Freitag, 3. Oktober 2008

Heute gehört uns dieser Artikel, morgen die ganze Wikipedia

Und jetzt zu etwas vollkommen anderem.

In der deutschsprachigen Wikipedia haben gerade Hunderte von Autoren erfolgreich ihr Recht erkämpft, überall, wo sie es wollen, Hakenkreuzfahnen einbauen zu dürfen. Ihr Argument: Wikipedia sei schließlich eine Enzyklopädie, die Verwendung verfassungswidriger Symbole nach §§ 86 bzw. 86a StGB dadurch rechtlich gedeckt. "Recht" heißt in der Wikipedia: Es wird eine völlig verplante Abstimmung über den Umgang mit Nazi-Symbolik erstellt, die in keiner Weise repräsentativ ist, geschweige denn juristisches Gewicht hat und bei der der Abstimmungspunkt, "[Nazisymbole] ... so wie andere Flaggen und Wappen verwenden" zu dürfen, von einer ziemlich realitätsfernen Rechtsauffassung zeugt.

Es mag ja angehen und ist auch sinnvoll, die Artikel etwa zur NSDAP oder zur Kriegsmarine mit der jeweiligen Fahne zu illustrieren. Nach dem Motto "Hakenkreuz macht sexy" verwenden derzeit indes über 300 Wikipedia-Artikel das Bild der Hakenkreuzfahne und über 200 Artikel die Reichskriegsflagge. Besonders wählerisch ist man da nicht: So wird die Nazifahne in zahllosen Militärartikeln gezeigt, darf aber auch im Artikel über Chemie-Nobelpreisträger ebenso wenig fehlen wie in dem über den Karl-May-Film "Durch die Wüste", und auch der Artikel über Dreiband-Weltmeisterschaften kommt selbstredend nicht ohne Hakenkreuz aus.

Nun, ob Wikipedia eine ernstzunehmende Enzyklopädie ist, wie die Mitarbeiter ständig mantraartig vor sich hinmurmeln, sei mal dahin gestellt. Meines Erachtens dient sie hauptsächlich als Spielwiese für die intellektuelle Selbstbefriedigung von im realen Leben zu kurz gekommenen Klugscheißern. Was Wikipedia jedenfalls nicht ist, ist offensichtlich: Es handelt sich um keine Institution der Forschung und Lehre - aber nur dieser Bereich, neben der Berichterstattung über zeitgeschichtliche Vorgänge, wird im §86 von der Strafverfolgung ausdrücklich ausgenommen. Das macht Sinn, denn ansonsten dürften Historiker kaum mit zeitgenössischem Bildmaterial arbeiten, ohne sich strafbar zu machen. Guido Knopp würde bis zum Jahr 2856 im Gefängnis sitzen.

Allerdings würde kein ernstzunehmender Wissenschaftler die Wikipedia zu Forschungszwecken nutzen - es sei denn, die Wikipedia ist selbst das Forschungsobjekt. Ein Fall für die Soziologie, besser noch die Psychologie. Aber bleiben wir bei der Disziplin, in der Hakenkreuze naturgemäß am häufigsten auftauchen: der Geschichtswissenschaft. Wer hier forscht, sichtet Quellen und rezipiert Fachliteratur, d.h. er nutzt altmodische Bücher, die von anderen Forschern geschrieben wurden, die ihrerseits Jahre intensiver Arbeit da hineingesteckt haben. Wie schwachsinnig, sagt der Durchschnittswikipedianer, man kann doch alles ergoogeln.

Ein Wissenschaftler nutzt aber unter keinen Umständen ein halbgares Internetprojekt, in dem 14-jährige Pickelfressen, die zuviele "Landser"-Heftchen gelesen haben, sich berufen fühlen, Artikel über den Zweiten Weltkrieg zu schreiben. Er nutzt keine selbsternannte Online-Enzyklopädie, in der verwirrte Spinner ihre Verschwörungstheorien verbreiten oder militaristische Waschbrettköpfe über soldatisches Heldentum schwadronieren oder revisionistische Webseiten, die hart an der Grenze des Neonazitums kratzen, als "weiterführende Links" implementieren.

Und vor allem: Ein ernstzunehmender und seriöser Historiker klatscht nicht auf jede zweite Seite seiner Schriften Hakenkreuze und krakeelt dann "Ich darf das!".

Aber vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht versteht man den Artikel über die dänische Fußballnationalmannschaft ja wirklich nicht mehr, wenn man die Hakenkreuzfahne daraus entfernt. In diesem Falle entschuldige ich armseliger Volksschädling mich für meine defätistischen Ausführungen.

Keine Kommentare: