Samstag, 12. November 2011

Rätselhaftes Rumgeeiere

Gestern wollte ich mich schon darüber echauffieren, dass im Zusammenhang mit den sogenannten "Döner-Morden" niemand außer der Bundesanwaltschaft bislang das Wort "Terror" verwendete. Da hat mich die heutige Schlagzeile bei Spon - "Der unterschätzte braune Terror" wieder ein wenig beruhigt. Für etwa zwölf Sekunden; so lange, wie ich gebraucht habe, um auch den Vorspann des zweiten Artikels zum Thema zur Kenntnis zu nehmen.


"Rechtes Rätsel" heißt es da vielversprechend und auf Hintergründiges hindeutend. Aber weit gefehlt, das "Rätsel" ist viel banaler:

"Sie töteten Ausländer offenbar aus rechtsextremistischer Gesinnung, die Ermittler sprechen von organisiertem Terror. Doch es gab nie ein Bekennerschreiben der rechten Jenaer Zelle: Die Verbrechen wurden scheinbar planlos verübt, die Opfer willkürlich ausgewählt - wie passt das zusammen?"
Das will ich Ihnen gerne erklären, Herr Diehl und Frau Hans. Für die Erfüllung des Tatbestands des Terrors ist es vollkommen piepegal, ob es Bekennerschreiben gibt oder nicht. Dass die Verbrechen "planlos" verübt worden seien, ist ebenfalls nicht von Belang; man muss nicht Monate im Voraus planen, wann man welchen Imbissbudenbesitzer ermordet, man kann auch einfach mit dem Hintergedanken, immer wieder mal einen Menschen aus einer bestimmten Gruppe zu töten, Angst und Schrecken - Terror - verbreiten. Und diese Opfer wurden auch nicht "willkürlich" ausgewählt. Es waren Ausländer bzw. Menschen mit ausländischen Wurzeln, die sich hier eine Existenz als Selbstständige aufgebaut hatten. Und vielleicht richteten sie sich sogar explizit gegen türkische Mitbürger, und die Täter hatten es einfach nur nicht geschnallt, dass einer der Opfer ein Grieche war.

Bei den Anschlägen vom 11. September - es ist ja nach wie vor völlig unmöglich, über Terrorismus nachzudenken, ohne sie wenigstens einmal zu erwähnen - gab es meines Wissens auch kein Bekennerschreiben. Und deren Opfer waren ebenfalls willkürlich gewählt; ja, eigentlich noch viel willkürlicher - die Menschen in den entführten Flugzeugen hatten nichts mit denen im WTC und denen im Pentagon zu tun, es waren ja nicht einmal alle US-Amerikaner.Gut, geplant waren diese Anschläge lange im Voraus. Sie erforderten aber schlichtweg auch weitaus mehr Planung als zu einer Dönerbude zu fahren, auf eine Gelegenheit zu warten und dann den Besitzer zu erschießen.

Die EU definiert Terrorismus wie folgt:

Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die unter den Buchstaben a) bis i) aufgeführten, nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Straftaten definierten vorsätzlichen Handlungen, die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können, als terroristische Straftaten eingestuft werden, wenn sie mit dem Ziel begangen werden,
  • die Bevölkerung auf schwer wiegende Weise einzuschüchtern oder
  • öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
  • die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören: 
(es folgen unter den Punkten a bis i verschiedene Formen von Straftaten)

Bevölkerung eingeschüchtert: Check. Zumindest einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung.
Öffentliche Stellen zu rechtswidrigem Handeln zu zwingen: Blödsinn. Man kann sie ja nicht einmal zu rechtskonformem Handeln zwingen. Aber da steht ja auch "oder".
Soziale Grundstrukturen destabilisieren: Check. Denn wenn ein nennenswerter Teil der Bevölkerung in Angst lebt, weil er Gewaltakte aus dem größeren Teil fürchten muss, dann ist das dem sozialen Frieden alles andere als zuträglich.

Also, warum dieses fortgesetzte Herumgeeiere? Neonazis verbreiten Terror, nicht erst mit den "Döner-Morden" und auch nicht erst seit Mölln, Solingen oder dem Oktoberfest. Die Rede war aber stets von Einzeltätern. Und ich beginne mich zu fragen, was noch passieren muss, damit der braune Terrorismus als die Gefahr erkannt wird, die er ist; und auch so bezeichnet und letztlich so geahndet wird. Was müssen die denn noch tun, damit es auch Spiegel-Autoren kapieren?

Vermutlich mit Flugzeugen in Gebäude rasen.

Übrigens:
Opfer des islamistischen Terrors in Deutschland seit 1990: 0
Opfer des rechtsradikalen Terrors in Deutschland seit 1990: mind. 158
(nach Zählweise von "Laut gegen Nazis plus die Opfer der Dönermorde)

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