Samstag, 23. Mai 2009

Vom Händewaschen und Kreidefressen

Der uniformierte Mörder Benno Ohnesorgs war also Stasi-Spitzel - diese von Historikern ans Licht gebrachte Information ist für die Springerpresse natürlich ein Freibrief, die ganze Geschichte wiederzukäuen und sich selbst nachträglich von jeder Mitschuld am Tod des Studenten freizusprechen. Immerhin hat es der gute Benno gestern geschafft, mit seinem Tod auf die Titelseite der "Bild" zu kommen - das war am 3. Juni 1967, dem Tag nach dem tödlichen Schuss, meines Wissens nicht der Fall. Die suggestive Frage "Muss die Geschichte der Linken neu geschrieben werden?" stammt indes nicht nur von "Bild", sondern wird auch von Spon gestellt - und ich bin mal so frei, zu antworten: Nein, muss sie natürlich NICHT.

Denn als Karl-Heinz Kurras Ohnesorg mit einem Kopfschuss tötete, handelte er als bundesdeutscher Polizist und nicht als Stasi-Informant. Es ist eine Sache, ob er dem DDR-Geheimdienst steckte, wann wer in seiner Dienststelle aufs Klo ging; aber eine ganz andere Sache, was an diesem 2. Juni in Berlin geschah. Und solange sich kein Hinweis findet, dass Kurras auf Geheiß der Stasi gehandelt haben könnte, als er die Schüsse abgab, ändert sich nichts an der Tatsache, dass Ohnesorg wie viele andere Opfer einer überbordenden Gewaltstrategie der Berliner Polizei unter der Leitung eines ehemaligen Wehrmachts-Stabsoffiziers wurde und von einem Waffennarren, der sich auch Jahre später noch wünschte, er hätte das ganze Magazin leergeschossen, getötet wurde.

Schuld und Sühne

Das ficht die Springerpresse natürlich nicht an. Hier bietet sich ihr die einmalige Chance, sich von der historischen Schuld freizusprechen, die immer noch an ihr haftet - nämlich die nationalkonservativ bis rechtsradikale Stimmung im Land in jener Zeit künstlich aufgeheizt und damit ein Klima geschaffen zu haben, das später auch einen Arbeiter dazu brachte, auf Rudi Dutschke zu schiessen. Damals hat man im Pressehaus nicht nur die Hände in Unschuld gewaschen, sondern den Spieß auch noch umgedreht und die Studenten als Aggressoren hingestellt. Das ist eine Schuld, für die die Springer AG bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen wurde.

Was jetzt geschieht, wäre ja eigentlich lustig, wenn es nicht so pervers wäre: Bei Bild.de gab's zum Frühstück eine Familienpackung Kreide und so wurde nun ein Spezial zum Thema eingerichtet unter dem Titel "Der Fall Benno Ohnesorg. Alle Infos, alle Hintergründe". Nun, strenggenommen vielleicht nicht alle Hintergründe; aber immerhin zeigt Bild.de eine nicht enden wollende Bildergalerie mit trauernden Studenten, die gegen den Mord protestieren. Als nächstes bringt Bild.de sicher eine tränenreiche Geschichte rund um Ohnesorgs Familie.

Mord und Totschlag

Nun ist erneut Strafanzeige gegen Kurras erhoben worden - ausgerechnet vom "Verein der Opfer des Stalinismus", einer Gruppe, die zum Teil deutlich nach rechts tendiert und von der sich 67er-Studenten wie Ohnesorg wohl ferngehalten hätten. Ein viel zitierter Satz aus der Anzeige lautet: "Mord verjährt nicht." Das ist einer der Grundsätze des Strafrechts und könnte interessant werden. Denn Kurras ist zweimal in höchst bedenklichen Verfahren freigesprochen worden - vom Vorwurf der "fahrlässigen Tötung", mehr war das zu der Zeit nicht. Es bleibt abzuwarten, ob es wirklich zu einem neuen Verfahren gegen den heute 81-Jährigen kommt. Festzuhalten bleibt aber wohl schon jetzt: Erschießt ein deutscher Polizist einen Studenten, ist es "fahrlässige Tötung"; erschießt hingegen ein Stasispitzel einen Studenten - dann, ja, dann ist es Mord.

Egal, wie es ausgeht: "Bild" kann in dieser Geschichte nicht verlieren. Und für alle, die es ganz genau wissen wollen, hat sich das Revolverblatt nicht einmal entblödet, unter der Überschrift "Was wäre, wenn...?" ein wildes Sammelsurium an Spekulationen zusammenzufabulieren, was wohl passiert wäre, hätte man die Sache mit der Stasi damals schon gewusst. Da hätte ich einen Gegenvorschlag: Was wäre gewesen, wenn sich Axel Springer während seiner Geburt an der Nabelschnur stranguliert hätte?

