Mittwoch, 4. Mai 2011

Zehn Jahre und ein paar Stunden

So, nun ist er also tot. Heißt es zumindest: Osama bin Laden soll bei einem Schusswechsel ums Leben gekommen sein. Ich habe während der letzten zehn Jahre nie an irgendwelche Verschwörungstheorien bezüglich des Terrorfürsten geglaubt - aber diese Geschichte wirft bei mir nun mehr als eine Frage auf. Hier die erste.

Die Leiche soll, um den islamischen Ritus zu achten, binnen 24 Stunden entsorgt bestattet worden sein, und zwar auf See. Das prompt zu hörende Geschrei von Islamexperten, dass Seebestattungen unüblich seien, geht mir erstmal am allerwertesten vorbei: Wenn der Tote wirklich bin Laden war und wenn dieser für die Anschläge des 11. September und damit den Tod Tausender Unschuldiger verantwortlich war - wofür die USA einen belastbaren Beweis nach wie vor schuldig geblieben sind -, dann hätten sie die Reste dieses Superarschlochs von mir aus in den pakistanischen Bergen für die Viecher liegenlassen können. Ich würde angesichts der Tötungsnachricht zwar auch nicht auf den Straßen tanzen, wie es einige Amerikaner jetzt tun, aber sei's drum, anderes Thema. Nein, es ist das erste "wenn", das mich interessiert.

Zehn Jahre lang - eigentlich noch länger, wenn man den ersten Anschlag auf das World Trade Center und die Anschläge von Daressalam und Nairobi mitzählt - wurde Osama bin Laden zu dem Superbösewicht aufgebaut, den jedes Kind kennt, zum Feind der Menschheit, zum personifizierten Satan. So ziemlich jeder Terroranschlag seitdem wurde mittelbar oder unmittelbar auf ihn zurückgeführt; die Jagd auf ihn zeitweise wie ein Epos zelebriert. Davon hatten alle was: Er wurde von manchen Leuten als Held bejubelt und der Westen hatte ein Feindbild, ausnahmsweise sogar mal eines, dessen Boshaftigkeit nirgends auf der Welt in Frage gestellt wurde.

Also: Zehn Jahre lang schlottert die Welt vor dem Erzbösewicht, wird sie in Angst und Schrecken gehalten und in seinem Namen, also dem des Terrors, mit Überwachungsgesetzen überzogen. Jetzt ist der Oberschurke tot - und es gibt kein Beweisfoto? Hunderte Millionen Menschen warten auf genau diese Meldung - und dann bleibt es bei einer Meldung? Jeder Scheißjäger macht so ein Foto vom frisch ermordeten Zwölfender. Die getöteten Söhne von Saddam Hussein waren von allen Seiten fotografiert, sie selbst mehr als eine Woche lang zur Schau  und die Bilder ins Internet gestellt worden (da hat der islamische Ritus wohl keine Rolle gespielt), obwohl die beiden im weltweiten Kampf gegen den Terror, die Achse des Bösen oder was auch immer nur eine ziemlich untergeordnete Rollde gespielt haben.

Die Annahme, dass beim Terrorfürst schlechthin niemand auf die Idee gekommen sei, seine Leiche zu knipsen, ist schlicht schwachsinnig. Also werden die Bilder zurückgehalten. Warum? Weil sie mutmaßlich reichlich unappetitlich sind? Da gab es in der Vergangenheit doch auch wenig Skrupel, womit wir wieder bei den Husseins wären. Oder weil man keine Märtyrer-Ikone schaffen will? Blödsinn. Das bekannte und immer wieder die Titelseiten schmückende Osama-Bild ist längst eine Ikone; bei den kommenden rituellen Verbrennungen von US-Fahnen würden mit ziemlicher Sicherheit mehr Bilder des lebenden Osama hochgehalten werden. Und ein Märtyrer ist er nun sowieso zwangsläufig.

Es geht mir nicht um Gewaltpornografie; Fotos von Ermordeten haben tatsächlich nur in den seltensten Fällen etwas in den Medien verloren. Aber wenn es so einen Fall gibt, dann ja wohl diesen. Es geht mir auch nicht um die visuelle Befriedigung von Rachegelüsten - es geht darum, dass die Öffentlichkeit nach all der Zeit und all den blutigen Kämpfen, die seitdem im Namen der Jagd auf Osama geführt wurden, doch wohl gerne einen Beweis für sein Ableben hätte. "Ja, aber wir haben doch einen DNA-Test gemacht", sagen die US-Behörden. Ja, klar, aber wer kann das nachvollziehen? Und die Gewebeprobe kann, salopp gesagt, auch vor 15 Jahren von einem Kissen in bin Ladens Palast in Saudi-Arabien gekratzt worden sein. Oder von der Handfläche eines CIA-Agenten, von denen ihm in den 80ern viele die Hand geschüttelt haben dürften.

Und wenn die Leiche auf keinen Fall vorzeigbar gewesen sein sollte - warum hat man den DNA-Test dann nicht, um eben diese Glaubwürdigkeitsprobleme zu vermeiden, durch eine unabhängigere Forschergruppe durchführen lassen? Ach ja, wegen der 24-Stunden-Frist, ich vergaß. Die, die bei den Saddam-Junioren keine Sau interessiert hat.

