Sonntag, 8. August 2010

Sternstunden des Lokaljournalismus oder: Wer den Taler nicht ehrt

Es gibt Dinge, die man aus den Köpfen von Journalisten schlicht nicht herausbekommt, egal ob man sie prügeln, mit Stromschlägen traktieren oder einer Gehirnwäsche unterziehen würde. Zu diesen Dingen gehört das immer wieder bemühte Umrechnen historischer Geldbeträge in moderne Währungseinheiten. Daran sind schon gestandene Wissenschaftler gescheitert, was aber die hiesige Zeitung natürlich nicht davon abhält, es in einer Geschichte über einen Kanalbau im 19. Jahrhundert trotzdem zu versuchen:

Aha, ein Taler (des Jahres 1879) entspricht also 1,50 Euro heute. Also so gut wie nix. Zwar relativiert der Autor im folgenden Satz seine eigene Aussage, aber das macht die Sache nur noch blöder: "Auch wenn das Geld damals einen anderen Wert hatte als heute...". Ja, was denn nun? Entspricht ein Taler nun 1,50 Euro oder nicht - und wenn nicht, was sollte dann die Umrechnung, zumal der Autor offensichtlich weiß, dass sie überhaupt keine Aussagekraft hat?

Es ist grundsätzlich fruchtlos, Geldbeträge von Anno dunnemals in heutiger Währung ausdrücken zu wollen, wenn man nicht die Kaufkraft einbezieht und das Ganze in den Kontext des damaligen Konsumverhaltens stellt. Die dahingerotzten Einsfuffzich im dahingemilchmädchenrechneten Artikel führen geradezu zwangsläufig dazu, dass der Leser sich vor Augen führt, wie wenig er für das Geld kaufen könnte, etwa zwei Schokoriegel. Das ist ja schlimmer als bei den Friseuren.

Warum die Arbeiter 1879 - also sechs Jahre nach Einführung der Mark als reichseinheitlichem Zahlungsmittel - mit Talern bezahlt wurden, sei dahingestellt. Was dieser Taler wert war, kann man aber auch ohne Studium durch ein wenig Recherche zumindest ansatzweise erahnen: Ein Taler war drei Mark wert, das durchschnittliche Jahresgehalt betrug 1880 545 Mark, also rund 180 Taler. Ein Taler als Tageslohn schien daher in den 1870er Jahren üblich und für eine reine Hilfsarbeitertätigkeit womöglich überdurchschnittlich zu sein.

Und wenn man es jetzt unbedingt umrechnen will: Die Wikipedia gibt den "Kurs" der Mark unter Berufung auf das Statistische Bundesamt für das Jahr 1881 mit 6,40 Euro an; der erwähnte Arbeiter hätte also nicht 1,50, sondern 19,20 Euro verdient. In Berlin hätte er für seinen Taler vier Kilo Brot kaufen können, in seinem Heimatkaff sicher deutlich mehr. Noch 1893 bekam man stellenweise für das Geld fast zwei Zentner Kartoffeln. Natürlich ist es eine Heidenarbeit, den ganzen Tag Erde wegzuschaufeln, aber nichts deutet darauf hin, dass die Arbeiter unterdurchschnittlich bezahlt wurden.

Was übrigens mehr ist, als man über die Zeitung sagen kann, in der dieser Artikel stand. Denn wie geht der relativierende Satz weiter? "Auch wenn das Geld damals einen anderen Wert hatte als heute, so stand doch die Arbeitsleistung und der Verdienst in einem schlechten Verhältnis." Ein hübscher Satz, zumal wenn er in einer Zeitung steht, die bekanntlich einen wachsenden Teil ihrer Redakteure über eine eigens gegründete Zeitarbeitsfirma beschäftigt, um die Tarife zu unterlaufen und die den Mindestlohn für Briefzusteller erbittert bekämpfte, da sie selbst einen solchen Dienst betreibt. 

Erst dadurch wird das Ausmaß des Schreckens bewusst, das damit verbunden wäre, würde man für einen ganzen Tag brutal harter Arbeit tatsächlich mit nur 1,50 Euro abgespeist werden - denn dafür bekäme man gerade einmal eine Ausgabe dieses Käseblatts.

4 Kommentare:

ulf_der_freak hat gesagt…

Ein-Euro-Fuffzich-Job=ziemlich viel weniger Kartoffeln.

NordWestImpi hat gesagt…

Du entwickelst Dich langsam zu einem echten NWZ-Watchblog. :)

Dr. No hat gesagt…

@Ulf: Da habens die bildungsferneren Bauern besser: Die finden immerhin besonders gewichtige Exemplare.

@Impi: Das Witzige daran ist, dass ich die Zeitung nur alle Jubeljahre mal in die Hand nehme und trotzdem sofort sowas finde... es gibt übrigens - falls es dich als Wahl-Zoni noch interessiert ;-) - einen echten Watchblog, der aber irgendwie nicht so richtig in die Hufe kommt: Den NeWZblog.

FinsterwaldImpi hat gesagt…

Danke für den Link.

Ich bevorzuge übrigens die Bezeichnung "Neu-Dunkeldeutscher" oder gerne auch "Nachgedunkelter".