Montag, 7. September 2009

Bodycount's in da house

Nein, es folgt nun kein abgegriffener Vergleich der Kriegführung der Bundeswehr mit der im Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Aber dennoch: Wie sich führende deutsche Soldaten verhalten, sobald man sie wieder auf einen Feind loslässt, macht mir allmählich richtig Angst. Nicht nur wegen des übelkeiterregenden Bodycount-Gefeilsches zwischen Verteidigungsminister Jung und dem Rest der Welt - nein, noch schlimmer dünkt mich ein offenbar rängeübergreifendes und hochgradig perverses Verständnis von Kriegführung, Komplizenschaft und Kommunikation.

Da war zunächst Franz-Josef Jung, der erst ein paar Tage gar nichts dazu sagte, um dann gleich loszupoltern, dass es entgegen anderen Angaben "nur" 50 Tote gegeben habe, selbstverständlich alle ausnahmslos Aufständische. Als ob darüber in einem Land wie Afghanistan überhaupt irgendwelche Sicherheit bestehen könnte; zumal bekannt ist, dass normale Dorfbewohner vor Ort gewesen sind, um sich Benzin abzuzapfen. Ich würde gerne wissen, ob die Bundeswehr diese Leute - weil sie sich am Diebesgut der Taliban bedienen - automatisch als "Aufständische" zählt, denn nur so kann eine solche Aussage ehrlicherweise zustande kommen. Aber Ehrlichkeit ist sicher nicht das treibende Handlungsmotiv.

Ich denke, dass Jung selbst nicht glaubt, was er da sagt. Er beharrt einfach auf dem einmal eingenommenen Standpunkt, sei es, um das Ansehen der Bundeswehr zu wahren, sei es, weil er selbstkritikunfähig ist. Das Erschreckende daran ist, dass nicht einmal ansatzweise eine Bereitschaft zu erkennen war, die vorliegenden Fakten und Angaben verschiedener Quellen wertneutral zu prüfen und dann überhaupt erst zu einem Standpunkt zu kommen. Welch Arroganz! Welch Niedertracht! Ein Afghane, der vor der Kamera seine toten Verwandten betrauert und schwört, dass diese nichts mit den Taliban zu tun hatten, ist dann wohl per se ein dreckiger Lügner? Genauso wie die ganzen anderen Ausländer, die jetzt die Bundeswehr kritisieren und die Mär der 50 toten Verbrecher nicht glauben wollen?

Als "bodenlose Frechheit" bezeichnete ein Bundeswehroffizier das Vorgehen der Amerikaner. Die hatten einem Journalisten die Möglichkeit gegeben, die Untersuchung zu begleiten; und der hatte nichts besseres zu tun, als die selbst von den Verbündeten als realistischer angenommene Opferzahl von 125 in die Welt hinauszuposaunen. Was, bitte, ist daran "frech"? Hat er gegen den militärischen Geheimhaltungskodex bezüglich ziviler Opfer verstossen oder was ("entgegen des üblichen Verfahrens")? Der Journalist als Feind der "offiziellen Wahrheit"? Was für eine Art der Berichterstattung schwebt denn den Bundeswehroberen so vor - PK-Kompanien?

Darf man daraus schließen, dass das Verteidigungsministerium nicht wirklich vorhatte, je eine andere Zahl als 50 zu nennen? Ist überhaupt noch irgendwem im Ministerium bewusst, dass es sich eben nicht nur um eine Zahl, sondern um Menschenleben handelt? Für den Begriff "Tragödie" habe er kein Verständnis, sagt Jung. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: So jemandem haben wir die Verantwortung für einen Krieg in unserem Namen übertragen. Auch wenn er es immer noch nicht so nennt.

Wenn sie wenigstens nur beleidigt wären, wäre dies ja schon beschämend genug - die deutschen Befehlshaber sind zudem aber auch noch völlig weltfremd in ihrer Analyse der Situation. Eine "Retourkutsche" für zuvor geäußerte Kritik am US-amerikanischen Vorgehen sei das gewesen; die Amis wollten die Bundeswehr aus Kunduz, ja sogar ganz aus Afghanistan hinausekeln, zitiert Spon anonyme Militärs. Das ist ja nun schlicht und einfach nicht wahr: Die USA wollen bekanntlich schon seit langem mehr Engagement der Bundeswehr. Mehr Soldaten, mehr Geld, mehr Kampfeinsätze.

Von Selbstzweifel keine Spur: Kein Unrechtsbewusstsein beim Luftangriff, kein Interesse an dessen Aufklärung, kein Zurückweichen vom eigenen Propagandastandpunkt trotz weltweiter Kritik, keine Skrupel, andere der Unredlichkeit zu bezichtigen - und sich bei alledem selbst für so wichtig nehmen, dass man glaubt, die US-Generäle würden Intrigen mit der "Washington Post" spinnen, um die Bundeswehr loszuwerden. Dafür gibt es ein Wort: Hybris.

Und für die Frage nach dem Einsatz der Bundeswehr gibt es auch ein Wort: Ende.

Edit: Wenige Minuten nach diesem Post kam die Meldung, dass Jung jetzt doch nicht völlig ausschließt, dass unter den seiner Meinung nach 50 Toten eventuell vielleicht doch ein oder zwei Zivilisten gewesen sein könnten.

1 Kommentar:

juwi hat gesagt…

Nachdem ich begriffen hatte, was die da angerichtet haben, und dann die Dummschwätzerei von unserem Kriegsherrn Jung hörte, war ich schon auf dem Weg zum PC, um einen Artikel zu schreiben. Ich habe dann aber bisher davon abgesehen, weil ich erst andere Quellen zum Hergang und zu den Toten hören wollte. Wenn ich eines aus den vergangenen und teilweise noch andauernden Kriegen gelernt habe, dann, dass immer kräftig an der Wahrheit gedreht, belogen und betrogen wird.

Inzwischen habe ich das Gefühl, dass ich den Quellen, die von einer höheren Zahl verletzter und toter Menschen sprechen, eher vertrauen kann, als einem Herrn Jung, der ohne Kenntnis des Hergangs sofort meinte, seinem ach so tollen Offizier den Rücken stärken zu müssen. Immer schön nach dem Motto: "Es ist nicht, was nicht sein darf".

Mir wird speiübel, wenn ich beobachte, wie wir alle von denen da oben langsam aber sicher in diesen Strudel der Gewalt hineingezogen werden. "Deutschland wird am Hindukusch verteidigt": Wenn ich diesen Schwachsinn schon höre! Stattdessen geben die mit jedem toten Zivilisten den Terroristen eine Stallvorlage dafür, dass die endlich auch in Deutschland zuschlagen können.

Ich habe gelesen, "der Gegner" sei nie klar zu erkennen. Tolle Erkenntnis! "Der Gegner", dass sind Terroristen, oder Partisanen oder wie immer man die nennen will. Diese Leute haben seit jeher die Angewohnheit, hinterücks aus dem Untergrund zuzuschlagen. Die kann mit mit keiner technisch noch so hochgerüsteten Armee besiegen.

Offensichtlich ist den Leuten hierzulande die Fähigkeit aus den Fehlern anderer zu lernen ebenso fremd, wie den Russen, den Amerikanern, den Serben und vielen andern mehr.

Wie heißt es so schön?: "Wehret den Anfängen." Ich werde mal sehen, ob ich am 27. September mit meinem Kreuzchen etwas ausrichten kann.