Wie gesagt: Ich glaubte nie an Verschwörungstheorien bezüglich des Status' Osama bin Ladens. Ich konnte mir indes sehr gut vorstellen, dass dies beileibe nicht die erste Gelegenheit war, ihn zu killen - ich meine, also bitte: Die Supermacht dieses Planeten jagt mit Hi-Tech-Ausrüstung einen filzbärtigen Typen, der angeblich von einer Höhle zur anderen rennt, und hat zehn Jahre lang null Erfolg? Das glaubt doch niemand. Es wurde seit langem angenommen, dass der Mann relativ komfortabel irgendwo in Pakistan untergekommen ist, und angesichts des Kopfgelds ist die Annahme naiv, dass - selbst wenn die US-Fahnder keinen Schimmer gehabt haben sollten - kein einziger Pakistani auf die Idee gekommen sein soll, ihn zu verpfeifen.

Aber das würde nicht erklären, wieso man sich so eilig der Leiche entledigt hat, und zwar auf eine Art und Weise, die künftige DNA-Tests ausschließt. Das bringt mich zu einem anderen Verdacht: Osama ist schon seit langem tot. Es gäbe eine ganze Reihe von Indizien dafür: Die Vielzahl an Videobotschaften, an deren Authentizität erhebliche Zweifel bestanden - sei es wegen der Stimme oder eines offensichtlich gefärbten Barts. Es gab kein belastbares Lebenszeichen an seine Anhänger - etwa ein Foto mit Tageszeitung. Und überhaupt ist es reichlich still um den Mann geworden, ohne den offenbar nichts geht im Al-Qaida-Weltreich - so zumindest wird es ja zumeist dargestellt.

Wäre Osama schon vor Jahren ums Leben gekommen, könnte man heute nur schwer ein Foto der Leiche zeigen: Würde man ein altes zeigen - eines von der richtigen Leiche, aber eben vor geraumer Zeit aufgenommen -, würde mit Sicherheit einer der Beteiligten nicht lange dichthalten. Und wäre Osamas Leiche schon früher irgendwo versenkt oder verscharrt worden und hätte man jetzt irgendeinen anderen Qaida-Mann gekillt, nur um zu behaupten, es wäre Osama, könnte man von diesem auch kein Bild zeigen: Es würde auffallen. Wie gesagt: Die erwähnte DNA-Probe muss ja schließlich nicht jetzt entnommen worden sein.

Ein Osama, den man jahrelang genau im Visier hat, aber erst dann erschießt, wenn es politisch opportun erscheint oder ein Osama, der seit langem in einem Kühlfach vor sich hin gammelte oder bei die Fische schläft und dessen Tod man erst dann vermeldet, wenn es politisch opportun ist - das ist beides keine Verschwörungstheorie, sondern plausible Machtpolitik. Ein lebender Osama war stets mehr wert als ein toter, sei es für spezielle Gesetzesvorhaben, sei es für den Militäretat, sei es für globalstrategische Planungen. Und wenn man keinen lebenden Osama hat, dann muss eben auch ein Phantom-Osama reichen.

Ich glaube keineswegs, dass Osama womöglich gar nicht tot ist und nun mit Elvis und Hitler am Südpol lebt. Ich glaube auch nicht, dass die Todesnachricht in der Hinsicht gefaket ist, dass sie ihn gar nicht erwischt haben. Aber was ich auch beim besten Willen nicht glauben kann, ist das, was uns aufgetischt wird: Das sie den Erzfeind der Menschheit nach zehnjähriger Hatz und ebenso lange laufender Medienkampagne endlich erlegt haben und ihn dann ein paar Stunden später klammheimlich ins Meer verklappen. Tut mir leid - aber da sträubt sich jede Gehirnzelle bei mir.

Kriegspropaganda funktioniert immer nur mit Symbolkraft und Ikonografie, man braucht so etwas, um das Volk so lange bei der Stange zu halten, selbst das US-amerikanische. Das wiederum lechzt nach diesem Foto, und mit einer solchen Trophäe wäre mehr als nur Obamas Wiederwahl gesichert. Warum also darauf verzichten? Darauf kann es nur eine Antwort geben: Weil es vielleicht gar kein authentisches Foto gibt. Gründe siehe oben.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Top Beitrag! +++

NavyImpi hat gesagt…

Das kein Bild auftaucht wird daran liegen, dass die handvoll Navy Seals vermutlich nicht gerade ihr iPhone mit in den Einsatz nehmen durften. Finde ich erst einmal nicht ungewöhnlich, Mediengesellschaft hin oder her.

Das die Leiche schnell und mit unbekannten Ort beigesetzt wurde, leuchtet mir durchaus auch ein. Man möchte keinen Wallfahrtort schaffen. Es geht gerade darum, Symbolkraft zu vermeiden, damit kein Märtyrer geschaffen wird.

Das dabei islamische Bräuche mehr als Vorwand denn aufrichtiges Motiv gelten, versteht sich freilich von selbst.

Abgesehen davon: Al Quaida hat den Tod ja nun bestätigt.