Dienstag, 6. April 2010

Chronik eines angekündigten Todes

Theodor W. Adorno sprach einmal beim Anblick von Luftaufnahmen aus dem Pazifikkrieg von "Insektenvernichtung in tellurischem Ausmaß". Daran musste ich gerade denken, als ich mir das von Wikileaks veröffentlichte Video des Hubschrauberangriffs in Bagdad anschaute, bei dem eine Reihe irakischer Zivilisten, darunter zwei Reuters-Mitarbeiter, getötet wurden. Der Maßstab des Mordens mag kleiner sein als bei Adorno, aber die routinierte und skrupellose Kaltblütigkeit, mit der diese Opfer niedergemacht wurden, legen die meisten Menschen wohl nicht einmal beim Zertreten von Ameisen an den Tag. Zusammen mit der dem ganzen Operationsverlauf innewohnenden Verlogenheit ergibt das ein zutiefst verstörendes Bild über das Zusammenwirken von Abgebrühtheit, Automatismus und einer Brutalität, die von den Beteiligten nicht einmal mehr als solche wahrgenommen wird.








Dass Soldaten im Kampfeinsatz mitunter bis zur vollkommenen Emotionslosigkeit abstumpfen, ist nicht überraschend und vielfach dokumentiert. Der schon fast gelangweilte Tonfall, mit dem diese Hubschrauberbesatzungen ihren Tötungseinsatz kommentieren, schlägt dem Fass allerdings den Boden aus; sie klingen beinahe wie Beamte, die an einen anderen Schreibtisch umziehen – kommt nicht alle Tage vor, ist eine nette kleine Abwechslung im Berufsalltag, aber letztlich auch nicht wirklich spannend. Die Flüche ("fucking prick") klingen genauso leidenschaftslos wie das anschließende Schulterklopfen nach getaner Arbeit. "Nice. Good shoot'n.“ – in genau demselben unaufgeregten Tonfall sagte neulich ein Bekannter „Super Job!“ zu mir. Da hatte ich niemanden erschossen, sondern nur beim Umzug geholfen.

Und dann die gezielte Tatsachenverdrehung. Ich gebe zu, dass ich in der Auswertung von militärischem Videomaterial nicht besonders geschult wurde – aber für mich war lediglich zu erkennen, dass zwei der anvisierten Personen irgendetwas über der Schulter hängen hatten. Was, war nicht zu erkennen; kein Lauf ragte hervor, kein Magazin, kein Gewehrkolben. Einer schien ein Kamerastativ zu tragen. Trotzdem wurden die Männer sofort als „bewaffnet“ eingestuft, wenige Augenblicke später war schon die Rede von AK47 – der klassischen Waffe von Rebellen weltweit – und nochmals wenige Sekunden später hieß es sogar schon, sie hätten Raketenwerfer (RPG). Wohlgemerkt: Mehr als die Tragegurte der Kameras waren nicht zu sehen. Wer da warum übertrieben oder gezielt überinterpretiert hat, ist letztlich egal - wenn diese Eigendynamik immer auftritt, sobald irgendwer in Bagdad irgendwas irgendwohin trägt, dann gute Nacht.

Im Verlauf des Einsatzes wundert sich niemand darüber, dass die vermeintlichen bewaffneten Aufständischen trotz der Anwesenheit zweier kreisender Kampfhubschrauber in unmittelbarer Nähe seelenruhig vor einem Haus stehen und sich unterhalten. Wenn den Hubschrauberbesatzungen angesichts der Gefahr, mit Raketen abgeschossen zu werden, die Nerven durchgegangen wären, könnte man die Sache noch irgendwie anders betrachten (wenngleich das den Vorfall aber auch nicht entschuldigen würde). Aber sie legen nur die routinierte Geschäftsmäßigkeit eines Sachbearbeiters in der Kfz-Zulassungsstelle an den Tag. "Ich kann sie jetzt nicht erwischen, weil sie hinter dem Gebäude sind." "Hey, du schießt, ich spreche." „Einer versucht wegzukriechen.“ Militärintern gilt diese kühle Distanziertheit sicher als "Professionalität". Wie einprogrammiert: IF [kriechen=true] KILL [all] END. Passend dazu die Videospieloptik – es dürfte bei der Rekrutierung von Bordschützen hilfreich sein, dass heutige GIs mit Doom, Battlefield und Call of Duty aufgewachsen sind.

Dass das Pentagon die ganze Angelegenheit verschleiern und unter Verschluss halten wollte, wundert da schon niemanden mehr. In diesem Fall fand das Material einen Weg an die Öffentlichkeit – wer weiß, wie viele andere Videos noch im Giftschrank lagern, die nie ans Licht kommen? Die keinen interessieren, weil nicht zufällig Journalisten unter den Opfern waren, sondern bloß Hochzeitsgäste?

Kriegsbefürworter speisen Kritiker bei Nachrichten über Gräueltaten gerne mit den Worten ab, dass so etwas im Krieg „nun einmal passiere“. Und damit haben sie absolut Recht. Sowas passiert. Nicht nur, dass immer wieder Leuten die Nerven durchgehen oder Fehlentscheidungen getroffen werden – es ist der ganz normale Alltagstrott einer nur noch den eigenen Gesetzmäßigkeiten und der eigenen Logik folgenden Kriegsmaschinerie, mit dem wir es hier zu tun haben. Nicht mehr, nicht weniger – und gerade das ist das Erschütternde daran. Die Industrialisierung des Krieges, die schon im Ersten Weltkrieg ihren ersten Höhepunkt erreicht hat, scheint mir nun am Gipfel angekommen zu sein: Der Maschinisierung des Menschen, der Entmenschlichung des Handelns und der Bürokratisierung des Mordens.


Auch schön: The United States Army Enemy Combatant Identification Manual


Via Ulf.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

gut akzentuiertes adorno-zitat!!!

allerdings ist krieg und die bilder aus kriegen aus der sicht von uns zivilisten immer verzerrt (denke ich)

abgesehen davon, wussten auch die kriegsberichterstatter, wo sie sich befinden

Dr. No hat gesagt…

Nun ja, allerdings sind die Kriegsbilder, die Zivilisten zu sehen bekommen, idR ja in eine ganz bestimmte Richtung verzerrt - nämlich in die, dass sowas wie dieses Video nach Ansicht der Militärs ja gar nicht erst an die Öffentlichkeit dringen soll.

An diesen Bildern hingegen gibt es nicht viel zu verzerren, ihre Aussagekraft steht für sich. Und selbst wenn man den Soldaten ihre vielleicht unfreiwillig erworbene Verrohung nachsehen mag: Das hier ist Krieg, schnörkellos und wenig heldenhaft, ein routiniertes Menschenschlachten - und nicht die geschönten Propagandabilder der embedded journalists.