6 Kommentare:

Herr Liebreiz hat gesagt…

Ihre Kritik an der derzeitigen Pressereaktion auf die neuen Tatsachen in Ehren, aber wenn es für diese Subsumtionen zu früh ist, dann sicherlich auch für gegenteilige Behauptungen.

Abstrus finde ich hingegen die Annahme, dass ein Stasispitzel im Dienst ja nur als Deutscher Kriminalbeamter handele. Wer auf die Verfassung schwört und und im Dienste der Gemeinschaft diese verteidigen will, zugleich aber bereit ist, sich von einem Unrechtsstaat für seine antidemokratischen Handlangertätigkeiten bezahlen zu lassen, ist mit Sicherheit nicht in der Lage, klar zu unterscheiden.

still in progress hat gesagt…

Als ich die Schlagzeilen die letzten Tage gesehen habe, fragte ich mich, wo eigentlich die Sensation liegt? Der wahre Arbeitgeber des Polizisten ändert weder etwas ander der Progromstimmung, die durch die Bildzeitung erzeugt wurde, noch daran, dass jemand nach einem Mord freigesprochen wurde.

Dr. No hat gesagt…

@Herrn Liebreiz: Das sehe ich ein wenig anders. Wenn man die Polizeistrategie dieser Jahre betrachtet - und vor allem die des 2. Juni 67, Stichworte "Heute gibt's Dresche" und "Füchse jagen" - und wenn dann Kurras und hunderte seiner Kollegen wie die Irren auf die Demonstranten einknüppeln, dann handeln sie in dem Moment natürlich als Polizisten, die einen Befehl ausführen. Darin sehe ich nichts Abstruses, auch wenn Kurras Stasi-Spitzel war. Abstrus finde ich es eher, wenn Polizisten einfach dabei zusehen, wie eingeflogene Jubelperser auf die Demonstranten losgehen. Wer hat denn in diesem Moment die Verfassung verteidigt?

Mag ja sein, dass noch mehr ans Tageslicht kommt. Aber selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die Stasi Kurras den Mord an einem Studenten befohlen haben sollte - wobei sie wenig Möglichkeiten hatte, die Ausführung eines solchen Befehls dann auch einzufordern - ändert das nichts am generell äußerst rigiden Vorgehen der deutschen Behörden, den wiederholten Gewaltorgien der Polizei, der Nicht-Auseinandersetzung mit Auschwitz, der jahrelangen Springer-Hetze und der Gründung des SDS und der Apo, die allesamt für die Geschichte der Linken von zentraler Bedeutung sind.

Daher muss sie auch nicht umgeschrieben werden. Es ist nur zu offensichtlich, dass die Kampagne nicht der historischen Wahrheitsfindung dient, sondern der Reinwaschung der Axel Springer AG und der nachträglichen Legitimierung der Gewaltpolitik gegen die eigene Bevölkerung.

Gruß

Herr Liebreiz hat gesagt…

"Na, halt mal"... an der Frage staatlicher und damit polizeilicher Gewalt würde ich auch gar nicht rütteln wollen. Für jeden reflektierten Menschen ist unübersehbar wie sich der Staat und seine Organe geriert haben. Aber steht das wirklich zur Diskussion?

Zur Zeit befinden wir uns in einer, leider unserer Zeit zu eigenen, Phase eines Pressehypes; die sachliche Wahrheit um die "Stasikarriere" des Kurras wird auf sich warten lassen. Derzeit sieht es aber noch so aus, dass der Mann nicht nur ein bezahlter Spitzel, sondern ein verdammt gut dotierter war, noch dazu ein SED-Mitglied. Für mich steht außer Frage, dass der Mann nicht trennen konnte. Ob es sich möglicherweise um einen Auftrag handelte, steht noch in den Sternen. Dass aber die Staatssicherheit ausreichende Druckinstrumente besaß ist unstrittig, allen voran die Möglichkeit einen Spitzel mit Enttarnung zu bedrohen. Welche Konsequenzen das für einen Mann von Kurras Geltungssucht gehabt hätte, mag klar sein.

Für mich persönlich, das mag jeder für sich anders sehen, trägt dieser Vorgang kein Stück der aggressiven Repression ab. Aber ich sehe darin einen satten Arschtritt für alle rechten Konservativen, die diesen Mann und sein Handeln damals gefeiert und verteidigt haben. Vor allem darum geht es mir.

Anonym hat gesagt…

Ein bisschen mehr hat der feine Herr Kurras wohl schon für die Stasi gehabt, als "wann wer in seiner Dienststelle aufs Klo ging".
Das klingt so verniedlichend. Der Mann hat nicht nur Benno Ohnesorg erschossen, sondern war auch noch ein Spitzel.
An dem "satten Arschtritt", den Herr Liebreiz sieht, habe ich allerdings auch eine gewisse Freude.

Dr. No hat gesagt…

...und dieser Arschtritt ist verdient und war längst fällig.