Sonntag, 20. Dezember 2009

Jetzt sei doch mal ein bisschen besinnlich!

Es gibt ja nur wenige Dinge im Leben, die noch furchtbarer sind als Weihnachtslieder. Okay - vielleicht Weihnachtslieder, die von Kinderchören gesungen werden und mit weichgezeichneter Bebilderung versehen auf den ahnungslosen TV-Zuschauer losgelassen werden. Jenseits der omnipräsenten audiovisuellen Dauerberieselung verfügt der rot-weiße Wahn aber auch über eine dritte Teilstreitmacht: den linguistischen Arm des Terrors. Und so blökte mir, als ich den Lokalteil der hiesigen Regionalzeitung aufblätterte, dieses unsagbar entsetzliche Elaborat entgegen:

 


Wer sich das komplette journalistische Meisterwerk reinziehen möchte - warum auch immer -, findet es hier. Ich für meinen Teil habe die Lektüre schon bei "Leise rieselt der Schnee..." abbrechen müssen, Ursache war ein akuter Übelkeitsanfall. Aber bis dahin war ja auch schon die volle Breitseite an Schwülstigkeit auf mich eingeprasselt, der Artikel hatte seine Schuldigkeit getan. Man könnte meinen, die Autoren werden nach der Häufigkeit der Nennung von Begriffen "Stimmung" und "besinnlich" bezahlt.

Das war übrigens der Aufmacher auf der ersten Lokalseite. Wohlfühljournalismus auf provinzielle Hausmacherart: Offenbar passiert in einer 160.000-Einwohner-Stadt nichts bedeutsameres und interessanteres als die Leser mit dem Holzhammer daran erinnern zu müssen, dass jetzt hier aber auch alles schön besinnlich zu sein und er gefälligst in Stimmung zu kommen hat. Wie bei Loriot. Erst lesen wir uns den Weihnachtsartikel in der NWZ durch, dann packen wir die Geschenke aus und dann machen wir es uns gemütlich.

Wenn man statt der üblichen Stimmen nur noch Glöckchenklingeln hört,  man beim Anblick von rot-weißen Verkehrsschildern plötzlich die pseudoverjazzte "White Christmas"-Coverversion aus dem Supermarktlautsprecher im Ohr hat und sich der eigene Kopf so anfühlt, als hätte ihn jemand anderes gewaltsam mit Spekulatius vollgestopft - dann, ja dann ist man wohl endlich in "besinnlicher Weihnachtsstimmung".

Und wenn alles nichts hilft, tötet man die letzten gegen den Wahnsinn protestierenden Gehirnzellen mit billigstem Dritte-Wahl-Wein ab, der zuvor in dreckigen Töpfen erhitzt und in ebenso schmierige wie hässliche Tassen abgefüllt worden ist - dann kommt man zuminidest in besinnungslose Stimmung, und die ist vielleicht trotz Kater ein wenig erträglicher.

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