Gott will es!

Tatsächlich - das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten. Gerade erst fabulierte ich darüber, dass die CSU die bayerischen Grünen am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrennen würde, da setzen die Christsozialen im realen Leben noch einen drauf: Erwin Huber ruft zu einem Kreuzzug gegen die Linken auf - diese Meldung ist so fantastisch, die hätte ich mir selbst in stockbesoffenem Zustand nicht besser ausdenken können.

"Der Kampf gegen links kommt aus unserem Herzen", salbadert Erwin "von Bouillon" Huber, attackiert bei dieser Gelegenheit auch die SPD und ist wohl schon dabei, sich ein Stoffkreuz ans Revers der Lodenjacke zu tackern. Aber wenn er schon so größe Töne spuckt, erwarte ich, dass er es auch richtig anpackt: Dann soll gefälligst ein Heer fundamentalistisch-aufgeputschter Bazis, mit Heugabeln und abgebrochenen Bierkrügen bewaffnet und mit einem Kruzifix am Gamsbarthut, losziehen, um die heilige Stadt (München) für den wahren Glauben (reaktionäres Einparteienregime) zurückzugewinnen. Und das bitteschön mit allem Drum und Dran: Das Parteigebäude der Linken in der Schwanthalerstraße wird mit Rammböcken und Leitern gestürmt, dort vorgefundene Götzenbilder werden zerstört und alle gefangenen Linkspartei-Funktionäre vor die Wahl gestellt - zwischen einer Zwangstaufe, ich wollte sagen: einem Zwangseintritt in die CSU oder einem Wurf in die Jauchegrube vom Bauer Gimplmoser.

Aber eine Bitte hätte ich da schon noch, ihr schwarzen Ordenskrieger: die Pogrome, in die der historische Erste Kreuzzug ausgeartet ist, spart ihr euch dieses Mal, gell? Danke.