Freitag, 13. August 2010

Im Osten nichts Neues oder: Die Verdammten des Krieges

Ja, auch mir wurde ziemlich übel und mein Tag war nachhaltig versaut, als ich das Bild des afghanischen Mädchens mit der abgeschnitten Nase auf dem "Time"-Cover gesehen habe. Mittlerweile weiß ich aber nicht, was mich mehr anwidert: Die Brutalität der Handlung - oder die Instrumentalisierung der armen Aisha für die Kriegspropaganda. Was mich sogleich genervt hat, kann ich jedenfalls recht deutlich benennen: Die grundsätzliche Falschheit der dazugehörigen Titelzeile "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen". Denn richtig wäre natürlich: "Was passiert, obwohl wir seit neun Jahren in Afghanistan sind, und zwar mit mehr Soldaten als je zuvor."

Als ob jemals ein Land in den Krieg gezogen wäre, um die Rechte von Frauen zu schützen. Die geschundene Aisha ist für die Alliierten nicht mehr als eine unfreiwillige, aber hochwillkommene Werbeikone: Wenn den Leuten die Kriegslust zu vergehen droht, sie den ohnehin nur selten vorhandenen Sinn darin offen anzweifeln und nicht einmal die Beschwörung des humanitären Charakters des Einsatzes mehr zieht, müssen Schockbilder oder zumindest diabolische Gerüchte her, um zu zeigen, dass es sich beim Feind zweifellos um verkommene, diabolische und blutsaufende Barbaren handelt. Im Ersten Weltkrieg waren es die nonnenvergewaltigenden und Babys auf Bajonette aufspießenden "Hunnen" (ja, damit waren wir Deutschen gemeint), im Golfkrieg die irakischen Soldaten, die einer schon bald aufgedeckten, aber dann nicht mehr aufzuhaltenden Propagandalüge zufolge Babys aus Brutkästen gerissen hätten.


Erstaunlicherweise hat kaum jemand öffentlich die Frage aufgeworfen, warum die Deutschen oder Iraker sowas denn hätten tun sollen, aber sei's drum: Je unmenschlicher der Feind dargestellt werden kann, desto besser für die Kriegsmaschine. Als nächstes tingelt Aisha durch die Talkshows und verkauft Kriegsanleihen. Am selben Tag war in den Tagesthemen (oder war's das Heute-Journal?) übrigens ein älterer afghanischer Mann zu sehen, dem die Taliban ebenfalls Nase und Ohren abgeschnitten haben. Auch er wird nicht der erste gewesen sein, dem das widerfuhr. Aber er war wohl auch nicht fotogen genug. Nicht umsonst heißt es in Verteidigungsministerien weltweit: "Frauen und Babys funktionieren immer."

Bevor das jetzt jemand falsch versteht: Ich will Gewalt gegen Frauen keinesfalls kleinreden oder relativieren, und im Gegensatz zur Babys-Brutkästen-Legende ist das Verbrechen an Aisha keine Erfindung. Nur kotzt mich an, dass sie und ihre Leidensgenossinnen stets nur zu bloßen Propagandainstrumenten herabgewürdigt werden und hinterher niemanden mehr interessieren. Bilder von misshandelten Frauen und Kindern beruhigen lediglich unser Gewissen, indem wir uns dadurch während der Abendnachrichten vormachen können, wir würden einen gerechten Krieg führen. Mehr wollen wir von der Ostfront doch auch gar nicht wissen: Brunnen bohren, Schulen bauen, Aisha zu einer neuen Nase verhelfen. Und nun schalt mal um zum "Tatort", ich habe den ganzen Tag malocht und will entspannen.

Denn das muss man sich vor Augen führen: Neun Jahre, nachdem die alliierten Truppen nach offizieller Lesart mit Blumen, Hurra und Tschingderassabumm von den geknechteten Eingeborenen empfangen wurden, werden längst wieder Mädchen aus den von der Bundeswehr offenbar zu Tausenden gebauten Schulen genommen oder gar nicht erst hingeschickt (und vermutlich in die ebenso zu Tausenden gebohrten Brunnen geworfen), werden Frauen verprügelt, vergewaltigt, weggesperrt und unterdrückt, werden alle möglichen Menschen wegen aller möglichen Dinge erpresst, gefoltert und umgebracht - und das alles unter dem väterlichen Blick einer korrupten US-Marionette, die sich nur mit massiven Wahlfälschungen an der Macht halten kann und von uns und unseren Verbündeten beschützt wird.

Gegenstrategie? Ja, haben wir auch: Die Herzen der Menschen zu gewinnen durch immer weitere Aufrüstung. Vermutlich wollte die Bundeswehr Aishas brutalen Ehemann mit einer der neuen Panzerhaubitzen erwischen, bevor er zur Tat schreitet, aber die Dinger sind ja leider so schrecklich ungenau.

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