Dienstag, 31. August 2010

Boombranche Arbeitszuhälterei

"Na, Süßer, wie wär's...?"
'N guten Morgen. Alle wach? Den ersten Kaffee schon genossen? Das ist schade, denn gleich werden Sie ihn in hohem Bogen wieder ausspucken. Nein, nicht weil Thilo Sarrazin heute offenbar Aufmacher in allen Onlinemedien dieser Welt ist. Auch nicht, weil sich selbige mittlerweile stillschweigend auf den harmlosen Euphemismus "Thesen zur Migrationsproblematik" geeinigt zu haben scheinen, wenn sie über dessen widerwärtigen Rassistendreck schreiben und ihm damit eine vollkommen unverdiente Diskussionswürdigkeit verleihen. Nein, das alles führt nur noch zu saurem Aufstoßen, man stumpft ja nach dieser Dauerbeschallung allmählich ab. Kotzen muss man spätestens angesichts einer Zahl, die heute morgen in der Tagesschau mal eben so in einem Halbsatz erwähnt wurde: Jeder dritte (!) Arbeitsplatz ist demnach in der Zeitarbeitsbranche.


So jedenfalls zitiert die Tagesschau aus dem heute vorgelegten Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit. Jeder DRITTE - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das Profitoptimierungsinstrument des 21. Jahrhundert ist nicht mehr nur schwer in Mode, es ist dabei, sich als Normalzustand zu etablieren: Beschäftigungsverhältnisse, die sich von der Tagelöhnerei früherer Jahrhunderte lediglich dadurch unterscheiden, dass zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber jetzt auch noch ein Arbeitszuhälter dazwischengeschaltet ist, sind dann wohl bald die Regel. Willkommen im Rotlichtviertel der Erwerbstätigkeit. Was Wunder: In dieser Welt kennt sich Peter Hartz, der Urheber des Zeitarbeitoverkills, ja bekanntlich bestens aus.

Nein, dieser Vergleich ist natürlich hanebüchen. Schließlich würde der Zuhälter in der Zeitarbeitsbranche, anders als seine Kollegen aus dem horizontalen Gewerbe, niemals die Scheiße aus einem Freier herausprügeln, weil er die Prostituierte nicht vernünftig bezahlt. Schließlich bekommt er ihren Lohn und wirft davon großzügig ein paar Krümel ab. Angebahnt werden solche, ähm, Kontakte auch eher nicht mehr mit den Worten: "Na, Personalchefchen, wie wär's denn mit uns beiden Hübschen?" - sondern andersherum: "Fick oder stirb!" Dafür gab es zeitweise immerhin die typischen Revierkämpfe um die Macht in der Branche - allerdings ist der längst entschieden, seit die Gewerkschaften erschossen in der Mülltonne in der Seitenstraße liegen.

Soviel zu den professionellen Personalverleihern von der Reeperbahn der Arbeitsmarktpolitik - daneben gibt es ja auch noch die ganz große Nummer, die in den Hinterzimmern der Chefetagen geschoben wird: Tochtergesellschaften, die einzig und allein dazu dienen, die eigene Belegschaft zu einem deutlich reduzierten Lohn weiterzubeschäftigen. Diese Form dürfte auf den größten Teil des zeitarbeitenden Teils der Bevölkerung zutreffen und lässt früher einmal ausgehandelte Tarife als anachronistischen Witz erscheinen. Heute wird neu verhandelt: "Blasen, Eierkraulen, Arschkriechen nur 'nen Fuffi, Chef!" - "Hier haste 'nen Zehner, nimm den oder verpiss dich, bevor ich wütend werde!" Ah, schöne neue Arbeitswelt. Nur mit eingefangenen Krankheiten muss man vorsichtig sein: Schließlich wird man sich bald auch deren Behandlung nicht mehr leisten können. Außer, man hat ausreichend viele Freier - vulgo: Jobs.

Ich wünschte, ich könnte mich an dieser Stelle einfach wieder stundenlang über die FDP aufregen, die uns Hand in Hand ins Manchesterland führt. Mit einem klaren Feindbild fühlt man sich einfach besser. Aber es waren ja die Sozialdemokraten, die alte Tante SPD, die einstige Speerspitze der Arbeiterschaft, die uns das eingebrockt hat - namentlich die Gang um Schröder und Clement, die zwar selbst eine Art Wirtschaftsnutten sind, aber immerhin hoch bezahlte: Die beiden kann sich nicht jeder leisten.

Ach, die SPD. Vermutlich wird die Partei bald auch die Einschränkung dieses Zeitarbeitsunwesens fordern. So wie sie jetzt einen Mindestlohn fordert, den sie sieben Jahre lang nicht eingeführt hat; oder jetzt eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes fordert, den sie selbst um elf Prozentpunkte abgesenkt hat. Oder der Finanzbranche die Fesseln wieder anzulegen, die sie ihr selbst abgenommen hat. Oder, oder, oder.

Und, Kaffee noch drin? Respekt. Sie haben einen stärkeren Magen als ich.

2 Kommentare:

Frau_Aura hat gesagt…

Kaffee noch drin, aber Augen feucht und Kloß im Hals.

Dr. No hat gesagt…

Die feuchten Augen kamen bestimmt an der Stelle, als zum ersten Mal von der SPD die Rede war. Wenn ich von denen höre, muss ich auch immer herzlich lachen.