Sonntag, 21. Dezember 2008

Herr Doktor, ich sehe auf dem rechten Auge so schlecht - und taub werde ich auch

Was für eine Woche: An jeder Straßenecke werden CDs mit Telefonnummern, Kreditkarten-PINs und Cholesterinwerten der Karteninhaber feilgeboten. Wirtschaftsexperten streiten darüber, ob 2009 gar nicht so schlimm wird wie befürchtet oder ob das Land in steinzeitlichen Tauschhandel zurückfallen wird. Die Blödzeitung veröffentlich schon mal eine Art Fahndungsfoto des freigelassenen Christian Klar und hetzt die Leute auf wie in den guten alten 60ern. Und dann stellt sich auch noch heraus, dass Deutschland dank zweier BND-Agenten so tief in einem Angriffskrieg verstrickt ist wie seit 1941 nicht mehr und wie man es überhaupt nur sein kann, ohne selbst Schüsse abzugeben. Das dürfen deutsche Soldaten jetzt immerhin in einem anderen Teil der Welt, vor Somalia nämlich - die Chance für die seit Generationen mit Minderwertigkeitskomplexen geschlagene Marine, endlich einmal einen glorreichen Sieg zur See zu erringen.

Viel Stoff zum Bloggen - zuviel eigentlich angesichts der Tatsache, dass man derzeit auch genug anderes zu tun hat und ein akuter Anfall von Bloggerstarre droht. Konzentrieren wir uns daher auf ein Thema: Den Mordanschlag auf den Passauer Polizeichef Alois Mannichl und die Reaktionen darauf. Dass es der "Welt", dem Springer-Hetzblatt für Leser mit mittlerer Reife, nicht zu blöd ist, den Anschlag sofort auf eine Stufe mit den 1.-Mai-Krawallen zu stellen, verwundert kaum. Wenn aber der Regierungssprecher eine ganz "neue Qualität" rechtsextremer Gewalt ausmacht - dann stimme ich aus vollem Herzen Dieter Hildebrandt zu, der daraus schlussfolgerte, dass die zahllosen Angriffe von Neonazis auf Ausländer und Linke dann wohl eine andere, offenbar niedrigere Qualität dargestellt hätten.

Aber lassen wir einmal Regierungssprecher, Kabarettisten und Medien beiseite - was sagt eigentlich unser Innenminister zu dem Vorfall? In den ersten Tagen gar nichts; null, nada, nothing. Darüber, dass der Psychopath auf der Regierungsbank mal ein paar Tage die Klappe hält, hätte ich mich zu anderen Zeiten sehr gefreut. Jetzt allerdings erscheint dies merkwürdig: Wenn politisch motivierte Gewalttäter Mordanschläge auf hochrangige Polizeibeamte durchführen, ist dann nicht die gerade in letzter Zeit so viel beschworene Sicherheit des Staates gefährdet? Wenn nicht in diesem Falle - wann denn, bitteschön, dann? Muss nicht geradezu zwangsläufig das Thema Rechtsextremismus auf die Terror-Agenda gesetzt werden?

Also warum äußerte sich Schäuble nicht? Meine Befürchtung: Es interessiert ihn gar nicht so besonders, was sich da im braunen Sumpf regt. Neonazis werden in diesem Land nach wie vor nicht wie Terroristen behandelt. Normale Bürger schon, ihnen wird ein Recht nach dem anderen entzogen - auch ohne dass sie Bomben auf dem Oktoberfest platzieren, Wohnungen von Ausländern brandschatzen und tausendfache alltägliche Gewaltakte begehen. Mannichl hat die Gefahr von rechts mittlerweile erkannt und ist gegen sie vorgegangen. Unter anderem war er an der Exhumierung der Reichskriegsflagge am Grab des Obernazis Busse beteiligt und musste sich dafür als "Grabschänder" beschimpfen lassen - einer der harmloseren Begriffe, mit denen der widerwärtige braune Mob - allen voran die NPD - den Boden für den Lynchmord-Versuch vorbereitet hat.

Ich will Schäuble allerdings nicht Unrecht tun. Vermutlich durchsuchte er in den Tagen nach dem Angriff höchstpersönlich sämtliche Passauer Festplatten nach Beweismaterial. Bislang ist nicht viel herausgekommen: Gefahndet wird nach einem Mann mit Glatze. Gott sei dank nicht nach einem Mann mit Turban - was dann hier los wäre, möchte ich mir gar nicht ausmalen.

Nun aber, eine knappe Woche später, konnte sich auch der schweigende Schäuble des Themas nicht mehr entziehen - und sagte was? Genau: "Wir dürfen nicht ein Verbotsverfahren gegen die NPD beantragen, ohne sicher zu sein, dass wir es auch gewinnen können." Ein uraltes Scheinargument, das nur eines belegt: Dass im Innenministerium überhaupt kein Wille besteht, diese Drecksackvereinigung zu verbieten. Vermutlich wurde seit dem grandiosen Scheitern des ersten Verbotsverfahrens kein einziger der verdeckten Ermittler aus der Partei abgezogen, um auch ja sicherzustellen, dass auch ein etwaiger erneuter Anlauf danebengeht.

Und so marschiert die Nazibande weiter unter Polizeischutz durch die Straßen, während die Staatsmacht wegschaut - mit einem Auge auf Ihre und meine E-mails, mit dem anderen auf Überwachungskameras blickend; mit dem Ohr am Telefon-Mitschnitt lauschend und die Klappe dicht geschlossen - ähnlich wie bei den berühmten drei Affen. Kein Wunder, dass man da blind und taub wird - zumindest auf einer Kopfseite. Der rechten.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Puff. Soeben trudelte ein Stöckchen an Dein rechtes Auge. Mehr findest Du im Link.

Grüße Impi!

Pathologe hat gesagt…

Sie merkel ich mir! Ihre URL schaeuble ich mir auf! Online!

Sie sind naaemlich gut.

Dr. No hat gesagt…

Danke für die Blumen :)